Klima

Meeresschutz ist Klimaschutz.

CCS-Gesetz: Mit der Ampel in den Klima-Jurassic Park

CCS-Gesetz: Nahaufnahme von Dinoskelettspielfiguren. Im Zentrum steht ein T-Rex mit aufgerissenem Maul. Alles ist von Sand und Nebel umgeben

© Engin Akyurt / Unsplash

Pressemitteilung, BUND, 29.05.2024

Zum Beschluss der Novelle des CCS-Gesetzes (KSpG) erklärt Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND):

„Heute knallen die Korken bei Shell, Exxon, Wintershall DEA, Equinor und Co: Die Koalition serviert ihnen mit dem heutigen Beschluss des CCS-Gesetzes ein flächendeckendes Kohlendioxid-Pipelinenetz und Klimamülldeponien unter dem Meer und an Land. So können Kraftwerke und die großen Industriekonzerne auch über 2045 hinaus Erdgas und Erdöl einsetzen. Genau dafür lobbyieren die internationalen Petrostaaten und -konzerne seit vielen Jahren. Der Beschluss der Ampel bestätigt ihren Erfolg. Die Energiewende wird ausgehebelt. Der Ausstieg aus den fossilen Energien, für den sich Deutschland noch auf der Weltklimakonferenz stark eingesetzt hat, ist plötzlich massiv gefährdet.

Ausgerechnet die klimazerstörende Gasindustrie wird im neuen CCS-Gesetz ermächtigt, im ganzen Land eine invasive Kohlendioxid-Entsorgungsinfrastruktur zu errichten. Die Nordsee, das Weltnaturerbe Wattenmeer sowie Wälder, Moore und Wiesen sind von neuer Industrialisierung bedroht. Dabei ist CCS eine gefährliche Scheinlösung, ein Bluff aus der Trickkiste der internationalen Öl- und Gaskonzerne, um den Ausstieg aus fossilen Energien und echte Lösungen zu verhindern. Mit CCS werden die Klimaziele unerreichbar.

Aus Sicht des BUND muss die Industrie ihre Verfahren elektrifzieren oder auf grünen Wasserstoff umstellen. In der Strom- und in der Wärmeerzeugung brauchen wir die Umstellung auf 100% Erneuerbare. Gleichzeitig müssen die Müllmengen reduziert und alternative Baustoffe entwickelt werden statt den Planeten mit immer mehr fossilem Plastik und Betonwüsten zu belasten.

Der BUND wird die besorgniserregende Entwicklung sowie die Entscheidungen des Gesetzgebers beobachten. Wir behalten uns weitere Schritte vor.“

Hintergrund

Der BUND kritisiert…

  • die Bundesregierung dafür, dass sie den Paradigmenwechsel der CO2-Deponierung statt CO2-Reduktion trotz aller Evidenz vollzieht, dass in den entscheidenden kommenden Dekaden mit CCS kein mengenmäßig relevanter Beitrag zu den Klimazielen möglich ist
  • dass im Gesetzesentwurf eine vollumfängliche Deregulierung von CCS umgesetzt wird. Alle Industriekunden können demnach einen Anschluss an die CO2-Pipeline haben. Womöglich wird sogar ein Anspruch darauf konstruiert („ein Netz das … grundsätzlich für die Versorgung jedes Kunden offensteht “ – KSpG, §3 Nr.5b). Der Import und Transit von CO2 aus jeglicher Quelle, auch aus der Kohleverstromung anderer Staaten, wird ermöglicht.
  • die Einigung der Bundesregierung scharf, CCS für Gaskraftwerke sowie für die Energieerzeugung z.B. in der chemischen Industrie ermöglichen zu wollen. Die Abhängigkeit von fossilen Brenn- und Rohstoffen wird dadurch zementiert. So wird der Gasausstieg massiv gefährdet, die Energiewende ausgebremst.
  • dass die Einstufung von Emissionen aus der Müllverbrennung als unvermeidbar eingestuft werden. Der BUND warnt, dass mit CCS für Bioenergie (BECCS) der Verwertungsdruck auf Wälder durch Holzverbrennung im industriellen Maßstab unkalkulierbar erhöht würde.
  • dass CO2-Leitungen fälschlich ein öffentliches Interesse zuerkannt wir (z.B. für Enteignungen)  und die in der Novelle angelegte Beschneidung von Beteiligungs- und Klagerechten.
  • die inadequaten Sicherheitsregeln für CO2-Transportleitungen. Die Bevölkerung in USA protestiert bereits erfolgreich gegen solche Kohlendioxid-Leitungen.
  • den Verzicht auf unabhängige Überwachung der CO2-Deponien und ungenügende Haftungsregeln. Faktisch bedeutet der Kabinettsbeschluss eine gravierende Lastenverschiebung auf künftige Generationen.
  • dass es ein massiv zerstörerischer Eingriff in die Natur mit unkalkulierbaren Folgen für marines Leben, Grundwasser und Klima ist, wenn Millionen oder gar Milliarden Tonnen CO2 mit Beimischungen aus Industrieabgasen in Meeresböden oder Gesteinsschichten an Land gepresst werden. Die geplante Ratifzierung der aus der Zeit gefallenen Beschneidung des Meeresschutzabkommens (London Protokoll) von 2009 für CCS ist falsch.

 

Diese Pressemitteilung findet ihr beim BUND.

Trotz des notwendigen Wandels hin zu erneuerbaren Energien setzen Ölkonzerne wie Shell und Exxon weiterhin auf fossile Ressourcen – und das mithilfe von CCS, einer Technik, die ihre Geschäftsmodelle künstlich am Leben erhält. Der BUND hat sich bereits 2022 entschieden gegen CCS ausgesprochen. Auch wir von DEEPWAVE kritisieren im Text „Unter die Erde kehren“ von unserem Gastautor Nico Czaja eindringlich, wie sehr diese vermeintliche „Lösung“ den dringend nötigen Ausstieg aus fossilen Energien behindert.

Jahrzehntelang vernachlässigter Meeresschutz rächt sich

Übernutzung: Offshore Windpark in der Nordsee vor der Küste Englands

© Nicholas Doherty | Unsplash

Pressemitteilung, 29.05.2024, Pressemitteilung NABU

Krüger: Weitere Übernutzung der Meere verstärkt Klima- und Biodiversitätskrise

Berlin – Das Bundeskabinett befasst sich heute mit der Änderung des Kohlenstoffspeicherungs- und Transport-Gesetzes (KSPTG). Dies soll erstmals die Kohlenstoffspeicherung (CCS) auf dem Festlandsockel und der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) auf dem Meer sowie den internationalen Transport ermöglichen. Der NABU erkennt an, dass technische Lösungen beim Umgang mit unvermeidbaren Restemissionen eine Rolle spielen, warnt jedoch zugleich vor den ökologischen Folgen.

“Der Änderungsantrag zum KSPTG und die begleitende Carbon Management Strategie versäumen es, sich mit dem schon heute schlechten ökologischen Zustand unserer Meere und die mit dem Ausbau der CCS-Infrastruktur einhergehenden Risiken für die marine Biodiversität auseinanderzusetzen”, kritisiert NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger. “Das ist ein weiterer Schritt in Richtung ‘Industriepark Nordsee’, also einer zunehmenden Ausbeutung des Meeres als Rohstoffquelle, Deponie und Energiepark”.

Laut NABU hat es die aktuelle Bundesregierung verpasst, nutzungsfreie Zonen in Meeresschutzgebieten zu etablieren und damit die Meere als wichtigste Kohlenstoffsenke zu stärken. Auch das Potenzial durch die Wiederherstellung und der Schutz natürlicher Senken wie Algenwälder, Seegras- und Salzwiesen bleibt ungenutzt. Das aber wäre die notwendige Voraussetzung für eine verantwortungsvolle nationale Carbon Management Strategie. Jetzt rächt sich das jahrelange Zögern in der Meeresschutzpolitik.

„Eine weitere Übernutzung der Meere steht den Zielen von Netto-Null und gesunden, artenreichen Meeren gegenüber und verstärkt die Biodiversitäts- und Klimakrise noch weiter”, so Krüger.

Zusätzlich zu Offshore-Windenergie und LNG-Infrastruktur drängt mit CCS ein weiterer technischer Faktor der Energie- und Industrietransformation in den längst stark übernutzten deutschen Meeresraum.  Im Ergebnis darf aber eine politische Entscheidung für CCS, die mit weiteren Umweltbelastungen einhergeht, nicht die Umweltziele im Meer gefährden. So ist die Injektion und Speicherung von CO2 unter Meeresschutzgebieten klar abzulehnen. Sensible Bodenregionen sind für den Leitungsbau auszuschließen.

“Der Verlust natürlicher Funktionen der Meere hätte drastische Folgen für Natur- und Klima,” so NABU-Meeresschutzexperte Dr. Thorsten Werner. “Der schlechte Zustand der Nord- und Ostsee lässt aktuell kaum Spielraum für weitere Belastungen durch CCS. Vielmehr müssen zuerst andere Nutzungen reduziert und weitere Ausgleichsmaßnahmen ergriffen werden.” Nur so können Biodiversitäts- und Klimakrise gemeinsam bekämpft werden.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim NABU.

Was CCS überhaupt ist und was es für Folgen mit sich bringen kann, könnt ihr in unserem Gastbeitrag von Nico Czaja „Unter die Erde kehren“ nachlesen. Außerdem berichten wir über die Übernutzung der Nord- und Ostsee sowie über die Auswirkungen von LNG-Terminals. Gemeinsam mit 16 weiteren NGOs haben wir letztes Jahr unsere Kernforderungen für eine zukunftsfähige Meerespolitik gestellt.

Quallen könnten künftig den Arktischen Ozean dominieren

Zwei Quallen (vermutlich Ohrenquallen) schwimmen im dunklen Wasser

© Unsplash / Matthias Gotzke

Pressemitteilung, 15.05.2024, Alfred-Wegner-Institut

AWI-Studie zeigt: Quallen im Arktischen Ozean profitieren vom Klimawandel und breiten sich weiter nach Norden aus

 

Der Klimawandel setzt viele Meeresorganismen immer stärker unter Druck. Quallen jedoch könnten in allen Weltmeeren von steigenden Wassertemperaturen profitieren – auch und besonders im Arktischen Ozean, wie Forschende des Alfred-Wegner-Instituts nun zeigen konnten. Im Computermodell setzten sie acht weit verbreitete arktische Quallenarten steigenden Temperaturen aus. Das Ergebnis: Bis auf eine Ausnahme konnten alle untersuchten Spezies ihren Lebensraum bis in die zweite Hälfte des laufenden Jahrhunderts massiv polwärts ausdehnen. Die „Feuerqualle“ kann ihr Habitat sogar fast verdreifachen – mit potentiell dramatischen Folgen für das marine Nahrungsnetz und die arktischen Fischbestände. Die Studie wurde nun im Fachmagazin Limnology and Oceanography veröffentlicht.

Quallen könnten künftig zu den wenigen Gewinnern des Klimawandels zählen. Denn wie zahlreiche Studien belegen, profitieren die transparenten Nesseltiere ganz erheblich von steigenden Wassertemperaturen, aber auch von Nährstoffeinträgen und Überfischung. In Kombination könnten diese Faktoren zu einer gewaltigen Verschiebung im Ozean führen – weg von einem produktiven und von Fischen dominierten Nahrungsnetz hin zu einem weniger produktiven Meer voller Quallen. Forschende sprechen deshalb bereits von einer drohenden „Ocean jellification“, also einer globalen „Verquallung“ der Ozeane.

„Quallen spielen im marinen Nahrungsnetz eine wichtige Rolle“, erklärt Dmitrii Pantiukhin, Doktorand in der auf arktische Quallen spezialisierten Nachwuchsgruppe ARJEL („Arctic Jellies“) am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). „Übt nun etwa der Klimawandel Stress auf die Meeresbewohner aus, können sich die Nesseltiere oft gegen Nahrungskonkurrenten wie Fische durchsetzen. Das hat dann wiederum Folgen für das ganze Nahrungsnetz und letztlich auch die Fische selbst. Denn viele Quallen ernähren sich von Fischlarven und Eiern und verzögern oder verhindern so eine Erholung von unter Druck geratenen Fischpopulationen, die zudem meist auch noch durch den Menschen stark bewirtschaftet werden. Wer also wissen will, wie sich die auch für uns wichtige Nahrungsquelle Fisch in Zukunft entwickeln wird, muss die Quallen in den Blick nehmen.“

Trotz ihrer großen Bedeutung für alle Meeresorganismen werden die durchsichtigen Nesseltiere in ökologischen Studien und Modellsimulationen oft übersehen oder vernachlässigt. Mit seiner Studie füllt das AWI-Team um Dmitrii Pantiukhin nun eine bedeutsame Wissenslücke und konzentriert sich dabei auf einen Hot-Spot des Klimawandels. „Von allen Ozeanen erwärmt sich der Arktische Ozean am schnellsten“, sagt der Studienerstautor. „Außerdem steht die Arktis für rund 10 Prozent der globalen Fischereierträge. Deshalb ist der hohe Norden ein idealer Ort für unsere Untersuchungen.“

Über die Physiologie der Quallen einschließlich des optimalen Temperaturbereichs für ihre Vermehrung ist schon einiges bekannt. Im Rahmen seiner Studie hat das AWI-Team nun dreidimensionale Artverbreitungsmodelle mit den ozeanographischen Komponenten des „Max Planck Institute Earth System Model“ (MPI-ESM1.2) gekoppelt. „Oft werden Simulationen zur Artverbreitung im Ozean nur zweidimensional berechnet, also wie eine Fläche behandelt“, erklärt Dr. Charlotte Havermans, Leiterin der Nachwuchsgruppe ARJEL am AWI. „Gerade die Verbreitung von Quallengemeinschaften ist aber extrem abhängig von der spezifischen Wassertiefe. Deshalb haben wir unsere Artmodelle dreidimensional ausgelegt. Durch die Kopplung mit dem MPI-Erdsystemmodell konnten wir dann für acht bedeutende Quallenarten berechnen, wie sich deren Verbreitung ausgehend vom Referenzzeitraum 1950 bis 2014 bis in die zweite Hälfte des laufenden Jahrhunderts 2050 bis 2099 verändern wird. Für die Zukunft haben wir dabei das Klimaszenario ‚ssp370‘, also einen Entwicklungspfad mit weiterhin mittleren bis hohen Treibhausgasemission zugrunde gelegt.“

Das Ergebnis spricht eine deutliche Sprache: Sieben der acht Spezies – darunter Melonenquallen (Beroe sp. / + 110 %) und Pelagische Seescheiden (Oikopleura vanhoeffeni / + 102 %) – können bis zum Zeitraum 2050 bis 2099 ihren Lebensraum teilweise erheblich polwärts ausdehnen und profitieren dabei auch vom weiteren Rückgang der Meereisbedeckung. Besonders stark in Richtung Norden breitet sich die als „Feuerqualle“ bekannte Gelbe Haarqualle Cyanea capillata aus: Sie kann ihren Lebensraum mit einem Zuwachs von 180 Prozent fast verdreifachen. Lediglich eine untersuchte Art (Sminthea arctica) hat einen leichten Rückgang um 15 Prozent zu verzeichnen, da sie sich ihrem Temperaturoptimum folgend in größere Tiefen zurückziehen muss.

„Diese Ergebnisse machen deutlich, wie dramatisch der Klimawandel die Ökosysteme des Arktischen Ozeans in Zukunft verändern kann“, sagt AWI-Forscher Dmitrii Pantiukhin. „Die prognostizierte Ausdehnung der Quallenhabitate könnte massive und kaskadenhafte Auswirkungen auf das ganze Nahrungsnetz haben.“

Noch offen ist die Frage, wie sich der Vormarsch der Nesseltiere auf die arktischen Fischbestände auswirken würde. „Vieles spricht dafür, dass wichtige arktische Fischspezies wie der Polardorsch, dessen Larven und Eier häufig von Quallen gefressen werden, noch stärker unter Druck geraten“, erklärt ARJEL-Leiterin Charlotte Havermans. „Unsere Studie liefert daher eine wichtige Grundlage für weitere Forschungen auf diesem Gebiet. Und auch Management-Pläne im Fischereibereich müssen diese dynamische Entwicklung dringend berücksichtigen, wenn sie den Zusammenbruch stark befischter Bestände künftig vermeiden und diese nachhaltig bewirtschaften wollen.“

 

Diese Pressemitteilung und die Originalpublikation findet ihr beim AWI.

Bereits 2023 berichtete das AWI über einen Wandel der Arktischen Lebensgemeinschaften. Der Klimawandel zwingt immer mehr Arten, neue Lebensräume zu suchen – eine Art Flucht vor den veränderten Bedingungen. Während Quallen von diesen Verschiebungen profitieren, geraten andere Organismen – zum Beispiel der Polardorsch – immer stärker unter Druck.

Klimaschutzgesetz: Staffelstab wird vorzeitig weitergegeben

Klimaschutzgesetz: Eine Aufnahme des Deutschen Budnestages. Im Hintergrund zieht ein Gewitter auf und es herrscht eine düstere Stimmung

© hoch3media / Unsplash

Pressemitteilung, NABU, 26.04.2024

Klimaschutzgesetz: Staffelstab wird vorzeitig weitergegeben
Krüger: Ampel könnte Hände in den Schoß legen

Berlin – Der Deutsche Bundestags hat heute die Novellierung des Klimaschutzgesetzes verabschiedet. Damit droht ein Riesen-Rückschritt für den Klimaschutz.

Die Änderung des Klimaschutzgesetzes bedeutet, dass die Ampel bis zur Bundestagswahl 2025 keine weiteren Maßnahmen vorlegen muss, wenn die Klimaziele wieder verfehlt werden. Dies wird auf die nächste Bundesregierung verschoben und schränkt auch die Möglichkeit ein, das Einhalten der Ziele einzufordern und einzuklagen.

NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger: „Die Ampel stiehlt sich aus der Verantwortung. Bis zur Bundestagswahl 2025 könnte sie beim Klimaschutz faktisch die Hände in den Schoß legen. Es liegt jetzt an den Umweltverbänden und der gesamten Zivilgesellschaft, das zu verhindern. Auch wenn es nun schwieriger wird, Klimaschutz bei einer Zielverfehlung einzuklagen. Wie schon bei der Planungsbeschleunigung droht ein weiterer faktischer Abbau demokratischer Beteiligungsrechte.“

Diese Pressemitteilung findet ihr beim NABU.

Nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die EU schwenkt beim Klima- und Meeresschutz um. Doch die jahrzehntelange Vernachlässigung des Meeresschutzes fordert nun ihren Tribut. In der „Meeresoffensive“ haben wir gemeinsam mit 16 weiteren NGOs detailliert zusammengefasst, welche konkreten Maßnahmen ergriffen werden müssen, um eine zukunftsfähige Meerespolitik führen zu können, und diese der Bundesregierung vorgelegt.

Solarpaket hebelt Diskussion zum naturverträglichen Ausbau der Offshore-Windenergie aus

WindSeeG: Im Vordergrund ragt ein Offshore-Windrad aus dem dunklen Meer. Im Hintergrund, vor dem hellblauen Himmel, zeichnen sich weitere Windräder ab.

© Jesse De Meulenaere / Unsplash

Pressemitteilung, NABU, 23.04.2024

Solarpaket hebelt Diskussion zum naturverträglichen Ausbau der Offshore-Windenergie aus
Krüger: Stoppschild für Offshore-Paragraf 8a und Ausbau europarechtskonform gestalten

Berlin – Derzeit laufen in Bundestag und Bundesrat zwei Gesetzgebungsverfahren für den Ausbau der Offshore-Windenergie, um die europäische Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED III) umzusetzen. Die Novelle des Windenergie-auf-See-Gesetzes (WindSeeG) soll Offshore-Vorhaben beschleunigen, das überfällige Solarpaket die Nutzung der Sonnenenergie fördern. Beides wird nun durch das Wirtschaftsministerium vermischt, indem das Solarpaket in Paragraf 8a WindSeeG die Offshore-Vorhaben des Flächenentwicklungsplans pauschal zu Beschleunigungsflächen erklärt und damit der parlamentarischen Befassung zum WindSeeG vorgreift. In diesen Flächen drohen die Umweltverträglichkeitsprüfung und die artenschutzrechtliche Prüfung zu entfallen, selbst in ökologisch unverzichtbaren Flächen, auf Kosten von Seevögeln und Schweinswalen. Im Übrigen sieht das Solarpaket trotz eines laufenden Gesetzgebungsverfahrens auch für Windenergie an Land Regelungen zu Beschleunigungsgebieten vor.

Dazu NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger:

„Unter dem Radar und unter unnötigem zeitlichem Druck sollen Tatsachen geschaffen werden. Gemäß RED III können nur Flächen, die bereits nach nationalem Recht für einen beschleunigten Ausbau vorgesehen sind, als Beschleunigungsgebiete ausgewiesen werden. Doch die gibt es auf See nicht. Erneut schießt das Wirtschaftsministerium über europäische Vorgaben hinaus und macht Energiepolitik gegen Europarecht und gegen die Natur. Ohne beschleunigende Wirkung beschneidet das Solarpaket Umweltstandards nach dem Rasenmäherprinzip und schränkt die parlamentarischen Beteiligungsmöglichkeiten massiv ein. Genug ist genug. Der Bundestag muss ein Stoppschild aufstellen und § 8a WindSeeG aus dem Solarpaket streichen.“

Selbst in nachweislich kritischen Ausbauflächen der Offshore-Windenergie soll künftig auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung verzichtet werden, ohne die dafür notwendigen Kriterien festzulegen und die durch RED III geforderten Sensitivitätsanalysen durchzuführen. Wie riskant das ist, zeigt eine Studie des NABU zur Anwendung des Ökosystemansatzes in der Raumplanung. Auch zahlreiche Unternehmen der Windenergiebranche plädieren seit längerem aus Gründen der Rechts- und Investitionssicherheit für die Beibehaltung der Umweltverträglichkeitsprüfung. Kritik kommt auch aus den Bundesländern.

„Die Hemdsärmeligkeit des Wirtschaftsministeriums leistet einen Bärendienst für die Energiewende und konterkariert demokratische Prozesse. Es ist jetzt an den Abgeordneten des Bundestags, einen transparenten Prozess mit ausreichend Zeit und Beteiligung einzufordern. Die Energiewende ist zu wichtig, um sie Aktionismus und Symbolpolitik zu opfern”, so Krüger.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim NABU.

Die Übernutzung unserer Meere ist keine lobenswerte Maßnahme gegen die Klimakrise, denn Klima- und Meeresschutz müssen Hand in Hand gehen. Eine ökosystembasierte Raumordnung ist unverzichtbar, um die Nord- und Ostsee langfristig gesund zu erhalten.

Energiekrise bei Dorsch und Co.: Wie Überdüngung und Klimawandel die Nahrungsnetze der Ostsee verändern

Ostdorsch: Zwei Dorsche schwimmen im dunklen Wasser

© Viviane M. / pixabay

Pressemitteilung, 27.03.2024, Thünen

Der Ostdorschbestand ist seit Jahren in der Krise. Trotz historisch niedrigem Fischereidruck erholt sich der Bestand nicht. Bislang gab es hierfür keine schlüssige Erklärung. Forschende des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) und des Thünen-Instituts für Ostseefischerei konnten nun erstmals nachweisen, dass sich in Ostseeregionen mit großflächigen Blüten fädiger Blaualgen, die durch Überdüngung und Klimawandel verstärkt auftreten, das Nahrungsnetz für den Dorsch verlängert hat. Dadurch steht der Population deutlich weniger Energie zur Verfügung als in Gebieten ohne Blaualgenblüten. Verbessert sich das Nährstoffregime nicht, kann sich der Ostdorsch nicht erholen.

Das marine Phytoplankton ist der Energielieferant für alle Meeresökosysteme: Diese winzig kleinen, im Meerwasser schwebenden Pflanzen binden mittels Photosynthese Energie in Form von Biomasse, die dann Schritt für Schritt in den marinen Nahrungsnetzen weitergereicht wird, bis hin zu unterschiedlichen Arten von Fischen und Fischfressern. Wieviel Energie bei den unterschiedlichen Lebewesen ankommt, hängt von der Position ab, die sie im Nahrungsnetz einnehmen. Man weiß, dass von einer Ebene zur nächsten rund 90 Prozent der Energie als Wärme verloren gehen. Je mehr Ebenen ein Nahrungsnetz hat, umso weniger Energie kommt bei den Lebewesen mit den höchsten Positionen wie etwa Raubfischen an.

„Das Phytoplankton der zentralen Ostsee hat sich in den letzten drei Jahrzehnten stark verändert. Zunehmend wird es im Sommer von massenhaft auftretenden fadenförmigen Cyanobakterien dominiert. Das Phänomen ist als Blaualgenblüten bekannt“, sagt Markus Steinkopf, Meeresbiologe am IOW. Auslöser seien die klimawandelbedingt höheren Wassertemperaturen und die nach wie vor zu hohe Nährstoffbelastung der Ostsee; das begünstige Blaualgen gegenüber anderem Phytoplankton. „Aufgrund ihrer Form und Größe können fädige Blaualgen nicht von den kleinen Krebsen des Zooplanktons gefressen werden, die in marinen Nahrungsnetzen sonst die nächste Position nach dem Phytoplankton einnehmen. Welche Folgen das für die Energieversorgung höherer Lebewesen hat, war bislang weitgehend ungeklärt“, sagt der Erstautor der jetzt im Fachjournal Ecology and Evolution publizierten Studie zu Nahrungsnetz-Veränderungen in der Ostsee.

Hier setzte Steinkopf an und verglich, welche Position im Nahrungsnetz Dorsche und Flundern haben, die in der zentralen Ostsee leben, mit denen in der westlichen Ostsee, wo Blaualgenblüten keine Rolle spielen. Um die Nahrung der untersuchten Fische und somit ihre Nahrungsnetzposition zu identifizieren, nutzte er die Stickstoff-Isotopenanalyse in Aminosäuren. Denn je nachdem, was die Fische fressen, lassen sich in ihrem Muskelfleisch charakteristische Muster der unterschiedlichen stabilen Amino-Stickstoffisotope feststellen und sehr präzise interpretieren.

Bezüglich der Dorsche kam das Forschungsteam um den Warnemünder Wissenschaftler zu einem erstaunlich klaren Ergebnis: In der Blaualgen-belasteten zentralen Ostsee ist das Nahrungsnetz der dort lebenden Ostdorsche deutlich länger als das der Dorsche in der westlichen Ostsee. Steinkopf: „Die Nahrungsnetzposition des Westdorsches liegt bei 4,1, die des Ostdorsches dagegen zwischen 4,8 und 5,2. Das bedeutet einen Energieverlust von gut 60 bis 99 Prozent für den Ostdorsch im Vergleich zum Westdorsch.“ Bei den Flundern gab es hingegen zwischen den beiden Meeresgebieten nur geringe Unterschiede in der Nahrungsnetzposition: 3,4 in der westlichen vs. 3,1 in der zentralen Ostsee.

„Flundern fressen in beiden Seegebieten hauptsächlich Muscheln, deren Nahrungsnetz auf Phytoplankton basiert, auch wenn es Blaualgenblüten gibt. Große Unterschiede waren hier also nicht zu erwarten“, erläutert Uwe Krumme, Co-Autor der Studie vom Thünen-Institut für Ostseefischerei. Am Thünen-Institut, das über die entsprechende Expertise zu den Fischbeständen der Ostsee verfügt, wurden unter anderem die Fischproben für die Studie bearbeitet. „Bei den Dorschen sieht es anders aus. Westdorsche ernähren sich vor allem von der Gemeinen Strandkrabbe, die am Boden lebt. Ihr Nahrungsnetz ist daher ohnehin kürzer als das der Ostdorsche, die vor allem Heringe und Sprotten fressen, die wiederum von Zooplankton leben. Diese Ernährungsunterschiede allein können die deutlich höhere Nahrungsnetzposition der Ostdorsche aber nicht erklären“, so Krumme weiter.

Wie kommt es also zu der deutlichen Nahrungsnetzverlängerung für den Ostdorsch? „In den Blaualgengebieten stellt sich das Zooplankton um. Statt sich vegetarisch zu ernähren, frisst es Mikroben, die sich von Ausscheidungen oder Abbauprodukten der Blaualgen ernähren, wenn die Blüten absterben. Das haben frühere Analysen des IOW gezeigt. Damit entsteht eine komplette zusätzliche Nahrungsnetzebene, die zwangsläufig zu hohem Energieverlust bei den Tieren auf nachgeschalteten Nahrungsnetzpositionen führt“, erklärt Natalie Loick-Wilde, ebenfalls Co-Autorin der Studie und Spezialistin für Isotopen-basierte Nahrungsnetz-Analyse. „Diese Art der Nahrungsnetzverlängerung bei Fischen wird schon länger theoretisch diskutiert. Wir können sie nun erstmals direkt messen und eindeutig dem Blaualgen-geprägten Nahrungsnetz zuordnen“, sagt die Meeresbiologin. Sie hat am IOW eines der wenigen marinen Forschungslabore weltweit etabliert, in dem stabile Isotope von Stickstoff und Kohlenstoff in 13 verschiedenen Aminosäuren gemessen werden können.

„Die Isotopen-basierte Nahrungsnetz-Analyse ist ein wertvolles Instrument, um grundlegende Veränderungen in Ökosystemen zu sichtbar machen und Zusammenhänge besser zu verstehen. Die Energiekrise beim Ostdorsch zeigt, dass Einschränkungen bei der Fischerei für eine Bestandserholung allein nicht mehr ausreichen. Vielmehr muss das Nahrungsnetz an sich rehabilitiert werden. Das gelingt aber nur, wenn man länderübergreifend alle Möglichkeiten ausschöpft, um die Überdüngung der Ostsee in den Griff zu bekommen“, resümiert Markus Steinkopf. Die Ergebnisse zur Flunder zeigen zwar, dass nicht alle Teile des Nahrungsnetzes gleichermaßen betroffen sind. Aber: „Die Studie lässt auch vermuten, dass Nahrungsnetzverlängerungen nicht nur für die Ostsee relevant sind, sondern sich zu einem Problem globaler Natur entwickeln werden, da der Klimawandel schädliche Algenblüten und viele weitere Stressoren für Nahrungsnetze verstärkt“, so der Meeresbiologe abschließend.

 

Diese Pressemitteilung und die Originalpublikation findet ihr beim Thünen Institut.

Die Studie verdeutlicht, dass die Ostdorsch Krise weit über regionale Fischereifragen hinausgeht und globale Herausforderungen wie Überdüngung und Klimawandel widerspiegelt. Vor allem die Ostsee ist stark von Eutrophierung belastet und in einem alarmierend schlechtem Zustand. Eine Erholung der Ostseedorschpopulation erfordert daher eine grundlegende ökologische Sanierung der Ostsee durch internationale Kooperation.

Lasten im Kampf gegen den Klimawandel gerecht verteilen

Silhouette von neun Personen, die auf einem Hügel stehen. Hinter ihnen geht die Sonne auf. Zusammen könnten sie alles schaffen.

© Hudson Hintze / Unsplash

Pressemitteilung, Deutscher Ethikrat, 13.03.2024

Ethikrat: Lasten im Kampf gegen den Klimawandel gerecht verteilen

Heute stellt der Deutsche Ethikrat seine Stellungnahme zur Klimagerechtigkeit vor. Darin behandelt der Rat zentrale Fragen der Gerechtigkeit und Verantwortung im Kampf gegen den Klimawandel und formuliert 13 Empfehlungen, wie die Klimawende gerecht gestaltet werden kann.

„Die Bewältigung des Klimawandels und seiner Folgen ist eine gesellschaftliche Mammutaufgabe: Wie können wir dabei die Lasten gerecht verteilen? Wer trägt die Verantwortung? Und was können wir tun, damit uns allen dabei nicht die Puste ausgeht?“, erklärt Alena Buyx, die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates. „Da sind alle gefragt – Parteien, Zivilgesellschaft, Medien, Wissenschaft –, um neue Perspektiven für ein gutes Leben in einer nachhaltigen und klimaneutralen Gesellschaft ohne weiteres Wachstum von Konsum und Ressourcenverbrauch zu entwerfen.“

In seiner Stellungnahme entwickelt der Ethikrat ein Konzept zur Klimagerechtigkeit: Lasten und Pflichten im Kampf gegen den Klimawandel sollten so verteilt werden, dass möglichst alle Menschen jetzt und in Zukunft die Mindestvoraussetzungen für ein gutes und gelingendes Leben erreichen können. Die Bedürfnisse von Menschen, die davon noch am weitesten entfernt und am stärksten vom Klimawandel belastet sind, sollten dabei vorrangig berücksichtigt werden.

„Menschen tragen sehr unterschiedlich zum Klimawandel bei – schon allein das wirft große Gerechtigkeitsfragen auf“, erklärt Kerstin Schlögl-Flierl, Sprecherin der Arbeitsgruppe zur Klimaethik. „Das fängt schon innerhalb unserer Gesellschaft an. Wohlhabende Menschen fliegen öfter, während Menschen mit weniger Geld durch viele Klimaschutzmaßnahmen besonders belastet werden. International sehen wir große Unterschiede zwischen den hauptsächlichen Verursachern im globalen Norden und den Menschen im globalen Süden, die oft besonders unter den Folgen leiden. Und junge Menschen und Menschen, die noch nicht einmal geboren sind, werden in Zukunft drastische Klimafolgen zu ertragen haben, die vor allem jetzt und in der Vergangenheit verursacht wurden“, betont sie. „Belastungen und Verantwortlichkeiten müssen in allen drei Dimensionen – innergesellschaftlich, international und intergenerationell – gerecht verteilt werden.“

Klimawandel: Wer trägt die Verantwortung?

„Die Verantwortung von Einzelnen steht häufig im Mittelpunkt der Klimadebatte“, erklärt Armin Grunwald, stellvertretender Sprecher der Arbeitsgruppe. „Aus unserer Sicht ist es allerdings unangemessen, die Bewältigung des Klimawandels allein von einzelnen Personen zu erwarten, etwa durch ihr Konsum- oder Mobilitätsverhalten.“ Der Deutsche Ethikrat verfolgt daher ein Konzept der Multiakteursverantwortung. Das beinhaltet klare Verantwortungszuschreibungen gegenüber dem Staat, privaten Organisationen wie Unternehmen und Individuen. Zentral ist dabei: Die Politik muss die gesellschaftlichen Verhältnisse und rechtlichen Rahmenbedingungen so gestalten, dass emissionsärmeres Verhalten ohne unzumutbare persönliche bzw. unternehmerische Belastungen möglich ist und dass Lasten gerecht verteilt werden.

„Wer leistungsfähiger ist – und möglicherweise auch mehr zum Klimawandel beiträgt –, muss mehr Verantwortung übernehmen und stärker in Vorleistung gehen“, betont Armin Grunwald. „Das betrifft sowohl Länder und Unternehmen als auch einzelne Menschen. In Anbetracht der außerordentlich schwerwiegenden Folgen einer ungebremsten globalen Erderwärmung wäre es geradezu unverantwortlich, erst aktiv zu werden, wenn andere nachziehen.“

Demokratischer Diskurs: Medien und Staat in besonderer Verantwortung

„Der Umgang mit dem Klimawandel belastet uns heute schon spürbar, auch in der öffentlichen Debatte“, sagt Alena Buyx. „Es ist sehr wichtig, Maßnahmen sozial gerecht zu gestalten und genau zu überlegen, wer dabei wofür verantwortlich ist. Gleichzeitig ist es unabdingbar, bei dieser riesigen Herausforderung konstruktiv und lösungsorientiert zu sein. Politik und Medien kommt da eine zentrale Rolle zu. Aber die neuen, positiven Lebensentwürfe, wie wir uns eine gute Zukunft vorstellen – die müssen wir alle gemeinsam entwickeln.“

Empfehlungen

Die 13 Empfehlungen der Stellungnahme greifen diese Themen auf und fordern einen auf Klimagerechtigkeit und Verantwortung fokussierten öffentlichen Diskurs zum Klimawandel sowie eine transparente und gerechte Verteilung von Lasten. Sie betonen die Verantwortung der deutschen Politik, sowohl innergesellschaftlich als auch international auf eine raschere, effektivere und gerechtere Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen hinzuwirken. Die Politik muss bessere Rahmenbedingungen schaffen, die Individuen und privaten Organisationen wie Unternehmen klimafreundliches Handeln erleichtern und die Belange junger und zukünftiger Menschen stärker berücksichtigen. Gleichzeitig verweisen die Empfehlungen auf die individuelle moralische Mitwirkungspflicht aller Menschen, zur Bewältigung des Klimawandels im Rahmen ihrer Möglichkeiten einen Beitrag zu leisten. In einem Sondervotum erläutern drei Ratsmitglieder Aspekte, in denen sie von der Stellungnahme abweichen.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim Deutschen Ethikrat.

Ein Workshop-Bericht des IPBES-IPCC nennt die Leitplanken für eine zukunftsweisende Politik: Klimaschutz, Erhalt der Biodiversität und soziale Gerechtigkeit – Aufgaben, die sich nur im Dreiklang lösen lassen.

Regionale Unterschiede der Erderwärmung entscheidend

Verschiedene Foraminifera unter dem Mikroskop

Foraminifera unter dem Mikroskop © Doc. RNDr. Josef Reischig, CSc. / Wikimedia Commons

Pressemitteilung, 05.12.2023, MARUM

War­um re­gio­na­le Un­ter­schie­de der Erd­er­wär­mung ent­schei­dend sind

Neue Da­ten­ana­ly­se er­mög­licht es, Kli­ma­mo­del­le bes­ser zu be­wer­ten

Win­zi­ge Fos­si­li­en in Mee­res­se­di­men­ten zei­gen, dass Kli­ma­mo­del­le die durch­schnitt­li­che Tem­pe­ra­tur der Ozea­ne im letz­ten Hoch­gla­zi­al vor etwa 20.000 Jah­ren rich­tig be­rech­nen, die si­mu­lier­te räum­li­che Ver­tei­lung aber zu gleich­mä­ßig ist und sie da­her nur be­dingt für künf­ti­ge Kli­ma­aus­sa­gen gilt. Ein neu­er An­satz zeigt nun, wie Kli­ma­mo­dell­rech­nun­gen bes­ser über­prüft wer­den kön­nen. Das Team um Dr. Lu­kas Jon­kers vom MARUM – Zen­trum für Ma­ri­ne Um­welt­wis­sen­schaf­ten und dem Fach­be­reich Geo­wis­sen­schaf­ten der Uni­ver­si­tät Bre­men hat die Er­geb­nis­se jetzt im Fach­jour­nal Nature Geoscience ver­öf­fent­licht.

Mit Kli­ma­mo­del­len bil­den For­schen­de das Kli­ma der Ver­gan­gen­heit nach, um zu ent­schlüs­seln, wie und war­um es sich ver­än­dert hat. Durch den men­schen­ge­mach­ten Kli­ma­wan­del ist es nicht mög­lich, Mo­del­le eins zu eins auf die Zu­kunft zu über­tra­gen, da sich die Rand­be­din­gun­gen ver­än­dert ha­ben. „Wir müs­sen also die Ver­gan­gen­heit si­mu­lie­ren, um die Mo­del­le zu tes­ten. Die Si­mu­la­ti­on des Kli­mas vom so ge­nann­ten Last Gla­ci­al Ma­xi­mum, kurz LGM, ist da­her wich­tig, um Kli­ma­mo­del­le zu be­wer­ten“, sagt Er­st­au­tor Lu­kas Jon­kers, das Hoch­gla­zi­al sei da­bei ein gu­tes Test­sze­na­rio. „Denn wie sich die Erde seit­dem er­wärmt hat, könn­te etwa dem ent­spre­chen, was wir künf­tig er­war­ten kön­nen.“

Bis­he­ri­ge Stu­di­en ha­ben zwar über­ein­stim­mend ge­zeigt, dass die Ge­samt­ver­än­de­rung des glo­ba­len Kli­mas zwi­schen dem LGM und der Ge­gen­wart zwi­schen den Mo­del­len und den Pa­läo­kli­ma-Re­kon­struk­tio­nen kon­sis­tent ist. Nicht aus­rei­chend be­rück­sich­tigt wur­den da­bei aber das räum­li­che Tem­pe­ra­tur­mus­ter, das Öko­sys­te­me und Le­bens­räu­me be­ein­flusst. Dazu ge­hört auch, wie sich Le­bens­räu­me auf den ver­schie­de­nen Brei­ten­ge­ra­den ver­tei­len.

Neuer Ansatz basiert auf einem grundlegenden makroökologischen Prinzip

Um zu prü­fen, ob die Si­mu­la­tio­nen ein ge­nau­es Bild des ver­gan­ge­nen Kli­mas lie­fern, ver­glei­chen die For­schen­den sie mit auf Da­ten ba­sie­ren­den Re­kon­struk­tio­nen. Bei­de Ver­fah­ren ber­gen ei­nen ge­wis­sen Grad an Un­si­cher­heit. Wenn bei­de von­ein­an­der ab­wei­chen – liegt es dann an der Si­mu­la­ti­on oder der Re­kon­struk­ti­on? Da­mit Kli­ma­mo­del­le bes­ser über­prüft und be­wer­tet wer­den kön­nen, ha­ben Dr. Lu­kas Jon­kers vom MARUM und sei­ne Co-Au­tor:in­nen ei­nen neu­en An­satz ver­folgt, den sie jetzt im Fach­jour­nal Nature Geoscience vor­stel­len. Da­für um­ge­hen sie Un­si­cher­hei­ten der tra­di­tio­nel­len Re­kon­struk­ti­ons­me­tho­den und ver­wen­den ein grund­le­gen­des ma­kro­öko­lo­gi­sches Prin­zip. Das be­sagt, dass sich Ar­ten­ge­mein­schaf­ten umso mehr un­ter­schei­den, je wei­ter sie von­ein­an­der ent­fernt sind. Ein Bei­spiel da­für sind etwa die Ve­ge­ta­tio­nen in der Tal­soh­le im Ver­gleich zur Berg­spit­ze.

„Im ma­ri­nen Be­reich se­hen wir ei­nen grö­ße­ren Rah­men des­sen, näm­lich wenn wir Spe­zi­es vom Äqua­tor an­schau­en. Je wei­ter wir dann in Rich­tung Pol ge­hen, umso mehr ver­än­dern sich die Ar­ten“, sagt Jon­kers. „Im Oze­an hängt die­se ab­neh­men­de Ähn­lich­keit stark mit der Tem­pe­ra­tur zu­sam­men. Wür­den die Kli­ma­mo­del­le also die Tem­pe­ra­tu­ren der Ver­gan­gen­heit kor­rekt si­mu­lie­ren, müss­ten wir beim Ver­gleich der si­mu­lier­ten Tem­pe­ra­tu­ren mit den fos­si­len Ar­ten­ge­mein­schaf­ten das­sel­be Mus­ter fest­stel­len.“ For­schen­de kön­nen also Da­ten zu Ar­ten­ge­mein­schaf­ten im Hoch­gla­zi­al nut­zen, um zu be­ur­tei­len, ob die si­mu­lier­te Tem­pe­ra­tur aus dem LGM das glei­che Mus­ter ab­neh­men­der Ähn­lich­keit der Ge­mein­schaf­ten re­pro­du­zie­ren kann, wie wir es heu­te se­hen.

Für ihre Stu­die hat das in­ter­na­tio­na­le Team über 2.000 Ar­ten­ge­mein­schaf­ten plank­to­ni­scher Fo­ra­mi­ni­fe­ren von 647 Stand­or­ten un­ter­sucht. Plank­to­ni­sche Fo­ra­mi­ni­fe­ren le­ben in den obers­ten Was­ser­schich­ten al­ler Ozea­ne. Ster­ben sie, sin­ken ihre klei­nen Kalk­ge­häu­se auf den Mee­res­grund und blei­ben dort als Mi­kro­fos­si­li­en im Se­di­ment er­hal­ten.

Bei der Ana­ly­se der Da­ten für das LGM ist das Team auf sich un­ter­schei­den­de Mus­ter bei der Ar­ten­zu­sam­men­stel­lung ge­sto­ßen. Das wer­te­ten sie als Hin­weis dar­auf, dass die si­mu­lier­ten Tem­pe­ra­tu­ren nicht mit den tat­säch­li­chen Eis­zeit-Tem­pe­ra­tu­ren über­ein­stim­men.

„Un­se­re Ana­ly­se deu­tet dar­auf hin, dass die si­mu­lier­ten Tem­pe­ra­tu­ren im Nord­at­lan­tik zu warm und glo­bal zu gleich­mä­ßig wa­ren. Neue Si­mu­la­tio­nen mit schwä­che­rer Oze­an­zir­ku­la­ti­on, die we­ni­ger Wär­me in den Nor­den trans­por­tiert, und dar­aus re­sul­tie­rend ei­nem küh­le­ren Nord­at­lan­tik pass­te bes­ser in das Mus­ter“, er­klärt Lu­kas Jon­kers. Hin­ter­grund da­für ist die Stär­ke der at­lan­ti­schen me­r­idio­na­len Um­wälz­zir­ku­la­ti­on und Eis-Oze­an-Wech­sel­wir­kun­gen. Die For­schen­den kom­men zu dem Er­geb­nis, dass die neue Me­tho­de Mo­dell­ver­glei­che si­che­rer macht. Die neu­en Si­mu­la­tio­nen zei­gen, dass die Mo­del­le das Tem­pe­ra­tur­mus­ter wäh­rend des letz­ten Hoch­gla­zi­als kor­rekt be­rech­nen kön­nen. Laut Au­tor:in­nen­team deu­te das dar­auf hin, dass eine kor­rek­te Vor­her­sa­ge des räum­li­chen Tem­pe­ra­tur­mus­ters – wenn die rich­ti­gen Pro­zes­se be­rück­sich­tigt wer­den – auch für die Zu­kunft mög­lich ist.

Mehr Gewicht für räumliche Auswirkungen des Klimawandels

„Der glo­ba­le Kli­ma­wan­del wird auch re­gio­nal un­ter­schied­li­che Aus­wir­kun­gen ha­ben. Un­se­re Ge­sell­schaft und die Öko­sys­te­me hän­gen letzt­lich da­von ab, was auf klei­ne­ren räum­li­chen Ska­len, näm­lich um uns her­um ge­schieht“, schluss­fol­gert Jon­kers. „Un­se­re Stu­die un­ter­streicht die Not­wen­dig­keit, die räum­li­chen Aus­wir­kun­gen des Kli­ma­wan­dels zu un­ter­su­chen. Dies ist wich­tig, wenn wir über die Be­gren­zung der glo­ba­len Er­wär­mung auf 1,5 Grad spre­chen, denn die­ser Wert be­zieht sich le­dig­lich auf ein glo­ba­les Mit­tel.“

Die Pu­bli­ka­ti­on er­scheint im Rah­men der vom Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Bil­dung und For­schung (BMBF) fi­nan­zier­ten Kli­ma­mo­del­lie­rungs­in­itia­ti­ve Pal­Mod. Hier ar­bei­ten For­schen­de dar­an, das Kli­ma der ver­gan­ge­nen 130.000 Jah­re auf klei­ne­ren Zeits­ka­len zu ent­schlüs­seln, um Aus­sa­gen für ein Kli­ma der Zu­kunft tref­fen zu kön­nen. Ihr Ziel ist es, die Spann­brei­te der Mo­del­le und der ih­nen zu­grun­de­lie­gen­den Pa­ra­me­ter zu ver­ste­hen und bes­se­re Aus­sa­gen für die Zu­kunft zu tref­fen.

Die Stu­die ist das Er­geb­nis ei­ner Zu­sam­men­ar­beit zwi­schen For­schen­den der Uni­ver­si­tät Bre­men und der Uni­ver­si­tät Ol­den­burg im Rah­men des Ex­zel­lenz­clus­ters „Der Oze­an­bo­den – un­er­forsch­te Schnitt­stel­le der Erde“. Be­tei­ligt sind au­ßer­dem Wis­sen­schaft­ler:in­nen des Al­fred-We­ge­ner-In­sti­tuts Helm­holtz-Zen­trum für Po­lar und Mee­res­for­schung Pots­dam und Bre­mer­ha­ven so­wie des Sou­thern Ma­ri­ne Sci­ence and En­gi­nee­ring Guang­dong La­bo­ra­to­ry Zu­hai (Chi­na) und der Ore­gon Sta­te Uni­ver­si­ty (USA).

Diese Pressemitteilung findet ihr beim MARUM.

Forschungsschiff Polarstern nimmt Kurs auf die Ostantarktis

Der Eisbrecher RV Polarstern in der Antarktis

© DLR/NASA/Jess Bunchek / Wikimedia Commons

Pressemitteilung, 29.11.2023, gemeinsame Pressemitteilung von AWI, GEOMAR, CAU

Forschungsschiff Polarstern nimmt Kurs auf die Ostantarktis

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Fokus wissenschaftlicher Expeditionen

[29. November 2023] Gestern Abend ist das Forschungsschiff Polarstern von Kapstadt aus zu einem besonderen Fahrtgebiet aufgebrochen: In der Ostantarktis stehen die Geschichte der Instabilität des dortigen Eisschildes und die Wechselwirkung mit der Ozeanzirkulation im Fokus zweier Expeditionen. Auf dem ersten etwa zweimonatigen Abschnitt unter Leitung des GEOMAR finden vor allem ozeanographische, geowissenschaftliche und biologische Arbeiten statt; der zweite wird von der Universität Kiel geleitet und hat einen geowissenschaftlichen Schwerpunkt, Forschende des Alfred-Wegener-Instituts sind an beiden Expeditionen beteiligt. Personalwechsel und Versorgung des Schiffes finden Anfang Februar in Hobart statt. Anlässlich dieses Erstanlaufs der Polarstern in einem australischen Hafen ist ein Austausch mit Vertretungen aus Wissenschaft und Politik geplant.

Der bis zu mehrere Kilometer dicke Eisschild der Ostantarktis speichert Wassermassen, die den Meeresspiegel auf Zeitskalen von Jahrhunderten um dutzende Meter ansteigen lassen können, wie in vergangenen Warmzeiten der Erdgeschichte bereits geschehen. Die Rückkopplungen zwischen Eis, Ozean und Atmosphäre sind in dieser riesigen und global bedeutenden Region jedoch noch zu wenig verstanden. Dieses fehlende Wissen resultiert in einer großen Unsicherheit darüber, mit welchem Tempo der Meeresspiegel im Zuge der menschengemachten globalen Erwärmung ansteigen könnte und wie sich die Fähigkeit des Südozeans verändert, Wärme und atmosphärisches Kohlendioxid (CO2) aufzunehmen. Um diese Unsicherheiten zu verringern, haben Fachleute mehrerer deutscher und internationaler Forschungsstandorte ein koordiniertes Programm entwickelt. Es besteht aus drei Polarstern-Expeditionen namens EASI-1, EASI-2 und EASI-3 (East Antarctic Ice Sheet Instabilities, Ostantarktische Eisschild-Instabilitäten). Die erste fand bereits Anfang 2022 unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar und Meeresforschung (AWI) statt. Die beiden nun startenden Ausfahrten unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) vervollständigen das geplante wissenschaftliche Programm.

„Das wohl herausragendste Merkmal der EASI-2 Expedition ist, dass wir moderne Beobachtungen aus der Wassersäule eng mit unserem Wissen über frühere Zustände der Zirkulation des Südlichen Ozeans verknüpfen“, erklärt Expeditionsleiter Dr. Marcus Gutjahr. Der GEOMAR-Geochemiker weiter: „Dafür vermessen und beproben wir den Ozean entlang zweier Transekte, mit einem besonderen Fokus auf ostantarktische Küstenabschnitte, die bisher vom menschengemachten Klimawandel wenig betroffen waren. Wir untersuchen eine Vielzahl chemischer und physikalischer Eigenschaften des Meerwassers im offenen Ozean und antarktischen Gewässern bis hin zur Eisschelfkante. Mehrere dieser Parameter wurden in diesem Teil des Südlichen Ozeans noch nie erfasst.“ An denselben Stationen nimmt das Geologie-Team bis zu 25 Meter lange Sedimentkerne vom Meeresboden. Durch die Verknüpfung der Analysen der heutigen Meerwassereigenschaften mit Informationen, welche aus Sedimenten gewonnen werden können, erwartet das Team einen grundlegenden Einblick in die regionalen Umweltbedingungen vergangener Warm- und Kaltzeiten.

„Aus den marinen Sedimentkernen können wir Fragen zur Klima- und Meereisdynamik im Pleistozän beantworten – also bis zu 2,5 Millionen Jahre zurück in der Erdgeschichte“, sagt Vivian Sinnen. Die AWI-Doktorandin wird erstmals an einer Polarstern-Expedition in die Antarktis teilnehmen und ist Teil des Teams Marine Geologie, das beispielsweise aus biogeochemischen Merkmalen der Skelette von Kieselalgen (Diatomeen) Rückschlüsse auf die Temperaturen oder die Meereisausdehnung in der Vergangenheit zieht. Zum Geologie-Team gehört ebenfalls Dr. Lester Lembke-Jene. Er erläutert: „Diese Sedimente stellen eines der wichtigsten Klima-Archive dar, um Phasen natürlicher vergangener Klima-Erwärmungen im Südlichen Ozean zu rekonstruieren und die damit verbundenen Prozesse besser zu verstehen. Hierbei interessieren uns vor allem die mit diesen Wechseln eng verknüpften, tiefgreifenden physikalischen und biogeochemischen Veränderungen in den ozeanischen Frontensytemen und dem Antarktischen Zirkumpolarstrom, der größten Meeresströmung im Weltozean.“ Das Untersuchungsgebiet agiert als eine zentrale Schnittstelle für den Gas- und Wärmeaustausch zwischen dem tiefen Ozean und der Atmosphäre seit mehr als 30 Millionen Jahren, heute gehört sie u.a. zu den wichtigsten natürlichen Senken für anthropogene Treibhausgase und Wärme.

Die EASI-3-Expedition setzt den Schwerpunkt auf die Erfassung glazialer Strukturen auf dem Schelf und dem Kontinentalhang, zum Beispiel die fossilen Schleifspuren von Eismassen auf dem Meeresboden. Mit geophysikalischen Messungen können die Forschenden um Fahrtleiter Prof. Dr. Sebastian Krastel vom Institut für Geowissenschaften der CAU dabei noch weiter in die Erdgeschichte zurückblicken. Der Geophysiker erläutert: „Durch eine Kombination unterschiedlicher geophysikalische Systeme der Uni Kiel, des AWI und australischer Kolleginnen und Kollegen können wir Untergrundstrukturen in unterschiedlichen Tiefen mit bestmöglicher Auflösung abbilden. So können wir bis zu 1000 Meter in den Meeresboden hineinschauen und charakteristische Strukturen identifizieren, die es uns ermöglichen, verschiedene Zustände der Eisschilde in der Vergangenheit zu rekonstruieren.“ Basierend auf den geophysikalischen Messungen werden auch umfassende marin-geologische Arbeiten während der EASI-3-Expedition stattfinden. „Aus dem Arbeitsgebiet gibt es bisher sehr wenige Informationen zu den möglichen Steuerungsmechanismen von Eis-Instabilitäten, obwohl davon auszugehen ist, dass diese Region besonders sensitiv gegenüber dem zukünftigen Klimawandel reagieren wird. Das macht unsere disziplinübergreifenden Arbeiten so wertvoll, erläutert Prof. Dr. Julia Gottschalk von der Uni Kiel.

Die marinen Arbeiten auf beiden Expeditionen werden durch landgestützte Arbeiten eines internationalen Forschungsteams der Universität Köln, der Technischen Universität Dresden, sowie australischen KollegInnen abgerundet. So erlangen die Forschenden einen lückenlosen Anschluss an den antarktischen Kontinent.

Mit frischen Eindrücken von See oder Vorfreude auf die anstehende Expedition treffen einige der Polarstern-Expeditionsteilnehmenden Anfang Februar 2024 auf Kolleginnen und Kollegen aus der australischen Forschung. Im tasmanischen Hobart wird es im Rahmen eines feierlichen Empfangs einen Austausch mit wissenschaftlichen Institutionen und politischen Interessensvertretungen anlässlich des ersten Hafenanlaufs des Flaggschiffs der deutschen Polarforschung in Australien geben. Nach einem Zwischenstopp in Südafrika macht sich die Polarstern dann auf den Rücktransit und wird Mitte Mai in ihrem Heimathafen Bremerhaven zurückerwartet.

Die EASI-Expeditionen sind Teil der Programmorientierten Förderung (PoF) der Helmholtz-Gemeinschaft im Forschungsprogramm „Changing Earth – Sustaining our Future“, an dem AWI und GEOMAR beteiligt sind. Für die CAU liefern die Expeditionen wichtige Impulse für die Forschung innerhalb des universitären Forschungsschwerpunktes Kiel Marine Science (KMS). Die Forschenden werden u.a. über das Schwerpunktprogramm „Antarktisforschung“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim AWI.

Hälfte der Meeresschutzgebiete muss nutzungsfrei werden

Trottellumme in der Nordsee bei Helgoland

© A.Savin / Wikimedia Commons

Pressemitteilung, 16.11.2023, NABU

Die Hälfte der Meeresschutzgebiete muss nutzungsfrei werden

Strenger Schutz in Nord- und Ostsee: NABU macht Vorschlag, wie Artensterben und Lebensraumverlust aufgehalten werden kann

Berlin – Der NABU hat am 16. November den Umweltpolitikern der Ampel-Koalition und dem Meeresbeauftragten der Bundesregierung eigene Vorschläge für streng geschützte Flächen in den Meeresschutzgebieten der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) in der deutschen Nord- und Ostsee vorgestellt. Dazu hat sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag verpflichtet. Der Verband fordert, mehr als 50 Prozent der Schutzgebiete noch in dieser Legislatur frei von Fischerei, Schifffahrt und Rohstoffabbau zu stellen.

NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger: „Zwei Jahre nach ihrem Antritt muss die Bundesregierung die versprochene Meeresoffensive liefern. Die Naturkrise in Nord- und Ostsee lässt uns keine Zeit. Die jüngsten Zustandsberichte unserer Meere sind dramatisch. Ein Drittel der Arten steht auf der roten Liste. Mit unseren Karten für nutzungsfreie Flächen liegt ein Entwurf auf dem Tisch, mit dem Deutschland den Verpflichtungen der EU-Biodiversitätsstrategie gerecht werden und eine europäische Vorreiterrolle einnehmen kann.

Die europäische Biodiversitätsstrategie fordert, dass 30 Prozent der Land- und Meeresfläche geschützt werden, ein Drittel davon streng. Im Koalitionsvertrag steht, dass zehn Prozent der deutschen AWZ frei von schädlichen Nutzungen sein müssen. Doch heute findet auch in Meeresschutzgebieten noch Grundschleppnetzfischerei statt, werden Sand und Kies abgebaut, führen Schifffahrtslinien hindurch. „Dort wo wir wertvolle Riffe haben, Schweinswale ihre Jungen zur Welt bringen, Seevögel Nahrung finden und die Biodiversität am größten ist, muss die industrielle Nutzung aufhören. Wir brauchen streng geschützte Flächen, um Artensterben und Lebensraumverluste vor unserer Küste zu stoppen“, fordert NABU-Meeresexperte Kim Detloff.

Die Vorschläge des NABU decken etwas mehr als die Hälfte der Meeresschutzgebiete in der der deutschen AWZ ab, das entspricht knapp 15 Prozent der AWZ der Nordsee und etwas mehr als acht Prozent der AWZ der Ostsee. Erstmals wird damit der Begriff „strenger Schutz“ greifbar, es werden konkrete Flächen beschrieben und notwendige Maßnahmen definiert. Unterstützt wird Deutschlands größter Naturschutzverband in seiner Forderung von mehr als 40.000 Menschen, die einen offenen Brief an Bundeskanzler Scholz unterzeichnet haben. „Wir appellieren an die Mitglieder des deutschen Bundestags und den Bundeskanzler persönlich, dem Bundesumweltministerium zu helfen, ambitionierte Flächenvorschläge zu entwickeln und umzusetzen. Die Natur kann nicht warten, und nirgendwo liegen Natur- und Klimaschutz so nah wie im Meer“, so Krüger.

Hintergrund:

Für seine Gebietsvorschläge hat der NABU aktuelle Monitoring-Daten von mehr als 20 geschützten Arten und Lebensräumen – darunter Riffe, Sandbänke und Schlickgründe, Schweinswale, Seetaucher, Trottellummen, Eisenten und weitere Meeresvögel – analysiert und die Flächen mit der größten Artendichte und ökologischen Funktion definiert. Dazu gehören 54 Prozent der Schutzgebiete in der AWZ der Nordsee (das entspricht 14,6 Prozent der AWZ und 10,1 Prozent der gesamten deutschen Nordsee). In der Ostsee sollen 52,3 Prozent der AWZ-Schutzgebiete streng geschützt werden (das entspricht 29,2 Prozent der AWZ und 8,4 Prozent der gesamten deutschen Ostsee). Diese Flächen gilt es besonders zu schützen. Nach Überzeugung des NABU braucht es hier neben völlig ungestörten Bereichen, sogenannten Nullnutzungsgebieten, auch zeitliche Schutz- und Zonierungskonzepte für die deutschen Meeresschutzgebiete in der AWZ und auch im Küstenmeer unter Verantwortung der Bundesländer. Einen wichtigen Beitrag könnte hier ein Nationalpark Ostsee leisten.

Erst Ende Oktober hat das Regionalabkommen HELCOM (Helsinki-Konvention) zum dritten Mal einen Bericht über den ökologischen Zustand der Ostsee (HOLAS III) veröffentlicht, nur sechs Wochen nach dem Quality Status Report des OSPAR-Übereinkommens zum Schutz der Nordsee und des Nordostatlantiks. Dabei haben die Mitgliedsstaaten der Konventionen im Vorfeld Analysen zur Biodiversität, Eutrophierung, Schadstoffeinträgen, Nutzungsdruck sowie wirtschaftlichen und sozialen Aspekten vorgenommen. Das Ergebnis ist alarmierend. Nahezu sämtliche Fisch- und Vogelarten sowie Meeressäugetiere sind weiterhin bedroht oder werden stark beeinträchtigt; ihre Lebensräume werden gestört oder gehen ganz verloren.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim NABU.

//