Forschung

Was die Forschung untersucht und herausfindet, wird durch  Wissenstransfer greifbar und verständlich.
Und ermöglicht so sinnvolles und effektives Handeln für die Meere .

Vorkommen von Blau- und Finnwalen in der Arktis

Eine Schwanzflosse eines Wals ragt aus dem Meer. Im Hintergrund sind Eisberge zu sehen

© Torsten Dederichs / Unsplash

Pressemitteilung, 27.11.2024, AWI

Forschungsteam unter AWI-Leitung stellt erste akustische Langzeituntersuchung von Bartenwalen in der östlichen Framstraße vor

Die Langzeitanalyse der Unterwasserrufe von Blau- und Finnwalen in der östlichen Framstraße liefert wichtige Erkenntnisse zu saisonalen und jährlichen Mustern im Vorkommen von Blau- und Finnwalen in diesem Gebiet. So waren Blauwale vor allem im Sommer und Herbst zu hören, während die akustische Präsenz von Finnwalen auf ein deutlich längeres und variableres Vorkommen hinweist. Der einmalige Langzeitdatensatz belegt zudem in den Wintermonaten das vereinzelte Auftreten von Blauwalen – den größten Tieren der Erde. Diese Erkenntnisse stellt ein Forschungsteam unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts jetzt in der Fachzeitschrift PLOS ONE vor.

 

Die östliche Framstraße ist stark von den Folgen des Klimawandels betroffen, was sich auch auf die dort lebenden Arten auswirkt. So führen steigende Meerestemperaturen unter anderem zu einem deutlichen Rückgang des Meereises und zu Verschiebungen im Nahrungsnetz. Für Bartenwalarten, die saisonale Wanderungen unternehmen, ist der östliche Teil der Framstraße zwischen Svalbard und Grönland eine wichtige Region, denn dort transportiert eine Meeresströmung relativ warmes Wasser in die Arktis, was wiederum eine hohe biologische Produktivität bedingt. Das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) betreibt in diesem Gebiet seit 2014 das Ozean-Beobachtungssystem FRAM (Frontiers in Arctic Marine Monitoring), um langfristige Veränderungen zu untersuchen. Teil des Observatoriums sind akustische Langzeitbeobachtungen bei denen im Ozean verankerte Rekorder mit Hilfe von Hydrophonen (Unterwasser-Mikrofonen) Geräusche aufzeichnen, beispielsweise die Rufe von Walen. Diese schaffen eine Grundlage für die Untersuchung von Artenvorkommen, insbesondere im Hinblick auf mögliche klimawandelbedingte Veränderungen, einzelne Geräte waren bereits vor der Einrichtung des FRAM-Observatoriums ausgebracht worden, außerdem steuerte das Pacific Marine Environmental Laboratory der NOAA zwei Datensätze bei.

„Fortschreitende Veränderungen des Lebensraums, wie der Rückgang des Meereises, werden voraussichtlich erhebliche Auswirkungen auf das Vorkommen mariner Säugetiere haben“, berichtet Marlene Meister, Doktorandin am Alfred-Wegener-Institut und Erstautorin der aktuellen Studie. Daher erwarten die Forschenden unter anderem, dass Blau- und Finnwale, die vorwiegend im Sommer und Herbst aus dem Nordatlantik in die Framstraße zum Fressen migrieren, ihren Aufenthalt dort räumlich und zeitlich ausdehnen oder möglicherweise das ganze Jahr über dort verweilen. In der aktuellen Publikation untersuchten sie deshalb saisonale Muster im akustischen Vorkommen von Blau- und Finnwalen im Zeitraum von 2012 bis 2021.

„Das Migrationsverhalten von Finnwalen ist als relativ flexibel bekannt und die Tiere waren auch das ganze Jahr über zu hören. Überrascht waren wir jedoch, dass wir in drei der zehn Beobachtungsjahre vereinzelte Tage mit Blauwalruf-Detektionen im Januar oder Februar gefunden haben“, sagt Marlene Meister. Dies sei ungewöhnlich, da angenommen wird, dass die Tiere sich zu diesem Zeitpunkt in südlicheren Gebieten aufhalten. „Die sporadische akustische Präsenz im Winter deutet darauf hin, dass einzelne Tiere ihren saisonalen Aufenthalt in der Framstraße verlängern oder zu dieser Jahreszeit aus südlicheren Aufenthaltsorten in das Gebiet zurückkehren. Das Migrationsverhalten von Blauwalen im Nordatlantik gilt eigentlich als recht verlässlich, weshalb ich einen auf Sommer und Herbst begrenzten Aufenthalt der Tiere erwartet hätte“, berichtet die AWI-Biologin weiter. Weil es vor 2012 keine akustischen Langzeitaufnahmen aus der östlichen Framstraße gab, ließe sich allerdings nicht mit Sicherheit sagen, dass das (akustische) Vorkommen von Blauwalen im Winter in der Framstraße ein neues, klimawandelbedingtes Phänomen ist. Insgesamt konnte das Forschungsteam einen deutlichen Einfluss von Meerestemperatur und Zooplanktonvorkommen auf die akustische Präsenz von Blauwalen feststellen.

Das Forschungsteam leistet einen wichtigen Beitrag zur Untersuchung des Artenvorkommens und damit zur Dokumentation potenzieller klimawandelbedingter Veränderungen. Zudem unterstreicht die Veröffentlichung die Bedeutung der Framstraße als einen wertvollen Lebensraum für Bartenwale (vermutlich als Fresshabitat) und trägt zu einem besseren Verständnis des Wanderungsverhaltens verschiedener Arten bei. Die angewandte Methode, das Passive Akustische Monitoring (PAM), ist besonders wichtig, um das (akustische) Artenvorkommen ganzjährig und auch unter widrigen Bedingungen zu untersuchen, und wird daher vom AWI im FRAM-Observatorium als Teil der Langzeitforschung fortgesetzt. Schließlich sind vor allem im Winter visuelle Beobachtungen aufgrund von Eisbedeckung und Dunkelheit nahezu unmöglich.

Ein verbessertes Verständnis von Artenvorkommen, Habitatnutzung und Migrationsverhalten ermöglicht es, Schutzmaßnahmen gezielter einzusetzen. Diese sind momentan von besonderer Bedeutung: Der Rückgang des Meereises macht den Arktischen Ozean für menschliche Aktivitäten immer zugänglicher. Der steigende Schiffsverkehr in der Arktis, etwa entlang der Nordwest- oder Nordostpassage, führt zu erhöhtem anthropogenem Stress für marine Säugetiere. Unterwasserlärm, vor allem durch Schiffsmotoren und seismische Untersuchungen, beeinträchtigt bereits heute die Kommunikation von Bartenwalen. Zudem drohen zusätzliche Gefahren durch vermehrte Schiffskollisionen, Lebensraumzerstörungen und Ölverschmutzungen. Effektive Maßnahmen zur Reduzierung von anthropogenem Stress sind daher in Zeiten des Klimawandels umso wichtiger.

 

Diese Pressemitteilung und die dazugehörige Originalpublikation findet ihr beim AWI.

Der Arktische Ozean befindet sich in einem rasanten Wandel, der marine Ökosysteme tiefgreifend verändert. Mit der fortschreitenden Klimakrise werden immer mehr Arten – nicht nur Wale – gezwungen sein, ihre Lebensräume und Verbreitungsmuster anzupassen.

Weder öde noch leer: Tiefseeboden wimmelt von Leben

Nahaufnahme eines Bewohnsers der Tiefsee der Arktis

© Lydia A. Schmidt & Carolin Uhlir/Senckenberg

Pressemitteilung, 20.11.2024, Senckenberg

Neue Übersichtsstudie zeigt Vielfalt von Lebensräumen und Organismen in der arktischen Tiefsee

 

Die Tiefsee der Arktis birgt bedeutende Öl- und Erdgasreserven sowie wertvolle Ressourcen wie seltene Erden und Metalle. Der Klimawandel und das schmelzende Eis erleichtern den Zugang, was wirtschaftliche Chancen, aber auch große ökologische Gefahren mit sich bringt. Ein Forschungsteam zeigt in einer im Fachjournal „Elementa“ erschienenen Übersichtsstudie, dass der Arktische Ozean eine große Vielfalt an Lebensräumen und Organismen aufweist, die teilweise wenig erforscht sind. Hierfür wertete das Team 75.000 Datensätze zu 2.637 Tiefseearten aus. Die Forschenden betonen die Notwendigkeit intensiverer Forschung und internationaler Zusammenarbeit, um angesichts wachsender wirtschaftlicher Interessen den Schutz des empfindlichen Ökosystems sicherzustellen.

Schätzungen zufolge könnten in der Tiefsee bis zu 13 Prozent der noch unentdeckten globalen Öl- und 30 Prozent der Erdgasreserven liegen. Auch deswegen steht der Arktische Ozean zunehmend im Fokus von Politik und Wirtschaft. Neben den Vorkommen von fossilen Brennstoffen bietet die Tiefsee rund um den Nordpol eine Vielzahl wertvoller Ressourcen wie seltene Erden und Metalle. Auch eine Beschleunigung des globalen Handels durch den Transport entlang neuer Nordost- und Nordwestpassagen, sowie ein steigendes Interesse am Arktis-Tourismus sind von wirtschaftlichem Interesse. „Der Klimawandel und das Abschmelzen des Eises ermöglichen zunehmend die Erschließung des Arktischen Ozeans, was jedoch hohe ökologische Risiken birgt“, erklärt Prof. Dr. Angelika Brandt vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt und weiter: „Obwohl wir mit Hilfe neuartiger Technologien und Infrastrukturen beachtliche Fortschritte gemacht haben, das arktische Ökosystem sehr viel besser zu verstehen, gibt es immer noch große Wissenslücken zu den am Meeresboden lebenden Tiefseegemeinschaften – das zeigt unsere neue Studie deutlich.“

Unter der Federführung von Dr. Eva Ramirez-Llodra und Heidi K. Meyer vom Institute of Marine Research im norwegischen Bergen haben die Senckenbergerinnen Dr. Hanieh Saeedi, Prof. Dr. Angelika Brandt, Prof. Dr. Saskia Brix und sieben weitere Forscher*innen, namentlich Dr. Stefanie Kaiser, Severin A. Korfhage, Karlotta Kürzel, Dr. Anne Helene S. Tandberg, Dr. James Taylor, Franziska I. Theising und Carolin Uhlir, mit Forschenden des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) und einem internationalen Team eine Übersicht zu den benthisch lebenden Organismen im Arktischen Ozean erstellt. Hierfür werteten die Wissenschaftler*innen 75.404 Datensätze zu 2.637 verschiedenen Tiefsee-Arten von frei zugänglichen Datenbanken, Informationseinrichtungen sowie nicht digitalisierter wissenschaftlicher Literatur aus. „Wir haben uns dabei auf das Gebiet nördlich des 66. Breitengrades Nord und unterhalb von 500 Metern Tiefe beschränkt“, erläutert Brix. „Die häufigsten Einzelnachweise stellte mit 21.405 Treffern der Stamm der Gliederfüßer, zu denen beispielsweise Asseln oder Ruderfußkrebse gehören, dahinter folgen die Ringelwürmer und Schwämme. Letztere werden beim Artenreichtum von den Mollusken übertroffen“, fährt Saeedi fort.

Eine Zusammenstellung von Lebensraumkarten zeigt zudem, dass die Arktis eine große Vielfalt an geomorphologischen Strukturen aufweist – von unterseeischen Canyons und Kontinentalhängen bis hin zu Seebergen und biologisch erzeugten Erhebungen wie ausgedehnten Kaltwasserkorallenriffen. „Wir haben nicht nur wichtige Tiefseedaten umfassend digitalisiert und in frei zugänglichen Datenbanken veröffentlicht, sondern auch neue Tiefseedaten erhoben, kontrolliert und umfassend analysiert. So konnten wir zeigen, dass der Arktische Ozean entgegen der landläufigen Meinung tatsächlich eine sehr reiche Organismen-Vielfalt aufweist“, so Saeedi. Durch die Verknüpfung von Faunengruppen mit Gebieten unterschiedlicher Geomorphologie konnte das Forschungsteam Regionen identifizieren, für die es besonders wenig Daten – regelrechte Datenlücken – gibt. Brix fügt hinzu: „Die generationenübergreifende Zusammenarbeit im Rahmen der UN-Ozeandekade und die internationale Kooperation mit Tiefseeexpert*innen sowie dem AWI waren entscheidend für diese Studie.“

„Es ist unbestritten, dass die Tiefsee im Arktischen Ozean weit davon entfernt ist, der leblose, eintönige Lebensraum zu sein, als welcher sie von ihren frühen Entdeckern beschrieben wurde. Wir benötigen aber eine intensivierte, internationale Netzwerk- und Zusammenarbeit sowie ein aktives Monitoring der Umweltparameter und der faunistischen Zusammensetzung. Nur so können wir die Struktur und Funktion des Arktischen Ökosystems besser verstehen und Maßnahmen zur Erhaltung dieses einzigartigen und für die Nordhemisphäre so wichtigen Ökosystems sicherstellen. Gerade im Hinblick auf die steigenden wirtschaftlichen und politischen Interessen, stellt der Mangel an Daten zur benthischen Biodiversität – insbesondere in den tiefen Becken des zentralen Arktischen Ozeans – ein erhebliches Problem für belastbare Management- und Schutzmaßnahmen dar“, warnt Saeedi.

 

Diese Pressemitteilung und die Originalpublikation findet ihr bei Senckenberg.

Die Tiefsee der Arktis ist ein beeindruckender Lebensraum voller unentdeckter Wunder der Natur. Angesichts der wachsenden Bedrohung durch den Tiefseebergbau wird es entscheidend sein, dieses einzigartige Ökosystem durch internationale Zusammenarbeit und strenge Schutzmaßnahmen zu bewahren. Nur so kann die faszinierende Vielfalt in der Tiefsee der Arktis für zukünftige Generationen erhalten bleiben.

Lücken in der Ozeanbeobachtung schließen

EuroSea: Ein Fernrohr ist in das Meer an den Horizon gerichtet. Es ist neblig.

© Davide Ragusa / Unsplash

Pressemitteilung, 11.11.2024, GEOMAR

Empfehlungen der europäischen Meeresforschungsgemeinschaft

 

11.11.2024/Kiel/Baku. Die europäischen Meeresforscher:innen plädieren dringend für eine Verbesserung und Vereinheitlichung der Ozeanüberwachung. Ein Appell, der sich auch an die internationale Gemeinschaft richtet, die sich von heute an in Baku zur Weltklimakonferenz COP29 trifft. Um den Ozean als wichtigen Partner im Kampf gegen den Klimawandel zu erhalten, sei es dringend notwendig, seinen Zustand umfassend zu überwachen. Darauf weisen die Forschenden in zwei kürzlich veröffentlichten Berichten hin, in denen die zentralen Lücken und Herausforderungen in Europa beschrieben, aber auch Lösungen aufgezeigt werden, wie Überwachung und Schutz europäischer Gewässer verbessert werden können. Die Positionspapiere sind aus dem EU-Projekt EuroSea hervorgegangen, das am GEOMAR-Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel koordiniert wurde.

 

Ein gesunder Ozean bildet die Grundlage für vieles, was unser Leben prägt. Er versorgt uns mit Sauerstoff und Nahrung und bietet Lebensraum für unzählige Arten – vor allem aber wirkt er wie ein Puffer gegen den Klimawandel, indem er große Mengen CO2 und überschüssige Wärme absorbiert. Doch dem Ozean geht es schlecht. Verschmutzung, Versauerung, Überfischung und die zunehmende Erwärmung setzen ihm zu und beeinträchtigen seine Fähigkeit, das Klima zu stabilisieren. Um den Ozean als Klimapartner zu erhalten, ist es daher wichtig, seinen Zustand möglichst umfassend und gut koordiniert zu überwachen.

 

Lücken in der Ozeanbeobachtung: Technologische und finanzielle Defizite

Die Mitglieder des EU-Projekts EuroSea haben die Ozeanbeobachtung in Europa unter die Lupe genommen. In ihren beiden kürzlich erschienenen Berichten „Urgent gaps and recommendations to implement during the UN Ocean Decade“ und „Towards a sustained and fit-for-purpose European ocean observing and forecasting system“ werden die gravierendsten Lücken in der Überwachung von mariner Biodiversität, invasiven Arten und Ozeanphänomenen wie der Erwärmung und dem Anstieg des Meeresspiegels identifiziert. Viele dieser Lücken entstehen demnach durch technologische Defizite oder durch unzureichende Finanzierung.

„Wir brauchen dringend eine nachhaltigere und effektivere Ozeanbeobachtung, um Veränderungen im Zustand der Ozeane zu verfolgen und die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern“, sagt Dr. Toste Tanhua, Chemischer Ozeanograph am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und Leiter des nun abgeschlossenen Projekts EuroSea, aus dem die beiden Berichte hervorgegangen sind. Er nimmt selbst an der heute beginnenden UN-Weltklimakonferenz COP29 in Baku teil und wird dort dem Thema Ozeanbeobachtung auf internationaler Ebene seine Stimme leihen. Im Ocean Pavilion, an dem sich das GEOMAR in diesem Jahr als Partner beteiligt, diskutiert er auf einem Panel über die Beteiligung von nicht-wissenschaftlichen Akteur:innen, wie etwa Segler:innen, an der Ozeanbeobachtung.

In ihren Positionspapieren unterstreichen die Wissenschaftler:innen die Notwendigkeit, die Datensammlung zu verbessern, innovative Technologien wie Umwelt-DNA und mehr autonome Geräte einzusetzen sowie die internationale Zusammenarbeit zu stärken. Besonders hervorgehoben wird die Förderung der langfristigen Finanzierung und die Schaffung zentraler Koordinationsstellen, um die Effektivität der Meeresbeobachtung langfristig zu sichern.

„Die Empfehlungen, die wir gemeinsam erarbeitet haben, richten sich sowohl an die wissenschaftliche Gemeinschaft als auch an politische Entscheidungsträger und die Industrie“, sagt Dr. Tanhua. „Die Herausforderungen sind groß, aber die Lösungen, die wir vorschlagen, bieten klare Handlungsansätze. Wir müssen möglichst umfassende Informationen generieren, um marine Ökosysteme besser zu verstehen und besser schützen zu können. Das ist ein ganz wichtiger Baustein in den Bemühungen, die Klimakrise abzumildern. Zwar reduziert die Beobachtung allein nicht die Auswirkungen des Klimawandels, doch sie ermöglicht uns, zu verstehen und geeignete Maßnahmen vorzuschlagen. Denn: Man kann nur managen, was man auch messen kann.“

 

Empfohlene Maßnahmen zur Verbesserung der Ozeanbeobachtung

Beispielswiese wird empfohlen, umfassende Programme zur Überwachung der marinen Biodiversität zu entwickeln. Insbesondere der Einsatz innovativer Technologien wie Umwelt-DNA (eDNA) könnte dazu beitragen, invasive Arten frühzeitig zu identifizieren und die Datensammlung zu verbessern.

Der Einsatz autonomer Geräte (z.B. Argo-Floats und Sensoren) sollte erhöht werden, um die Daten von Satelliten zu validieren und die Beobachtung des tiefen Ozeans zu verbessern. Dies ist besonders wichtig für schwer zugängliche extrem kalte Regionen.

Weiterhin sollten einheitliche Verfahren zur Überwachung von Eutrophierungsindikatoren wie Nährstoffkonzentrationen und Sauerstoffgehalt entwickelt werden, um die negativen Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die Meeresumwelt besser zu überwachen und zu reduzieren.

Gerade in Gebieten mit hohem Nährstoffeintrag sollte der Einsatz von autonomen Sensoren gefördert werden. Diese Systeme ermöglichen eine kontinuierliche Überwachung von Algenblüten und der Versauerung der Ozeane.

 

Empfehlungen für die Koordination und das Management der Ozeanbeobachtung

Eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Ländern und Akteuren wird empfohlen, um die Überwachungsstrategien zu harmonisieren und den Austausch von Daten zu erleichtern. Für die Koordination braucht es eine verantwortliche Stelle, die für das Management und die strategische Planung der Ozeanbeobachtungsaktivitäten verantwortlich ist. Diese Struktur würde die Effizienz fördern und länder- und disziplinenübergreifende Kooperationen erleichtern.

Um sicherzustellen, dass die Ozeanbeobachtungssysteme nachhaltig arbeiten und kontinuierlich aktualisiert werden können, sollte vor allem eine Finanzierungsstrategie für langfristige Beobachtungsprogramme entwickelt werden. „Unsere Forschungs­förderungs­strukturen unterstützen – völlig zu Recht – die Generierung von Wissen, nicht aber das Monitoring“, erklärt Dr. Abed El Rahman Hassoun, Erstautor des ersten Positionspapiers. „Um diese Lücke zu schließen, bräuchte es eine bereichsübergreifende Zusammenarbeit und Kofinanzierung zwischen verschiedenen Ministerien. Dies ist ein Problem, das wir nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern der EU sehen.“

 

Hintergrund: EuroSea-Projekt

Das EU-Projekt EuroSea brachte von 2019 bis 2023 unter der Leitung von Dr. Toste Tanhua vom GEOMAR mehr als 150 Expert:innen von 53 Partnerinstitutionen aus 16 Ländern zusammen, um die bestehenden Systeme der Ozeanbeobachtung besser zu integrieren und die Bereitstellung von Ozeaninformationen zu verbessern. Der Fokus lag auf der gesamten Wertschöpfungskette der Ozeanbeobachtung, von den Messungen bis zu den Nutzern der Daten. Die Europäische Union förderte das Projekt mit 12,6 Millionen Euro.

 

Diese Pressemitteilung und die dazugehörigen Berichte findet ihr beim GEOMAR.

Die Botschaft der Meeresforscher:innen ist klar: Eine verbesserte und nachhaltige Ozeanbeobachtung ist von zentraler Bedeutung, um den Herausforderungen des Klimawandels effektiv begegnen zu können. Vor allem in der Tiefsee gibt es noch unzählbare Wissenslücken, die noch geschlossen werden müssen.

Update vom 26.11.2024:

Die COP29 ist beendet und enttäuscht auf ganzer Linie: Konkrete Zusagen zur langfristigen Finanzierung der Ozeanüberwachung blieben hinter den Erwartungen zurück. Nur wer misst, kann managen – und nur wer handelt, kann den Ozean retten!

Schleppnetzfischerei reduziert Kohlenstoffspeicherung

Ein Krabbenkutter fischt in der Nordsee, doch der Meeresboden dient als Kohlenstoffsenke

© Pixabay / Wolf Blur

Pressemitteilung, 28.10.2024, Hereon

 

Durch intensive Fischerei am Meeresgrund wird vermehrt Kohlenstoff freigesetzt

Plattfische und Garnelen werden in der Nordsee mit Schleppnetzen gefischt, die über den Meeresboden gezogen werden. Dadurch wird Kohlenstoff ins Wasser und schließlich Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre freigesetzt, wie die jüngsten Forschungsarbeiten des Helmholtz-Zentrums Hereon zeigen. Die Studie ist Teil des Verbundprojekts APOC. Partner sind das Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Die Bemühungen der Forschenden um eine Verringerung der Unsicherheit bei der quantitativen Bewertung der Auswirkungen der Grundschleppnetzfischerei auf die Kohlenstoffspeicherung in der Nordsee und den globalen Schelfmeeren wurden kürzlich in der Fachzeitschrift Nature Geoscience veröffentlicht.

 

Normalerweise ist der Meeresboden eine Kohlenstoffsenke. Das heißt, er speichert mehr Kohlenstoff, als er abgibt. Forschende vom Hereon-Institut für Küstensysteme – Analyse und Modellierung haben zusammen mit den APOC-Partnern herausgefunden, dass diese Funktion durch den Einsatz von Grundschleppnetzen beeinträchtigt wird. Dazu haben sie über 2.300 Sedimentproben aus der Nordsee analysiert.

Der Geophysiker und Erstautor Dr. Wenyan Zhang fasst die Ergebnisse so zusammen: „Wir haben herausgefunden, dass Sedimentproben in Gebieten mit intensiver Schleppnetzfischerei geringere Mengen an organischem Kohlenstoff enthielten als Proben, die in schwach befischten Gebieten genommen wurden. Diesen Effekt konnten wir mit hoher statistischer Sicherheit auf die Grundschleppnetzaktivität zurückführen. Darüber hinaus verringern unsere Methoden die Unsicherheit bei quantitativen Bewertungen der Auswirkungen auf regionaler bis globaler Ebene im Vergleich zu früheren Schätzungen erheblich.“ Computersimulationen hätten zudem gezeigt, dass der Kohlenstoffgehalt im Meeresboden durch intensive Schleppnetzfischerei über Jahrzehnte hinweg kontinuierlich sinkt. Besonders anfällig seien weiche, schlammige Böden.

 

Millionen Tonnen CO2 freigesetzt

Die Sedimente am Meeresgrund binden Kohlenstoff. Tiere, die am Meeresboden leben, verzehren diesen Kohlenstoff nicht nur, sondern verlagern ihn auch durch Wühlen und Graben in tiefere Bodenschichten, wo er über tausende Jahre gespeichert werden kann. Die Schleppnetze der Fischereien bewirken das Gegenteil: Sie wirbeln die Sedimente auf. Außerdem beschädigen sie Lebensräume, wodurch Pflanzen und Tiere absterben. Dadurch gelangt der Kohlenstoff aus dem sauerstoffarmen Sediment ins Wasser, wo mehr Sauerstoff vorhanden ist. Dort wird er durch Mikroorganismen wie Bakterien zu CO2 umgewandelt. Ein Teil des CO2 gelangt in die Atmosphäre, wo es als Treibhausgas den Klimawandel verstärkt.

Den Berechnungen der Autorinnen und Autoren zufolge werden durch die Schleppnetzfischerei in der Nordsee jährlich rund eine Million Tonnen CO2 aus Sedimenten freigesetzt. Weltweit wird der Effekt auf etwa 30 Millionen Tonnen geschätzt. Diese Schätzung liegt zehn Prozent unter früheren globalen Schätzungen, bei denen die kritischen Rückkopplungsschleifen zwischen Schleppnetzfischerei, Partikeldynamik und benthischer Fauna nicht berücksichtigt wurden. Diese dynamischen Rückkopplungsschleifen werden nun in dem bei Hereon entwickelten numerischen Modell berücksichtigt.

 

Schlammige Böden besser schützen

„Unsere Ergebnisse weisen auf die Notwendigkeit hin, schlammige Lebensräume in Küstenmeeren wie der Nordsee besonders zu schützen“, sagt Zhang. Bislang würden Meeresschutzmaßnahmen vor allem in Gebieten mit harten, sandigen Böden und Riffen vorgenommen. Diese Gebiete seien zwar ökologisch vielfältig, speicherten aber weniger Kohlenstoff. „Unsere Methoden und Ergebnisse können bei der Optimierung der marinen Raumordnungspolitik eingesetzt werden, um den potenziellen Nutzen einer Begrenzung oder Beendigung der Grundschleppnetzfischerei in Schutzgebieten zu ermitteln“, sagt Zhang.

Das APOC-Projekt wurde koordiniert vom AWI in Zusammenarbeit mit Hereon und gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Projekts MARE:N Ozeane unter Stress. APOC steht im Deutschen für Anthropogene Einflüsse auf den Kreislauf partikulären organischen Kohlenstoffs in der Nordsee. Die Forschenden untersuchten die Bedeutung feinkörniger Sedimente in der Nordsee als Kohlenstoffspeicher und wie diese Ökosystemleistung durch den globalen Klimawandel und anthropogenen Nutzungsdruck beeinträchtigt wird.

 

Diese Pressemitteilung und die Originalpublikation findet ihr beim Hereon.

Die schädlichen Auswirkungen der Grundschleppnetzfischerei auf den Meeresboden und auf seine Funktion als Kohlenstoffsenke sind seit Jahren bekannt. Dennoch zeigen die aktuellen Forschungsergebnisse, wie dringend gehandelt werden muss, um diese Eingriffe zu stoppen. Statt auf riskante Technologien wie CCS zu setzen, sollte der Fokus auf der Prävention durch einen effektiven Schutz der Meeresböden und der natürlichen Kohlenstoffsenke liegen. Nachhaltige Maßnahmen sind der Schlüssel, um den Kohlenstoffspeicher im Meer langfristig zu bewahren.

Tief durchatmen: Der geheime Stoffwechsel ethanfressender Archaeen

Pressemitteilung, 23.10.2024, MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften

Quellen am Meeresboden setzen von Natur aus Alkane frei – Schadstoffe, die potenziell gefährlich für Lebewesen sind und zur globalen Erwärmung beitragen. Zum Glück leben in den Sedimenten rund um die Quellen Mikroben, die als biologische Filter fungieren: Sie verbrauchen den Großteil der Alkane, bevor sie in die Ozeane und unsere Atmosphäre gelangen. Diese so genannte anaerobe Oxidation von Alkanen ist ein wichtiger Prozess, den wir bisher aber kaum verstehen. Forschende des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie und des MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen veröffentlichen nun eine Studie über den Abbau von Ethan, dem zweithäufigsten Alkan in Meeresquellen. Sie beschreiben die Enzyme, die an dem Prozess beteiligt sind und zeigen, dass deren Reaktion mit einem gängigen Dogma auf dem Gebiet der anaeroben Biochemie bricht. Ihre Ergebnisse sind in Nature Communications erschienen.

Die anaerobe Oxidation von Ethan wurde vor einigen Jahren beschrieben, doch viele ihrer Geheimnisse müssen noch enträtselt werden. „Wir zeichneten die chemischen Reaktionen des Prozesses auf ein Blatt Papier und entdeckten große Lücken in der Biochemie, die noch nicht erforscht waren. Alles deutete darauf hin, dass die beteiligten Organismen ihre Zellenergie auf einem bislang unbekannten Weg gewinnen“, erklärt Erstautor Olivier Lemaire. Die beiden letzten Enzyme des Prozesses erzeugen Kohlendioxid (CO2) aus dem Ethan. Andere Mikroben verwenden ein Protein namens Ferredoxin, um die auf diesem Weg entstehenden Elektronen aufzunehmen. „Das hatte man auch bei Ethanoxidierern vermutet. Als wir uns jedoch das Genom der Mikroben ansahen, stellten wir fest, dass sie nicht über die nötigen enzymatischen Werkzeuge verfügen, um Zellenergie mithilfe von Ferredoxin zu gewinnen. Irgendwas anderes musste also im Spiel sein.“

 

Erfolgreiche wissenschaftliche Zusammenarbeit bei einer anspruchsvollen Studie

Gelöst werden konnte dieses Rätsel nur dank einer engen Zusammenarbeit innerhalb der Partnerinstitutionen. Gunter Wegener vom MARUM und seinem Team gelang es, Sedimentproben von erdgasreichen hydrothermalen Quellen zu sammeln, und aus diesen die Ethanabbauer im Labor zu kultivieren – eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe. Mit Hilfe dieser Kulturen konnte dann die Gruppe von Tristan Wagner die an der Ethanoxidation beteiligten Enzyme isolieren und charakterisieren. „Die Isolierung von Enzymen aus einer so kostbaren und komplexen mikrobiellen Kultur ist eine große Herausforderung, aber mit viel Mühe und Sorgfalt haben wir es geschafft“, so Wagner.

 

Eine andere enzymatische Zusammensetzung bewirkt eine Neuverdrahtung des Stoffwechsels

Die jetzt veröffentlichten Analysen zeigen, dass beide Enzyme ein zusätzliches Protein enthalten, das mit dem Rest des Enzyms über eine Redoxkette von Eisen- und Schwefelatomen elektronisch verbunden ist. Durch diese Untereinheit wird es möglich, einen alternativen Elektronenakzeptor zu verwenden: Das F420, ein Molekül auf der Basis von Flavin, einer Klasse von Chemikalien, die auch für den Menschen wichtig ist (z.B. als Vitamin B2).

„Enzymkomplexe aus CO2-bildenden Proteinen und F420-Reduktasen waren bisher unbekannt“, sagt Co-Autor Tristan Wagner. Durch weitere Experimente bestätigten die Forschenden, dass beide Enzyme F420 als Elektronenakzeptor nutzen. „Diese Entdeckung bricht ein Dogma auf dem Forschungsfeld des anaeroben Stoffwechsels, weil sie die Fähigkeiten dieser Enzyme erweitert.“

„Wir vermuten, dass die Kopplung der CO2-Bildung mit F420 als Elektronenakzeptor den gesamten Prozess anregt. Die Elektronen werden dann über die Zellmembran auf eine andere Mikrobe übertragen, die Sulfat reduziert – ein gängiges Verfahren von alkanoxidierenden Konsortien“, erklärt Gunter Wegener.

 

Ein Meilenstein im Verständnis des Ethanabbaus

Mit der Lösung dieses Stoffwechselrätsels lüften Lemaire und seine Kollegen einen zentralen Aspekt der ethanabbauenden Mikroben, die eine wichtige Rolle im Kohlenstoffkreislauf spielen. Sie zeigen zudem, dass sich Erkenntnisse, die an einigen wenigen Modellorganismen gewonnen werden, nicht einfach auf verwandte Arten übertragen lassen. Die beteiligten Enzyme können vielseitiger sein als angenommen. „Unsere Studie verdeutlicht, wie wenig wir über den Stoffwechsel dieser Mikroben wissen, die seit Milliarden von Jahren auf unserem Planeten leben und sich an so viele Lebensräume anpassen können, und wie wichtig es ist, diese mit Hilfe experimenteller Methoden zu erforschen“, so Tristan Wagner abschließend.

Die weitreichende Bedeutung dieser Studie liegt zudem darin, dass die von diesen Mikroorganismen durchgeführte Oxidation von Alkanen entscheidend dazu beiträgt, dass die biologischen Filter in den Unterwasserquellen funktionieren und eine massive Freisetzung von natürlich produzierten Alkanen in die Atmosphäre und das Meerwasser verhindern.

Diese Studie ist Teil der Forschung des Exzellenzclusters „Ozeanboden – unerforschte Schnittstelle der Erde“, der am MARUM angesiedelt ist. Der Kohlenstoffkreislauf und Energiegewinnung von Mikroorganismen gehören zu den Kernthemen des Clusters.

 

Diese Pressemitteilung findet ihr beim MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften.

Dass es in der Tiefsee anaerobe Oxidation von Ethan gibt, ist schon lange bekannt. Doch diese neuen Erkenntnisse zeigen erneut, wie wenig wir doch über dieses einzigartige Ökosystem wissen. Währenddessen rückt der Tiefseebergbau bedrohlich näher und droht, die sensiblen Quellen und die darin lebenden Mikroben unwiederbringlich zu zerstören. Wenn diese natürlichen biologischen Filter beschädigt werden, könnten große Mengen schädlicher Alkane in die Meere und die Atmosphäre gelangen – mit unberechenbaren Folgen für das Klima und die Gesundheit der Ozeane. Es ist entscheidend, diese faszinierenden, aber fragilen Ökosysteme vor solchen Eingriffen zu schützen, bevor wir sie unwiederbringlich verlieren.

Wie ist das Wetter in der Tiefsee?

Pressemitteilung vom 31. Juli 2024, MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften

Neue Nature Geoscience-Studie zeigt wechselhaftes Verhalten der Strömungen in der Tiefsee

Eine neue Studie zeigt, wie selbst die tiefsten Meeresböden durch das tägliche Hin und Her der Gezeiten und den Wechsel der Jahreszeiten beeinflusst werden und dass die Strömungen am Meeresboden viel komplizierter sind als bisher angenommen. Diese Erkenntnisse tragen dazu bei, die Wege der Nährstoffe in der Tiefsee zu verstehen, die wichtige Tiefseeökosysteme versorgen, zu beurteilen, wo sich Mikroplastik und andere Schadstoffe im Ozean anreichern, und den vergangenen Klimawandel zu rekonstruieren. Die Studie des internationalen Forschungsteams, an dem auch Prof. Dr. Elda Miramontes vom MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften und Fachbereich Geowissenschaften der Universität Bremen beteiligt ist, wurde jetzt in der Fachzeitschrift Nature Geoscience veröffentlicht.

Der Meeresboden ist die Endstation für alle Arten von Partikeln wie Sand, Schlamm, organischer Kohlenstoff, der den Organismen am Meeresboden als Nahrung dient, und sogar Schadstoffe. Die Anhäufung dieser Partikel in der Tiefsee wird zur Rekonstruktion des Klimas, der Naturgefahren und der Meeresbedingungen in der Vergangenheit herangezogen und liefert wertvolle Archive vergangener Veränderungen, die weit über historische Aufzeichnungen hinausgehen. Der leitende Wissenschaftler des Projekts, Dr. Mike Clare vom National Oceanography Centre (NOC), erklärt: „Es ist wichtig, das Verhalten und die Verläufe von Strömungen in der Tiefsee zu verstehen, um die Wege natürlicher und vom Menschen verursachter Partikel zu bestimmen und die in den Ablagerungen erhaltenen Aufzeichnungen auszuwerten.“

Er ergänzt: „Es gibt jedoch nur sehr wenige direkte Messungen von Strömungen, die in tiefen Gewässern über den Meeresboden fließen. Die meisten werden hoch über dem Meeresboden, über kurze Zeiträume und nur an einzelnen Stellen durchgeführt. Bislang haben war nicht vollständig verstanden, wie dynamisch die Strömungen am Meeresboden in der Tiefsee sein können.“

In einer neuen Studie, an der Forschende aus dem Vereinigten Königreich, Kanada, Deutschland und Italien beteiligt waren, wurden die Daten der bisher umfangreichsten Anordnung von Sensoren in der Tiefsee analysiert, um die Variabilität der Meeresbodenströmungen über vier Jahre hinweg zu bestimmen. Vierunddreißig Verankerungen in der Tiefsee wurden in bis zu 2,5 Kilometern Wassertiefe ausgebracht und mit Hochfrequenz-Akustik-Doppler-Strömungsmessern ausgestattet, die wie eine Unterwasser-Kamera die Strömungen am Meeresboden messen. Frühere Modellrechnungen gingen davon aus, dass diese Strömungen kontinuierlich und gleichmäßig verlaufen würden, doch die neuen Ergebnisse boten große Überraschungen. Die Strömungen beschleunigten und verlangsamten sich, kehrten manchmal ihre Richtung komplett um und wurden durch das unregelmäßige Relief des Meeresbodens lokal in verschiedene Richtungen gelenkt.

„Dies sind die ersten Messungen von Tiefseeströmungen in einem so großen Gebiet, über einen so langen Zeitraum und so nahe am Meeresboden. Das macht sie äußerst wertvoll, da sie dazu beitragen werden, unsere Modelle zur Rekonstruktion vergangener Veränderungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel im Ozean zu verbessern“, sagte Prof. Dr. Elda Miramontes vom MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften und Fachbereich Geowissenschaften der Universität Bremen, Mitautorin der Studie.

Der Hauptautor der Studie, Dr. Lewis Bailey (früher beim NOC und jetzt an der Universität von Calgary), erklärte: „Die Meeresbodenströmungen vor der Küste Mosambiks sind viel variabler als wir erwartet hatten. Genau wie die Strömungen im oberen Ozean ändert sich ihre Intensität zwischen den Jahreszeiten und kann sich sogar im Laufe einiger Stunden vor- und zurückbewegen. Es ist wirklich kompliziert!“.

Dr. Ian Kane von der Universität Manchester, einer der Mitautoren der Studie, erläuterte: „Zu sehen, wie sich diese Strömungen verhalten, ist ein bisschen wie die Beobachtung des Wetters in Manchester – es ändert sich ständig und ist oft überraschend. Aber die Beobachtung von Veränderungen in der Tiefsee ist eine echte Herausforderung, und bis jetzt hatten wir nur ein geringes Verständnis für die Hintergrundbedingungen in der Tiefsee“.

Der leitende Wissenschaftler des Projekts, Dr. Mike Clare vom NOC, fügte hinzu: „Die Tiefsee kann extrem dynamisch sein, und diese Studie unterstreicht die Bedeutung von Langzeitbeobachtungen, die entscheidende Informationen zum Verständnis des Ozeans liefern. Detailliertere Beobachtungen sind entscheidend für das Verständnis der wichtigen Rolle, die Bodenströmungen beim Transport von Sedimenten, Kohlenstoff und Schadstoffen auf unserem Planeten spielen“.

Beteiligte Institutionen:
• MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften und Fakultät für Geowissenschaften, Universität Bremen, Bremen, Deutschland
• National Oceanography Centre, Southampton, UK
• Schule für Meeres- und Geowissenschaften, Universität Southampton, Southampton, UK
• Fachbereich für Erde, Energie und Umwelt, Universität Calgary, Calgary, Alberta, Kanada
• Schule für Erd- und Umweltwissenschaften, Universität Manchester, Manchester, UK
• Eni Upstream und technische Dienste, Mailand, Italien
• RINA Consulting, Mailand, Italien
• TotalEnergies, Paris, Frankreich

Das MARUM gewinnt grundlegende wissenschaftliche Erkenntnisse über die Rolle des Ozeans und des Meeresbodens im gesamten Erdsystem. Die Dynamik des Ozeans und des Meeresbodens prägen durch Wechselwirkungen von geologischen, physikalischen, biologischen und chemischen Prozessen maßgeblich das gesamte Erdsystem. Dadurch werden das Klima sowie der globale Kohlenstoffkreislauf beeinflusst und es entstehen einzigartige biologische Systeme. Das MARUM steht für grundlagenorientierte und ergebnisoffene Forschung in Verantwortung vor der Gesellschaft, zum Wohl der Meeresumwelt und im Sinne der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Es veröffentlicht seine qualitätsgeprüften, wissenschaftlichen Daten und macht diese frei zugänglich. Das MARUM informiert die Öffentlichkeit über neue Erkenntnisse der Meeresumwelt, und stellt im Dialog mit der Gesellschaft Handlungswissen bereit. Kooperationen des MARUM mit Unternehmen und Industriepartnern erfolgen unter Wahrung seines Ziels zum Schutz der Meeresumwelt.

Diese Pressemitteilung vom 31. Juli 2024 findet ihr beim MARUM.

Nicht nur Meeresströmungen, sondern auch die Plastikflut erreicht tagtäglich unsere Tiefsee. Unsere Aufgabe ist es, diese bisher weitgehend unberührten, faszinierenden Lebensräume zu schützen, vor allem vor Gefahren wie dem Tiefseebergbau.

Fischereiforschung hat Fischbestände zu optimistisch eingeschätzt

Viele kleine Fische, darunter Heringe und Sardinen liegen wild durcheinander auf einem Haufen

© Kogia / Nessim Stevenson

Pressemitteilung, GEOMAR, 22.08.2024

GEOMAR-Experte fordert realistischere Bestandsbewertungen

22.08.2024/Kiel. Es steht schlecht um die Fischbestände im Meer. Bislang galt als Hauptursache der Überfischung, dass die Fischereipolitik Fangmengen stets höher festlegte, als von der Wissenschaft empfohlen. Eine neue Studie von vier australischen Forschungsinstituten zeigt nun, dass auch die Empfehlungen der Wissenschaft oft bereits zu hoch waren und weitaus mehr der weltweiten Fischbestände als überfischt oder kollabiert einzustufen sind. Dr. Rainer Froese vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und Dr. Daniel Pauly von der University of British Columbia ordnen die Ergebnisse ein. In ihrem Perspective Paper, das heute in der Fachzeitschrift Science zusammen mit der neuen Studie erscheint, fordern die beiden Fischerei-Experten einfachere aber genauere Modelle und im Zweifelsfall eine konservativere Bestandsbewertung.

Weltweit sind viele Fischbestände durch Überfischung bedroht oder bereits zusammengebrochen. Ein Grund für diese fatale Entwicklung ist, dass sich die Politik oftmals über die von Wissenschaftler:innen errechneten Höchstfangmengen hinweggesetzt hat. Diese Mengen waren als Grenzwerte gedacht, die es unbedingt einzuhalten galt, um die Bestände nicht zu gefährden. Doch nun zeigt sich, dass auch die Empfehlungen der Wissenschaft bereits deutlich zu hoch waren.

In der Europäischen Union (EU) zum Beispiel wird die Fischerei hauptsächlich durch zulässige Höchstfangmengen, die so genannten Fangquoten, gemanagt. Diese werden vom Europäischen Ministerrat, also den Landwirtschaftsminister:innen der Mitgliedsstaaten, basierend auf wissenschaftlicher Beratung und den Empfehlungen der EU-Kommission beschlossen. Eine neue Studie australischer Wissenschaftler:innen (Edgar et al.) zeigt nun, dass bereits diese wissenschaftliche Beratung oft zu hohe Fangmengen empfiehlt.

Das Fachmagazin Science, in dem die Studie heute veröffentlicht wird, hat zwei der weltweit meistzitierten Fischerei-Experten, Dr. Rainer Froese vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und Dr. Daniel Pauly von der University of British Columbia, gebeten, die Ergebnisse einzuordnen. In ihrem Perspective Paper plädieren sie für einfachere, aber realistischere Modelle, die auf ökologischen Grundlagen basieren und für eine im Zweifelsfall konservativere Bestandsbewertung und -bewirtschaftung.

Für die Studie analysierten Edgar et al. Daten von 230 Fischbeständen weltweit und stellten fest, dass Bestandsabschätzungen oft viel zu optimistisch waren. Sie überschätzten, wie viele Fische einer Art es noch gibt und wie schnell sich Fischbestände erholen können. Besonders betroffen sind durch Überfischung geschrumpfte Bestände. Die Überbewertungen führten bei ihnen zu so genannten Phantom-Erholungen: Sie wurden als erholt eingestuft, obwohl sie in Wirklichkeit weiter schrumpften. „Das führte dazu, dass Fangmengen nicht ausreichend reduziert wurden, obwohl es dringend notwendig gewesen wäre“, erklärt Dr. Rainer Froese, „leider ist dies kein Problem der Vergangenheit. Die bekannten Überschätzungen der Bestandsgrößen aus den letzten Jahren werden auch jetzt nicht zur Korrektur der aktuellen Bestandsgrößen herangezogen.“

Die Untersuchungen von Edgar et al. zeigen außerdem, dass fast ein Drittel der Bestände, die von der Welternährungsorganisation (Food and Agriculture Organization, FAO) als „maximal nachhaltig befischt“ eingestuft werden, die Schwelle zur Überfischung bereits überschritten haben. Zudem sind weit mehr Bestände zusammengebrochen als bisher angenommen: Innerhalb der Kategorie „überfischt“ schätzen die Autoren der Studie, dass die Zahl der kollabierten Bestände (das sind Bestände, die weniger als zehn Prozent ihrer früheren maximalen Biomasse aufweisen) wahrscheinlich um 85 Prozent höher liegt ist als bisher angenommen.

Aber woher kommt die beobachtete Verzerrung in den Bestandsbewertungen? Die Standard-Bestandsabschätzungen verwenden Modelle, die mehr als 40 verschiedene Parameter enthalten können, zum Beispiel zur Lebensgeschichte der Fische, zu Fangdetails, und zum Fischereiaufwand. Diese Vielzahl von Variablen mache die Abschätzungen unnötig komplex, schreiben Froese und Pauly. Die Ergebnisse könnten nur von wenigen Experten reproduziert werden, die Zugang zu den Originalmodellen und -daten haben. Darüber hinaus seien mehrere der erforderlichen Eingabeparameter unbekannt oder schwer zu schätzen, so dass die Modellierer stattdessen auf weniger belastbare Werte zurückgreifen, die in der Vergangenheit funktioniert haben. Froese: „Solche Praktiken können die Ergebnisse stark auf die Erwartungen der Modellierer beschränken.“

Die Autoren fordern daher eine Überarbeitung der aktuellen Bestandsbewertungsmodelle. Sie plädieren für einfachere, realistischere Modelle, die auf ökologischen Grundlagen basieren. Zudem sollte das Vorsorgeprinzip stärker angewandt werden: Bei Unsicherheiten sollten eher konservative Schätzungen verwendet werden, um die Bestände zu schützen. „Eigentlich ist nachhaltige Fischerei ganz einfach“, sagt Dr. Rainer Froese: „Es darf immer nur weniger Fisch entnommen werden als nachwächst.“ Die Fische müssen sich vermehren können, bevor sie gefangen werden, außerdem braucht es umweltschonende Fanggeräte und die Einrichtung von Schutzzonen. Funktionelle Nahrungsketten müssen erhalten werden, indem weniger Futterfische wie Sardellen, Sardinen Heringe oder auch Krill gefangen werden – das sind die Prinzipien der ökosystembasierten nachhaltigen Fischerei. Froese: „Vier dieser fünf Prinzipien lassen sich auch ohne Kenntnis der Bestandsgröße umsetzen.“

 

Diese Pressemitteilung findet ihr beim GEOMAR.

 

Die Studie von Edgar et al. und die Einschätzungen von Froese und Pauly machen deutlich, dass ein Umdenken in der Fischereipolitik  und -forschung dringend erforderlich ist. Fangquoten werden häufig zu hoch und gegen die Empfehlung der Wissenschaft festgelegt, so zum Beispiel auch bei uns in der Nord- und in der Ostsee.

Energiekrise bei Dorsch und Co.: Wie Überdüngung und Klimawandel die Nahrungsnetze der Ostsee verändern

Ostdorsch: Zwei Dorsche schwimmen im dunklen Wasser

© Viviane M. / pixabay

Pressemitteilung, 27.03.2024, Thünen

Der Ostdorschbestand ist seit Jahren in der Krise. Trotz historisch niedrigem Fischereidruck erholt sich der Bestand nicht. Bislang gab es hierfür keine schlüssige Erklärung. Forschende des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) und des Thünen-Instituts für Ostseefischerei konnten nun erstmals nachweisen, dass sich in Ostseeregionen mit großflächigen Blüten fädiger Blaualgen, die durch Überdüngung und Klimawandel verstärkt auftreten, das Nahrungsnetz für den Dorsch verlängert hat. Dadurch steht der Population deutlich weniger Energie zur Verfügung als in Gebieten ohne Blaualgenblüten. Verbessert sich das Nährstoffregime nicht, kann sich der Ostdorsch nicht erholen.

Das marine Phytoplankton ist der Energielieferant für alle Meeresökosysteme: Diese winzig kleinen, im Meerwasser schwebenden Pflanzen binden mittels Photosynthese Energie in Form von Biomasse, die dann Schritt für Schritt in den marinen Nahrungsnetzen weitergereicht wird, bis hin zu unterschiedlichen Arten von Fischen und Fischfressern. Wieviel Energie bei den unterschiedlichen Lebewesen ankommt, hängt von der Position ab, die sie im Nahrungsnetz einnehmen. Man weiß, dass von einer Ebene zur nächsten rund 90 Prozent der Energie als Wärme verloren gehen. Je mehr Ebenen ein Nahrungsnetz hat, umso weniger Energie kommt bei den Lebewesen mit den höchsten Positionen wie etwa Raubfischen an.

„Das Phytoplankton der zentralen Ostsee hat sich in den letzten drei Jahrzehnten stark verändert. Zunehmend wird es im Sommer von massenhaft auftretenden fadenförmigen Cyanobakterien dominiert. Das Phänomen ist als Blaualgenblüten bekannt“, sagt Markus Steinkopf, Meeresbiologe am IOW. Auslöser seien die klimawandelbedingt höheren Wassertemperaturen und die nach wie vor zu hohe Nährstoffbelastung der Ostsee; das begünstige Blaualgen gegenüber anderem Phytoplankton. „Aufgrund ihrer Form und Größe können fädige Blaualgen nicht von den kleinen Krebsen des Zooplanktons gefressen werden, die in marinen Nahrungsnetzen sonst die nächste Position nach dem Phytoplankton einnehmen. Welche Folgen das für die Energieversorgung höherer Lebewesen hat, war bislang weitgehend ungeklärt“, sagt der Erstautor der jetzt im Fachjournal Ecology and Evolution publizierten Studie zu Nahrungsnetz-Veränderungen in der Ostsee.

Hier setzte Steinkopf an und verglich, welche Position im Nahrungsnetz Dorsche und Flundern haben, die in der zentralen Ostsee leben, mit denen in der westlichen Ostsee, wo Blaualgenblüten keine Rolle spielen. Um die Nahrung der untersuchten Fische und somit ihre Nahrungsnetzposition zu identifizieren, nutzte er die Stickstoff-Isotopenanalyse in Aminosäuren. Denn je nachdem, was die Fische fressen, lassen sich in ihrem Muskelfleisch charakteristische Muster der unterschiedlichen stabilen Amino-Stickstoffisotope feststellen und sehr präzise interpretieren.

Bezüglich der Dorsche kam das Forschungsteam um den Warnemünder Wissenschaftler zu einem erstaunlich klaren Ergebnis: In der Blaualgen-belasteten zentralen Ostsee ist das Nahrungsnetz der dort lebenden Ostdorsche deutlich länger als das der Dorsche in der westlichen Ostsee. Steinkopf: „Die Nahrungsnetzposition des Westdorsches liegt bei 4,1, die des Ostdorsches dagegen zwischen 4,8 und 5,2. Das bedeutet einen Energieverlust von gut 60 bis 99 Prozent für den Ostdorsch im Vergleich zum Westdorsch.“ Bei den Flundern gab es hingegen zwischen den beiden Meeresgebieten nur geringe Unterschiede in der Nahrungsnetzposition: 3,4 in der westlichen vs. 3,1 in der zentralen Ostsee.

„Flundern fressen in beiden Seegebieten hauptsächlich Muscheln, deren Nahrungsnetz auf Phytoplankton basiert, auch wenn es Blaualgenblüten gibt. Große Unterschiede waren hier also nicht zu erwarten“, erläutert Uwe Krumme, Co-Autor der Studie vom Thünen-Institut für Ostseefischerei. Am Thünen-Institut, das über die entsprechende Expertise zu den Fischbeständen der Ostsee verfügt, wurden unter anderem die Fischproben für die Studie bearbeitet. „Bei den Dorschen sieht es anders aus. Westdorsche ernähren sich vor allem von der Gemeinen Strandkrabbe, die am Boden lebt. Ihr Nahrungsnetz ist daher ohnehin kürzer als das der Ostdorsche, die vor allem Heringe und Sprotten fressen, die wiederum von Zooplankton leben. Diese Ernährungsunterschiede allein können die deutlich höhere Nahrungsnetzposition der Ostdorsche aber nicht erklären“, so Krumme weiter.

Wie kommt es also zu der deutlichen Nahrungsnetzverlängerung für den Ostdorsch? „In den Blaualgengebieten stellt sich das Zooplankton um. Statt sich vegetarisch zu ernähren, frisst es Mikroben, die sich von Ausscheidungen oder Abbauprodukten der Blaualgen ernähren, wenn die Blüten absterben. Das haben frühere Analysen des IOW gezeigt. Damit entsteht eine komplette zusätzliche Nahrungsnetzebene, die zwangsläufig zu hohem Energieverlust bei den Tieren auf nachgeschalteten Nahrungsnetzpositionen führt“, erklärt Natalie Loick-Wilde, ebenfalls Co-Autorin der Studie und Spezialistin für Isotopen-basierte Nahrungsnetz-Analyse. „Diese Art der Nahrungsnetzverlängerung bei Fischen wird schon länger theoretisch diskutiert. Wir können sie nun erstmals direkt messen und eindeutig dem Blaualgen-geprägten Nahrungsnetz zuordnen“, sagt die Meeresbiologin. Sie hat am IOW eines der wenigen marinen Forschungslabore weltweit etabliert, in dem stabile Isotope von Stickstoff und Kohlenstoff in 13 verschiedenen Aminosäuren gemessen werden können.

„Die Isotopen-basierte Nahrungsnetz-Analyse ist ein wertvolles Instrument, um grundlegende Veränderungen in Ökosystemen zu sichtbar machen und Zusammenhänge besser zu verstehen. Die Energiekrise beim Ostdorsch zeigt, dass Einschränkungen bei der Fischerei für eine Bestandserholung allein nicht mehr ausreichen. Vielmehr muss das Nahrungsnetz an sich rehabilitiert werden. Das gelingt aber nur, wenn man länderübergreifend alle Möglichkeiten ausschöpft, um die Überdüngung der Ostsee in den Griff zu bekommen“, resümiert Markus Steinkopf. Die Ergebnisse zur Flunder zeigen zwar, dass nicht alle Teile des Nahrungsnetzes gleichermaßen betroffen sind. Aber: „Die Studie lässt auch vermuten, dass Nahrungsnetzverlängerungen nicht nur für die Ostsee relevant sind, sondern sich zu einem Problem globaler Natur entwickeln werden, da der Klimawandel schädliche Algenblüten und viele weitere Stressoren für Nahrungsnetze verstärkt“, so der Meeresbiologe abschließend.

 

Diese Pressemitteilung und die Originalpublikation findet ihr beim Thünen Institut.

Die Studie verdeutlicht, dass die Ostdorsch Krise weit über regionale Fischereifragen hinausgeht und globale Herausforderungen wie Überdüngung und Klimawandel widerspiegelt. Vor allem die Ostsee ist stark von Eutrophierung belastet und in einem alarmierend schlechtem Zustand. Eine Erholung der Ostseedorschpopulation erfordert daher eine grundlegende ökologische Sanierung der Ostsee durch internationale Kooperation.

Regionale Unterschiede der Erderwärmung entscheidend

Verschiedene Foraminifera unter dem Mikroskop

Foraminifera unter dem Mikroskop © Doc. RNDr. Josef Reischig, CSc. / Wikimedia Commons

Pressemitteilung, 05.12.2023, MARUM

War­um re­gio­na­le Un­ter­schie­de der Erd­er­wär­mung ent­schei­dend sind

Neue Da­ten­ana­ly­se er­mög­licht es, Kli­ma­mo­del­le bes­ser zu be­wer­ten

Win­zi­ge Fos­si­li­en in Mee­res­se­di­men­ten zei­gen, dass Kli­ma­mo­del­le die durch­schnitt­li­che Tem­pe­ra­tur der Ozea­ne im letz­ten Hoch­gla­zi­al vor etwa 20.000 Jah­ren rich­tig be­rech­nen, die si­mu­lier­te räum­li­che Ver­tei­lung aber zu gleich­mä­ßig ist und sie da­her nur be­dingt für künf­ti­ge Kli­ma­aus­sa­gen gilt. Ein neu­er An­satz zeigt nun, wie Kli­ma­mo­dell­rech­nun­gen bes­ser über­prüft wer­den kön­nen. Das Team um Dr. Lu­kas Jon­kers vom MARUM – Zen­trum für Ma­ri­ne Um­welt­wis­sen­schaf­ten und dem Fach­be­reich Geo­wis­sen­schaf­ten der Uni­ver­si­tät Bre­men hat die Er­geb­nis­se jetzt im Fach­jour­nal Nature Geoscience ver­öf­fent­licht.

Mit Kli­ma­mo­del­len bil­den For­schen­de das Kli­ma der Ver­gan­gen­heit nach, um zu ent­schlüs­seln, wie und war­um es sich ver­än­dert hat. Durch den men­schen­ge­mach­ten Kli­ma­wan­del ist es nicht mög­lich, Mo­del­le eins zu eins auf die Zu­kunft zu über­tra­gen, da sich die Rand­be­din­gun­gen ver­än­dert ha­ben. „Wir müs­sen also die Ver­gan­gen­heit si­mu­lie­ren, um die Mo­del­le zu tes­ten. Die Si­mu­la­ti­on des Kli­mas vom so ge­nann­ten Last Gla­ci­al Ma­xi­mum, kurz LGM, ist da­her wich­tig, um Kli­ma­mo­del­le zu be­wer­ten“, sagt Er­st­au­tor Lu­kas Jon­kers, das Hoch­gla­zi­al sei da­bei ein gu­tes Test­sze­na­rio. „Denn wie sich die Erde seit­dem er­wärmt hat, könn­te etwa dem ent­spre­chen, was wir künf­tig er­war­ten kön­nen.“

Bis­he­ri­ge Stu­di­en ha­ben zwar über­ein­stim­mend ge­zeigt, dass die Ge­samt­ver­än­de­rung des glo­ba­len Kli­mas zwi­schen dem LGM und der Ge­gen­wart zwi­schen den Mo­del­len und den Pa­läo­kli­ma-Re­kon­struk­tio­nen kon­sis­tent ist. Nicht aus­rei­chend be­rück­sich­tigt wur­den da­bei aber das räum­li­che Tem­pe­ra­tur­mus­ter, das Öko­sys­te­me und Le­bens­räu­me be­ein­flusst. Dazu ge­hört auch, wie sich Le­bens­räu­me auf den ver­schie­de­nen Brei­ten­ge­ra­den ver­tei­len.

Neuer Ansatz basiert auf einem grundlegenden makroökologischen Prinzip

Um zu prü­fen, ob die Si­mu­la­tio­nen ein ge­nau­es Bild des ver­gan­ge­nen Kli­mas lie­fern, ver­glei­chen die For­schen­den sie mit auf Da­ten ba­sie­ren­den Re­kon­struk­tio­nen. Bei­de Ver­fah­ren ber­gen ei­nen ge­wis­sen Grad an Un­si­cher­heit. Wenn bei­de von­ein­an­der ab­wei­chen – liegt es dann an der Si­mu­la­ti­on oder der Re­kon­struk­ti­on? Da­mit Kli­ma­mo­del­le bes­ser über­prüft und be­wer­tet wer­den kön­nen, ha­ben Dr. Lu­kas Jon­kers vom MARUM und sei­ne Co-Au­tor:in­nen ei­nen neu­en An­satz ver­folgt, den sie jetzt im Fach­jour­nal Nature Geoscience vor­stel­len. Da­für um­ge­hen sie Un­si­cher­hei­ten der tra­di­tio­nel­len Re­kon­struk­ti­ons­me­tho­den und ver­wen­den ein grund­le­gen­des ma­kro­öko­lo­gi­sches Prin­zip. Das be­sagt, dass sich Ar­ten­ge­mein­schaf­ten umso mehr un­ter­schei­den, je wei­ter sie von­ein­an­der ent­fernt sind. Ein Bei­spiel da­für sind etwa die Ve­ge­ta­tio­nen in der Tal­soh­le im Ver­gleich zur Berg­spit­ze.

„Im ma­ri­nen Be­reich se­hen wir ei­nen grö­ße­ren Rah­men des­sen, näm­lich wenn wir Spe­zi­es vom Äqua­tor an­schau­en. Je wei­ter wir dann in Rich­tung Pol ge­hen, umso mehr ver­än­dern sich die Ar­ten“, sagt Jon­kers. „Im Oze­an hängt die­se ab­neh­men­de Ähn­lich­keit stark mit der Tem­pe­ra­tur zu­sam­men. Wür­den die Kli­ma­mo­del­le also die Tem­pe­ra­tu­ren der Ver­gan­gen­heit kor­rekt si­mu­lie­ren, müss­ten wir beim Ver­gleich der si­mu­lier­ten Tem­pe­ra­tu­ren mit den fos­si­len Ar­ten­ge­mein­schaf­ten das­sel­be Mus­ter fest­stel­len.“ For­schen­de kön­nen also Da­ten zu Ar­ten­ge­mein­schaf­ten im Hoch­gla­zi­al nut­zen, um zu be­ur­tei­len, ob die si­mu­lier­te Tem­pe­ra­tur aus dem LGM das glei­che Mus­ter ab­neh­men­der Ähn­lich­keit der Ge­mein­schaf­ten re­pro­du­zie­ren kann, wie wir es heu­te se­hen.

Für ihre Stu­die hat das in­ter­na­tio­na­le Team über 2.000 Ar­ten­ge­mein­schaf­ten plank­to­ni­scher Fo­ra­mi­ni­fe­ren von 647 Stand­or­ten un­ter­sucht. Plank­to­ni­sche Fo­ra­mi­ni­fe­ren le­ben in den obers­ten Was­ser­schich­ten al­ler Ozea­ne. Ster­ben sie, sin­ken ihre klei­nen Kalk­ge­häu­se auf den Mee­res­grund und blei­ben dort als Mi­kro­fos­si­li­en im Se­di­ment er­hal­ten.

Bei der Ana­ly­se der Da­ten für das LGM ist das Team auf sich un­ter­schei­den­de Mus­ter bei der Ar­ten­zu­sam­men­stel­lung ge­sto­ßen. Das wer­te­ten sie als Hin­weis dar­auf, dass die si­mu­lier­ten Tem­pe­ra­tu­ren nicht mit den tat­säch­li­chen Eis­zeit-Tem­pe­ra­tu­ren über­ein­stim­men.

„Un­se­re Ana­ly­se deu­tet dar­auf hin, dass die si­mu­lier­ten Tem­pe­ra­tu­ren im Nord­at­lan­tik zu warm und glo­bal zu gleich­mä­ßig wa­ren. Neue Si­mu­la­tio­nen mit schwä­che­rer Oze­an­zir­ku­la­ti­on, die we­ni­ger Wär­me in den Nor­den trans­por­tiert, und dar­aus re­sul­tie­rend ei­nem küh­le­ren Nord­at­lan­tik pass­te bes­ser in das Mus­ter“, er­klärt Lu­kas Jon­kers. Hin­ter­grund da­für ist die Stär­ke der at­lan­ti­schen me­r­idio­na­len Um­wälz­zir­ku­la­ti­on und Eis-Oze­an-Wech­sel­wir­kun­gen. Die For­schen­den kom­men zu dem Er­geb­nis, dass die neue Me­tho­de Mo­dell­ver­glei­che si­che­rer macht. Die neu­en Si­mu­la­tio­nen zei­gen, dass die Mo­del­le das Tem­pe­ra­tur­mus­ter wäh­rend des letz­ten Hoch­gla­zi­als kor­rekt be­rech­nen kön­nen. Laut Au­tor:in­nen­team deu­te das dar­auf hin, dass eine kor­rek­te Vor­her­sa­ge des räum­li­chen Tem­pe­ra­tur­mus­ters – wenn die rich­ti­gen Pro­zes­se be­rück­sich­tigt wer­den – auch für die Zu­kunft mög­lich ist.

Mehr Gewicht für räumliche Auswirkungen des Klimawandels

„Der glo­ba­le Kli­ma­wan­del wird auch re­gio­nal un­ter­schied­li­che Aus­wir­kun­gen ha­ben. Un­se­re Ge­sell­schaft und die Öko­sys­te­me hän­gen letzt­lich da­von ab, was auf klei­ne­ren räum­li­chen Ska­len, näm­lich um uns her­um ge­schieht“, schluss­fol­gert Jon­kers. „Un­se­re Stu­die un­ter­streicht die Not­wen­dig­keit, die räum­li­chen Aus­wir­kun­gen des Kli­ma­wan­dels zu un­ter­su­chen. Dies ist wich­tig, wenn wir über die Be­gren­zung der glo­ba­len Er­wär­mung auf 1,5 Grad spre­chen, denn die­ser Wert be­zieht sich le­dig­lich auf ein glo­ba­les Mit­tel.“

Die Pu­bli­ka­ti­on er­scheint im Rah­men der vom Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Bil­dung und For­schung (BMBF) fi­nan­zier­ten Kli­ma­mo­del­lie­rungs­in­itia­ti­ve Pal­Mod. Hier ar­bei­ten For­schen­de dar­an, das Kli­ma der ver­gan­ge­nen 130.000 Jah­re auf klei­ne­ren Zeits­ka­len zu ent­schlüs­seln, um Aus­sa­gen für ein Kli­ma der Zu­kunft tref­fen zu kön­nen. Ihr Ziel ist es, die Spann­brei­te der Mo­del­le und der ih­nen zu­grun­de­lie­gen­den Pa­ra­me­ter zu ver­ste­hen und bes­se­re Aus­sa­gen für die Zu­kunft zu tref­fen.

Die Stu­die ist das Er­geb­nis ei­ner Zu­sam­men­ar­beit zwi­schen For­schen­den der Uni­ver­si­tät Bre­men und der Uni­ver­si­tät Ol­den­burg im Rah­men des Ex­zel­lenz­clus­ters „Der Oze­an­bo­den – un­er­forsch­te Schnitt­stel­le der Erde“. Be­tei­ligt sind au­ßer­dem Wis­sen­schaft­ler:in­nen des Al­fred-We­ge­ner-In­sti­tuts Helm­holtz-Zen­trum für Po­lar und Mee­res­for­schung Pots­dam und Bre­mer­ha­ven so­wie des Sou­thern Ma­ri­ne Sci­ence and En­gi­nee­ring Guang­dong La­bo­ra­to­ry Zu­hai (Chi­na) und der Ore­gon Sta­te Uni­ver­si­ty (USA).

Diese Pressemitteilung findet ihr beim MARUM.

Forschungsschiff Polarstern nimmt Kurs auf die Ostantarktis

Der Eisbrecher RV Polarstern in der Antarktis

© DLR/NASA/Jess Bunchek / Wikimedia Commons

Pressemitteilung, 29.11.2023, gemeinsame Pressemitteilung von AWI, GEOMAR, CAU

Forschungsschiff Polarstern nimmt Kurs auf die Ostantarktis

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Fokus wissenschaftlicher Expeditionen

[29. November 2023] Gestern Abend ist das Forschungsschiff Polarstern von Kapstadt aus zu einem besonderen Fahrtgebiet aufgebrochen: In der Ostantarktis stehen die Geschichte der Instabilität des dortigen Eisschildes und die Wechselwirkung mit der Ozeanzirkulation im Fokus zweier Expeditionen. Auf dem ersten etwa zweimonatigen Abschnitt unter Leitung des GEOMAR finden vor allem ozeanographische, geowissenschaftliche und biologische Arbeiten statt; der zweite wird von der Universität Kiel geleitet und hat einen geowissenschaftlichen Schwerpunkt, Forschende des Alfred-Wegener-Instituts sind an beiden Expeditionen beteiligt. Personalwechsel und Versorgung des Schiffes finden Anfang Februar in Hobart statt. Anlässlich dieses Erstanlaufs der Polarstern in einem australischen Hafen ist ein Austausch mit Vertretungen aus Wissenschaft und Politik geplant.

Der bis zu mehrere Kilometer dicke Eisschild der Ostantarktis speichert Wassermassen, die den Meeresspiegel auf Zeitskalen von Jahrhunderten um dutzende Meter ansteigen lassen können, wie in vergangenen Warmzeiten der Erdgeschichte bereits geschehen. Die Rückkopplungen zwischen Eis, Ozean und Atmosphäre sind in dieser riesigen und global bedeutenden Region jedoch noch zu wenig verstanden. Dieses fehlende Wissen resultiert in einer großen Unsicherheit darüber, mit welchem Tempo der Meeresspiegel im Zuge der menschengemachten globalen Erwärmung ansteigen könnte und wie sich die Fähigkeit des Südozeans verändert, Wärme und atmosphärisches Kohlendioxid (CO2) aufzunehmen. Um diese Unsicherheiten zu verringern, haben Fachleute mehrerer deutscher und internationaler Forschungsstandorte ein koordiniertes Programm entwickelt. Es besteht aus drei Polarstern-Expeditionen namens EASI-1, EASI-2 und EASI-3 (East Antarctic Ice Sheet Instabilities, Ostantarktische Eisschild-Instabilitäten). Die erste fand bereits Anfang 2022 unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar und Meeresforschung (AWI) statt. Die beiden nun startenden Ausfahrten unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) vervollständigen das geplante wissenschaftliche Programm.

„Das wohl herausragendste Merkmal der EASI-2 Expedition ist, dass wir moderne Beobachtungen aus der Wassersäule eng mit unserem Wissen über frühere Zustände der Zirkulation des Südlichen Ozeans verknüpfen“, erklärt Expeditionsleiter Dr. Marcus Gutjahr. Der GEOMAR-Geochemiker weiter: „Dafür vermessen und beproben wir den Ozean entlang zweier Transekte, mit einem besonderen Fokus auf ostantarktische Küstenabschnitte, die bisher vom menschengemachten Klimawandel wenig betroffen waren. Wir untersuchen eine Vielzahl chemischer und physikalischer Eigenschaften des Meerwassers im offenen Ozean und antarktischen Gewässern bis hin zur Eisschelfkante. Mehrere dieser Parameter wurden in diesem Teil des Südlichen Ozeans noch nie erfasst.“ An denselben Stationen nimmt das Geologie-Team bis zu 25 Meter lange Sedimentkerne vom Meeresboden. Durch die Verknüpfung der Analysen der heutigen Meerwassereigenschaften mit Informationen, welche aus Sedimenten gewonnen werden können, erwartet das Team einen grundlegenden Einblick in die regionalen Umweltbedingungen vergangener Warm- und Kaltzeiten.

„Aus den marinen Sedimentkernen können wir Fragen zur Klima- und Meereisdynamik im Pleistozän beantworten – also bis zu 2,5 Millionen Jahre zurück in der Erdgeschichte“, sagt Vivian Sinnen. Die AWI-Doktorandin wird erstmals an einer Polarstern-Expedition in die Antarktis teilnehmen und ist Teil des Teams Marine Geologie, das beispielsweise aus biogeochemischen Merkmalen der Skelette von Kieselalgen (Diatomeen) Rückschlüsse auf die Temperaturen oder die Meereisausdehnung in der Vergangenheit zieht. Zum Geologie-Team gehört ebenfalls Dr. Lester Lembke-Jene. Er erläutert: „Diese Sedimente stellen eines der wichtigsten Klima-Archive dar, um Phasen natürlicher vergangener Klima-Erwärmungen im Südlichen Ozean zu rekonstruieren und die damit verbundenen Prozesse besser zu verstehen. Hierbei interessieren uns vor allem die mit diesen Wechseln eng verknüpften, tiefgreifenden physikalischen und biogeochemischen Veränderungen in den ozeanischen Frontensytemen und dem Antarktischen Zirkumpolarstrom, der größten Meeresströmung im Weltozean.“ Das Untersuchungsgebiet agiert als eine zentrale Schnittstelle für den Gas- und Wärmeaustausch zwischen dem tiefen Ozean und der Atmosphäre seit mehr als 30 Millionen Jahren, heute gehört sie u.a. zu den wichtigsten natürlichen Senken für anthropogene Treibhausgase und Wärme.

Die EASI-3-Expedition setzt den Schwerpunkt auf die Erfassung glazialer Strukturen auf dem Schelf und dem Kontinentalhang, zum Beispiel die fossilen Schleifspuren von Eismassen auf dem Meeresboden. Mit geophysikalischen Messungen können die Forschenden um Fahrtleiter Prof. Dr. Sebastian Krastel vom Institut für Geowissenschaften der CAU dabei noch weiter in die Erdgeschichte zurückblicken. Der Geophysiker erläutert: „Durch eine Kombination unterschiedlicher geophysikalische Systeme der Uni Kiel, des AWI und australischer Kolleginnen und Kollegen können wir Untergrundstrukturen in unterschiedlichen Tiefen mit bestmöglicher Auflösung abbilden. So können wir bis zu 1000 Meter in den Meeresboden hineinschauen und charakteristische Strukturen identifizieren, die es uns ermöglichen, verschiedene Zustände der Eisschilde in der Vergangenheit zu rekonstruieren.“ Basierend auf den geophysikalischen Messungen werden auch umfassende marin-geologische Arbeiten während der EASI-3-Expedition stattfinden. „Aus dem Arbeitsgebiet gibt es bisher sehr wenige Informationen zu den möglichen Steuerungsmechanismen von Eis-Instabilitäten, obwohl davon auszugehen ist, dass diese Region besonders sensitiv gegenüber dem zukünftigen Klimawandel reagieren wird. Das macht unsere disziplinübergreifenden Arbeiten so wertvoll, erläutert Prof. Dr. Julia Gottschalk von der Uni Kiel.

Die marinen Arbeiten auf beiden Expeditionen werden durch landgestützte Arbeiten eines internationalen Forschungsteams der Universität Köln, der Technischen Universität Dresden, sowie australischen KollegInnen abgerundet. So erlangen die Forschenden einen lückenlosen Anschluss an den antarktischen Kontinent.

Mit frischen Eindrücken von See oder Vorfreude auf die anstehende Expedition treffen einige der Polarstern-Expeditionsteilnehmenden Anfang Februar 2024 auf Kolleginnen und Kollegen aus der australischen Forschung. Im tasmanischen Hobart wird es im Rahmen eines feierlichen Empfangs einen Austausch mit wissenschaftlichen Institutionen und politischen Interessensvertretungen anlässlich des ersten Hafenanlaufs des Flaggschiffs der deutschen Polarforschung in Australien geben. Nach einem Zwischenstopp in Südafrika macht sich die Polarstern dann auf den Rücktransit und wird Mitte Mai in ihrem Heimathafen Bremerhaven zurückerwartet.

Die EASI-Expeditionen sind Teil der Programmorientierten Förderung (PoF) der Helmholtz-Gemeinschaft im Forschungsprogramm „Changing Earth – Sustaining our Future“, an dem AWI und GEOMAR beteiligt sind. Für die CAU liefern die Expeditionen wichtige Impulse für die Forschung innerhalb des universitären Forschungsschwerpunktes Kiel Marine Science (KMS). Die Forschenden werden u.a. über das Schwerpunktprogramm „Antarktisforschung“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim AWI.

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