Klima

Meeresschutz ist Klimaschutz.

Weltklimagipfel: Deutsche Umwelthilfe fordert klare Signale der Bundesregierung für Klimafinanzierung und Methan-Minderung

Während einer Demonstration wird ein Schild mit "Climate action now" hochgehalten

© Filmbetrachter / Pixabay

Pressemitteilung, 07.11.2024, DUH

  • Nach US-Wahl schwierige Vorzeichen für COP29: Weltgemeinschaft muss Zeichen der Geschlossenheit beim Klimaschutz setzen
  • Innenpolitische Machtkämpfe in Deutschland dürfen nicht zum Hindernis für Verhandlungen über sichere und ambitionierte Klimaschutzfinanzierung in Ländern des globalen Südens werden
  • DUH fordert Kehrtwende bei steigenden Methan-Emissionen: Bundesregierung muss zur COP konkretes Methan-Minderungsziel und Minderungsplan mitbringen
  • Expertinnen und Experten der DUH sind vor Ort für Hintergrundgespräche und Interviews

Berlin, 8.11.2024: Vor Beginn der 29. Weltklimakonferenz (COP) in Baku, Aserbaidschan, fordert die Deutsche Umwelthilfe (DUH) von der Bundesregierung, alle Zweifel bezüglich der Höhe der deutschen Klimafinanzierung und des zukünftigen klimapolitischen Kurses auszuräumen. Die Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen insbesondere in Ländern des globalen Südens ab 2026 wird ein wichtiger Fokus der diesjährigen COP sein. Die EU hat die Verantwortung, hier mit gutem Beispiel voranzugehen. Der Kreis der Geberländer müsse künftig jedoch auch China und die Golfstaaten einschließen, um die Beiträge zur internationalen Klimafinanzierung auf mehr Schultern zu verteilen, so die DUH.

Sascha Müller-Kraenner, DUH-Bundesgeschäftsführer: „Die Wahl von Trump bedeutet auch für die globalen Klimaschutzbemühungen einen Schock. Vom Weltklimagipfel in Baku muss deswegen das klare Signal ausgehen, dass die Weltgemeinschaft auch ohne die USA bei der Umsetzung des Pariser Klimaabkommens voranschreitet. Die Klimakrise macht keine Pause und die globale Klimadiplomatie muss deswegen weitergehen. Die zentrale Frage des Klimagipfels in Baku lautet, wie es mit der Finanzierung von Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen in den ärmsten Ländern der Welt weitergeht. Die Verhandlerinnen und Verhandler müssen die Klimakonferenz in Aserbaidschan nutzen, um sich auf eine faire, belastbare und ambitionierte Klimafinanzierung zu einigen. Deutschland muss zu den von Bundeskanzler Scholz persönlich gemachten Zusagen zur Klimafinanzierung stehen und seiner Verantwortung auch zukünftig gerecht werden.“

Mit Aserbaidschan hat die Klimakonferenz erneut einen Gastgeber, der in großem Maßstab fossile Energien exportiert. Der staatliche Öl- und Gaskonzern plant, die Förderung von Erdgas im nächsten Jahrzehnt um ein Drittel zu steigern. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, die bei der Klimakonferenz im letzten Jahr beschlossene Abkehr von fossilen Energien zu bekräftigen.

Neben der Reduktion von CO2-Emissionen müssen die Staaten auch dafür sorgen, dass weniger Methan emittiert wird. Das Klimagas ist über 20 Jahre betrachtet mehr als 80-mal so schädlich wie CO2 und für mindestens ein Drittel der bisherigen Erderhitzung verantwortlich. Mit dem 2021 verkündeten Global Methane Pledge versprechen mittlerweile 158 Staaten – auch Deutschland – eine Reduktion der Methan-Emissionen um 30 Prozent bis 2030. Dennoch steigen die globalen Methan-Emissionen auch 5 Jahre vor dem Zieljahr noch immer.

Jürgen Resch, DUH-Bundesgeschäftsführer: „Die deutsche Delegation muss während der COP als ‚Global Methane Champion‘ konkrete Maßnahmen und Vereinbarungen zur Methanreduktion zwischen Importeuren wie Deutschland und Herkunftsländern fossiler Energien verhandeln. Dabei muss sie auch das Gastgeberland zur Verantwortung ziehen. Um einen fairen Beitrag zur Erreichung des Global Methane Pledge zu leisten, darf sich die Bundesregierung nicht allein auf der EU-Methanverordnung ausruhen. Denn hier werden große Teile der schädlichen Methan-Emissionen nicht angegangen. Für die Emissionen aus der Landwirtschaft hat die Regierung entgegen den Versprechungen aus dem jetzt überholten Koalitionsvertrag kein Konzept vorgelegt. Unabhängig von der Tagespolitik ist und bleibt Methan ein zentraler Treiber der Klimakrise. Deswegen fordern wir von der internationalen Staatengemeinschaft, Deutschland und der EU, auf der Klimakonferenz endlich das Ruder bei weiterhin steigenden Methanemissionen herumzureißen!“

Die DUH wird als Koordinator des internationalen NGO-Bündnisses „Methane Matters Coalition“ bei der COP29 in Baku mit eigenen Veranstaltungen vor Ort sein und die Entwicklungen verfolgen. Die Expertinnen und Experten der Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation stehen im Vorfeld und während der Konferenz für Informationen und Interviews rund um das Thema Methan zur Verfügung.

Diese Pressemitteilung findet ihr bei der DUH.

Der Bruch der Ampel-Koalition darf nicht dazu führen, dass sich der Fokus noch weiter von den wichtigen Themen weg verschiebt. Der Zusammenhalt in Politik und Gesellschaft ist nun wichtiger denn je, um die aktuellen Krisen zu bewältigen.

Jahrzehntelang vernachlässigter Meeresschutz rächt sich

Übernutzung: Offshore Windpark in der Nordsee vor der Küste Englands

© Nicholas Doherty | Unsplash

Pressemitteilung, 29.05.2024, Pressemitteilung NABU

Krüger: Weitere Übernutzung der Meere verstärkt Klima- und Biodiversitätskrise

Berlin – Das Bundeskabinett befasst sich heute mit der Änderung des Kohlenstoffspeicherungs- und Transport-Gesetzes (KSPTG). Dies soll erstmals die Kohlenstoffspeicherung (CCS) auf dem Festlandsockel und der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) auf dem Meer sowie den internationalen Transport ermöglichen. Der NABU erkennt an, dass technische Lösungen beim Umgang mit unvermeidbaren Restemissionen eine Rolle spielen, warnt jedoch zugleich vor den ökologischen Folgen.

“Der Änderungsantrag zum KSPTG und die begleitende Carbon Management Strategie versäumen es, sich mit dem schon heute schlechten ökologischen Zustand unserer Meere und die mit dem Ausbau der CCS-Infrastruktur einhergehenden Risiken für die marine Biodiversität auseinanderzusetzen”, kritisiert NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger. “Das ist ein weiterer Schritt in Richtung ‘Industriepark Nordsee’, also einer zunehmenden Ausbeutung des Meeres als Rohstoffquelle, Deponie und Energiepark”.

Laut NABU hat es die aktuelle Bundesregierung verpasst, nutzungsfreie Zonen in Meeresschutzgebieten zu etablieren und damit die Meere als wichtigste Kohlenstoffsenke zu stärken. Auch das Potenzial durch die Wiederherstellung und der Schutz natürlicher Senken wie Algenwälder, Seegras- und Salzwiesen bleibt ungenutzt. Das aber wäre die notwendige Voraussetzung für eine verantwortungsvolle nationale Carbon Management Strategie. Jetzt rächt sich das jahrelange Zögern in der Meeresschutzpolitik.

„Eine weitere Übernutzung der Meere steht den Zielen von Netto-Null und gesunden, artenreichen Meeren gegenüber und verstärkt die Biodiversitäts- und Klimakrise noch weiter”, so Krüger.

Zusätzlich zu Offshore-Windenergie und LNG-Infrastruktur drängt mit CCS ein weiterer technischer Faktor der Energie- und Industrietransformation in den längst stark übernutzten deutschen Meeresraum.  Im Ergebnis darf aber eine politische Entscheidung für CCS, die mit weiteren Umweltbelastungen einhergeht, nicht die Umweltziele im Meer gefährden. So ist die Injektion und Speicherung von CO2 unter Meeresschutzgebieten klar abzulehnen. Sensible Bodenregionen sind für den Leitungsbau auszuschließen.

“Der Verlust natürlicher Funktionen der Meere hätte drastische Folgen für Natur- und Klima,” so NABU-Meeresschutzexperte Dr. Thorsten Werner. “Der schlechte Zustand der Nord- und Ostsee lässt aktuell kaum Spielraum für weitere Belastungen durch CCS. Vielmehr müssen zuerst andere Nutzungen reduziert und weitere Ausgleichsmaßnahmen ergriffen werden.” Nur so können Biodiversitäts- und Klimakrise gemeinsam bekämpft werden.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim NABU.

Was CCS überhaupt ist und was es für Folgen mit sich bringen kann, könnt ihr in unserem Gastbeitrag von Nico Czaja „Unter die Erde kehren“ nachlesen. Außerdem berichten wir über die Übernutzung der Nord- und Ostsee sowie über die Auswirkungen von LNG-Terminals. Gemeinsam mit 16 weiteren NGOs haben wir letztes Jahr unsere Kernforderungen für eine zukunftsfähige Meerespolitik gestellt.

Klimaschutzgesetz: Staffelstab wird vorzeitig weitergegeben

Klimaschutzgesetz: Eine Aufnahme des Deutschen Budnestages. Im Hintergrund zieht ein Gewitter auf und es herrscht eine düstere Stimmung

© hoch3media / Unsplash

Pressemitteilung, NABU, 26.04.2024

Klimaschutzgesetz: Staffelstab wird vorzeitig weitergegeben
Krüger: Ampel könnte Hände in den Schoß legen

Berlin – Der Deutsche Bundestags hat heute die Novellierung des Klimaschutzgesetzes verabschiedet. Damit droht ein Riesen-Rückschritt für den Klimaschutz.

Die Änderung des Klimaschutzgesetzes bedeutet, dass die Ampel bis zur Bundestagswahl 2025 keine weiteren Maßnahmen vorlegen muss, wenn die Klimaziele wieder verfehlt werden. Dies wird auf die nächste Bundesregierung verschoben und schränkt auch die Möglichkeit ein, das Einhalten der Ziele einzufordern und einzuklagen.

NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger: „Die Ampel stiehlt sich aus der Verantwortung. Bis zur Bundestagswahl 2025 könnte sie beim Klimaschutz faktisch die Hände in den Schoß legen. Es liegt jetzt an den Umweltverbänden und der gesamten Zivilgesellschaft, das zu verhindern. Auch wenn es nun schwieriger wird, Klimaschutz bei einer Zielverfehlung einzuklagen. Wie schon bei der Planungsbeschleunigung droht ein weiterer faktischer Abbau demokratischer Beteiligungsrechte.“

Diese Pressemitteilung findet ihr beim NABU.

Nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die EU schwenkt beim Klima- und Meeresschutz um. Doch die jahrzehntelange Vernachlässigung des Meeresschutzes fordert nun ihren Tribut. In der „Meeresoffensive“ haben wir gemeinsam mit 16 weiteren NGOs detailliert zusammengefasst, welche konkreten Maßnahmen ergriffen werden müssen, um eine zukunftsfähige Meerespolitik führen zu können, und diese der Bundesregierung vorgelegt.

Solarpaket hebelt Diskussion zum naturverträglichen Ausbau der Offshore-Windenergie aus

WindSeeG: Im Vordergrund ragt ein Offshore-Windrad aus dem dunklen Meer. Im Hintergrund, vor dem hellblauen Himmel, zeichnen sich weitere Windräder ab.

© Jesse De Meulenaere / Unsplash

Pressemitteilung, NABU, 23.04.2024

Solarpaket hebelt Diskussion zum naturverträglichen Ausbau der Offshore-Windenergie aus
Krüger: Stoppschild für Offshore-Paragraf 8a und Ausbau europarechtskonform gestalten

Berlin – Derzeit laufen in Bundestag und Bundesrat zwei Gesetzgebungsverfahren für den Ausbau der Offshore-Windenergie, um die europäische Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED III) umzusetzen. Die Novelle des Windenergie-auf-See-Gesetzes (WindSeeG) soll Offshore-Vorhaben beschleunigen, das überfällige Solarpaket die Nutzung der Sonnenenergie fördern. Beides wird nun durch das Wirtschaftsministerium vermischt, indem das Solarpaket in Paragraf 8a WindSeeG die Offshore-Vorhaben des Flächenentwicklungsplans pauschal zu Beschleunigungsflächen erklärt und damit der parlamentarischen Befassung zum WindSeeG vorgreift. In diesen Flächen drohen die Umweltverträglichkeitsprüfung und die artenschutzrechtliche Prüfung zu entfallen, selbst in ökologisch unverzichtbaren Flächen, auf Kosten von Seevögeln und Schweinswalen. Im Übrigen sieht das Solarpaket trotz eines laufenden Gesetzgebungsverfahrens auch für Windenergie an Land Regelungen zu Beschleunigungsgebieten vor.

Dazu NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger:

„Unter dem Radar und unter unnötigem zeitlichem Druck sollen Tatsachen geschaffen werden. Gemäß RED III können nur Flächen, die bereits nach nationalem Recht für einen beschleunigten Ausbau vorgesehen sind, als Beschleunigungsgebiete ausgewiesen werden. Doch die gibt es auf See nicht. Erneut schießt das Wirtschaftsministerium über europäische Vorgaben hinaus und macht Energiepolitik gegen Europarecht und gegen die Natur. Ohne beschleunigende Wirkung beschneidet das Solarpaket Umweltstandards nach dem Rasenmäherprinzip und schränkt die parlamentarischen Beteiligungsmöglichkeiten massiv ein. Genug ist genug. Der Bundestag muss ein Stoppschild aufstellen und § 8a WindSeeG aus dem Solarpaket streichen.“

Selbst in nachweislich kritischen Ausbauflächen der Offshore-Windenergie soll künftig auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung verzichtet werden, ohne die dafür notwendigen Kriterien festzulegen und die durch RED III geforderten Sensitivitätsanalysen durchzuführen. Wie riskant das ist, zeigt eine Studie des NABU zur Anwendung des Ökosystemansatzes in der Raumplanung. Auch zahlreiche Unternehmen der Windenergiebranche plädieren seit längerem aus Gründen der Rechts- und Investitionssicherheit für die Beibehaltung der Umweltverträglichkeitsprüfung. Kritik kommt auch aus den Bundesländern.

„Die Hemdsärmeligkeit des Wirtschaftsministeriums leistet einen Bärendienst für die Energiewende und konterkariert demokratische Prozesse. Es ist jetzt an den Abgeordneten des Bundestags, einen transparenten Prozess mit ausreichend Zeit und Beteiligung einzufordern. Die Energiewende ist zu wichtig, um sie Aktionismus und Symbolpolitik zu opfern”, so Krüger.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim NABU.

Die Übernutzung unserer Meere ist keine lobenswerte Maßnahme gegen die Klimakrise, denn Klima- und Meeresschutz müssen Hand in Hand gehen. Eine ökosystembasierte Raumordnung ist unverzichtbar, um die Nord- und Ostsee langfristig gesund zu erhalten.

Lasten im Kampf gegen den Klimawandel gerecht verteilen

Silhouette von neun Personen, die auf einem Hügel stehen. Hinter ihnen geht die Sonne auf. Zusammen könnten sie alles schaffen.

© Hudson Hintze / Unsplash

Pressemitteilung, Deutscher Ethikrat, 13.03.2024

Ethikrat: Lasten im Kampf gegen den Klimawandel gerecht verteilen

Heute stellt der Deutsche Ethikrat seine Stellungnahme zur Klimagerechtigkeit vor. Darin behandelt der Rat zentrale Fragen der Gerechtigkeit und Verantwortung im Kampf gegen den Klimawandel und formuliert 13 Empfehlungen, wie die Klimawende gerecht gestaltet werden kann.

„Die Bewältigung des Klimawandels und seiner Folgen ist eine gesellschaftliche Mammutaufgabe: Wie können wir dabei die Lasten gerecht verteilen? Wer trägt die Verantwortung? Und was können wir tun, damit uns allen dabei nicht die Puste ausgeht?“, erklärt Alena Buyx, die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates. „Da sind alle gefragt – Parteien, Zivilgesellschaft, Medien, Wissenschaft –, um neue Perspektiven für ein gutes Leben in einer nachhaltigen und klimaneutralen Gesellschaft ohne weiteres Wachstum von Konsum und Ressourcenverbrauch zu entwerfen.“

In seiner Stellungnahme entwickelt der Ethikrat ein Konzept zur Klimagerechtigkeit: Lasten und Pflichten im Kampf gegen den Klimawandel sollten so verteilt werden, dass möglichst alle Menschen jetzt und in Zukunft die Mindestvoraussetzungen für ein gutes und gelingendes Leben erreichen können. Die Bedürfnisse von Menschen, die davon noch am weitesten entfernt und am stärksten vom Klimawandel belastet sind, sollten dabei vorrangig berücksichtigt werden.

„Menschen tragen sehr unterschiedlich zum Klimawandel bei – schon allein das wirft große Gerechtigkeitsfragen auf“, erklärt Kerstin Schlögl-Flierl, Sprecherin der Arbeitsgruppe zur Klimaethik. „Das fängt schon innerhalb unserer Gesellschaft an. Wohlhabende Menschen fliegen öfter, während Menschen mit weniger Geld durch viele Klimaschutzmaßnahmen besonders belastet werden. International sehen wir große Unterschiede zwischen den hauptsächlichen Verursachern im globalen Norden und den Menschen im globalen Süden, die oft besonders unter den Folgen leiden. Und junge Menschen und Menschen, die noch nicht einmal geboren sind, werden in Zukunft drastische Klimafolgen zu ertragen haben, die vor allem jetzt und in der Vergangenheit verursacht wurden“, betont sie. „Belastungen und Verantwortlichkeiten müssen in allen drei Dimensionen – innergesellschaftlich, international und intergenerationell – gerecht verteilt werden.“

Klimawandel: Wer trägt die Verantwortung?

„Die Verantwortung von Einzelnen steht häufig im Mittelpunkt der Klimadebatte“, erklärt Armin Grunwald, stellvertretender Sprecher der Arbeitsgruppe. „Aus unserer Sicht ist es allerdings unangemessen, die Bewältigung des Klimawandels allein von einzelnen Personen zu erwarten, etwa durch ihr Konsum- oder Mobilitätsverhalten.“ Der Deutsche Ethikrat verfolgt daher ein Konzept der Multiakteursverantwortung. Das beinhaltet klare Verantwortungszuschreibungen gegenüber dem Staat, privaten Organisationen wie Unternehmen und Individuen. Zentral ist dabei: Die Politik muss die gesellschaftlichen Verhältnisse und rechtlichen Rahmenbedingungen so gestalten, dass emissionsärmeres Verhalten ohne unzumutbare persönliche bzw. unternehmerische Belastungen möglich ist und dass Lasten gerecht verteilt werden.

„Wer leistungsfähiger ist – und möglicherweise auch mehr zum Klimawandel beiträgt –, muss mehr Verantwortung übernehmen und stärker in Vorleistung gehen“, betont Armin Grunwald. „Das betrifft sowohl Länder und Unternehmen als auch einzelne Menschen. In Anbetracht der außerordentlich schwerwiegenden Folgen einer ungebremsten globalen Erderwärmung wäre es geradezu unverantwortlich, erst aktiv zu werden, wenn andere nachziehen.“

Demokratischer Diskurs: Medien und Staat in besonderer Verantwortung

„Der Umgang mit dem Klimawandel belastet uns heute schon spürbar, auch in der öffentlichen Debatte“, sagt Alena Buyx. „Es ist sehr wichtig, Maßnahmen sozial gerecht zu gestalten und genau zu überlegen, wer dabei wofür verantwortlich ist. Gleichzeitig ist es unabdingbar, bei dieser riesigen Herausforderung konstruktiv und lösungsorientiert zu sein. Politik und Medien kommt da eine zentrale Rolle zu. Aber die neuen, positiven Lebensentwürfe, wie wir uns eine gute Zukunft vorstellen – die müssen wir alle gemeinsam entwickeln.“

Empfehlungen

Die 13 Empfehlungen der Stellungnahme greifen diese Themen auf und fordern einen auf Klimagerechtigkeit und Verantwortung fokussierten öffentlichen Diskurs zum Klimawandel sowie eine transparente und gerechte Verteilung von Lasten. Sie betonen die Verantwortung der deutschen Politik, sowohl innergesellschaftlich als auch international auf eine raschere, effektivere und gerechtere Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen hinzuwirken. Die Politik muss bessere Rahmenbedingungen schaffen, die Individuen und privaten Organisationen wie Unternehmen klimafreundliches Handeln erleichtern und die Belange junger und zukünftiger Menschen stärker berücksichtigen. Gleichzeitig verweisen die Empfehlungen auf die individuelle moralische Mitwirkungspflicht aller Menschen, zur Bewältigung des Klimawandels im Rahmen ihrer Möglichkeiten einen Beitrag zu leisten. In einem Sondervotum erläutern drei Ratsmitglieder Aspekte, in denen sie von der Stellungnahme abweichen.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim Deutschen Ethikrat.

Ein Workshop-Bericht des IPBES-IPCC nennt die Leitplanken für eine zukunftsweisende Politik: Klimaschutz, Erhalt der Biodiversität und soziale Gerechtigkeit – Aufgaben, die sich nur im Dreiklang lösen lassen.

Regionale Unterschiede der Erderwärmung entscheidend

Verschiedene Foraminifera unter dem Mikroskop

Foraminifera unter dem Mikroskop © Doc. RNDr. Josef Reischig, CSc. / Wikimedia Commons

Pressemitteilung, 05.12.2023, MARUM

War­um re­gio­na­le Un­ter­schie­de der Erd­er­wär­mung ent­schei­dend sind

Neue Da­ten­ana­ly­se er­mög­licht es, Kli­ma­mo­del­le bes­ser zu be­wer­ten

Win­zi­ge Fos­si­li­en in Mee­res­se­di­men­ten zei­gen, dass Kli­ma­mo­del­le die durch­schnitt­li­che Tem­pe­ra­tur der Ozea­ne im letz­ten Hoch­gla­zi­al vor etwa 20.000 Jah­ren rich­tig be­rech­nen, die si­mu­lier­te räum­li­che Ver­tei­lung aber zu gleich­mä­ßig ist und sie da­her nur be­dingt für künf­ti­ge Kli­ma­aus­sa­gen gilt. Ein neu­er An­satz zeigt nun, wie Kli­ma­mo­dell­rech­nun­gen bes­ser über­prüft wer­den kön­nen. Das Team um Dr. Lu­kas Jon­kers vom MARUM – Zen­trum für Ma­ri­ne Um­welt­wis­sen­schaf­ten und dem Fach­be­reich Geo­wis­sen­schaf­ten der Uni­ver­si­tät Bre­men hat die Er­geb­nis­se jetzt im Fach­jour­nal Nature Geoscience ver­öf­fent­licht.

Mit Kli­ma­mo­del­len bil­den For­schen­de das Kli­ma der Ver­gan­gen­heit nach, um zu ent­schlüs­seln, wie und war­um es sich ver­än­dert hat. Durch den men­schen­ge­mach­ten Kli­ma­wan­del ist es nicht mög­lich, Mo­del­le eins zu eins auf die Zu­kunft zu über­tra­gen, da sich die Rand­be­din­gun­gen ver­än­dert ha­ben. „Wir müs­sen also die Ver­gan­gen­heit si­mu­lie­ren, um die Mo­del­le zu tes­ten. Die Si­mu­la­ti­on des Kli­mas vom so ge­nann­ten Last Gla­ci­al Ma­xi­mum, kurz LGM, ist da­her wich­tig, um Kli­ma­mo­del­le zu be­wer­ten“, sagt Er­st­au­tor Lu­kas Jon­kers, das Hoch­gla­zi­al sei da­bei ein gu­tes Test­sze­na­rio. „Denn wie sich die Erde seit­dem er­wärmt hat, könn­te etwa dem ent­spre­chen, was wir künf­tig er­war­ten kön­nen.“

Bis­he­ri­ge Stu­di­en ha­ben zwar über­ein­stim­mend ge­zeigt, dass die Ge­samt­ver­än­de­rung des glo­ba­len Kli­mas zwi­schen dem LGM und der Ge­gen­wart zwi­schen den Mo­del­len und den Pa­läo­kli­ma-Re­kon­struk­tio­nen kon­sis­tent ist. Nicht aus­rei­chend be­rück­sich­tigt wur­den da­bei aber das räum­li­che Tem­pe­ra­tur­mus­ter, das Öko­sys­te­me und Le­bens­räu­me be­ein­flusst. Dazu ge­hört auch, wie sich Le­bens­räu­me auf den ver­schie­de­nen Brei­ten­ge­ra­den ver­tei­len.

Neuer Ansatz basiert auf einem grundlegenden makroökologischen Prinzip

Um zu prü­fen, ob die Si­mu­la­tio­nen ein ge­nau­es Bild des ver­gan­ge­nen Kli­mas lie­fern, ver­glei­chen die For­schen­den sie mit auf Da­ten ba­sie­ren­den Re­kon­struk­tio­nen. Bei­de Ver­fah­ren ber­gen ei­nen ge­wis­sen Grad an Un­si­cher­heit. Wenn bei­de von­ein­an­der ab­wei­chen – liegt es dann an der Si­mu­la­ti­on oder der Re­kon­struk­ti­on? Da­mit Kli­ma­mo­del­le bes­ser über­prüft und be­wer­tet wer­den kön­nen, ha­ben Dr. Lu­kas Jon­kers vom MARUM und sei­ne Co-Au­tor:in­nen ei­nen neu­en An­satz ver­folgt, den sie jetzt im Fach­jour­nal Nature Geoscience vor­stel­len. Da­für um­ge­hen sie Un­si­cher­hei­ten der tra­di­tio­nel­len Re­kon­struk­ti­ons­me­tho­den und ver­wen­den ein grund­le­gen­des ma­kro­öko­lo­gi­sches Prin­zip. Das be­sagt, dass sich Ar­ten­ge­mein­schaf­ten umso mehr un­ter­schei­den, je wei­ter sie von­ein­an­der ent­fernt sind. Ein Bei­spiel da­für sind etwa die Ve­ge­ta­tio­nen in der Tal­soh­le im Ver­gleich zur Berg­spit­ze.

„Im ma­ri­nen Be­reich se­hen wir ei­nen grö­ße­ren Rah­men des­sen, näm­lich wenn wir Spe­zi­es vom Äqua­tor an­schau­en. Je wei­ter wir dann in Rich­tung Pol ge­hen, umso mehr ver­än­dern sich die Ar­ten“, sagt Jon­kers. „Im Oze­an hängt die­se ab­neh­men­de Ähn­lich­keit stark mit der Tem­pe­ra­tur zu­sam­men. Wür­den die Kli­ma­mo­del­le also die Tem­pe­ra­tu­ren der Ver­gan­gen­heit kor­rekt si­mu­lie­ren, müss­ten wir beim Ver­gleich der si­mu­lier­ten Tem­pe­ra­tu­ren mit den fos­si­len Ar­ten­ge­mein­schaf­ten das­sel­be Mus­ter fest­stel­len.“ For­schen­de kön­nen also Da­ten zu Ar­ten­ge­mein­schaf­ten im Hoch­gla­zi­al nut­zen, um zu be­ur­tei­len, ob die si­mu­lier­te Tem­pe­ra­tur aus dem LGM das glei­che Mus­ter ab­neh­men­der Ähn­lich­keit der Ge­mein­schaf­ten re­pro­du­zie­ren kann, wie wir es heu­te se­hen.

Für ihre Stu­die hat das in­ter­na­tio­na­le Team über 2.000 Ar­ten­ge­mein­schaf­ten plank­to­ni­scher Fo­ra­mi­ni­fe­ren von 647 Stand­or­ten un­ter­sucht. Plank­to­ni­sche Fo­ra­mi­ni­fe­ren le­ben in den obers­ten Was­ser­schich­ten al­ler Ozea­ne. Ster­ben sie, sin­ken ihre klei­nen Kalk­ge­häu­se auf den Mee­res­grund und blei­ben dort als Mi­kro­fos­si­li­en im Se­di­ment er­hal­ten.

Bei der Ana­ly­se der Da­ten für das LGM ist das Team auf sich un­ter­schei­den­de Mus­ter bei der Ar­ten­zu­sam­men­stel­lung ge­sto­ßen. Das wer­te­ten sie als Hin­weis dar­auf, dass die si­mu­lier­ten Tem­pe­ra­tu­ren nicht mit den tat­säch­li­chen Eis­zeit-Tem­pe­ra­tu­ren über­ein­stim­men.

„Un­se­re Ana­ly­se deu­tet dar­auf hin, dass die si­mu­lier­ten Tem­pe­ra­tu­ren im Nord­at­lan­tik zu warm und glo­bal zu gleich­mä­ßig wa­ren. Neue Si­mu­la­tio­nen mit schwä­che­rer Oze­an­zir­ku­la­ti­on, die we­ni­ger Wär­me in den Nor­den trans­por­tiert, und dar­aus re­sul­tie­rend ei­nem küh­le­ren Nord­at­lan­tik pass­te bes­ser in das Mus­ter“, er­klärt Lu­kas Jon­kers. Hin­ter­grund da­für ist die Stär­ke der at­lan­ti­schen me­r­idio­na­len Um­wälz­zir­ku­la­ti­on und Eis-Oze­an-Wech­sel­wir­kun­gen. Die For­schen­den kom­men zu dem Er­geb­nis, dass die neue Me­tho­de Mo­dell­ver­glei­che si­che­rer macht. Die neu­en Si­mu­la­tio­nen zei­gen, dass die Mo­del­le das Tem­pe­ra­tur­mus­ter wäh­rend des letz­ten Hoch­gla­zi­als kor­rekt be­rech­nen kön­nen. Laut Au­tor:in­nen­team deu­te das dar­auf hin, dass eine kor­rek­te Vor­her­sa­ge des räum­li­chen Tem­pe­ra­tur­mus­ters – wenn die rich­ti­gen Pro­zes­se be­rück­sich­tigt wer­den – auch für die Zu­kunft mög­lich ist.

Mehr Gewicht für räumliche Auswirkungen des Klimawandels

„Der glo­ba­le Kli­ma­wan­del wird auch re­gio­nal un­ter­schied­li­che Aus­wir­kun­gen ha­ben. Un­se­re Ge­sell­schaft und die Öko­sys­te­me hän­gen letzt­lich da­von ab, was auf klei­ne­ren räum­li­chen Ska­len, näm­lich um uns her­um ge­schieht“, schluss­fol­gert Jon­kers. „Un­se­re Stu­die un­ter­streicht die Not­wen­dig­keit, die räum­li­chen Aus­wir­kun­gen des Kli­ma­wan­dels zu un­ter­su­chen. Dies ist wich­tig, wenn wir über die Be­gren­zung der glo­ba­len Er­wär­mung auf 1,5 Grad spre­chen, denn die­ser Wert be­zieht sich le­dig­lich auf ein glo­ba­les Mit­tel.“

Die Pu­bli­ka­ti­on er­scheint im Rah­men der vom Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Bil­dung und For­schung (BMBF) fi­nan­zier­ten Kli­ma­mo­del­lie­rungs­in­itia­ti­ve Pal­Mod. Hier ar­bei­ten For­schen­de dar­an, das Kli­ma der ver­gan­ge­nen 130.000 Jah­re auf klei­ne­ren Zeits­ka­len zu ent­schlüs­seln, um Aus­sa­gen für ein Kli­ma der Zu­kunft tref­fen zu kön­nen. Ihr Ziel ist es, die Spann­brei­te der Mo­del­le und der ih­nen zu­grun­de­lie­gen­den Pa­ra­me­ter zu ver­ste­hen und bes­se­re Aus­sa­gen für die Zu­kunft zu tref­fen.

Die Stu­die ist das Er­geb­nis ei­ner Zu­sam­men­ar­beit zwi­schen For­schen­den der Uni­ver­si­tät Bre­men und der Uni­ver­si­tät Ol­den­burg im Rah­men des Ex­zel­lenz­clus­ters „Der Oze­an­bo­den – un­er­forsch­te Schnitt­stel­le der Erde“. Be­tei­ligt sind au­ßer­dem Wis­sen­schaft­ler:in­nen des Al­fred-We­ge­ner-In­sti­tuts Helm­holtz-Zen­trum für Po­lar und Mee­res­for­schung Pots­dam und Bre­mer­ha­ven so­wie des Sou­thern Ma­ri­ne Sci­ence and En­gi­nee­ring Guang­dong La­bo­ra­to­ry Zu­hai (Chi­na) und der Ore­gon Sta­te Uni­ver­si­ty (USA).

Diese Pressemitteilung findet ihr beim MARUM.

Forschungsschiff Polarstern nimmt Kurs auf die Ostantarktis

Der Eisbrecher RV Polarstern in der Antarktis

© DLR/NASA/Jess Bunchek / Wikimedia Commons

Pressemitteilung, 29.11.2023, gemeinsame Pressemitteilung von AWI, GEOMAR, CAU

Forschungsschiff Polarstern nimmt Kurs auf die Ostantarktis

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Fokus wissenschaftlicher Expeditionen

[29. November 2023] Gestern Abend ist das Forschungsschiff Polarstern von Kapstadt aus zu einem besonderen Fahrtgebiet aufgebrochen: In der Ostantarktis stehen die Geschichte der Instabilität des dortigen Eisschildes und die Wechselwirkung mit der Ozeanzirkulation im Fokus zweier Expeditionen. Auf dem ersten etwa zweimonatigen Abschnitt unter Leitung des GEOMAR finden vor allem ozeanographische, geowissenschaftliche und biologische Arbeiten statt; der zweite wird von der Universität Kiel geleitet und hat einen geowissenschaftlichen Schwerpunkt, Forschende des Alfred-Wegener-Instituts sind an beiden Expeditionen beteiligt. Personalwechsel und Versorgung des Schiffes finden Anfang Februar in Hobart statt. Anlässlich dieses Erstanlaufs der Polarstern in einem australischen Hafen ist ein Austausch mit Vertretungen aus Wissenschaft und Politik geplant.

Der bis zu mehrere Kilometer dicke Eisschild der Ostantarktis speichert Wassermassen, die den Meeresspiegel auf Zeitskalen von Jahrhunderten um dutzende Meter ansteigen lassen können, wie in vergangenen Warmzeiten der Erdgeschichte bereits geschehen. Die Rückkopplungen zwischen Eis, Ozean und Atmosphäre sind in dieser riesigen und global bedeutenden Region jedoch noch zu wenig verstanden. Dieses fehlende Wissen resultiert in einer großen Unsicherheit darüber, mit welchem Tempo der Meeresspiegel im Zuge der menschengemachten globalen Erwärmung ansteigen könnte und wie sich die Fähigkeit des Südozeans verändert, Wärme und atmosphärisches Kohlendioxid (CO2) aufzunehmen. Um diese Unsicherheiten zu verringern, haben Fachleute mehrerer deutscher und internationaler Forschungsstandorte ein koordiniertes Programm entwickelt. Es besteht aus drei Polarstern-Expeditionen namens EASI-1, EASI-2 und EASI-3 (East Antarctic Ice Sheet Instabilities, Ostantarktische Eisschild-Instabilitäten). Die erste fand bereits Anfang 2022 unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar und Meeresforschung (AWI) statt. Die beiden nun startenden Ausfahrten unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) vervollständigen das geplante wissenschaftliche Programm.

„Das wohl herausragendste Merkmal der EASI-2 Expedition ist, dass wir moderne Beobachtungen aus der Wassersäule eng mit unserem Wissen über frühere Zustände der Zirkulation des Südlichen Ozeans verknüpfen“, erklärt Expeditionsleiter Dr. Marcus Gutjahr. Der GEOMAR-Geochemiker weiter: „Dafür vermessen und beproben wir den Ozean entlang zweier Transekte, mit einem besonderen Fokus auf ostantarktische Küstenabschnitte, die bisher vom menschengemachten Klimawandel wenig betroffen waren. Wir untersuchen eine Vielzahl chemischer und physikalischer Eigenschaften des Meerwassers im offenen Ozean und antarktischen Gewässern bis hin zur Eisschelfkante. Mehrere dieser Parameter wurden in diesem Teil des Südlichen Ozeans noch nie erfasst.“ An denselben Stationen nimmt das Geologie-Team bis zu 25 Meter lange Sedimentkerne vom Meeresboden. Durch die Verknüpfung der Analysen der heutigen Meerwassereigenschaften mit Informationen, welche aus Sedimenten gewonnen werden können, erwartet das Team einen grundlegenden Einblick in die regionalen Umweltbedingungen vergangener Warm- und Kaltzeiten.

„Aus den marinen Sedimentkernen können wir Fragen zur Klima- und Meereisdynamik im Pleistozän beantworten – also bis zu 2,5 Millionen Jahre zurück in der Erdgeschichte“, sagt Vivian Sinnen. Die AWI-Doktorandin wird erstmals an einer Polarstern-Expedition in die Antarktis teilnehmen und ist Teil des Teams Marine Geologie, das beispielsweise aus biogeochemischen Merkmalen der Skelette von Kieselalgen (Diatomeen) Rückschlüsse auf die Temperaturen oder die Meereisausdehnung in der Vergangenheit zieht. Zum Geologie-Team gehört ebenfalls Dr. Lester Lembke-Jene. Er erläutert: „Diese Sedimente stellen eines der wichtigsten Klima-Archive dar, um Phasen natürlicher vergangener Klima-Erwärmungen im Südlichen Ozean zu rekonstruieren und die damit verbundenen Prozesse besser zu verstehen. Hierbei interessieren uns vor allem die mit diesen Wechseln eng verknüpften, tiefgreifenden physikalischen und biogeochemischen Veränderungen in den ozeanischen Frontensytemen und dem Antarktischen Zirkumpolarstrom, der größten Meeresströmung im Weltozean.“ Das Untersuchungsgebiet agiert als eine zentrale Schnittstelle für den Gas- und Wärmeaustausch zwischen dem tiefen Ozean und der Atmosphäre seit mehr als 30 Millionen Jahren, heute gehört sie u.a. zu den wichtigsten natürlichen Senken für anthropogene Treibhausgase und Wärme.

Die EASI-3-Expedition setzt den Schwerpunkt auf die Erfassung glazialer Strukturen auf dem Schelf und dem Kontinentalhang, zum Beispiel die fossilen Schleifspuren von Eismassen auf dem Meeresboden. Mit geophysikalischen Messungen können die Forschenden um Fahrtleiter Prof. Dr. Sebastian Krastel vom Institut für Geowissenschaften der CAU dabei noch weiter in die Erdgeschichte zurückblicken. Der Geophysiker erläutert: „Durch eine Kombination unterschiedlicher geophysikalische Systeme der Uni Kiel, des AWI und australischer Kolleginnen und Kollegen können wir Untergrundstrukturen in unterschiedlichen Tiefen mit bestmöglicher Auflösung abbilden. So können wir bis zu 1000 Meter in den Meeresboden hineinschauen und charakteristische Strukturen identifizieren, die es uns ermöglichen, verschiedene Zustände der Eisschilde in der Vergangenheit zu rekonstruieren.“ Basierend auf den geophysikalischen Messungen werden auch umfassende marin-geologische Arbeiten während der EASI-3-Expedition stattfinden. „Aus dem Arbeitsgebiet gibt es bisher sehr wenige Informationen zu den möglichen Steuerungsmechanismen von Eis-Instabilitäten, obwohl davon auszugehen ist, dass diese Region besonders sensitiv gegenüber dem zukünftigen Klimawandel reagieren wird. Das macht unsere disziplinübergreifenden Arbeiten so wertvoll, erläutert Prof. Dr. Julia Gottschalk von der Uni Kiel.

Die marinen Arbeiten auf beiden Expeditionen werden durch landgestützte Arbeiten eines internationalen Forschungsteams der Universität Köln, der Technischen Universität Dresden, sowie australischen KollegInnen abgerundet. So erlangen die Forschenden einen lückenlosen Anschluss an den antarktischen Kontinent.

Mit frischen Eindrücken von See oder Vorfreude auf die anstehende Expedition treffen einige der Polarstern-Expeditionsteilnehmenden Anfang Februar 2024 auf Kolleginnen und Kollegen aus der australischen Forschung. Im tasmanischen Hobart wird es im Rahmen eines feierlichen Empfangs einen Austausch mit wissenschaftlichen Institutionen und politischen Interessensvertretungen anlässlich des ersten Hafenanlaufs des Flaggschiffs der deutschen Polarforschung in Australien geben. Nach einem Zwischenstopp in Südafrika macht sich die Polarstern dann auf den Rücktransit und wird Mitte Mai in ihrem Heimathafen Bremerhaven zurückerwartet.

Die EASI-Expeditionen sind Teil der Programmorientierten Förderung (PoF) der Helmholtz-Gemeinschaft im Forschungsprogramm „Changing Earth – Sustaining our Future“, an dem AWI und GEOMAR beteiligt sind. Für die CAU liefern die Expeditionen wichtige Impulse für die Forschung innerhalb des universitären Forschungsschwerpunktes Kiel Marine Science (KMS). Die Forschenden werden u.a. über das Schwerpunktprogramm „Antarktisforschung“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim AWI.

Hälfte der Meeresschutzgebiete muss nutzungsfrei werden

Trottellumme in der Nordsee bei Helgoland

© A.Savin / Wikimedia Commons

Pressemitteilung, 16.11.2023, NABU

Die Hälfte der Meeresschutzgebiete muss nutzungsfrei werden

Strenger Schutz in Nord- und Ostsee: NABU macht Vorschlag, wie Artensterben und Lebensraumverlust aufgehalten werden kann

Berlin – Der NABU hat am 16. November den Umweltpolitikern der Ampel-Koalition und dem Meeresbeauftragten der Bundesregierung eigene Vorschläge für streng geschützte Flächen in den Meeresschutzgebieten der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) in der deutschen Nord- und Ostsee vorgestellt. Dazu hat sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag verpflichtet. Der Verband fordert, mehr als 50 Prozent der Schutzgebiete noch in dieser Legislatur frei von Fischerei, Schifffahrt und Rohstoffabbau zu stellen.

NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger: „Zwei Jahre nach ihrem Antritt muss die Bundesregierung die versprochene Meeresoffensive liefern. Die Naturkrise in Nord- und Ostsee lässt uns keine Zeit. Die jüngsten Zustandsberichte unserer Meere sind dramatisch. Ein Drittel der Arten steht auf der roten Liste. Mit unseren Karten für nutzungsfreie Flächen liegt ein Entwurf auf dem Tisch, mit dem Deutschland den Verpflichtungen der EU-Biodiversitätsstrategie gerecht werden und eine europäische Vorreiterrolle einnehmen kann.

Die europäische Biodiversitätsstrategie fordert, dass 30 Prozent der Land- und Meeresfläche geschützt werden, ein Drittel davon streng. Im Koalitionsvertrag steht, dass zehn Prozent der deutschen AWZ frei von schädlichen Nutzungen sein müssen. Doch heute findet auch in Meeresschutzgebieten noch Grundschleppnetzfischerei statt, werden Sand und Kies abgebaut, führen Schifffahrtslinien hindurch. „Dort wo wir wertvolle Riffe haben, Schweinswale ihre Jungen zur Welt bringen, Seevögel Nahrung finden und die Biodiversität am größten ist, muss die industrielle Nutzung aufhören. Wir brauchen streng geschützte Flächen, um Artensterben und Lebensraumverluste vor unserer Küste zu stoppen“, fordert NABU-Meeresexperte Kim Detloff.

Die Vorschläge des NABU decken etwas mehr als die Hälfte der Meeresschutzgebiete in der der deutschen AWZ ab, das entspricht knapp 15 Prozent der AWZ der Nordsee und etwas mehr als acht Prozent der AWZ der Ostsee. Erstmals wird damit der Begriff „strenger Schutz“ greifbar, es werden konkrete Flächen beschrieben und notwendige Maßnahmen definiert. Unterstützt wird Deutschlands größter Naturschutzverband in seiner Forderung von mehr als 40.000 Menschen, die einen offenen Brief an Bundeskanzler Scholz unterzeichnet haben. „Wir appellieren an die Mitglieder des deutschen Bundestags und den Bundeskanzler persönlich, dem Bundesumweltministerium zu helfen, ambitionierte Flächenvorschläge zu entwickeln und umzusetzen. Die Natur kann nicht warten, und nirgendwo liegen Natur- und Klimaschutz so nah wie im Meer“, so Krüger.

Hintergrund:

Für seine Gebietsvorschläge hat der NABU aktuelle Monitoring-Daten von mehr als 20 geschützten Arten und Lebensräumen – darunter Riffe, Sandbänke und Schlickgründe, Schweinswale, Seetaucher, Trottellummen, Eisenten und weitere Meeresvögel – analysiert und die Flächen mit der größten Artendichte und ökologischen Funktion definiert. Dazu gehören 54 Prozent der Schutzgebiete in der AWZ der Nordsee (das entspricht 14,6 Prozent der AWZ und 10,1 Prozent der gesamten deutschen Nordsee). In der Ostsee sollen 52,3 Prozent der AWZ-Schutzgebiete streng geschützt werden (das entspricht 29,2 Prozent der AWZ und 8,4 Prozent der gesamten deutschen Ostsee). Diese Flächen gilt es besonders zu schützen. Nach Überzeugung des NABU braucht es hier neben völlig ungestörten Bereichen, sogenannten Nullnutzungsgebieten, auch zeitliche Schutz- und Zonierungskonzepte für die deutschen Meeresschutzgebiete in der AWZ und auch im Küstenmeer unter Verantwortung der Bundesländer. Einen wichtigen Beitrag könnte hier ein Nationalpark Ostsee leisten.

Erst Ende Oktober hat das Regionalabkommen HELCOM (Helsinki-Konvention) zum dritten Mal einen Bericht über den ökologischen Zustand der Ostsee (HOLAS III) veröffentlicht, nur sechs Wochen nach dem Quality Status Report des OSPAR-Übereinkommens zum Schutz der Nordsee und des Nordostatlantiks. Dabei haben die Mitgliedsstaaten der Konventionen im Vorfeld Analysen zur Biodiversität, Eutrophierung, Schadstoffeinträgen, Nutzungsdruck sowie wirtschaftlichen und sozialen Aspekten vorgenommen. Das Ergebnis ist alarmierend. Nahezu sämtliche Fisch- und Vogelarten sowie Meeressäugetiere sind weiterhin bedroht oder werden stark beeinträchtigt; ihre Lebensräume werden gestört oder gehen ganz verloren.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim NABU.

Über die Wolken

Holzstich eines Segelschiffs vor dramatischen Wolken, die die Sonne dahnter verdecken

Cloud to Starboard /@ Wikimedia Commons

Wie man sie macht und ob man es lieber lassen sollte

Ein Gastbeitrag von Nico Czaja

Es folgt ein langer Text – wer nur sehr wenig Zeit hat, kann stattdessen dieses Filmchen sehen, das die wesentlichen Aspekte kurz und knapp auf den Punkt bringt:  Should we reflect sunlight to cool the planet?

Grafik, die die durchschnittlichen Tagestemperaturen der Meeresoberfläche im Nordostatlantik pro Monat zeigt, farblich aufgeschlüsselt nach Jahrzehnten. Die schwarze Linie, die extrem nach oben ausschlägt, geht bis Juni 2023.

Tägliche Meeresoberflächentemperaturenanomalien / @Copernicus Climate Change Service/ECMWF

Ich weiß nicht, wie repräsentativ wir sind (vermutlich nicht allzu sehr), aber ich und die Leute, mit denen ich eine Blase teile, haben dieses Bild in den letzten Wochen und Monaten sehr oft in unseren Feeds und Streams und News auftauchen sehen.
Das Geschrabbel sind die durchschnittlichen Tagestemperaturen der Meeresoberfläche im Nordostatlantik pro Monat, farblich aufgeschlüsselt nach Jahrzehnten. Die schwarze Linie ist jetzt. Auch der Laie erkennt schnell: Hier stimmt wohl etwas nicht.

Das ist für sich genommen nichts Neues, in Sachen Klima und Temperaturen und Wetter und Weltzustand im Allgemeinen stimmt dieser Tage immer und überall so einiges nicht, und natürlich wird der Ozean ständig wärmer – wir erinnern uns, der anthropogene Klimawandel existiert. Zusätzlich war wegen El Niño tatsächlich ein stärkerer Anstieg erwartet worden – aber das Ausmaß, in dem hier etwas nicht stimmt, hat selbst diejenigen Menschen überrascht, die diese Zahlen professionell beobachten:

Der Atlantik hat dieses Jahr einen Temperaturrekord aufgestellt, der, wäre er ein olympischer Läufer, augenblicklich Dopingkontrollen nach sich gezogen hätte. Einer der wesentlichen Gründe für diesen Ausreißer ist selbst ein Ausreißer: Ein großer Teil dieser Rekorderwärmung (neben unter anderem El Niño) geht allem Anschein nach darauf zurück, dass wir ausnahmsweise in Sachen Umweltschutz etwas sehr richtig gemacht haben.

Bis vor kurzem sind Seeschiffe mit dem elendsten, dreckigsten Treibstoff gefahren, der auf der Welt zu haben ist: Hochgradig mit Schadstoffen, vor allem mit Schwefel belastetes Schweröl, ein Reststoff aus dem Raffinerieprozess, den niemand anderes haben wollte, rein in den Tank, ist so schön billig. Erlaubt war ein Schwefelgehalt von bis zu 3,5% – das ist 3500 mal so viel wie beim regulären Diesel. Dieser Schwefel landet beim Verbrennen in der Luft, und damit früher oder später in deiner und meiner Lunge (Lungenkrebs, Herzkreislauferkrankungen) und in Böden und Gewässern (Versauerung).

Aber wir können aufatmen (ha!), denn seit dem 1.1.2020 gilt für alle Seeschiffe weltweit per Vorgabe der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (International Maritime Organization – IMO), der mehr als 170 Staaten angehören: Der Schwefelanteil des Kraftstoffs darf nur noch 0,5 Prozent betragen. Damit ist die Schwefelverschmutzung durch die Schifffahrt um 80% zurückgegangen, was zu einer Verbesserung der Luftqualität in der ganzen Welt geführt hat. Ein schöner Erfolg!

Und dann atmen wir wieder ab.

Denn Schwefel ist nicht nur ein Gift, das niemand atmen müssen sollte. Schwefel, wenn man ihn in feinen Partikeln in die Luft bläst, ist auch sowas wie Sonnencreme für den Planeten. Schwefelpartikel unterstützen die charakteristische tiefliegende Wolkenbildung, die den Schiffen übers Meer folgt (das sieht so aus). Und diese Wolken reflektieren Sonnenlicht und kühlen so den Planeten – bzw. kühlten. Bis vor drei Jahren.

Dass diese Verringerung der Wolkenbildung durch den Wegfall von Schwefel im Schiffssprit zu einer schnelleren Erwärmung der betreffenden Regionen führen könnte, hat man wohl in der Wissenschaft schon auf dem Schirm gehabt, allerdings ist das Ausmaß wesentlich größer als erwartet, wie einige neue Studien zeigen: Im Atlantik, in den Schifffahrtskorridoren, wo der Seeverkehr besonders dicht ist, führt das Mehr an Sonneneinstrahlung durch den Wegfall der Wolken dazu, dass unsere CO2-Emissionen plötzlich eine um 50% stärkere Aufheizungswirkung haben. Und das holt uns jetzt ein, und zwar mit Macht. Die Folgen – als da wären: stärkere Stürme, Fischsterben, Korallensterben, stark erhöhtes Wachstum schädlicher Algenpopulationen und Anstieg des Meeresspiegels (also eigentlich genau wie Klimawandel, nur halt schneller, schlimmer und früher als gedacht) – dieser Rekord-Badewannentemperaturen des Ozeans sind verheerend.

In dieser Geschichte steckt viel drin, das Stück für Stück ausgepackt und eingeordnet werden will.

Die erschütternde Erkenntnis, dass der tatsächliche Zustand des Ozeans eine ganze Ecke schlechter ist, als man bisher dachte, weil ein Schwefel-Schleier das Ausmaß der Erwärmung verhüllt hat, ist das eine.

Die Tatsache, dass die Menschheit, einfach, indem sie dreckige Schiffe übers Meer geschickt hat, wie man es halt so macht, quasi versehentlich ein über viele Jahre andauerndes, gigantisches Geo-Engineering-Experiment durchgeführt hat, ist das andere. Ersteres ist eine wirklich, wirklich schlechte Nachricht; letzteres könnte, wenn man ordentlich guten Willen und Optimismus mitbringt, ein ganz schmales silver lining dieser finsteren Wolke sein. Warum? Ich bitte um Geduld, wir müssen zuerst einen großzügigen Bogen schlagen.

Was ist Geo-Engineering?

Um einmal klarzuhaben, worüber wir hier eigentlich sprechen: Geo- (oder Climate) Engineering sind großangelegte, vorsätzliche Eingriffe in Erdsysteme (eine gute Übersichtsgrafik findet ihr bei Carbon Brief), in den allermeisten Fällen mit dem Ziel der Abmilderung der menschengemachten Erderwärmung. (Wenn man das Element der Vorsätzlichkeit nur ein bisschen außer Acht lässt, drängt sich natürlich sehr schnell die Erkenntnis auf, dass wir durch das exzessive Verbrennen von Kram schon seit ungefähr 150 Jahren eine ganz besonders dämliche Form von Geo-Engineering betreiben, mit zunehmendem “Erfolg”.)

Unterschieden wird dabei zwischen zwei Ansätzen, selbstverständlich mit zugehörigen kryptischen Kürzeln: Carbon Dioxide Removal (CDR), also die Entnahme und Einlagerung oder Wiederverwendung von CO2 aus der Atmosphäre, und Solar Radiation Management (SRM), also die Manipulation der Sonneneinstrahlung.

CDR kann mit technologischen Mitteln betrieben werden – mit gigantischen Staubsaugern zum Beispiel, die das CO2 aus der Luft filtern – oder mit Aufbau und Schutz natürlicher CO2-Senken (zum Beispiel Moore, Wäldern, Seegraswiesen, Mangroven, Salzmarschen). Zu Chancen und Risiken beider Varianten habe ich beim letzten Mal geschrieben, auch dazu, dass wir ganz ohne solche Eingriffe das 1,5°-Ziel wohl nicht mehr werden erreichen können. [Spoiler: Eine gerade mit großem Brimborium und für viel Geld in den USA eröffnete Anlage wird pro Jahr 1000 Tonnen CO2 aus der Atmosphäre filtern, das entspricht den Emissionen von ungefähr drei Flugzeugen mit 250 Passagieren von Washington nach San Francisco und zurück. Die Anlage wird also vermutlich die ersten 20 Jahre ihrer Existenz damit verbringen, allein die Emissionen der zur Eröffnung eingeflogenen Würdenträger zu kompensieren und dabei jährlich erneuerbare Energie für mehrere hundert Haushalte verbrauchen, die angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise anderswo besser, also wirksamer für die Reduktion von Emissionen aufgehoben wäre. In Haushalten zum Beispiel.
Zum Vergleich: Für eine Einsparung von 1000 Tonnen CO2 pro Jahr mit natürlichen Methoden brauchen wir lediglich 100 Hektar wiedervernässtes Moor, und die positiven Auswirkungen auf Ökosysteme und Artenschutz bekommen wir gratis mit dazu.]

Kontrovers diskutiert wird hier inzwischen lediglich die Effizienz der verwendeten Technologien, nicht so sehr die Sinnhaftigkeit des Ansatzes an sich.

Und auch wenn die Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre nahtlos in die gängige Definition von Geo-Engineering passt, nennt es kaum noch jemand so, nicht zuletzt, um nicht mit seiner wesentlich umstrittenen Form, dem Solar Radiation Management, in einen Topf geworfen zu werden.

Beim SRM geht es in den meisten Fällen um das Einbringen von Partikeln in die Atmosphäre, die die Reflektivität des Planeten erhöhen, so dass weniger Sonnenstrahlung und damit weniger Wärme bei uns ankommt. Dass das funktioniert (der Begriff “Funktionieren” sei hier bitte mit sehr spitzen kognitiven Fingern angefasst),  wissen wir aus der Natur. Sehr prominent und eindrucksvoll ist hier das Beispiel des Mount Pinatubo auf den Philippinen, der in seiner Eigenschaft als aktiver Vulkan im Sommer 1991 bei einem massiven Ausbruch um die 20 Millionen Tonnen Schwefeldioxid in den Himmel spuckte, das sich dort mit Wasser zu reflektierenden Schwefelsäure-Aerosolen verband, die sich rund um die Welt verteilten – und damit die globale Durchschnittstemperatur für zwei Jahre um ungefähr 0,5°C senkte. Zwar haben wir für weiter zurückliegende Ausbrüche lang nicht so gute Daten, aber dass sie in der Vergangenheit ähnlich weitreichende Effekte hatten, wissen wir: So führte die gewaltige Eruption des Tambora in Indonesien 1815 nicht nur zum düsteren sogenannten “Jahr ohne Sommer” 1816, sondern wohl auch zur Erfindung von Frankenstein und seinem Monster, hatte also auch viel Gutes.

Wenn ich im Folgenden von Geo-Engineering spreche, dann meine ich damit diese populärste und umstrittenste Form.

Ja aber wieso und inwiefern umstritten, klingt doch erstmal vielversprechend?

Bitte einmal kurz den Text hier liegen lassen, zwei Romane lesen und dann wiederkommen, nämlich Das Ministerium für die Zukunft von Kim Stanley Robinson, in dem in einer sehr nahen Zukunft Indien auf eigene Faust ein Solar-Geoengineering-Projekt beginnt, um apokalyptische Hitzewellen abzumildern; und Termination Shock von Neal Stephenson, in dem in einer sehr nahen Zukunft Indien ein auf eigene Faust unternommenes Solar-Geoengineering-Projekt in Texas sabotiert, weil es den Monsun in Südostasien durcheinanderbringt und damit die dortige Nahrungssicherheit bedroht.

Vielleicht auch noch Blue Skies von T.C. Boyle, in dem in einer sehr naher Zukunft jemand auf den Philippinen, aber nee, das verrate ich jetzt hier nicht, weil das ist erst ganz am Ende, aber auch eine absolut fantastische Lektüre.

Wieder da? Gut. Dann sind wir jetzt ungefähr auf demselben Stand. Nicht gelesen und trotzdem noch hier? Was will man machen, dann versuche ich es, um des lieben Friedens willen, einmal zusammenzufassen, auch wenn die Literatur der Sache ergreifender, mitreißender, gründlicher und eindrücklicher gerecht wird, als ich es hier liefern kann.

1. Die fossile Lobby liebt diesen Trick

Genauso wie sie die weiter oben beschriebenen CO2-Staubsauger liebt. Und andere unausgereifte Zukunftstechnologien, die man im Diskurs verwenden kann, um den Ausstieg aus der Verbrennerei zu verzögern. Wir können ja mit dieser oder jener Wundermaschine, die es noch nicht gibt, die schädlichen Auswirkungen der fortgesetzten Sachenverbrennerei einfach wieder einfangen!

Die Sorge, dass eine prominentere Rolle für Geo-Engineering in den Klimaplänen der Welt dazu führen könnte, dass unter dem Einfluss der geschickten und absurd gut finanzierten Propaganda der fossilen Lobby zu viele Menschen an entscheidenden Stellen das Narrativ von der Weltrettung durch Aerosole statt durch Dekarbonisierung glauben und weitertragen könnten, ist sicher nicht unbegründet. Wir sehen den Erfolg solcher Verzögerungs- und Ablenkungskampagnen, die immer wieder aufs neue dringend nötige Aufmerksamkeit und Ressourcen von dringend nötigen transformatorischen Maßnahmen abziehen und die ungestörte Fortsetzung des Status Quo befördern,  ja leider schon jetzt täglich.

Das ist ein durchaus berechtigtes Argument, das häufig gegen die Beschäftigung mit Geo-Engineering ins Feld geführt wird – aber wenn ihr diesen Punkt schon gewichtig findet, dann wartet mal ab. Denn selbstverständlich beginne ich als gewiefter Dramatiker am unteren Ende der argumentativen Leiter.

2. Die Folgen sind unberechenbar

Wir sind weit davon entfernt, die Konsequenzen solcher Eingriffe für das Weltklima vorhersagen zu können, und sie könnten drastisch sein. Die Verteilung von Sonnenenergie um den Planeten herum über die Jahreszeiten hinweg bestimmt das weltweite Wettergeschehen. Die Reduktion von Sonneneinstrahlung in einer Region hätte Einfluss darauf, wie Atmosphäre und Meere Energie aus den Tropen zu den Polen bewegen. Welchen? Wissen wir nicht. Ihr kennt die Geschichte vom Schmetterling, dessen Flügelschlag usw. usf.? Es ist genau diese Empfindlichkeit und Unberechenbarkeit von Wettersystemen, zu deren Veranschaulichung der Begriff “Schmetterlingseffekt” erfunden wurde.

Der massive Einsatz von Aerosolen zum Aufhellen oder Herstellen von Wolken zum Beispiel mag für das Absenken der globalen Durchschnittstemperatur geeignet sein, aber Durchschnitte sind tückisch und verschleiern Unterschiede, die in diesem Fall fatal sein könnten. Dass die Konsequenzen eines solchen Eingriffs weltweit ungleich verteilt wären, ist in der Forschung unbestritten. Was, wenn es “uns” nützt, aber zu Entwaldung in Südamerika führt, oder den Monsun im Punjab ruiniert, Ernten vernichtet und Hungersnöte auslöst? Ist es akzeptabel, die Welt im Durchschnitt abzukühlen (lies: im klimatisch milden und wirtschaftlich besser situierten Teil der Welt, dessen Mittel ihn zum wahrscheinlichsten Kandidaten und Nutznießer für ein solches Projekt machen), wenn es in weniger einflussreichen, extremeren Wettern ausgesetzten und schlechter darauf vorbereiteten Gegenden zu Verwerfungen führt? (Denjenigen, denen das zu abstrakt klingt, seien ein weiteres Mal die oben erwähnten Lektüreanregungen ans Herz gelegt.)

Wer großangelegtes Geo-Engineering betreibt, um die eigenen Interessen vor den Konsequenzen des Klimawandels zu schützen, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit die Konsequenzen des Klimawandels für andere verschärfen.

3. Anfangen ist leicht, aufhören ist gefährlich

Weniger Sonneneinstrahlung durch Geo-Engineering bedeutet nicht weniger Versauerung der Meere – im Gegenteil kann es je nach gewählter Methode diese Probleme noch verschärfen: Schwefel, ein populärer Kandidat für die Verwendung als Aerosol und ein Schadstoff, kann in der Atmosphäre sowohl die Ozonschicht schädigen als auch für sauren Regen sorgen.

Auch ändern diese Verfahren nichts an den Umwelt- und Gesundheitsschäden, die durch den fortgesetzten Abbau und die Verbrennung fossilen Materials entstehen. Geo-Engineering ist – bestenfalls – wie ein Aspirin, das man nimmt, wenn uns ein Hai den Arm abgebissen hat (wer kennt es nicht): Eine verzweifelte Notfallmaßnahme, die uns vielleicht dabei helfen kann, es doch noch ins Krankenhaus zu schaffen.

Vor allem ändert Geo-Engineering nichts an der Menge der Treibhausgase, die sich bereits in der Atmosphäre befinden. Und vor ihrer Wirkung, und das ist der Knackpunkt, schützt es uns nur, solange wir ununterbrochen damit weitermachen. Selbst der Pinatubo-Ausbruch hat es nur für ein oder zwei Jahre geschafft, den Planeten zu kühlen; wir müssten über mehrere Generationen hinweg ständig weitere Partikel in die Atmosphäre blasen, die damit verbundenen Kosten tragen und die dafür notwendige technologische Infrastruktur aufrechterhalten, um von ihren Effekten zu profitieren, bis, ja, bis wann eigentlich? Idealerweise nicht nur, bis wir aufgehört haben, mehr Klimagase pro Zeit auszustoßen, als die Ökosysteme kompensieren können, sondern auch, bis wir so viel überschüssiges CO2 aus der Atmosphäre entnommen haben, dass das Weltklima sich genug normalisieren kann, um unsere Lebensgrundlagen auf sichere Füße zu stellen. Da können schonmal ein paar hundert Jahre zusammenkommen.

Und wenn wir innerhalb dieser Zeit, aus welchen Gründen auch immer (Ressourcenmangel, Unfälle, Terrorismus, politische Kursänderungen, Kriege, unvorhergesehene katastrophale Auswirkungen des Eingriffs, Doofheit…) unvermittelt aufhören sollten mit dem Aerosol-Nachschub, dann, so die Forschung, droht uns ein sogenannter Termination Shock. Man muss sich das wie einen Dammbruch vorstellen: Die gesamte Erderwärmung, die die Aerosole von uns ferngehalten haben, holt schlagartig auf, mit der vierfachen Geschwindigkeit (das ist die optimistische Zahl, andere sprechen von einer 10-30fachen Geschwindigkeit) , mit der sie ohne Einstrahlungsminderung vorangeschritten wäre – so schnell, dass selbst Ökosysteme, die bei “normalem” Klimawandel vielleicht noch eine Chance hätten, sich langsamer fortschreitenden Veränderungen an anzupassen, in kürzester Zeit endgültig zusammenbrechen könnten.

Fazit: Die Wette, dass die Menschheit in der Lage wäre, ein so gewaltiges Projekt über so lange Zeit aufrechtzuerhalten, ist gelinde gesagt eine gewagte, und der Einsatz ist gewaltig.

Aber sollen wir es jetzt machen oder nicht?

Die eine Frage ist die nach den Gefahren der Technologie, die ganz offenbar beträchtlich sind, aber ja nicht einer sicheren Welt ohne Geo-Engineering gegenüberstehen, sondern einer, in der andere, ebenfalls erdrückende Risiken täglich größer werden.

Je nach Optimismus- oder Verzweiflungsgrad mögen wir heute noch nicht an dem Punkt der Geschichte angekommen sein, an dem uns die ungewissen planetaren Risiken gezielter Eingriffe in superkomplexe Erdsysteme als das geringere Übel erscheinen gegenüber den zunehmend anschaulicher werdenden Risiken des Klima-Zusammenbruchs. Es wird geforscht, und das zunehmend. Und so gut wie niemand in der Wissenschaft findet Geo-Engineering geil. Keine der Studien, auf die ich in dieser Recherche gestoßen bin, schließt ohne die Feststellung, dass es unbedingt zuallererst um das Ende der Verbrennerei gehen muss, und dann erstmal darum, CO2 aus der Atmosphäre zu holen.

Aber während die einen sich zusammenschließen, um sich – mit durchaus nachvollziehbaren Argumenten – für ein internationales Forschungs- und Experimentationsmoratorium für alle riskanten Formen des Geo-Engineering einzusetzen, sagen andere: Wir wollen uns das jetzt gründlich anschauen, damit wir dieses Instrument im Regal haben für den Fall, dass wir die Kurve wirklich nicht kriegen und dann keine Zeit mehr haben.

Man muss kein Wahrsager sein, um sich auszumalen, dass mit jeder weiteren Flutkatastrophe, mit jedem weiteren Waldbrand, mit jedem weiteren Jahrhundertsturm (ich fürchte, wir müssen die umbenennen), mit jedem weiteren Lobbyerfolg der fossilen Industrie und jeder weiteren Verschleppung wichtiger politischer Weichenstellungen das letztere Lager wachsen wird.

Eine ganz andere Frage ist jedoch: Wer ist das “Wir”, das entscheidet, ob wir diese Risiken eingehen, bekannte und unbekannte? Und für wen entscheiden “wir” das mit?

Eine so riskante Technologie, die keine Staatsgrenzen kennt, wirft komplexe, vielleicht sogar unlösbare geopolitische Fragen auf. Wer redet mit? Und auf welches Ziel einigt man sich, wenn eine globale Durchschnittstemperatur von X auf unterschiedliche Nationen sehr unterschiedliche Auswirkungen haben wird? Und wenn “wir” – also ein wie immer gearteter demokratisch legitimierter internationaler Entscheidungsapparat, vielleicht irgendwas mit UNO – uns nicht einigen können: Was, wenn ein Staat oder gar ein Einzelmensch es im Alleingang tut? Die vermutlich planetar wirkungsvollste und zugleich umstrittenste Form von Geo-Engineering, die Injektion von Schwefelpartikeln in die Stratosphäre, ist technologisch lachhaft einfach und finanziell durchaus darstellbar: Es reicht, ein kleines bisschen superreich zu sein und die richtige Attitüde mitzubringen. Ein größenwahnsinniger Narzisst mit einer fixen Idee, zwei Luftballons voller Schwefel und einer ordentlichen Portion libertären Can-Do-Spirits mag noch kein Problem sein; dieselbe Gestalt mit ein paar Milliarden auf der Kante hingegen…

Welche Konflikte, welche Kriege stünden uns dann ins Haus, wenn diejenigen, die in einer anderen Ecke der Welt unter den Konsequenzen eines solchen Eingriffs leiden müssen, sich zur Wehr setzen?

JA JA ALLES SEHR SCHWIERIG, ABER SOLLEN WIR ES JETZT MACHEN ODER NICHT? BEANTWORTEN SIE DIE FRAGE!

Also eigentlich möglichst lieber nicht bitte. Ist das nicht klar geworden?

Aber.

Vielleicht erinnert ihr euch, es war glaub ich am letzten Mittwoch, da hab ich in dem Absatz da ganz oben von einem Bogen geschrieben, den ich schlagen wollte, und von einem silver lining. Denn: Wir haben bereits aus Versehen solares Geo-Engineering betrieben, über viele Jahre hinweg, und dann haben wir es plötzlich eingestellt, und dann haben wir einen Termination Shock erlebt – durch die zu Beginn beschriebene Entschwefelung der Schifffahrt. So unangenehm die Folgen sind, so wertvoll sind die Lektionen, die wir daraus noch lernen können.

Für die in PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America) erschienene Studie, die die Dramatik der Hitzewelle im Nordatlantik mit der Reduktion von Wolkenbildung durch Schiffsabgase in Verbindung bringt, haben die beteiligten Autoren mit KI-gestützten Methoden die Verläufe dieser Wolken aus zwanzig Jahren Satellitenaufnahmen isoliert und analysiert. Diese Daten werden noch extrem wertvoll sein, um die Auswirkungen von Geo-Engineering durch sogenanntes Marine Cloud Brightening – also die künstliche, lokal begrenzte Aufhellung von tiefliegenden Wolken über den Meeren –  besser zu verstehen. Umso mehr, weil wir uns hier in einem Forschungszweig befinden, der bisher nahezu ausschließlich auf Computermodelle für die Datengewinnung zurückgreifen konnte, weil aussagekräftige Experimente über die Auswirkung von Geo-Engineering nicht möglich sind ohne das Ausprobieren von tatsächlichem Geo-Engineering.

Eine andere interdisziplinäre Forschungsgruppe, die sich mit dem Erhalt des Great Barrier Reefs in Australien beschäftigt, verfolgt einen ähnlichen Ansatz wie den, den die internationale Schifffahrt versehentlich verfolgt hat – allerdings unter Verzicht auf die Verwendung des Umweltgiftes Schwefel als Aerosol: Mit Zerstäuberkanonen an Bord von Forschungsschiffen werden große Mengen Salzwasser in die Luft geschossen, dann verfolgt und analysiert. Wie bei Schwefelpartikeln auch bildet Wasser, das um die fliegenden Salzkristalle herum kondensiert, kleinere Tröpfchen als in handelsüblichen Wolken, und sorgt so für bessere Reflektionseigenschaften.

Beide Ansätze haben gemeinsam, dass sie, anders als größer angelegte Unternehmungen wie Vulkanausbrüche, schwefelspuckende Hochleistungsflugzeuge und Stratosphärenballons, in niedrigeren Luftschichten wirken, also die Stratosphäre unangetastet lassen und so weitestgehend auf klar bestimmbare Regionen begrenzt sind. Damit umgeht dieses Verfahren eines der größten Risiken des solaren Geo-Engineering, nämlich das der unkalkulierbaren Klimafolgen über Staatsgrenzen hinweg.

Die australischen Forschenden hoffen, bald den gesamten Bereich des Riffs, das etwa so groß ist wie Italien, in den heißesten Monaten des Jahres gezielt mit einem künstlichen Wolkenschleier vor den größten Hitzespitzen zu schützen. So wollen sie Zeit gewinnen, bis die Welt den Klimawandel besser in den Griff bekommt, damit sie eine Welt mit Great Barrier Reef bleiben kann – und das Risikoprofil des Eingriffs sieht im Vergleich zu einem globalen und dauerhaften Einsatz von Wolkenaufhellung sehr viel freundlicher aus. (Anschaulich erläutert in dieser Präsentation durch Daniel Harrison, einem der Leiter des Programms. In diesem Video erläutert er auch sehr schlüssig, warum es in diesem spezifischen Fall unbedingt Sinn macht, sich nicht allein auf Emissionsreduktion zu verlassen: Damit hätten wir im Hinblick auf den Schutz der Korallen Jahre früher anfangen müssen, es sieht schon jetzt ziemlich düster aus.)

Gönnen wir uns ganz zum Schluss also eine Prise Utopie.

Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation als globales Organ mit über 170 Mitgliedsstaaten hatte die Autorität und Legitimität, der Schifffahrt quasi über Nacht den Schwefelhahn zuzudrehen. Was, wenn sie ihnen im Austausch den Salzhahn aufdrehte?

Dann bekämen wir fast gratis eine weltweite Flotte von Wolkenschiffen, die in den Schifffahrtskorridoren behutsam und zeitlich und lokal begrenzt einen Wolkenschirm aufspannen helfen könnten über besonders bedrohten, besonders überhitzten Seeregionen. Natürlich müsste es dafür einen koordinierende Stelle geben, die in Sachen Governance und Risikomanagement ähnlich vorbildlich ist wie das beschriebene Reef Restoration and Adaptation Program.

Dass es dabei nicht darum gehen kann und darf, in großem Stil die globale Durchschnittstemperatur zu senken, sollte allen klar sein, die diesem Text bis hierher gefolgt sind. Aber wenn es uns so gelänge, zumindest den Kühlungseffekt der verschwundenen Schwefelwolken wiederherzustellen und so etlichen marinen Ökosystemen zumindest eine zweite Chance zu geben, es auf die andere Seite zu schaffen, in die dekarbonisierte, gesündere, lebenswertere Welt (ein kleiner Einblick, wie die aussehen könnte in der Infothek für Realutopien), die ganz sicher irgendwo da draußen auf uns wartet, dann wäre schon sehr viel gewonnen.

Foraminiferen in versauernden Meeren

Mikroskopische Bilder von Foraminiferen

© Charrieau et al. 2018

Wissenschaft fürs Wohnzimmer: Wie kann man im Meer leben, wenn es sauer wird?

Foraminiferen sind faszinierende Einzeller, die auf den Meeresböden der ganzen Welt leben und eine entscheidende Rolle für das Ökosystem Meer spielen – das wusste auch unser Gründer Onno Groß, der über Tiefseeforaminiferen promovierte. Da sie eine Kalkschale tragen, sind sie akut durch die Ozeanversauerung gefährdet: Die Abbildung zeigt die verschiedenen Auflösungsgrade der Art Elphidium crispum. Dr. Laurie M. Charrieau, Marine Geologin am Alfred-Wegener-Institut, nimmt uns in Folge 138 von Wissenschaft fürs Wohnzimmer mit auf eine Reise durch die Ozeane der Welt und erklärt, wie Foraminiferen mit dem Klimawandel und zunehmend saureren Meeren zurechtkommen. Antonia Ahme, die auch zu unserem DEEPWAVE-Team gehört, und ihre Kolleginnen vom AWI moderieren anschließend eine Fragerunde.

Die Folge „Wie kann man im Meer leben, wenn es sauer wird?“ findet ihr bei Wissenschaft fürs Wohnzimmer. Hier berichten jeden zweiten Donnerstag 20:30 Uhr live auf YouTube Wissenschaftler:innen des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) und Gäste anderer Institutionen in lockerer Atmosphäre über ihre aktuelle, waschechte und klimarelevante Forschung.

Unser Gründer Onno Groß hat im Jahr 1998 eine Doktorarbeit zum Thema „Untersuchungen zur Autökologie, Wanderung und Bioturbation lebender benthischer Tiefsee-Foraminiferen (Protozoa)“ veröffentlicht.

Wie Wissenschaftler:innen mit Hilfe von Foraminiferen vergangene Klimabedingungen auf der Erde rekonstruieren, könnt ihr euch in der kurzen Dokumentation „A Foram’s Tale“ von ScienceMedia angucken.

Wissenschaftler:innen haben außerdem die Artenvielfalt von Foraminiferen in den Tiefseegräben der Clarion-Clipperton-Zone (CCZ) (tiefer als 4000 Meter) untersucht und über 100 Arten fotografiert, genetisch sequenziert und viele bisher unbekannte Arten entdeckt.

Die Abbildung findet ihr in der Veröffentlichung „Decalcification and survival of benthic foraminifera under the combined impacts of varying pH and salinity“ von Dr. Laurie M. Charrieau: Charrieau, L. M., Filipsson, H. L., Nagai, Y., Kawada, S., Ljung, K., Kritzberg, E., & Toyofuku, T. (2018): Decalcification and survival of benthic foraminifera under the combined impacts of varying pH and salinity. Marine environmental research138, 36-45.

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