Forschung

Was die Forschung untersucht und herausfindet, wird durch  Wissenstransfer greifbar und verständlich.
Und ermöglicht so sinnvolles und effektives Handeln für die Meere .

Neues Hydrothermalfeld durch MARUM-Expedition entdeckt

Ein Schwarzer Raucher als Teil von einem  Hydrothermalfeld bläst schwarzen Rauch in das dunkle Wasser

© MARUM − Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Universität Bremen / Wikimedia Commons (CC BY 4.0)

Pressemitteilung, 19.08.2022, MARUM

Überraschung im Europäischen Nordmeer in 3.000 Meter Wassertiefe / Expeditionsteam tauft Neuentdeckung „Jøtul Hydrothermalfeld“

Heiße Quellen treten weltweit an Spreizungsrücken der Erdplatten auf. Am 500 Kilometer langen Knipovich-Rücken, gelegen zwischen Grönland und Spitzbergen, waren Hydrothermalquellen bisher unbekannt. Während der 109. Expedition mit dem Forschungsschiff MARIA S. MERIAN haben Forschende aus Bremen und Norwegen nun erstmals am Knipovich-Rücken ein Feld mit zahlreichen Hydrothermalquellen entdeckt.

„Nach Hinweisen in der Wassersäule auf hydrothermale Aktivität haben wir mit dem Tauchroboter MARUM-QUEST den Ozeanboden abgesucht. Die Freude war riesig, als wir einen aktiven Schwarzen Raucher entdeckten. Wie aus einem Ofenrohr schoss die über 300 Grad Celsius heiße, metallhaltige Flüssigkeit heraus und wandelte sich in eine schwarze Wolke um, deren Ausbreitung wir mit dem Tauchroboter nicht mehr überblicken konnten“, sagt Prof. Gerhard Bohrmann vom MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen, Fahrtleiter der Expedition MSM 109.

Der Schwarze Raucher ist Teil eines größeren Hydrothermalfeldes von mindestens einem Kilometer Länge und etwa 200 Meter Breite in einer Wassertiefe von etwa 3.000 Metern. Die zahlreichen Quellaustritte sind sehr unterschiedlich. So wurden warme, im Scheinwerferlicht des Roboters schimmernde Fluidaustritte gefunden, die mit weißen Ausfällungen, Mikrobenflocken und -filamenten und vielen kleinen Organismen assoziiert sind. Andere Quellaustritte haben zu massiven chemischen Ausfällungen geführt und bilden zum Teil mehrere meterhohe Hügel am Meeresboden. Einen besonders diversen Quellaustritt mit zahlreichen Kaminen und überstehenden Flanschen haben die Forschenden in Absprache mit den norwegischen Kollegen „Yggdrasil“ benannt, der Bezeichnung für den Lebensbaum in der nordischen Mythologie. „Bei einem solchen Neufund, so weit im Norden bei 77°20‘ Nord, wollten wir bei der Benennung Namen aus dem nordischen Kulturkreis nutzen. Das gesamte Feld haben wir auf Anregung unserer norwegischen Kollegen „Jøtul Hydrothermalfeld“ genannt“, erklärt Gerhard Bohrmann. Jøtul bezeichnet in der nordischen Mythologie einen Riesen, der im Gebirge lebt.

Ziel der Fahrt war es, hydrothermale Aktivitäten am Knipovich-Rücken zu finden, ein Spreizungsrücken, der im Europäischen Nordmeer die Nahstelle zwischen Nordamerikanischer und Eurasischer Erdplatte bildet. „Solche hydrothermalen Quellen des Meeresbodens waren am Knipovich-Rücken bisher völlig unbekannt, obwohl schon mehrfach danach gesucht wurde. Das Besondere sind die extrem geringen Spreizungsraten von nur 1,4 Zentimetern pro Jahr. Neuer Meeresboden entsteht hier also nur sehr langsam. Eine hydrothermale Zirkulation könnte daher anders verlaufen als an normal oder schnell spreizenden Plattengrenzen“, erläutert Gerhard Bohrmann.

Hydrothermale Quellen gelten als Oasen des Lebens in der Tiefsee, die das Ökosystem in der Tiefsee stark prägen und deren Bedeutung auf Prozesse am und im Ozeanboden noch nicht komplett verstanden sind.

In etwa zwei Jahren werden Forschende des MARUM zum Knipovich-Rücken zurückkehren, um während einer Expedition das neu entdeckte Jøtul-Hydrothermalfeld genauer zu untersuchen. Bis dahin werden die Fahrtteilnehmenden der MSM 109 die neuen Daten auswerten und publizieren.

Die aktuelle Fahrt ist Teil des Forschungsprogramms im Bremer Exzellenzcluster „Der Ozeanboden – unerforschte Schnittstelle der Erde“. Eingesetzt wurden der Tauchroboter MARUM-QUEST und, zur Vermessung und Kartierung im Untersuchungsgebiet, das autonome Unterwasserfahrzeug MARUM-SEAL.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim MARUM.

Am Meeresgrund vor Island wurde in 3000 bis 4000 Metern Tiefe ein Hydrothermalfeld mit „weißen“ oder „klaren Rauchern“ entdeckt. Mehr darüber erfahrt ihr auf unserem Forschungs- und Tiefseeblog.

Lärm beeinflusst das Leben am Meeresboden

Mehrere Schiffe, eine Fähre und größere Lastenschiffe, fahren nebeneinander auf der Elbe

© Wolfgang Fricke / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Pressemitteilung, 18.08.2022, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung

Geräusche mit niedrigen Frequenzen stressen manche Arten von Krebsen, Würmern und Muscheln – mit möglicherweise weitreichenden Folgen für marine Ökosysteme

Ozeane haben ihre ganz eigene Klangkulisse: Viele marine Lebewesen nutzen beispielsweise Schallwellen zur Echoortung, Navigation oder zur Kommunikation mit Artgenossen. In den letzten Jahrzehnten durchdringen jedoch immer mehr Geräusche verursacht durch menschliche Aktivitäten die Meere. Eine Studie des Alfred-Wegener-Instituts liefert nun den Nachweis, dass diese Geräusche manche wirbellose Tiere, die im und am Meeresboden leben, beeinflussen, so dass wichtige Funktionen für das Ökosystem Meer betroffen sein können.

Wirbellose Tiere wie Muscheln und Würmer sind regelrechte Ökosystem-Ingenieure. Sie verändern ständig das Sediment in dem sie leben. Durch Graben, Fressen, Lüften und Düngen mit Ausscheidungen sind diese Wühl- und Umwälzaktivitäten entscheidend für die Nährstoffkreisläufe in den Ozeanen: So kann mehr Kohlenstoff aus abgestorbenem, organischen Material im Meeresboden gebunden werden und Nährstoffe zurückgeführt werden.

Steigende Temperaturen, die Versauerung der Ozeane und Schadstoffe setzen Lebewesen mariner Ökosysteme zunehmend unter Stress. In den letzten Jahrzehnten trägt hierzu auch zunehmend Lärm durch menschliche Aktivitäten bei, der das Verhalten, die Nahrungssuche oder die Kommunikation von Tieren im Meer beeinflussen kann. Sprengungen, Ressourcenabbau aber auch das Brummen von Frachtschiffen und Sportbooten dröhnen durch die Ozeane. Dass sich dieser Lärm nicht nur auf Meeressäuger, sondern auch Wirbellose auswirkt, konnte nun ein Forschungsteam des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven in einer Studie im Fachmagazin Environmental Pollution zeigen. „Wir haben untersucht, wie Krebse, Muscheln und Würmer am Meeresboden auf niederfrequente Geräusche reagieren und wie häufig und intensiv sie unter Lärmstress das Sediment um- und abbauen können“, sagt Sheng V. Wang vom Fachbereich Biowissenschaften am AWI. Niederfrequente Geräusche sind Schallwellen mit einer Frequenz zwischen 10 und 500 Hertz. Im Wasser können sie über mehrere Kilometer übertragen werden.

Obwohl die Lärmverschmutzung durch niederfrequente Geräusche, die aus menschlichen Aktivitäten stammen, immer weiter zunimmt, war bisher wenig darüber bekannt, wie sich Lärm auf wirbellose Tiere am Meeresboden auswirkt. Um diese Forschungslücke zu schließen, haben die AWI-Wissenschaftler im Labor mit sogenannten „Lärm-Eiern“ untersucht, wie Flohkrebse, Borstenwürmer und Plattmuscheln von Schallwellen mit einer Frequenz zwischen 100 und 200 Hertz beeinflusst werden. „Nach sechs Tagen konnten wir deutlich sehen, dass alle drei Arten auf den Lärm reagierten obwohl sie zu sehr unterschiedlichen Tiergruppen zählen, denen eigentliche Organe zum Hören fehlen“, sagt AWI-Ökologe Dr. Jan Beermann. So gruben die Flohkrebse deutlich weniger und nicht mehr so tief im Sediment. Bei den Borstenwürmer war keine eindeutige Reaktion zu beobachten, sie schienen sich jedoch uneinheitlicher zu verhalten. Für die Plattmuscheln wurden potentielle Stressreaktionen festgestellt, die weiter untersucht werden müssen. Die Forscher weisen auf den dringenden Bedarf an Forschung im Feld hin, da der experimentelle Aufbau unter Laborbedingungen nicht die volle Komplexität umfasst.

Dass zusätzliche Geräusche, die keinen natürlichen Ursprung haben, am Meeresboden lebende Wirbellose hemmen könnten, Sedimente an- und umzubauen, kann sich auf wichtige Funktionen mariner Ökosysteme auswirken – von der Versorgung mit Nährstoffen bis hin zur Verfügbarkeit von Nahrung für Lebewesen auf höheren Ebenen im Nahrungsnetz, wie etwa Fische. „Durch menschliche Aktivitäten könnte es künftig noch ‚lauter‘ am Meeresboden werden. Wir sind grade noch am Anfang zu verstehen, wie genau Lärmprozesse hier wirken“, sagt Beermann. „Diese Zusammenhänge zu verstehen, ist aber ein wichtiger Faktor für eine nachhaltige Nutzung unserer Meere.“ Deshalb will das Team in Zukunft weitere Untersuchungen hierzu durchführen. Unter anderem sollen in einem Projekt zusammen mit europäischen Partnerforschungseinrichtungen Experimente an weiteren AWI-Standorten wie Helgoland und Sylt nähere Erkenntnisse liefern. Die internationale Plattform JPI Oceans fördert das Projekt.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.

Hier findet ihr die Originalpublikation.

Wie sich Unterwasserlärm auf Pinguine, Wale und Delfine auswirkt, könnt ihr auf unserem Forschungsblog nachlesen.

Tor zur Arktis: Expedition mit dem Forschungsschiff SONNE

Das Forschungsschiff SONNE liegt an einem kleinen Hafen an

© Thomas Walter / Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

Pressemitteilung, 12.08.2022, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

Die „AleutBio“-Expedition im Nordpazifik untersucht noch bis Anfang September das Leben in der Tiefsee

Unter der Fahrtleitung von Senckenbergerin Prof. Dr. Angelika Brandt befinden sich aktuell 38 internationale Forschende an Bord des Forschungsschiffs SONNE im Nordpazifik. Ziel der „AleutBio Expedition SO293“ ist es das Ökosystem der Tiefsee zu verstehen und Veränderungen der Fauna – vor dem Hintergrund des raschen Klimawandels – zu dokumentieren. Die Wissenschaftler*innen untersuchen hierfür im östlichen Beringmeer und im Aleutengraben das Leben am Meeresboden in allen Größenklassen. Ein täglicher Blog nimmt die Öffentlichkeit mit in den Alltag der Meeresforscher*innen.

Seit 23. Juli befindet sich Senckenberg-Meeresforscherin Prof. Dr. Angelika Brandt an Bord des Forschungsschiffs SONNE – aktuell über dem Aleutengraben, eine bis zu 7.822 Meter tiefe und 3.200 Kilometer lange Tiefseerinne im nördlichen Teil des Pazifischen Ozeans. Gemeinsam mit 38 Wissenschaftler*innen aus 12 Nationen – Japan, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Norwegen, Mexiko, Polen, Schweiz, Spanien, USA, Vereinigtes Königreich – nimmt Fahrtleiterin Brandt an der „AleutBio“-Expedition teil. „Wir möchten gemeinsam und fachübergreifend Licht ins Dunkel bezüglich der Verbreitung von Meeresorganismen im Nordpazifik, dem ‚Tor zur Arktis‘, bringen. Zudem möchten wir die Veränderungen der Artenvielfalt dokumentieren – insbesondere vor dem Hintergrund des globalen Klimawandels“, so Brandt.

Etwa zwei Wochen befinden sich die Forscher*innen nun an Bord des gut 116 Meter langen Forschungsschiffs – sie haben an zwei Stationen im Beringmeer Proben genommen und den Meeresboden vermessen, drei Stürme überstanden und sind nun am nördlichen Hang ihres westlichsten Transektes über dem Aleutengraben. „Hier haben wir eine enorme Fülle von winzigen Foraminiferen, kalkschaligen Einzellern, im Sediment der tiefsten Hadalstation gefunden. Innerhalb weniger Minuten konnten wir Hunderte von Exemplaren einsammeln. Ihre kugelförmige Gestalt und ihre organische Wand lassen darauf schließen, dass sie zur Gattung Bathyallogromia gehören. Die Erstbeschreibung dieser Gattung stammt aus dem Weddellmeer. Die Gattung wurde später auch aus anderen Gebieten gemeldet – aber nie in so großer Zahl“, berichtet Brandt und fährt fort: „Bei den Isopoden, den Meeresasseln, konnten wir die bisher größte Art der Gattung Paropsurus nachweisen. Es handelt sich um zwei Weibchen – das größte Tier ist 65 Millimeter lang. Untersuchungen im Labor werden vermutlich zeigen, dass es sich bei ihnen um eine neue Art handelt.“

Im östlichen Aleutengraben fanden die Wissenschaftler*innen die – nach Senckenbergerin Dr. Saskia Brix benannte – Art Rhachotropis saskia. Diese kürzlich beschriebene nordwestpazifische Art lebt in Wassertiefen von 3.000 bis 8.000 Metern und wurde bereits auf beiden Seiten und im Kurilen-Kamtschatka-Graben selbst nachgewiesen. „Arten der Gattung Rhachotropis sind als Räuber bekannt und verfügen über gute Schwimmfähigkeiten. Unser Fund wirft ein neues Licht auf die Verbreitung von Tiefseearten und bestätigt unsere Hypothese, dass zumindest einige dieser Arten auch eine weite geografische Verbreitung aufweisen können. Ausgewählte Individuen der Arten wurden von uns so fixiert, dass sie für weitere Analysen und molekulare Untersuchungen nach unserer Rückkehr zur Verfügung stehen. Wir freuen uns sehr über diese ersten Ergebnisse“, ergänzt Brandt.

Denn es gab auch Schwierigkeiten mit denen Fahrtleiterin Brandt zu kämpfen hatte: Ursprüngliches Ziel der Expedition war es, ein Gebiet des Nordwest-Pazifiks sowie des westlichen Beringmeeres am Tor der Arktis zu untersuchen, aus dem nur wenige Daten von früheren russischen Expeditionen veröffentlicht wurden. Nach Einreichen des Forschungsantrages und der logistischen Planung der Expedition, für die bereits eine russische Arbeitsgenehmigung vorlag, begann der Krieg gegen die Ukraine. Basierend auf der Empfehlung der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen musste daher auch die jahrelang geplante „AleutBio“-Expedition ihre Route anpassen. „Das war ein Kraftakt“, so die Frankfurter Meeresforscherin.

Enden wird die Expedition am 6. September im kanadischen Vancouver; zurück an Land beginnt dann die eigentliche Arbeit der Forscher*innen. Brandt gibt einen Ausblick: „Wir wollen unsere neuen biologischen Proben mit den Proben aus vorhergehenden Expeditionen – KuramBio I und II – sowie aus früheren russischen Expeditionen vergleichen. Wir planen integrative taxonomische Arbeiten an Schlüsselarten, die für das Verständnis und die Klärung der verwandtschaftlichen Beziehungen von entscheidender Bedeutung sind. Darüber hinaus werden wir molekulare Standardtechniken als Grundlage für Verbreitungsmodelle und Konnektivitätsstudien einsetzen, um zu verstehen welche Arten nach Norden wandern und den Arktischen Ozean vermutlich in den nächsten Dekaden erreichen werden und welche arktischen Arten bereits heute im Beringmeer oder Aleutengraben zu finden sind.“

Wie die Reise des internationalen Wissenschaftler*innen-Teams weitergeht lässt sich in einem täglichen Blog verfolgen.

Diese Pressemitteilung findet ihr bei Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung.

Im Jahr 2020 war das Forschungsschiff SONNE bereits in Island unterwegs, um dort verschiedene marine Lebensräume zu untersuchen.

Das aktuelle Projekt MiningImpact untersucht die Auswirkungen von Tiefseebergbau auf den Meeresboden und die dort lebenden Organismen. Auch hier wird die Expedition mit der SONNE durchgeführt. Mehr über diese spannenden Expeditionen und ihre Ergebnisse könnt ihr auf unserem Forschungs– und Tiefseeblog nachlesen.

Niesende Schwämme: Es muss nicht in einer Nase kitzeln

Beige Schwämme sitzen auf einer Koralle

© Wolf Wichmann

Schwämme gehören zu den ältesten vielzelligen Organismen der Erde und doch haben wir mehr mit ihnen gemeinsam, als man vielleicht zuerst denkt: Schwämme können auch niesen. Bei dem karibischen Ofenrohrschwamm wurde herausgefunden, dass dieser niest, um sein inneres Filtersystem zu reinigen. Über sogenannte Ostien, kleine Körperöffnungen, kann der Schwamm nicht nur Wasser und Nahrungspartikel aufnehmen, sondern auch Abfallprodukte absondern. Das Niesen wurde alle drei bis acht Stunden beobachtet und dauerte jeweils etwa eine halbe Stunde. Die Forscher:innen gehen davon aus, dass die Mehrheit aller Schwammarten einen solchen Nies-Mechanismus nutzt. Das hilft nicht nur dem Schwamm, sondern auch den Organismen in seiner Umgebung, die die enthaltenen Abfallpartikel im ausgeniesten Schleim als Nahrung nutzen. Damit scheinen Schwämme eine größere Rolle im marinen Nahrungskreislauf zu spielen, als bisher angenommen wurde.

Den zugehörigen Artikel „Niesende Schwämme: Es muss nicht in einer Nase kitzeln“ von Luisa Heyer vom 10.08.2022 findet ihr beim Tagesspiegel.

In der arktischen Tiefsee wurde ein massenhaftes Auftreten von Schwämmen auf Untersee-Bergen entdeckt.
Wie Delfine Korallenschleim und Schwämme nutzen, um sich zu verarzten, könnt ihr hier nachlesen.

NABU: Vogelgrippe trifft auf Patient Meer

Vogelgrippe: Ein Seevogel sitzt am Strand. Im Vordergrund liegt Seegras

© Trac Vu / Unsplash

Pressemitteilung, 09. August 2022, NABU

Miller: Nur konsequenter Schutz kann betroffene Vogelarten retten

Berlin – Die Vogelgrippe grassiert unter Basstölpeln, Brandseeschwalben, Flussseeschwalben, Kormoranen und anderen Meeresvögeln. Bereits im Mai waren in Deutschland die ersten Verdachtsfälle des Hochpathogenen Aviären Influenza-Virus (HPAIV) vom Typ H5N1 außerhalb der sonst üblichen Jahreszeit gemeldet worden. 35 tote Brandseeschwalben wurden auf der Insel Trischen gefunden. Zuvor gab es besorgniserregende Fundzahlen aus den Niederlanden und Großbritannien. Der NABU fordert angesichts der Ausbreitung der Seuche Maßnahmen zum Schutz der Wildvögel.

„Hauptamtliche und ehrenamtliche Vogelschützer können dem Sterben der Tiere nur machtlos zusehen. Der einzelne Vogel lässt sich nicht behandeln und retten. Doch dass diese Tragödie ganze Vogelpopulationen an die Schwelle des Verschwindens bringt, kann nur geschehen, weil die Nord- und Ostsee mit ihren Lebensgemeinschaften durch Eingriffe des Menschen an ihren Belastungsgrenzen sind“, so NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. Überfischung, die Vermüllung der Meere, mariner Rohstoffabbau, Störungen durch Schiffsverkehr und der Ausbau der Offshore-Windenergie sind wesentliche Treiber für den Verlust von Brut-, Nahrungs- und Rastgebieten für Meeres- und Küstenvögel.

In diesem Jahr ist besonders auffällig, dass die Erkrankung mitten in der Brutzeit zuschlägt und vor allem da sehr hohe Verluste verursacht, wo Vögel in Kolonien dicht beieinander brüten. Wenn Altvögel erkranken und sterben, sind auch die Jungen im Nest oft direkt oder indirekt durch Nahrungsmangel dem Tod geweiht. In der einzigen deutschen Basstölpelkolonie auf Helgoland wurden beispielsweise bis Ende Juli bereits über 170 tote Jungvögel gefunden. Der Virustyp könnte möglicherweise endemisch werden, also zukünftig nicht nur saisonal, sondern ganzjährig auftreten. Übertragungen auf räuberische Säugetiere sind in Einzelfällen nachgewiesen.

Das fatale Sterben ganzer Brutkolonien zeigt, wie fragil das System Meer ist. Jetzt muss es darum gehen, einen entscheidenden Beitrag zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit von Seevogelpopulationen, aber auch anderen Artengruppen, dem Meer und seiner Systemfunktionen zu leisten. Für Basstölpel, Brandseeschwalbe & Co heißt das, die Fischerei ­– besonders mit Grundschleppnetzen und auf wichtige Beutefische wie Sandaale – muss wirksam reguliert werden. Außerdem muss der Verlust von Rast- und Nahrungsgebieten verhindert und der Ausbau der Windenergie darf nur außerhalb von Schutzgebieten und wichtigen Wanderkorridoren vorangetrieben werden. Nur wenn das gelingt, können so massive Ausfälle wie aktuell beobachtet von den Populationen kompensiert werden.

Auch akute Maßnahmen zur Eindämmung der Vogelgrippe müssen getroffen werden. Ein nationaler Reaktionsplan für HPAIV-Varianten wie H5N1 bei Wildvögeln sollte für alle Bundesländer ausgearbeitet werden, einhergehend mit einem Informationsaustausch zwischen den Ländern, aber auch mit anderen europäischen Staaten. „Wir brauchen ein wirksames Monitoring-, Überwachungs-, Forschungs- und Meldesysteme, um ein Echtzeitwissen über das Virus und seine Entwicklung bei Wildvögeln aufzubauen. Nicht zuletzt müssen potenziell hochriskante Faktoren zur Übertragung aus der Geflügelhaltung eliminiert werden”, fordert NABU-Vogelschutzexperte Martin Rümmler.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim NABU.

Seevögel bilden eine leitende Rolle in marinen Ökosystemen. Trotzdem werden sie nicht ausreichend geschützt.

Spektakuläre Bilder: Riesenkalmar erstmals bei der Jagd gefilmt

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
Video-Link: https://www.youtube.com/watch?v=BCC34584E4s

 © YouTube / ScienceAlert

Der Riesenkalmar (lateinischer Name: Architeuthis dux), der bis zu zwölf Meter lang werden kann und damit zur Megafauna der Meere zählt, wurde bis jetzt nur äußerst selten gesichtet. Foto- und Videomaterial existierte bisher fast nur von tot oder sterbend an den Strand gespülten Tieren. Im Jahr 2019 zeigten Videoaufnahmen aus der Tiefsee erstmals eindeutig einen Riesenkalmar. Zwei Jahre später ist es Forschenden aus Spanien gelungen, die Beutejagt von einem Riesenkalmar auf einem Video festzuhalten. Mithilfe einer mit Kameras ausgestatteten Tiefseeplattform, leuchtenden, künstlichen Quallen als Köder und einer Menge Geduld haben die Forscher:innen im Golf von Mexiko und nahe den Bahamas zwischen 550 und 950 Metern Tiefe diese einzigartigen Videos aufgezeichnet. Die Aufnahmen lassen vermuten, dass Riesenkalmare vor allem visuelle Räuber sind und nicht, wie bisher angenommen, ihre Beute aus dem Hinterhalt angreifen. Die Forscher:innen hoffen, dass ihre Tiefseeplattform künftig dabei hilft, weitere Verhaltensweisen der riesigen Tiere zu enthüllen, denn bisher ist nur sehr wenig über ihr Leben in der Tiefsee bekannt.

Den zugehörigen Artikel “Spektakuläre Bilder: Riesenkalmar erstmals bei der Jagd gefilmtvon tberg vom 03.08.2022 findet ihr bei derstandard

Da bisher nur ein Bruchteil der Tiefsee erforscht ist, werden immer wieder neue Entdeckungen gemacht. Mit dem Tauchroboter MARUM-QUEST wurde kürzlich zwischen Grönland und Spitzbergen ein neues Hydrothermalfeld entdeckt und Anfang 2022 sind Forschende des Alfred-Wegener-Instituts Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung auf 60 Millionen Nester antarktischer Eisfische im Weddellmeer gestoßen.

Endstation Tiefsee: Mikroplastik belastet Meeresgrund noch stärker als angenommen

Mikroplastik: Lebewesen wie die Tiefseegarnele halten das Sediment am Boden des Kurilen-Kamtschatka-Grabens in Bewegung und verteilen dort die Mikroplastik-Teilchen

© Nils Brenke, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

Pressemitteilung, 12. Juli 2022, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

Forschungsteam weist hohe Mikroplastik-Verschmutzung im westpazifischen Kurilen-Kamtschatka-Graben nach

Die Senckenberg-Forscherinnen Serena Abel und Angelika Brandt haben mit Kolleg*innen des Alfred-Wegener-Instituts – Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und der Goethe-Universität Frankfurt die Mikroplastik-Verschmutzung des westpazifischen Kurilen-Kamtschatka-Grabens untersucht. Dabei fanden sie in jeder einzelnen von insgesamt 13 Sedimentproben aus bis zu 9450 Metern Tiefe zwischen 215 und 1596 Kleinstpartikel pro Kilogramm – mehr als zuvor nachgewiesen. Ihre nun im Journal „Science of The Total Environment“ erschienene Studie zeigt: Die Tiefsee ist der „Mülleimer der Meere“ – und bei der Ablagerung überraschend dynamisch. Die hohe Biodiversität am tiefsten Meeresgrund ist durch die Verschmutzung mit Mikroplastik stark gefährdet.

Mikroplastik ist überall. Winzige Plastikpartikel belasten nahezu jedes Ökosystem der Erde. Die Meere sind besonders betroffen und wie die neu veröffentlichte Studie nahelegt, sind maritime Gräben Tausende Meter unter dem Meeresspiegel die „letzte Ruhestätte“ für eine beunruhigend große Menge der kleinsten Plastikteilchen.

Serena Abel, Gastforscherin am AWI und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt, und die dortige Abteilungsleiterin für Marine Zoologie Prof. Dr. Angelika Brandt werteten gemeinsam mit Forschenden der Goethe-Universität und des AWI Sedimentproben vom Grund des Kurilen-Kamtschatka-Grabens im Westpazifik aus, die 2016 bei einer Tiefsee-Expedition mit dem Forschungsschiff Sonne entnommen wurden. „Wir haben insgesamt 13 Proben an sieben verschiedenen Stationen des Grabens genommen, in Tiefen zwischen 5740 und 9450 Metern. Keine einzige davon war frei von Mikroplastik“, berichtet Meeresbiologin Abel und fährt fort: „Pro Kilogramm Sediment haben wir zwischen 215 und 1596 Mikroplastik-Teilchen nachgewiesen – eine so große Menge hätte zuvor niemand erwartet.“

Mit Hilfe der Micro-FTIR-Methode, einer speziellen Variante eines Spektrometers, konnten die Forschenden noch kleinste Mikroplastik-Partikel nachweisen. „Jedes Jahr gelangen schätzungsweise 2,4 bis 4 Millionen Tonnen Plastik über die Flüsse ins Meer, als Folge des extremen weltweiten Plastikkonsums und der schlecht organisierten Müllentsorgung. Ein beträchtlicher Teil davon sinkt zum Meeresboden und sammelt sich im Sediment an, oder wird durch Strömungen bis in die tiefsten Regionen weitertransportiert, wo es sich letztendlich ablagert. So wird die Tiefsee zum ‚Endlager des Mülls‘“, mahnt Brandt. Insgesamt 14 verschiedene Plastikarten haben die Forschenden in den Proben aus dem Kurilen-Kamtschatka-Graben gefunden. Unter den häufigsten Stoffen befindet sich Polypropylen, einer der weltweit für Verpackungen verwendeten Standardkunststoffe, sowie die für Lacke genutzten Acrylate und Polyurethan.

Überrascht war das Forschungsteam von den großen Unterschieden zwischen den einzelnen Proben. „Bislang galt der tiefste Meeresgrund als eine vergleichsweise unbeeinflusste und stabile Umgebung, in der sich das Mikroplastik ablagert und an einem Ort verbleibt. Umso erstaunter waren wir, dass auch Proben, die nur wenige Meter voneinander entfernt entnommen wurden, ganz unterschiedlich aufgebaut waren“, berichtet Abel und ergänzt: „Das zeigt, was für eine dynamische Umgebung die tiefsten Bereiche der Tiefsee tatsächlich sind. Nicht nur spezielle Strömungen und Wirbel, sondern auch die Organismen, die hier heimisch sind, halten das Sediment in Bewegung.“ Tatsächlich ist die Biodiversität am Grund des Kurilen-Kamtschatka-Grabens sogar höher als in weniger tiefen Bereichen dieses Grabens. Die Sorge, die die Forscher*innen angesichts der kontinuierlich zunehmenden Plastikverschmutzung der Meere umtreibt, bringt Brandt auf den Punkt: „Genau diese hohe Biodiversität in der Tiefsee wird durch die starke Verschmutzung mit Mikroplastik nun besonders gefährdet!“

Diese Pressemitteilung findet ihr bei der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung.

Leider kommt es vermehrt immer häufiger zu Meldungen von Mikroplastik in der Tiefsee. Helft uns diesen Wahnsinn zu stoppen! Schaut doch mal bei unserer Blue Straw-Kampagne oder unserem neuen NoStraw-Shop vorbei, um euch über die Reduzierung von Single Use-Plastik zu informieren.

Korallengärten auf der „Mauretanischen Mauer“ entdeckt

© Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

Pressemitteilung, 21. Juni 2022, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

Neue, kolonienbildende Oktokorallenart von der weltweit größten Tiefwasserkorallenhügelkette beschrieben

Wissenschaftler*innen von Senckenberg am Meer und der Universität Tel Aviv haben eine neue Korallenart entdeckt. Die Oktokoralle Swiftia phaeton wurde auf der weltweit größten Tiefwasserkorallenhügelkette vor der Küste Mauretaniens während verschiedener Tauchgänge in Tiefen zwischen etwa 400 und 600 Metern gefunden. Dort bildet sie „Korallengärten“ – dichte Ansammlungen von einer oder mehreren Korallenarten. Die Neubestimmung erfolgte mittels Mikro-Computertomographie – einem Verfahren für die detaillierte dreidimensionale Bildgebung von inneren Strukturen. Die Forschenden warnen in ihren in den Fachjournalen „ZooKeys“ und „IntechOpen“ veröffentlichten Studien vor der Gefährdung der gerade erst entdeckten Art – in ihrem Ökosystem wird Kohlenwasserstoff gefördert und seit den 1960er Jahren Fischerei betrieben.

Über 580 Kilometer erstreckt sich in einer Wassertiefe zwischen 400 und 600 Metern die bis zu 100 Meter hohe „Mauretanische Mauer“ – eine Hügelkette geformt von Tiefwasserkorallen, die sich in den vergangenen 120.000 Jahren parallel zur mauretanischen Küste entwickelt hat. „Dieser Meeresbereich beherbergt nicht nur die weltweit größte Hügelkette mit lebenden Tiefwasserriffen, sondern wird – aufgrund der außergewöhnlich hohen Fischbestände – auch intensiv vom Menschen genutzt“, erläutert Dr. Íris Sampaio, vormals bei Senckenberg am Meer in Wilhelmshaven und heute bei der Universität Tel Aviv beschäftigt. Die Meeresforscherin fährt fort: „Das hat Konsequenzen für die Riffe: Nicht nur zerstören Schleppnetze den Lebensraum von Koralle und Co., die aufgewirbelten Sedimente sind ein zusätzlicher Stressfaktor und die sauerstoffreichen Bereiche schwinden zunehmend. Es ist deshalb unerlässlich, die dortige Biodiversität zu erforschen, um sie – vor einer weiteren Zerstörung – schützen zu können.“

Sampaio hat mit ihren Kolleg*innen von Senckenberg am Meer Prof. Dr. André Freiwald und Dr. Lydia Beuck nun eine weitere neue Oktokorallenart von der „Mauretanischen Mauer“ beschrieben: Swiftia phaeton lebt an den Kontinentalhängen Mauretaniens. Die Art unterscheidet sich von ihren nordostatlantischen und mediterranen Verwandten durch die dunkelrote Farbe der Kolonien, eine Schicht von stabförmigen Hartteilen (Skleriten) auf den Polypenhügeln und die unterschiedlichen Größen der Polypen und Skleriten. „Mit Hilfe eines ferngesteuerten Unterwasserfahrzeugs konnten wir Lebendnachweise der Korallen in einer Tiefe von 396 bis 639 Metern vor Mauretanien erbringen. Die neue Art besiedelt hauptsächlich abgestorbene Korallengerüste, Korallenschutt oder Gestein. Sie ist die bislang im Nordostatlantik am südlichsten auftretende bekannte Art und bildet – anders als weitere Swiftia-Arten – große ‚Korallengärten‘“, ergänzt Sampaio.

Zur taxonomischen Bestimmung der Oktokoralle setzte das Team erstmalig Mikro-Computertomographie ein. Die Methode ermöglicht ein detailliertes dreidimensionales Bild der inneren Struktur von sehr kleinen Proben. „Wir konnten so die Skleritenschicht entdecken, die Swiftia phaeton von anderen Arten unterscheidet“, erklärt Sampaio.

Freiwald resümiert: „In zukünftigen Forschungsprojekten möchten wir diese Methode häufiger einsetzen, um die verschiedenen Korallen noch zuverlässiger und einfacher zu bestimmen. Bislang sind etwa 850 Arten von den Tiefwasserriffen der ‚Mauretanischen Mauer‘ beschrieben – das ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Wir brauchen genaue Kenntnisse zur Fauna der ‚Mauretanischen Mauer‘, um die Folgen der natürlichen und anthropogenen Einflüsse zu bewerten. Die Widerstandsfähigkeit der Korallengärten vor Mauretanien hängt vor allem mit dem Vorhandensein von Hartsubstrat für die Ansiedlung und mit der Exposition gegenüber nahrungsreichen Strömungen zusammen. Und nicht nur die Korallenriffe sind gefährdet – auch die Fischerei und damit die Lebensgrundlage vieler Menschen sowie etwa 20 Prozent der mauretanischen Staatseinnahmen stehen auf dem Spiel!“

Diese Pressemitteilung findet ihr bei der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung.

Noch mehr zum Thema Korallengärten findet ihr in unserem Factsheet. Leider steht katastrophal um unsere Riffe. Erderwärmung, Ozeanversauerung und Extremwetter setzen diesen besonderen und unverzichtbaren Ökosystemen stark zu.

Tang trägt Tiere von Küste zu Küste

Eine große Menge Seetang liegt vor der Küste Galways

© Amalia Klein / DEEPWAVE

Millionen Flöße aus Seetang treiben von Küste zu Küste des Südlichen Ozeans. Dabei tragen sie Seesterne, Asseln, Krustentiere, Gliederfüßer, Weichtiere und Würmer mit sich – riesige Mengen an Biomasse werden transportiert. Dadurch können sich die Organismen in neuen Regionen ansiedeln, wie ein internationales Forschungsteam der University of Otago nun herausgefunden hat. Durch den starken Zirkumpolarstrom kann der Seetang dabei sogar die schwer überwindbaren Barrieren der Antarktis bezwingen. Dieser Ferntransport könnte dem Aussterben einiger Arten durch sich verändernde Klimabedingungen entgegentreten. Mithilfe der Seetang-Flöße können marine Arten vor dem Klimawandel fliehen, wenn ihr ursprüngliches Habitat für sie unbewohnbar wird. So wird generell erwartet, dass sich die Lebensräume der Meeres- und Küstenbewohner weiter in Richtung der Pole verschieben.

Zwar bietet dieser Transportweg eine Fluchtmöglichkeit für bedrohte Arten, jedoch können sogenannte Neobiota (auch bekannt als invasive Arten) ökologische Gefahren mit sich bringen. Diesem Thema bedarf es also noch weiterer Beobachtung und Forschung.

Den Artikel „Tang trägt Tiere von Küste zu Küste“ von Wiebke Pfohl vom 09.06.2022 findet ihr bei Spektrum.

Leh­ren aus der Ver­gan­gen­heit: Wie Kalt­was­ser­ko­ral­len auf glo­ba­le Er­wär­mung re­agie­ren

Kalt­was­ser­ko­ral­len: Eine Nahaufnahme der Koralle Lophelia pertusa

© NOAA / Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.0)

Pressemitteilung, 07. Juni 2022, MARUM – Zen­trum für Ma­ri­ne Um­welt­wis­sen­schaf­ten, Uni­ver­si­tät Bre­men

Ko­ral­len re­agie­ren auf Ver­än­de­run­gen ih­rer Um­ge­bung – das gilt so­wohl für tro­pi­sche wie für Kalt­was­ser­ko­ral­len und schließt zum Bei­spiel Ände­run­gen von Tem­pe­ra­tur, Salz­ge­halt und pH-Wert ih­rer Um­ge­bung ein. Jetzt ha­ben For­schen­de des MARUM un­ter der Lei­tung von Dr. Ro­d­ri­go da Cos­ta Por­til­ho-Ra­mos in ei­ner Stu­die un­ter­sucht, wie sich wär­me­re Tem­pe­ra­tu­ren im Zuge der Kli­ma­er­wär­mung auf Kalt­was­ser­ko­ral­len aus­wir­ken. Da­für ha­ben sie ge­nau­er be­trach­tet, wie Ko­ral­len in den ver­gan­ge­nen 20.000 Jah­ren auf Um­welt­ver­än­de­run­gen re­agiert ha­ben. Die Stu­die ist jetzt in der Fach­zeit­schrift PLOS Biology er­schie­nen.

Kalt­was­ser­ko­ral­len und hier ins­be­son­de­re die Art Lophelia pertusa sind Ar­chi­tek­ten kom­ple­xer Riff­struk­tu­ren. Sie bil­den die Grund­la­ge für wich­ti­ge Le­bens­räu­me von Tief­see­or­ga­nis­men, die in die­sen Struk­tu­ren Schutz, aber auch Nah­rung fin­den. Al­ler­dings re­agie­ren Ko­ral­len­rif­fe auch sen­si­bel auf sich än­dern­de Le­bens­be­din­gun­gen. Dazu ge­hö­ren etwa die Er­wär­mung der Ozea­ne, die Ver­saue­rung, der ab­neh­men­de Sau­er­stoff­ge­halt und auch der va­ri­ie­ren­de Nähr­stoff­zu­fluss. Ändert sich ei­ner die­ser Pa­ra­me­ter, zum Bei­spiel durch den glo­ba­len Kli­ma­wan­del, kann sich das auf die Ge­sund­heit des ge­sam­ten Ko­ral­len­riffs aus­wir­ken. Zu ver­ste­hen, wie ge­nau die­se Öko­sys­te­me auf Um­welt­ver­än­de­run­gen re­agie­ren, ist da­her laut der ak­tu­el­len Stu­die wich­tig, um sie künf­tig bes­ser schüt­zen zu kön­nen.

Um die kri­tischs­ten Pa­ra­me­ter iden­ti­fi­zie­ren zu kön­nen, die das Aus­ster­ben und Wie­der­an­sie­deln von Kalt­was­ser­ko­ral­len aus­lö­sen kön­nen, ha­ben Er­st­au­tor Ro­d­ri­go da Cos­ta Por­til­ho-Ra­mos vom MARUM – Zen­trum für Ma­ri­ne Um­welt­wis­sen­schaf­ten der Uni­ver­si­tät Bre­men und sei­ne Kol­leg:in­nen Se­di­men­te von sechs Kalt­was­ser­ko­ral­len-Stand­or­ten im Nord­at­lan­tik und im Mit­tel­meer un­ter­sucht. In sol­chen Se­di­men­ten sind ver­gan­ge­ne Um­welt­be­din­gun­gen ge­spei­chert. Sie er­mög­li­chen es For­schen­den her­aus­zu­fin­den, wann und war­um sich Kalt­was­ser­ko­ral­len ver­mehrt ha­ben und wann nicht. Die Er­geb­nis­se, be­ton­ten die Au­tor:in­nen, wür­den auch zei­gen, wie die Ko­ral­len auf künf­ti­ge kli­ma­ti­sche Ver­än­de­run­gen re­agie­ren könn­ten. Die Stu­die ana­ly­siert Ver­än­de­run­gen der wich­tigs­ten Um­welt­fak­to­ren über die ver­gan­ge­nen 20.000 Jah­re, den Zeit­raum der letz­ten gro­ßen glo­ba­len Er­wär­mung nach der letz­ten Eis­zeit, und ver­gleicht die­se mit dem Auf­tre­ten von Kalt­was­ser­ko­ral­len.

„Wir ha­ben in die Ver­gan­gen­heit ge­blickt, um zu ver­ste­hen, wie Lophelia pertusa auf Um­welt­ver­än­de­run­gen re­agiert hat“, fasst Por­til­ho-Ra­mos zu­sam­men. Die Ko­ral­len ver­schwan­den oder kehr­ten in eine Re­gi­on meis­tens dann zu­rück, wenn sich das Nah­rungs­an­ge­bot für die Ko­ral­len oder der Sau­er­stoff­ge­halt des Was­sers ver­än­dert hat. Kalt­was­ser­ko­ral­len er­näh­ren sich von mi­kro­sko­pisch klei­nem Plank­ton und Par­ti­keln, die mit der Mee­res­strö­mung trans­por­tiert wer­den. We­nig Ein­fluss auf das Ab­ster­ben und die Ver­meh­rung von Kalt­was­ser­ko­ral­len hat­ten die Tem­pe­ra­tur und der Salz­ge­halt des Was­sers. „Dar­um ge­hen wir da­von aus, dass vor al­lem Nah­rungs­zu­fuhr und die Ver­füg­bar­keit von Sau­er­stoff die ent­schei­den­den Fak­to­ren sein wer­den, wenn es um Le­ben und Tod von Kalt­was­ser­ko­ral­len geht“, be­tont Por­til­ho-Ra­mos. Un­klar ist, wie sich die Oze­an­ver­saue­rung lang­fris­tig aus­wirkt, da es dazu kei­ne pa­läo­zea­no­gra­phi­schen Da­ten gibt.

Als Öko­sys­tem-In­ge­nieu­re tra­gen die Kalt­was­ser­ko­ral­len maß­geb­lich zur Ent­ste­hung von Bio­di­ver­si­täts-Hot­spots in der Tief­see bei. Mit ih­rem Ein­fluss auf Nah­rungs­net­ze und Nähr­stoff­kreis­läu­fe, mit ih­rer Rol­le als Fisch-Kin­der­gär­ten und mit ei­ner be­ein­dru­cken­den Bio­di­ver­si­tät lie­fern Kalt­was­ser­ko­ral­len-Rif­fe wich­ti­ge Öko­sys­tem-Leis­tun­gen. Um die­se auch in Zei­ten des Kli­ma­wan­dels in der Zu­kunft er­hal­ten zu kön­nen, bil­den die Er­geb­nis­se die­ser Stu­die eine wich­ti­ge Grund­la­ge, um wis­sens­ba­sier­te Ma­nage­ment­stra­te­gi­en für sol­che Tief­see-Öko­sys­te­me zu ent­wi­ckeln. Da­mit trägt sie auch maß­geb­lich zu den Zie­len des Bre­mer Ex­zel­len­clus­ters bei, dass sich der Er­for­schung des Oze­an­bo­dens wid­met.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim MARUM.

Weitere Informationen zu Kaltwasserkorallenriffen und die Auswirkungen der Klimakrise, findet ihr in unserem Forschungs- und Klimablog.

//