Klima
Meeresschutz ist Klimaschutz.
Zwischen arktischem Land und Meer
Pressemitteilung, 20.10.2023, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung
Neuer Atlas dokumentiert das Auftauen des Permafrosts und seine Folgen
[20. Oktober 2023] Der Untergrund im hohen Norden der Erde verändert sich rasant. Typisch für weite Regionen der Arktis sind Böden, die im Sommer an der Oberfläche ein Stück weit auftauen, ansonsten aber das ganze Jahr hindurch gefroren bleiben. Doch die steigenden Temperaturen setzen diesem sogenannten Permafrost immer mehr zu. Welche Folgen hat das für das Klima, die Wirtschaft und die Menschen, die dort leben? Und wie kann man sich langfristig darauf einstellen? Solchen Fragen ist das vom Alfred-Wegener-Institut koordinierte EU-Projekt Nunataryuk in den letzten sechs Jahren nachgegangen. Die Erkenntnisse sind in den neuartigen „Arctic Permafrost Atlas“ eingeflossen, der am 20. Oktober online und kurz danach auch in gedruckter Form erscheint.
„Nunataryuk“. Viele der mehr als 150 beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dürften im Rahmen des nun beendeten Forschungsprojekts ein neues Wort gelernt haben. Der Name des Vorhabens stammt aus der im Nordwesten Kanadas gesprochenen Inuit-Sprache Inuvialuktun und bedeutet so viel wie „zwischen Land und Meer“. Er bezieht sich auf die Küsten des Nordpolarmeers – und damit genau auf die Regionen der Arktis, in denen sich die meisten menschlichen Aktivitäten konzentrieren. Wer dort lebt und arbeitet, ist mit Permafrost in all seinen Erscheinungsformen konfrontiert: Der gefrorene Boden prägt sowohl das Land als auch die Küste und den Meeresgrund. Und überall hat der Klimawandel schon seine Spuren hinterlassen.
„Der einst zuverlässig gefrorene Untergrund taut jetzt rund um die Welt auf“, berichtet Projekt-Koordinator Prof. Dr. Hugues Lantuit, Leiter der Arbeitsgruppe Permafrost-Küsten am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Potsdam. Durch diese Prozesse aber wird das Erdreich weniger stabil. Oft sackt es zusammen, ganze Küstenabschnitte werden vom Meer davongerissen. „Das verändert die Ökosysteme, beschädigt die Infrastruktur und beeinflusst das Leben und die Arbeit der Menschen in der Arktis“, erklärt der Forscher. Doch auch global gesehen kann der Wandel im hohen Norden zu gefährlichen Entwicklungen führen. Denn der gefrorene Untergrund gilt als eines der größten Kohlenstoff-Lager der Erde. Wenn er auftaut, könnte er Treibhausgase freisetzen, die so wirksam sind wie 50 bis 200 Milliarden Tonnen Kohlendioxid. „Diese atemberaubende Menge könnte einen gewaltigen Effekt auf unser Klima haben“, betont Hugues Lantuit.
Es gibt also Gründe genug, die Vorgänge im Untergrund der Arktis genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn nur so lässt sich einschätzen, welche Risiken die Veränderungen mit sich bringen und wie man diese minimieren kann. Seit dem Start des Projekts im November 2017 sind Fachleute von 26 Partner-Institutionen aus 13 Ländern diesen Fragen nachgegangen. Sie haben Permafrost-Forschung vor Ort mit Simulationen im Computer und mit sozio-ökonomischen Analysen kombiniert und dabei auch die Stimmen von Interessensgruppen aus der gesamten Arktis mit einbezogen. Die EU hat im Rahmen ihres Rahmenprogramms Horizon 2020 11,5 Millionen Euro in das Vorhaben investiert.
Die Ergebnisse beleuchten den gefrorenen Boden aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Wer die künftigen Veränderungen beobachten will, braucht zum Beispiel erst einmal einen Überblick über den heute noch vorhandenen Permafrost an Land und im Meer. Den liefert eine neue Karte, die das Zentrum für Umweltkommunikation GRID-Arendal in Norwegen aus Projekt-Daten erstellt hat. Zum ersten Mal lässt sich nun auch einschätzen, wie viele Menschen in den Eisschränken der Erde leben. „Es handelt sich dabei um rund fünf Millionen Leute“, sagt Co-Koordinator Dr. Paul Overduin vom AWI. Computermodelle zeigen allerdings, dass viele von ihnen im Jahr 2050 wohl keinen gefrorenen Boden mehr unter den Füßen haben werden: In fast der Hälfte der 1162 heutigen Siedlungen dürfte der Permafrost erst degenerieren und dann ganz verschwinden. Das würde das Leben von mehr als drei Millionen Menschen drastisch verändern. Ähnlich beunruhigende Nachrichten gibt es auch für die Wirtschaft. So droht bis 2050 mehr als die Hälfte der Flächen aufzutauen, auf denen Öl- und Gasförderung, Bergbau und ähnliche Aktivitäten stattfinden.
Doch nicht nur der instabiler werdende Untergrund und die damit verbundenen Schäden an Gebäuden und Straßen, Pipelines und anderer Infrastruktur sind ein Problem. „Im Permafrost sind auch Schadstoffe und Krankheitserreger eingefroren, die bei steigenden Temperaturen freigesetzt werden können“, erklärt Paul Overduin. Ein Beispiel ist das Milzbrand-Bakterium, das vor allem Huftiere befällt, aber auch Menschen infizieren kann. Seine äußerst robusten Sporen können im Boden Jahrzehnte lang überleben, bis das große Tauen sie wieder aktiv werden lässt. Möglicherweise erklärt das, warum sich in Sibirien in letzter Zeit so viele Rentiere mit Milzbrand infiziert haben. Im Rahmen des Projekts haben Fachleute ein neues und speziell auf die Verhältnisse in der Arktis abgestimmtes Modell zur Übertragung der Krankheit entwickelt. Es soll helfen zu verstehen, ob und wie man künftige Ausbrüche eindämmen kann.
Die Erkenntnisse aus Nunataryuk sind so weitreichend, dass sie einem möglichst breiten Publikum zugänglich gemacht werden sollen. Genau dazu ist der neue „Arctic Permafrost Atlas“ gedacht, den GRID-Arendal zusammen mit allen Projekt-Partnern herausgegeben hat. Auf 156 Seiten präsentiert er Karten und Illustrationen, Fotos und kurze Texte rund um den gefrorenen Boden und seine Veränderungen. Neun Portraits von Menschen, die im Permafrost leben und arbeiten, runden die visuelle Reise in die Arktis ab. Jede Seite ist dabei eine Warnung vor den dramatischen Folgen des Klimawandels, findet Hugues Lantuit: „Das Wissen in diesem Atlas ist ein dringender Aufruf zum Handeln.“
Den neuen Arctic Permafrost Atlas gibt es hier zum Download als PDF: https://nunataryuk.org/news/atlas
Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.
Das Auftauen der Permafrostböden ist einer der großen Kipppunkte, die die Klimakrise vorantreiben. Eine in diesem Jahr veröffentlichte Studie betont, dass das Auftauen der Böden neben der Freisetzung von Methan, das wiederum die Klimakrise anheizt, auch zu einer massiven Belastung der Arktis mit industriellen Altlasten und Schadstoffen führen kann.
Arktischer Ozean im Wandel
Pressemitteilung, 29.09.2023, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung
Forschungsschiff Polarstern kehrt am Wochenende in seinen Heimathafen Bremerhaven zurück
[29. September 2023] Nach erlebnis- und arbeitsreichen Monaten endet am kommenden Wochenende die Arktissaison mit der Polarstern-Expedition namens ArcWatch-1. Das knapp 100-köpfige Team aus Besatzung und Wissenschaft hat Dicke und Eigenschaften des Meereises vermessen, die Strömungen und chemischen Eigenschaften des Ozeans aufgezeichnet und das Leben im und unter dem Eis, im freien Wasser und am Boden der Tiefsee erforscht. Ihre Daten zeigen erhebliche Veränderungen im Vergleich zu vorangegangenen Expeditionen auf. Am 7. September 2023 erreichte die Polarstern den Nordpol, und am 20. September gab es den weltweit ersten Livestream eines ROV-Untereis-Tauchgangs aus der Zentralarktis.
Der Sommer des Jahres 2023 geht ein als der global heißeste Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen: die Gletscher schmelzen schneller denn je, riesige Waldbrände in Kanada und Sibirien hinterlassen ihre Spuren, das Meereis schmolz schon im Mai und Juni 2023 schneller als zuvor. Daher erwartete des Expeditionsteam besonders wenig Meereis während der Untersuchungen in der zentralen Arktis. Die ersten Ergebnisse waren überraschend: Das Meereis des zentralen Arktischen Ozeans schmolz im August und September nicht so weit ab wie erwartet, es war auch dicker als in den Jahren zuvor.
„Es fehlten die Schmelztümpel, die Sedimenteinschlüsse, die Presseisrücken, die sonst so charakteristisch für das arktische Meereis im Sommer sind. Das Eis war besonders flach und von unten stark aufgeschmolzen. Ungewöhnlich viel Schnee auf den Schollen hat dafür gesorgt, dass sie von Oberflächenschmelze geschützt waren und es direkt unter dem Eis nur wenig Licht gab“, berichtet AWI-Meereisphysiker Dr. Marcel Nicolaus. Er setzte mit seinem Team an den insgesamt neun Eisstationen einen Unterwasser-Roboter (Remotely Operated Vehicle, ROV) ein. Ein besonderes Highlight der Expedition war die live Übertragung eines solchen Tauchgangs auf dem AWI-Youtube Kanal am 20. September, der erste ROV-Untereis-Tauchgang, der live aus der Zentralarktis ins Internet übertragen und von mehreren hundert Menschen verfolgt wurde.
Der großräumige Einsatz des Messgerätes EM-Bird vom Helikopter der Polarstern sowie von parallelen Flugzeugkampagnen zeigte: Die Dicke des ebenen Meereises betrug auch Anfang September noch 1,2 Meter – mehr als im Sommer der MOSAiC-Expedition im Jahr 2020 oder zum größten Meereisminimum 2012. Dank Telekommunikation über neue Satelliten mit Polarabdeckung konnten die Daten der Expedition direkt in Modelle eingespeist werden. Meereisphysiker Dr. Thomas Krumpen erklärt die beobachtete Anomalie so: „Wo in den letzten Jahrzehnten die Schollen vorwiegend von den sibirischen Schelfen in das Eurasische Becken drifteten, kam das Eis dieses und auch letztes Jahr aus dem kanadischen Becken, ohne Kontakt zum flachen Schelf. Das ist ein ungewöhnlicher Verlauf der Transpolardrift.“ Die Ursache beruht vermutlich auf einem Phänomen von ungewöhnlich stabilen Tiefdruckgebieten, die den Sommer über das Eis auf dem sibirischem Schelf zusammen hielt und verknüpft war mit einer Zufuhr kalter Polarluft.
„Entsprechend haben wir kaum Eisalgen an der Unterseite des Meereises gefunden. Besonders Melosira arctica fehlte, die meterlange Ketten bilden kann und ein wichtiger Nährstofflieferant für das gesamte Ökosystem ist. Das Eis war dieses Jahr wie tot. Wegen der Abdunklung durch Schnee schwammen Algen aus dem Wasser auf und legten sich in einem Film unter das Eis, um noch etwas Licht abzubekommen“, berichtet die Leiterin der Expedition Prof. Dr. Antje Boetius, Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). Veränderungen entdeckten auch die Ozeanographen in der obersten Meeresschicht, die salziger war als in den Jahren zuvor wegen der fehlenden Eisschmelze sowie geringerer Einträge des sibirischen Schelfwassers.
Der Vergleich mit den früheren Untersuchungsjahren 2012 und 2020 zeigte auch für das im Wasser treibende, planktonische Leben Unterschiede. Im August und September war die Algenblüte längst vorbei, es konnte sich auch keine Algenbiomasse unter dem Eis aufbauen. Stattdessen fanden die Forschenden Schwärme von Tieren wie Pfeilwürmer, Manteltiere, Eisamphipoden, Ruderfußkrebse, Flügelschnecken und Rippenquallen. Das Team um Co-Fahrtleiterin Dr. Christina Bienhold fand die Lebensgemeinschaften in der Tiefsee daher verändert vor: „Es sind dieses Jahr kaum Meereisalgen in die Tiefsee gesunken. Dennoch ist insgesamt die Aktivität der Lebewesen am Boden etwas im Vergleich zum Meereisminimum im Jahr 2012 gestiegen.“ Aufnahmen mit der Tiefseekamera zeigten, dass sich die Zusammensetzung der Gemeinschaft verändert hat. Der einstmals glatte Meeresboden wurde stark besiedelt und durchwühlt von Ringel- und Borstenwürmern, kriechenden Seeanemonen und Seegurken. „Es ist erstaunlich, wie schnell das arktische Leben auf Änderungen in der Meereisbedeckung reagiert,“ sagt Antje Boetius. Das Team konnte Proben aller Größenklassen von Lebewesen der arktischen Tiefsee gewinnen, um ihre Vielfalt und Verteilung sowie auch Veränderungen zu den vergangenen Jahrzehnten zu untersuchen.
Die Forschungen der Expedition ArcWatch-1 schlossen auch Meeresbodenkartierungen von bisher unbekannten Seebergen ein, von denen sich einer als Biodiversitäts-Hotspot entpuppte. Zudem gewannen die Chemiker an Bord große Mengen von Wasser- und Eisproben, um die Veränderung der Kohlenstoffpumpe in die Tiefsee zu erfassen und um nicht-abbaubare chemische Stoffe zu detektieren. Für ein europäisches Projekt bewerten sie die Verteilung von Schadstoffen in der Arktis. Das Polarstern-Team konnte zudem eine Reihe neuer Hightech-Instrumente wie Roboter, autonome Sensor- und Probennahme-Module, sowie hochauflösende Untereiskameras erfolgreich einsetzen. Sie bauten ein großes Netzwerk von Bojen auf und setzten neuartige Verankerungen für ganzjährige Untersuchungen ein. So werden sie weitere Daten über den Wandel des zentralen arktischen Ozeans erhalten, auch nachdem Polarstern nun aus der zentralen Arktis zurückkehrt.
Weitere Einblicke in die Expedition können Interessierte bereits zum Jahreswechsel bekommen: Eine Dokumentation, produziert von UFA Documentary, mit dem Arbeitstitel ARCWATCH – HOFFNUNG IM EIS wird am 29. Dezember um 21.45 Uhr im Ersten ausgestrahlt und in der ARD-Mediathek verfügbar sein. Die kommenden drei Wochen wird die Polarstern für standardmäßige Wartungs- und Reparaturarbeiten in der Bremerhavener Lloyd Werft verbringen, bevor sie Ende Oktober Richtung Antarktis aufbrechen wird.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.
Der Wandel im arktischen Ozean zeigt sich nicht nur durch veränderte Artgemeinschaften, sondern auch durch die Veränderung der saisonalen Vertikalwanderung von Zooplankton als Folge des zunehmenden Meereisrückgangs.
Wie Spurenelemente die CO2-Speicherung im Ozean verändern
Pressemitteilung, 27.09.2023, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung
Eisen und Mangan beeinflussen das Algenwachstum und damit auch den Kohlenstoff-Transport im Südpolarmeer
[27. September 2023] Der richtige Mix von Spurenelementen ist entscheidend für eine gesunde Ernährung. Diese Devise gilt nicht nur für Menschen, sondern auch für das Phytoplankton. Die winzigen Algen im Südpolarmeer haben als Kohlendioxid-Speicher maßgebliche Effekte auf das Weltklima. So zeigt eine neue Studie des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) und der Universität Bremen einen interessanten Zusammenhang: Wenn das Phytoplankton gleichzeitig mehr Eisen und Mangan bekommt, verändert sich seine Lebensgemeinschaft. Die Algen können dann mehr CO2 binden und bilden mehr klebrige, kohlenstoffreiche Kolonien, die besser auf den Meeresgrund sinken. Dadurch holen sie den Kohlenstoff effizienter aus der Atmosphäre, berichtet das Forschungsteam im Fachjournal Current Biology.
Da das Südpolarmeer reich an Nährstoffen wie Nitrat und Phosphat ist, sollte man dort eigentlich auch ein üppiges Algenwachstum erwarten. Doch in den meisten Regionen gibt es erstaunlich wenig Phytoplankton. Schon länger ist bekannt, dass hinter dieser Wachstumsschwäche vor allem ein kräftiger Eisen-Mangel steckt, teilweise ist aber auch Mangan knapp. Ob das auch für das südliche Weddellmeer gilt, wusste bisher allerdings niemand. Nun aber haben Forschende des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) sowie der Universität Bremen nicht nur die Mengen beider Elemente in den abgelegenen und schwer erreichbaren Gewässern am 77. Breitengrad untersucht. Zum ersten Mal haben sie während der COSMUS-Expedition im Jahr 2021 auch getestet, welchen Einfluss beide Spurenmetalle auf die dortigen Algengemeinschaften haben.
Dabei hat sich herausgestellt, dass im Vergleich zu ihrer möglichen Photosynthese-Leistung die Algen im gesamten südlichen Weddellmeer erstaunlich schlecht wachsen und somit auch weniger Kohlenstoff zum Meeresgrund transportieren als eigentlich möglich wäre. Dieses Ergebnis passt zu der ebenfalls schlechten Versorgung mit Spurenelementen: „Tatsächlich haben wir überraschend geringe Konzentrationen von Eisen und Mangan gefunden“, berichtet Erst-Autorin Jenna Balaguer, deren Doktorarbeit von Scarlett Trimborn betreut und am AWI und der Universität Bremen durch das Schwerpunktprogramm Antarktisforschung von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wurde. „Für manche Phytoplankter scheinen beide Substanzen sehr knapp zu sein, während andere nur Eisen benötigen.“ Und das hat offenbar weitreichende Folgen.
Diese wurden deutlich, als die Gruppe Meerwasser aus der Region in Behälter füllte und dann entweder Eisen oder Mangan oder beides dazugab. „Dabei hat sich gezeigt, dass die Eisenversorgung tatsächlich nicht der einzige entscheidende Faktor ist“, sagt AWI-Forscher und Studienmitautor Florian Koch. „Erst durch die Kombination von Eisen und Mangan konnten wir das Wachstum der Algen so richtig ankurbeln.“ Damit aber nicht genug: Da die einzelnen Arten durchaus unterschiedliche Ansprüche an die Versorgung mit Spurenelementen haben, veränderte sich mit den Zugaben auch die Zusammensetzung der Lebensgemeinschaft.
Das aber ist nicht nur ökologisch interessant, sondern hat auch weitreichende Konsequenzen für das Kohlenstoffbudget der Erde und damit für das Klimagleichgewicht. Denn das Phytoplankton hat einen wichtigen Einfluss auf den Kohlenstoff-Transport im Meer. Sobald die grünen Winzlinge per Photosynthese Energie gewinnen, setzen sie nämlich nicht nur große Mengen Sauerstoff frei. Gleichzeitig nehmen sie auch das Treibhausgas Kohlendioxid auf und bauen den darin enthaltenen Kohlenstoff in ihre Zellen ein. Wenn sie dann absterben und auf den Meeresgrund sinken, nehmen sie diesen Kohlenstoff mit. Statt in der Atmosphäre für weiter steigende Temperaturen zu sorgen, wird er durch diese biologische Pumpe also in die Tiefsee exportiert.
Gerade die Vorgänge im Untersuchungsgebiet der Studie sind in dieser Hinsicht besonders interessant. Immerhin geht etwa ein Viertel des insgesamt von den Organismen des Südpolarmeers aufgenommenen Kohlenstoffs auf das Konto des Phytoplanktons, das südlich des 55. bis 60. Breitengrades im Weddellmeer treibt. „Zum ersten Mal haben wir deshalb auch untersucht, wie der Eisen- und Mangan-Mangel dort den Kohlenstoff-Export beeinflusst“, sagt Jenna Balaguer.
Tatsächlich zeigen die Experimente, dass schon relativ kleine Veränderungen in der Artenzusammensetzung einen unerwartet großen Effekt auf diesen Prozess haben können. Denn je nach Größe, Form und sonstigen Eigenheiten sinken manche Zellen schneller und häufiger auf den Meeresgrund als andere. So führte die Zugabe von Spurenelementen zu einem starken Wachstum der Alge Phaeocystis antarctica. Diese gesellige Art bildete größere und mehr kohlenstoffreiche Kolonien, die dann zusammen mit den örtlichen Kieselalgen auch besonders gut absanken. Reicherte das Forschungsteam das Wasser nur mit Eisen an, verdoppelte sich dadurch das Export-Potential für Kohlenstoff. Eine Kombination von Eisen und Mangan ließ es um das Vierfache ansteigen.
Was aber bedeutet das für die Zukunft des Südpolarmeeres? Momentan lässt sich laut dem Studienteam nicht genau vorhersagen, welche Phytoplankton-Arten vom höheren CO2-Gehalt profitieren werden und wieviel mehr CO2 der Ozean dann aufnehmen kann als heute. Allerdings zeigt die Studie klar, dass ein zusätzlicher Eintrag von Eisen und Mangan durch Eisschmelze und Sedimente das Algenwachstum drastisch ankurbeln und die biologische Kohlenstoffpumpe auf Hochtouren arbeiten lassen könnte. Was der Klimawandel tatsächlich bewirken wird, lässt sich nur mithilfe von Modellen einigermaßen abschätzen. Und die sollten die neuen Erkenntnisse nun unbedingt integrieren, schließen die AWI-Forschenden, denn die Auswirkungen von Mangan auf die Kohlenstoffpumpe hatten die Modelle bisher nicht auf der Rechnung.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.
Die Originalpublikation „Iron and manganese availability drive primary production and carbon export in the Weddell Sea“ findet ihr bei Current Biology.
Das Bild zeigt eine großflächige Phytoplankton-Blüte im Sommer 2021 in der Barentssee, aufgenommen mit einem der Copernicus Sentinel-3 Satelliten.
Das Spurenelement Eisen, welches die Primärproduktion und damit die Aufnahme von CO2 fördert, kommt sowohl in den Kotballen von Krill als auch von Salpen vor. Forscher:innen haben herausgefunden, dass antarktisches Phytoplankton das Eisen im Kot von Salpen vergleichsweise besser aufnehmen kann.
CO2-Speicherung darf Ausstieg aus fossilen Energien nicht behindern
Pressemitteilung, 25.09.2023, Umweltbundesamt
Neues UBA-Papier: CCS-Technik bei Abfallverbrennung erproben – Moore, Wälder und andere natürliche Senken haben Vorrang
Das Umweltbundesamt (UBA) rät in einem neuen Positions-Papier dazu, das Abscheiden und Speichern von CO2 (kurz CCS, für Englisch „Carbon Capture and Storage“) in der Abfallwirtschaft zu erproben. UBA-Präsident Dirk Messner sagte: „Wir brauchen CCS vor allem im globalen Maßstab. CCS ist aber kein Allheilmittel für den Klimaschutz. Wenn wir es nicht schaffen, von den fossilen Energieträgern wegzukommen, wird uns CCS nichts nützen. Wir haben in Deutschland viel zu wenig Speicher, um das Kohlendioxid sicher für Mensch und Klima zu speichern. Nur bei wirklich unvermeidbaren CO2-Emissionen sollten wir CCS nutzen.“ Das UBA schlägt daher vor, die Technik zunächst in Müllverbrennungsanlagen zu testen, in denen aus nicht recycelbarem Abfall Wärme und Strom erzeugt wird, aber auch CO2 anfällt. So könnten erste Erfahrungen mit der Technik gesammelt und Umweltrisiken beurteilt werden.
Für die Abscheidung von CO2 (Carbon Capture) gibt es verschiedene Techniken. Einmal abgeschieden, wird das CO2 unter Druck verflüssigt und unterirdisch eingelagert (Storage). Eine Speicherung ist unter anderem in leeren Gas- oder Erdöllagerstätten, in salzwasserführenden Gesteinsschichten oder im Meeresuntergrund möglich. Sowohl Transport als auch Lagerung müssen dauerhaft sicher und dicht sein, um ein Entweichen des für Mensch und Umwelt in hohen Konzentrationen schädlichen CO2 zu verhindern. Wird CO2 etwa in den Meeresuntergrund verpresst, muss die marine Umwelt vor Versauerung geschützt werden. Diesen Nachweis muss die Technik noch erbringen.
Bei allen ungeklärten Fragen hält es das UBA für wichtig, die CCS-Technik CCS-Technik zu erproben. Für einen Testbetrieb schlägt das UBA Müllverbrennungsanlagen vor. Das dort freigesetzte CO2 entsteht am Ende einer langen Wertschöpfungskette und könnte dann abgeschieden und gespeichert werden. Dieses so genannte Waste-CCS (WACCS) hat für die Umwelt zudem den Vorteil, dass für den dort verbrannten Müll kaum zusätzliche fossile Energieträger zum Einsatz kommen und die Abwärme genutzt wird.
Dem Einsatz von CCS-Anlagen in anderen Industriezweigen wie der Zementindustrie oder gar in der Energiewirtschaft steht das UBA kritisch gegenüber. In der Energiewirtschaft würde der Einsatz von CCS fossile Techniken verfestigen und den Ausbau der erneuerbaren Energien behindern. Auch in anderen Branchen würde CCS klimafreundlichere Alternativen erschweren – etwa mehr Holzbau, alternative Bindemittel oder Baustoffe. Um keine negativen Effekte bei der Transformation der Energiewirtschaft, der Industrie und der Bauwirtschaft hervorzurufen, sollte die Technik dort nicht priorisiert werden.
Die EU hat sich verpflichtet, bis zum Jahr 2050 treibhausgasneutral zu werden. Deutschland will das Ziel schon 2045 erreichen. Da jedoch selbst bei ambitionierter Klimapolitik unvermeidbare fossile Restemissionen von 40 bis 60 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr bleiben, sind natürliche CO2-Speicher wie Wälder, Moore, aber auch die verstärkte Holznutzung als Baustoff wichtig, um diese Emissionen aufzunehmen. „Der Ausbau und der Schutz von Mooren, Wäldern und anderen natürlichen Senken sollte unsere erste Priorität sein. CCS und andere technische Senken könnten die natürlichen Senken dann ergänzen“, so Messner. Für CCS bei der Abfallverbrennung hält das UBA eine Kompensation von bis zu 20 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr für möglich.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim UBA.
Hier findet ihr das UBA-Positionspapier „Carbon Capture and Storage (CCS)“.
Dass es sich bei CCS und den damit verbundenen Technologien um ein zu Recht umstrittenes Thema handelt, macht auch diese Pressemitteilung vom UBA deutlich. In unserem Gastbeitrag von Nico Czaja wird die Problematik noch einmal besonders ausführlich aufgeschlüsselt.
Rechtsstreit um LNG-Vorhaben vor Rügen: Natur steht als Verlierer da
Pressemitteilung, 19.09.2023, NABU
Bundesverwaltungsgericht lehnt Eilantrag ab/ Beschleunigungsgesetzgebung führt zu bitterer Entscheidung für Greifswalder Bodden
Berlin/Schwerin – Enttäuscht hat der NABU die ablehnende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig im Eilverfahren zur LNG-Pipeline vor Lubmin im Greifswalder Bodden zur Kenntnis genommen. Diese ist am gestrigen Abend zugestellt worden. Der NABU-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern hatte unter anderem einen Baustopp beantragt, um insbesondere Baggerarbeiten an gesetzlich geschützten Riffen zu verhindern. „Die Argumentation des Gerichts ist für uns an vielen Stellen nicht nachvollziehbar“, so NABU-Landesgeschäftsführerin Dr. Rica Münchberger. „Zumal die Entscheidung bereits vor Ablauf unserer Begründungsfrist ergangen ist und wir bislang keine Einsicht in verfahrensrelevante Akten nehmen konnten. Unter diesen Bedingungen und mit den sehr kurzen Fristen, wird es für Umweltverbände nahezu unmöglich erfolgreiche Entscheidungen im Eilverfahren zu erstreiten.”
Es werde der gesetzliche Biotopschutz vom Tisch gewischt und der Habitatschutz vernachlässigt. „Das Gericht argumentiert, wir hätten eine erhebliche Beeinträchtigung der Riffe nicht substantiiert dargelegt“, so Dr. Rica Münchberger. „Die Leipziger Richter*innen ignorieren dabei die fehlende Akteneinsicht und stellen die Beweisführungspflicht auf den Kopf: Eigentlich darf eine Behörde ein Vorhaben nämlich nur dann zulassen, wenn sie zuvor Gewissheit darüber erlangt hat, dass dieses sich nicht nachteilig auf das Gebiet auswirkt.”
Diese erforderliche Gewissheit liegt nach der Rechtsprechung aber nur dann vor, wenn aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel an der Annahme besteht, dass solche Auswirkungen nicht auftreten werden. Nach Überzeugung des NABU sind diese Zweifel aber vorhanden, weil wertvolle Riffe dauerhaft zerstört werden und beispielsweise Laichhabitate und Rückzugsräume inmitten eines Meeresschutzgebietes verloren gehen. Auch die ausführlichen Kapazitätsberechnungen zur Versorgungslage werden in der Entscheidung vollständig ausgeblendet. Die alternative Nutzungsmöglichkeit der vorhandenen Nord-Stream-2-Rohre ebenso.
„Insgesamt führt die Entscheidung zu einer Niederlage für die Natur. Der Beschleunigungsrausch der Bundesregierung wirkt sich in Verfahren wie dem vorliegenden in gravierender Weise auf den Rechtsschutz aus”, stellt Dr. Rica Münchberger fest. Der NABU als größter deutscher Umweltverband sieht sich in der Verantwortung, das Verfahren als Anlass zu nehmen, um sich weiterhin vertieft mit den Auswirkungen der Beschleunigungsgesetzgebung zu befassen und auf daraus resultierende Missstände aufmerksam zu machen.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim NABU.
Bereits mehrfach in diesem Jahr hat der NABU MV gemeinsam mit anderen Umweltverbänden vor den irreparablen Umweltschäden der LNG-Pipeline durch den Greifswalder Bodden sowie weiterer geplanter küstennaher und küstenferner LNG-Standorte bei Rügen gewarnt. Neben den Auswirkungen für Flora und Fauna trägt das Gas außerdem nicht zum Klimaschutz bei – der CO2-Austoß der Schiffe, die LNG verwenden, verringert sich kaum, der Methanausstoß erhöht sich sogar.
Polarstern erreicht Nordpol
Pressemitteilung, 08.09.2023, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung
Forschungseisbrecher zum siebten Mal am nördlichsten Punkt der Erde
[08. September 2023] Fünf Wochen nach dem Ablegen im norwegischen Tromsø erreicht das Forschungsschiff Polarstern des Alfred-Wegener-Instituts Station den nördlichsten Punkt der Erde. Das internationale Team von Forschenden untersucht auch hier die Kopplung zwischen Meereis, Ozean und seinem Leben bis in die Tiefsee. Bislang lieferte die am 3. August 2023 gestartete Expedition Arcwatch-1 einige überraschende Entdeckungen: So zeichnet sich 2023 durch ungewöhnliche Eisdrift aus, die die Lebensgemeinschaften unter dem Eis beeinflusst. Zudem hat das Team eine erstaunliche Artenvielfalt an einem bislang unkartierten Seeberg in 1500 Meter Wassertiefe unter dem Eis entdeckt.
Am 3. August 2023 ist der Forschungseisbrecher Polarstern im norwegischen Tromsø in See gestochen, um zwei Monate lang im Arktischen Ozean zu forschen. Ziel der aktuellen ArcWatch-1-Expedition ist es, die Biologie, Chemie und Physik des Meereises sowie die Auswirkungen des Meereis-Rückgangs auf das gesamte Ozeansystem von der Oberfläche bis in die Tiefsee zu untersuchen sowie in bisher unkartierte Regionen vorzudringen.
Nach einem kurzen Zwischenstopp auf Spitzbergen erreichte die Polarstern am 6. August die Eiskante bei 81,5° Nord und 17° Ost. In den darauffolgenden Wochen wurden Eisstationen zunächst entlang 85°N im Nansen- und Amundsen-Becken des Arktischen Ozeans durchgeführt, und dann nördlich entlang 130° Ost. Die Expedition erreichte dabei Anfang September die Region, in der die MOSAiC-Drift-Expedition in 2019 startete. Über tausende von Quadratkilometern wurden bisher 50 Bojen und autonome Messstationen verteilt. Zudem wurden mit dem vom Helikopter geschlepptem Messsystem „IceBird“ Eisdickenmessungen durchgeführt und parallel mit Fernerkundungsmethoden die Dynamik der Meereisbedeckung großflächig untersucht. Für die mehrtägigen Eisstationen legte das Schiff jeweils an einer Scholle an, Forschende gingen auf das Eis, bauten autonome Beobachtungsstationen auf, erforschten die Unterseite der Scholle mit einem Roboter und zogen Eiskerne, um das Leben im Netzwerk der winzigen Meereiskanäle zu untersuchen. Vom Schiff aus beprobten sie den Ozean unter dem Eis bis hinunter zum Meeresboden und setzten dafür verschiedene Tiefsee-Technologien wie das am AWI entwickelte Kamera- und Sonarsystem „Ocean Floor Observation and Bathymetry“ System (OFOBS) ein.
Letzteres lieferte am 21. August eines der vielen bisherigen Highlights der Expedition. Mithilfe von OFOBS konnten die AWI-Forschenden einen 2500 Meter hohen, bislang unkartierten Seeberg vermessen. Seine Basis liegt in 4000 Metern Tiefe, seine Spitze reicht bis 1500 Meter Tiefe unter die Meeresoberfläche. „Am Gipfel des Seebergs wimmelt es nur so vor Leben“, sagt Antje Boetius, Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), die die Expedition leitet. „Wir fanden hier riesige, fast einen halben Meter große Schwämme, die über und über besiedelt waren mit Würmern, Krebsen und Weichkorallen. Für uns sehr überraschend stießen wir aber auch auf unzählige Fische, Aalmuttern und Scheibenbäuche, die für ihre Antifrost-Proteine bekannt sind. Die wunderschönen apricot-farbenen, fast einen halben Meter großen Seeanemonen waren ein fantastischer Anblick.“
Ein Ziel der Expedition sind zudem Vergleiche zu früheren Untersuchungen aus dem Jahr 2012 wie auch zu Untersuchungen der MOSAiC-Expedition. Im Jahr 2012 war das Team – ebenfalls unter Leitung der AWI-Direktorin Antje Boetius – mit Polarstern während der größten Meereisschmelze seit Beginn der Satelliten-Aufzeichnungen unterwegs. Über eine riesige Fläche fielen damals Meereislebewesen ins Wasser und sanken in die Tiefsee – besonders die fadenbildende endemische Meereisdiatomee Melosira arctica. Bei der Zersetzung der Algenteppiche durch Meeresbodenbakterien entstanden Sauerstoffminima im Meeresboden der Arktis. Das Team konnte nun elf Jahre später feststellen, dass das wiederholte Ausschmelzen der Meereisalgen in den vergangenen Jahren die Zusammensetzung der Meeresbodengemeinschaft verändert hat: ehemals dominante Arten wie Haarsterne sind verschwunden, dafür gibt es deutlich mehr Ringel- und Borstenwürmer sowie Seegurken. Allerdings fehlt dieses Jahr die Meereisalge Melosira arctica in großen Bereichen des Untersuchungsgebietes – sowohl im Eis wie am Meeresboden. Antje Boetius fasst zusammen: „An die Orte wiederzukehren, die wir erstmals 2012 untersuchten und die damals aufgezeichneten Phänomene des Klimawandels weiter zu verfolgen, ist für mich das wesentliche Ziel der Expedition. Wir sind sehr überrascht von der diesjährigen Veränderung in der Kopplung zwischen Meereis, Ozean und Meeresboden. Und froh, dass der weltweit heißeste Sommer 2023 nicht zu einer neuen Rekordschmelze geführt hat, da die zentrale Arktis durch eine besondere Wetterlage geschützt war.“
Ergebnisse der Meereisphysik erklären die Beobachtungen: So zeigte sich in diesem Jahr schon früh eine Anomalie in der Eisdrift, die dickeres Eis aus der westlichen zentralen Arktis nach Süden drückte. In den Regionen, wo 2012 und 2020 während MOSAiC junges Eis vom sibirischen Schelf mit vielen Algen gefunden wurde, dominierte dieses Jahr stark aufgeschmolzenes zweijähriges Eis aus dem kanadischen Becken. In den Sinkstofffallen und am Meeresboden war daher kaum abgesunkenes Material aus dem Eis zu finden. Auch die Ozeanographen bemerkten eine Anomalie: Die Schichtung des Meerwassers unter dem Eis war lokal durch Schmelzprozesse oder Vermischung durch starken Wind ausgeprägt, zeigte jedoch vergleichsweise hohen Salzgehalt. Grund ist wahrscheinlich eine geringere Schmelze und reduzierter Eintrag des Süßwasser-reichen Sibirischen Schelfmeeres. Direkt unter dem Eis begegneten den Planktologinnen und Planktologen an jeder Station auch andere Schwärme von Tieren – wie Manteltiere, Quallen, Flügelschnecken, Flohkrebse und Ruderfußkrebse. Anders als in 2012 wurde kaum Export von Biomasse in die Tiefsee beobachtet. Denn auch am Ende der Schmelzsaison gibt es noch eine ausgeprägte Schneeschicht auf dem Meereis. Diese macht das Eis und den Ozean darunter recht dunkel und führt sogar zum Aufsteigen von Phyto- und Zooplankton aus tieferen Wasserschichten an die hellere Unterseite des Eises. Zudem gibt es kaum Schmelztümpel auf dem Meereis, die sonst charakteristisch für den arktischen Sommer sind.
Auch die Vergleiche mit der Ausdehnung des Meereises während der MOSAiC-Drift-Expedition 2019-2020 lassen vermuten, dass 2023 über beiden Rekordminima von 2012 und 2020 liegen wird. Trotz des – seit Beginn von Wetterbeobachtungen – weltweit heißesten Sommers 2023 zeigt das Meereis der Arktis durchschnittlich sogar etwas höherer Dicken als in den vergangenen Jahren. Sowohl die Meereisphysikerinnen und Meereisphysiker als auch die Klimadynamikerinnen und Klimadynamiker erklären das Phänomen mit einem starken Tiefdruckeinfluss in der zentralen Arktis. Es bleibt noch abzuwarten, wie sich die Eisschmelze bis Mitte September zum Minimum der Eisausdehnung entwickeln wird. Die ersten Herbststürme transportieren gerade warme Luft in Richtung Arktis.
Gestern erreichte das AWI-Forschungsschiff planmäßig den Nordpol. Es ist das insgesamt siebte Mal, dass der Forschungseisbrecher Polarstern in seiner 42-jährigen Geschichte den nördlichsten Punkt der Erde erreicht. Zuletzt drang das Schiff am 18. August 2020 während der MOSAiC-Expedition mit dem Expeditionsleiter Markus Rex bis zum Nordpol vor. Gerade begannen die mehrtägigen Arbeiten der laufenden Expedition ArcWarch mit einem Tauchgang zum geographischen Pol bei 90°N in 4224 m Wassertiefe. Derzeit bauen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Observatorien auf der Eisscholle, im Ozean und am Meeresboden auf. Anschließend werden sie ihre Forschungsarbeiten entlang des 60. Breitengrads fortsetzen. Die Polarstern wird am 1. Oktober 2023 wieder in Bremerhaven zurückerwartet.
Dabei ist auch ein Kamerateam der UFA Documentary GmbH, das die Expedition filmisch begleitet. Geplant ist die Ausstrahlung der in Kooperation mit dem NDR entstehenden Fernseh-Dokumentation für den Jahreswechsel in der ARD. Bereits während der Expedition können Interessierte im Hörfunkprogramm von Radio Bremen Eindrücke von Bord gewinnen und die Expedition natürlich auch in der Polarstern-Web-App und auf den Social-Media-Kanälen des Alfred-Wegener-Instituts verfolgen.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.
Am 03. August 2023 ist die Polarstern in Richtung Nordpol aufgebrochen, um im Rahmen von ArcWatch 1 die Biologie, Chemie und Physik des Meereises und die Auswirkungen der Klimakrise auf das arktische Ökosystem zu untersuchen.
Korallenriffe als ein Fenster in die Vergangenheit und Zukunft
Pressemitteilung, 31.08.2023, MARUM
Internationale Expedition vor der Küste von Hawai’i gestartet
Ein Blick zurück auf die Umweltveränderungen im Laufe der Erdgeschichte kann uns viel über die Zukunft verraten – insbesondere, wenn es um global und gesellschaftlich wichtige Themen wie den Meeresspiegel, den Klimawandel und die Gesundheit des Korallenriff-Ökosystems geht. Eine internationale wissenschaftliche Forschungsexpedition, die im Auftrag des International Ocean Discovery Program (IODP) durchgeführt wird, zielt darauf ab, die Klima- und Riffbedingungen der Vergangenheit vor der Küste von Hawai’i (USA) aufzuzeichnen. Die zweimonatige Forschungsexpedition wird Ende August den Hafen von Honolulu verlassen.
Korallenriffe reagieren sehr empfindlich auf den Meeresspiegel und andere Veränderungen der Umweltbedingungen. Als Fossilien halten sie eine Aufzeichnung vergangener Bedingungen über Hunderte, Tausende und Millionen Jahre der Erdgeschichte bereit. In den weltweiten Aufzeichnungen der vergangenen 500.000 Jahre gibt es jedoch Unterbrechungen, vor allem während Zeiten, in denen das Klima plötzlich sehr instabil wurde. IODP-Expedition 389 „Hawai’ian Drowned Reefs“ ( „Versunkene hawaiianische Riffe“) konzentriert sich auf dieses fehlende Glied. Wissenschaftliche Fahrtleitende sind Professor Christina Ravelo (Ocean Sciences Department an der University of California, Santa Cruz, USA) und Professor Jody Webster (School of Geosciences), der University of Sydney, Australien).
Prof. Christina Ravelo: „Die fossilen Riffe von Hawai’i sind Geschichtenerzähler der vergangenen Klima- und Ozeanveränderungen und der Reaktionen des Riffökosystems auf diese Veränderungen. Wir möchten diese Geschichten durch sorgfältige Untersuchung der Fossilien, die wir zu bergen hoffen, aufdecken und teilen.“
Prof. Jody Webster: „Wir hoffen, dass die in den fossilen Riffen aufgezeichneten Informationen den Wissenschaftlern helfen werden, bessere Vorhersagen über Geschwindigkeit und Ausmaß des Meeresspiegelanstiegs zu treffen, welche Auswirkungen die globale Erwärmung und Abkühlung auf kurzfristige Klimaphänomene wie Dürren, Überschwemmungen und marine Hitzewellen hat, und wie Korallenriff-Ökosysteme auf diese Veränderungen reagieren.“
Dr. Thomas Felis, Leiter der Arbeitsgruppe Korallen-Paläoklimatologie am MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen, ist Mitglied des Expeditionsteams. „Nach früheren Korallenriff-Bohrexpeditionen zum Great Barrier Reef und nach Tahiti, an denen ich beteiligt war, bietet sich nun in Hawai’i die einmalige Gelegenheit, noch viel weiter in die Vergangenheit zurückzugehen, hoffentlich bis zu einer halben Million Jahre“, sagt Thomas Felis. Er koordiniert auch das DFG-Schwerpunktprogramm „Tropische Klimavariabilität & Korallenriffe“ (SPP 2299), ein deutschlandweites Verbundprojekt, das ein besseres Verständnis der Klimavariabilität in den tropischen Ozeanen und ihrer Auswirkungen auf das Ökosystem der Korallenriffe in einer sich erwärmenden Welt zum Ziel hat. „Ich freue mich sehr, dass vier Forschende aus unserem Programm eingeladen wurden, zur IODP-Expedition 389 nach Hawai’i beizutragen“, so Felis.
Ziel der Expedition ist es, Bohrkerne aus Wassertiefen zwischen 134 und 1.155 Metern an zwanzig Stellen zu bergen. Auch wenn dies das erste Mal ist, dass in diesem Gebiet ein Ozeanbodenbohrgerät eingesetzt wird, sind die geplanten Lokationen gut untersucht. „Wir haben eine sehr gute Vorstellung davon, wie der Meeresboden vor der Küste von Hawai’iaussieht, Wissenschaftler:innen haben in den letzten vier Jahrzehnten mit Tauchbooten und ferngesteuerten Tauchrobotern umfangreichen Kartierungen mit Unterwassersonaren sowie Filmmaterial und Oberflächenproben gesammelt“, sagt Jody Webster. „Diese Informationen haben uns geholfen, die besten Lokationen für die sorgfältige Gewinnung der Kerne auszuwählen, die unser Verständnis der Geschichte des Riffsystems erheblich vertiefen werden“, fügt Christina Ravelo hinzu.
Die Universität von Hawai’i ist eine Partnerinstitution dieser Expedition und verfügt über eine lange Tradition in der Wissenschaft in den Bereichen Korallenriffe, Küstenphänomene und Küstengeologie. Hawai’ianische Wissenschaftler haben den Anstieg des Meeresspiegels und seine Auswirkungen untersucht und hervorgehoben, wie wichtig dieses Wissen für das Formulieren einer Strategie zur Eindämmung des Klimawandels und zur Stärkung der Resilienz in der Zukunft ist. Prof. Kenna Rubin, anorganische Geochemikerin an der University of Hawai’i at Manoa, Department of Earth Sciences, war von Anfang an an der Planung der Expedition beteiligt und wird eine wichtige Teilnehmerin sein.
Prof. Kenna Rubin: „Die detaillierten, hochauflösenden zeitlichen und zusammengesetzten Abfolgen, die wir von dieser Expedition erwarten, werden unser Wissen über die Reaktionen auf den Klimawandel erheblich erweitern und Forschenden helfen, die vulkanische Absenkungsgeschichte von ‚Big Island‘ besser zu verstehen.“ Die Auswirkungen dieser Forschung in Hawai’i werden zu bestehenden Studien über Meeresspiegelveränderungen beitragen, wie sie hier von Korallenriffen aufgezeichnet werden.“
Die wissenschaftlichen Ziele der Expedition zielen darauf ab, Fragen zu vier Hauptthemen zu beantworten:
- Das Ausmaß der Meeresspiegelveränderung in den letzten halben Million Jahren zu messen
- Warum sich Meeresspiegel und Klima im Laufe der Zeit ändern zu untersuchen
- Wie Korallenriffe auf abrupte Meeresspiegel- und Klimaveränderungen reagieren zu erforschen, und
- Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über Wachstum und Absenkung von Hawai’i im Laufe der Zeit zu verbessern.
Die Planungsphase der Expedition umfasste intensive Umweltbeobachtungen und eine umfassende Risikobewertung.
Um das Material, das die Wissenschaftler:innen für ihre Analysen in den kommenden Jahren nutzen werden, zu gewinnen, wird während der Expedition auf dem Mehrzweckschiff MMA VALOUR ein Meeresbodenbohrgerät eingesetzt. Das Meeresbodenbohrgerät wird von einem renommierten Spezialisten der Geotechnikindustrie bereitgestellt und betrieben. Es wird auf den Meeresboden abgesenkt, um bis zu 110 Meter lange Bohrkerne aus dem Ozeanboden zu bergen.
Die MMA VALOUR ist ein vielseitiges Mehrzweck-Versorgungsschiff, das MMA Offshore gehört und von MMA Offshore betrieben wird, einem weltweit führenden Anbieter von See- und Unterwasserdienstleistungen. MMA mit Hauptsitz in Perth, Australien, engagiert sich für den Schutz der Meeresökosysteme der Welt und die Unterstützung wichtiger wissenschaftlicher Forschung in diesem Bereich.
An der Expedition werden 29 Wissenschaftler:innen aus Australien, Österreich, China, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Indien, Japan, den Niederlanden, Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika teilnehmen. Zehn von ihnen werden an Bord der MMA VALOUR sein und am 31. August den Hafen von Honolulu verlassen. Die Offshore-Phase der Expedition endet am 31. Oktober. Alle Mitglieder der Wissenschaftsgruppe werden sich zur Onshore-Phase im Bremer IODP Bohrkernlager (BCR) am MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen (Deutschland) treffen um die Kerne zu öffnen, zu analysieren, zu beproben und die im Februar 2024 gesammelten Daten auszuwerten. „Das Treffen im Februar in Bremen bietet die Möglichkeit, dass alle Wissenschaftler:innen der internationalen und interdisziplinären Expedition erstmalig zusammen kommen und Kollaborationen intensiviert oder sogar erst initiiert werden“, sagt Dr. Ursula Röhl, Wissenschaftlerin am MARUM und Leiterin des Bremer Bohrkernlagers. „Im Moment ist ein Teil des Bremer Kernlager-Teams mit an Bord, um die Bohrkerne und Probenmaterial fachgerecht zu kuratieren und erste Messungen zu begleiten“, fügt sie weiter hinzu.
Die Kerne werden archiviert und der wissenschaftlichen Gemeinschaft nach einer einjährigen Moratoriums-Periode nach der Onshore-Phase der Expedition für weitere wissenschaftliche Forschungen zugänglich gemacht. Alle Expeditionsdaten werden öffentlich zugänglich sein und die daraus resultierenden Ergebnisse werden veröffentlicht.
Die Expedition wird vom European Consortium for Ocean Research Drilling (ECORD) im Rahmen des International Ocean Discovery Program (IODP) durchgeführt. IODP ist ein öffentlich finanziertes internationales Meeresforschungsprogramm, das von 21 Ländern unterstützt wird und die in Sedimenten und Gesteinen des Meeresbodens aufgezeichnete Erdgeschichte und -dynamik erforscht und die Umgebungen unter dem Meeresboden überwacht. Über mehrere Plattformen – eine einzigartige Funktion von IODP – untersuchen Wissenschaftler:innen die tiefe Biosphäre und den Ozean unter dem Meeresboden, Umweltveränderungen, Prozesse und Auswirkungen sowie Zyklen und Dynamik der festen Erde.
Der ECORD Science Operator verfügt über große Erfahrung in der Arbeit mit sensiblen Ökosystemen wie Korallenriffen, nachdem See-Expeditionen bereits zum Great Barrier Reef (Australien, 2010) und nach Tahiti (2005) durchgeführt wurden.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim MARUM.
Besonders gefährdet sind die artenreichen Riffökosysteme durch Extremwetterereignisse wie Zyklone und Hitzewellen, die aufgrund der Klimakrise immer häufiger und mit größerer Intensität auftreten.
Im Jahr 2022 hat sich DEEPWAVE für sein Filmfestival in Bremen mit dem 15. Internationalen Korallenriff-Symposium (ICRS), der größten Konferenz für Korallenforscher:innen zusammengetan und das Filmfestival „Saving Corals“ auf die Beine gestellt.
Meereisrückgang lässt Zooplankton künftig länger in der Tiefe bleiben
Pressemitteilung, 28.08.2023, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung
Neue Studie zeigt: Klimawandel verändert saisonale Vertikalwanderung von Zooplankton in der Arktis
[28. August 2023] Sonnenlicht kann wegen der zunehmenden Meereisschmelze in der Arktis immer tiefer in den Ozean eindringen. Weil sich das Zooplankton im Meer an den Lichtverhältnissen orientiert, verändert sich dadurch auch sein Verhalten – vor allem dabei der Auf- und Abstieg der winzigen Tiere innerhalb der Wassersäule. Wie ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts nun zeigt, könnte dies in Zukunft zu häufigeren Hungerphasen beim Zooplankton und zu negativen Effekten bis hin zu Robben und Walen führen. Die Studie ist im Fachmagazin Nature Climate Change erschienen.
Ausdehnung und Dicke des Meereises in der Arktis schwinden in Folge des menschengemachten Klimawandels deutlich. So schrumpft die durchschnittliche Fläche des Eises derzeit um etwa 13 Prozent pro Dekade. Schon 2030 – so zeigen es aktuelle Studien und Modellrechnungen – könnte der Nordpol im Sommer erstmals eisfrei sein. Die physikalischen Umweltbedingungen für das Leben im Nordpolarmeer ändern sich dadurch ebenso deutlich. Das Sonnenlicht etwa kann bei schrumpfender und dünnerer Eisdecke viel tiefer in das Wasser des Ozeans eindringen. In der Folge kann etwa die Primärproduktion – also das Wachstum – von Mikroalgen in Wasser und Eis unter bestimmten Bedingungen stark ansteigen. Wie sich die veränderten Lichtbedingungen auf höhere trophische Ebenen der Nahrungskette – wie beispielsweise das sich unter anderem von Mikroalgen ernährende Zooplankton – auswirken, ist bislang noch nicht gut verstanden. Ein internationales Forschungsteam um Dr. Hauke Flores vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) hat nun einen wichtigen wissenschaftlichen Baustein für ein besseres Verständnis geliefert.
„In den Ozeanen findet jeden Tag die gewaltigste synchrone Massenbewegung von Organismen auf dem Planeten statt“, sagt Hauke Flores. „Und das ist die tägliche Wanderung des Zooplanktons, zu dem etwa die winzigen Copepoden, auch bekannt als Ruderfußkrebse, und der Krill zählen. Nachts kommt das Zooplankton nah an die Wasseroberfläche, um zu fressen. Tagsüber wandert es wieder in die Tiefe, um sich vor Fressfeinden zu schützen. Einzelne Organismen des Zooplanktons sind zwar winzig, in der Summe aber ergibt sich so eine enorme tägliche Vertikalbewegung von Biomasse in der Wassersäule. In den Polargebieten sieht diese vertikale Wanderung allerdings anders aus. Sie ist hier saisonal, das heißt, dass das Zooplankton einem jahreszeitlichen Zyklus folgt. In der monatelangen Helligkeit des Polartags im Sommer bleibt das Zooplankton dauerhaft in größeren Tiefen, in der monatelangen Dunkelheit der Polarnacht im Winter kommt ein Teil des Zooplanktons dann dauerhaft in das oberflächennahe Wasser direkt unter dem Eis.“
Ganz wesentlich bestimmt werden sowohl die tägliche Wanderung in niedrigen Breiten als auch die saisonale Wanderung in den Polargebieten vom Sonnenlicht. Die winzigen Tiere mögen es meist dämmrig. Sie bleiben gern unterhalb einer bestimmten Lichtintensität (kritisches Isolumen), die meist sehr niedrig ist und weit im dunklen Dämmerlichtbereich liegt. Wenn sich im Laufe des Tages oder der Jahreszeiten die Sonnenlichtintensität ändert, folgt das Zooplankton dem Isolumen, was letztlich dann zum Auf- und Absteigen in der Wassersäule führt. „Speziell im Bereich der oberen 20 Meter Wassersäule direkt unter dem Meereis fehlten bislang Daten zum Zooplankton“, erläutert Hauke Flores. „Genau dieser schwer für Messungen erreichbare Bereich ist aber der spannendste, weil genau hier im und unter dem Eis die Mikroalgen wachsen, von denen sich das Zooplankton ernährt.“ Um hier zu messen, konstruierte das Team ein autonomes biophysikalisches Messobservatorium, das sie am Ende der MOSAiC-Expedition des AWI-Forschungseisbrechers Polarstern im September 2020 unter dem Eis verankerten. Das Gerät konnte hier – fernab jeder Lichtverschmutzung durch menschliche Aktivitäten – kontinuierlich die Lichtintensität unter dem Eis und die Bewegungen des Zooplanktons messen.
„Im Ergebnis konnten wir ein sehr niedriges kritisches Isolumen für das Zooplankton von 0,00024 Watt/Quadratmeter bestimmen“, sagt der AWI-Forscher. „Diesen Wert haben wir dann in unsere Computermodelle integriert, die das Meereissystem simulieren. So haben wir dann für verschiedene Klimaszenarien berechnet, wie sich die Tiefe dieses Isolumens bis zur Mitte dieses Jahrhunderts verändert, wenn das Meereis in Folge des fortschreitenden Klimawandels immer dünner wird.“ Dabei zeigte sich, dass das kritische Isolumen wegen der immer weiter abnehmenden Eisdicke immer früher im Jahr in größere Tiefen absinkt und immer später im Jahr wieder die Oberflächenschicht erreicht. Da das Zooplankton grundsätzlich unterhalb des kritischen Isolumens bleibt, wird es dieser Bewegung folgen. Deshalb hält es sich in den Zukunftsszenarien immer länger in größeren Tiefen auf und seine Zeit im Winter unter dem Eis wird immer kürzer.
„Künftig wird sich in einem wärmeren Klima das Eis im Herbst später bilden, was zu einer geringeren Eisalgenproduktion führt“, erklärt Hauke Flores. „In Kombination mit dem späteren Aufstieg kann das beim Zooplankton im Winter häufiger zu Nahrungsmangel führen. Im Gegenzug kann ein früherer Abstieg des Zooplanktons im Frühjahr eine Gefährdung für tiefer lebende Jungstadien von ökologisch wichtigen Zooplanktonarten bewirken, die dann vermehrt von den ausgewachsenen Tieren gefressen werden könnten.“
„Insgesamt zeigt unsere Studie einen bisher nicht beachteten Mechanismus auf, über den sich die Überlebenschancen des Zooplanktons in der Arktis in naher Zukunft weiter verschlechtern könnten“, sagt der AWI-Forscher. „Dies hätte fatale Auswirkungen auf das ganze Ökosystem bis hin zu Robben, Walen und Eisbären. Unsere Modellsimulationen zeigen aber auch, dass sich die Vertikalwanderung bei Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels wesentlich weniger verschiebt als bei einem ungebremsten Fortschreiten der Treibhausgasemissionen. Deswegen ist für das arktische Ökosystem jedes Zehntel Grad weniger menschengemachte Erwärmung von entscheidender Bedeutung.“
Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.
Die Originalpublikation „Sea-ice decline makes zooplankton stay deeper for longer“ findet ihr bei Nature Climate Change.
Die Umweltveränderungen durch die Klimakrise bedrohen das arktische Ökosystem auf vielen verschiedenen, zusammenhängenden Ebenen. Diese werden gerade auf der Polarstern-Expedition ArcWatch 1 untersucht. Auch die Polardorschbestände werden durch den Rückgang der Meereisbedeckung erheblich negativ beeinflusst.
Marine Hitzewellen: Ozeane mit Fieber
Pressemitteilung, 16.08.2023, NABU
Miller: Meere stoßen immer öfter an ihre Grenzen und müssen besser geschützt werden
Berlin – Pazifik, Atlantik und Mittelmeer werden immer öfter von Hitzewellen heimgesucht. Anfang August erreichte die Durchschnittstemperatur der Ozeane mit fast 21 Grad Celsius einen traurigen Rekord. Das Klimaphänomen El Niño tritt häufiger und intensiver auf. Auch daraus resultierende Extremwetterereignisse nehmen zu, mit fatalen Folgen für Mensch und Natur. Der NABU fordert die Bundesregierung deshalb auf, dem Klima- und Meeresschutz endlich Vorrang einzuräumen.
„Die Ozeane sind die stabilisierende Kraft unseres Klimasystems: Ein Drittel des von uns ausgestoßenen Kohlendioxids und 90 Prozent der Wärmestrahlung der Sonne werden von ihnen aufgenommen. Doch sie stoßen an ihre Kapazitäts- und Belastungsgrenzen. Klimastress, zunehmende Übernutzung und Industrialisierung führen zu ökologischen Kipp-Punkten und Artensterben, auch an unseren Küsten. Das wird von der Bundesregierung nicht ausreichend berücksichtigt“, mahnt NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller.
Während im Mittelmeer jüngst fast 29 Grad gemessen wurden waren es um die Florida Keys sogar 38 Grad Celsius. In der Folge starben massenhaft Korallen. Nach Angaben des Weltklimarates IPCC hat sich die Häufigkeit von Hitzewellen seit 1982 verdoppelt, und sie werden immer heißer und großflächiger.
„Wir müssen immer öfter beobachten, wie Riffe sterben und Fischbestände zusammenbrechen. Der überfischte Ostseehering kann sich in der bis zu fünf Grad zu warmen Ostsee nicht erholen, weil seine Larven verhungern. Dem Nordsee-Kabeljau wird es zu warm, er wandert nach Norden. Hitze und Nährstoffüberschuss führen zu giftigen Algenblüten, unser heimisches Seegras, Hotspot der Biodiversität und wertvolle Kohlenstoffsenke droht bei andauernden Wassertemperaturen über 25 Grad zu verschwinden,“ erläutert NABU-Meeresexperte Kim Detloff die Folgen.
Die Wissenschaft sorgt sich um die Meeresströmungen im Nordatlantik, wozu der das Klima Europas bestimmende Golfstrom gehört. Die atlantische Zirkulation ist Motor des globalen Strömungsbandes, welches mit seinen Wassermassen Temperatur, Sauerstoff und Nährstoffe verteilt. Stottert der Motor ändert sich das Klima, verschieben sich Niederschläge, kommt es häufiger zu Stürmen.
Angesichts der Klimakrise rächt sich der jahrzehntelange Raubbau an den Meeren doppelt. Arten gehen verloren, Lebensräume werden zerstört und als Folge nimmt die Widerstandskraft mariner Ökosysteme ab. Doch es ist nicht zu spät. Der NABU fordert neben dem schnellstmöglichen Ausstieg aus den fossilen Energien klimarelevante Biotope wie Algenwälder, Salz- und Seegraswiesen wiederherzustellen und die deutschen Meeresschutzgebiete umgehend wirksam zu schützen. „Die Hälfte der Schutzgebiete muss nutzungsfrei werden. Wir brauchen mehr Tempo. Die Bundesregierung sieht in Nord- und Ostsee immer nur den Wirtschaftsraum, versäumt es Ökosystemleistungen, ja unsere Lebensgrundlagen im Meer zu sichern. Wir können als Deutschland die Weltmeere nicht allein retten, aber wir können in Nord- und Ostsee zeigen, wie es besser geht und zum Vorreiter für den Schutz von Meer und Klima werden“, so Detloff.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim NABU.
Auch im arktischen Ozean bleiben Hitzewellen nicht aus. Die weitreichenden Veränderungen für das Ökosystem werden aktuell auf der Expetition ArcWatch 1 untersucht.
Klimawandel bedroht Polardorschbestände in der Arktis
Pressemitteilung, 09.08.2023, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung
Forschende befürchten erhebliche Folgen von steigenden Temperaturen und Meereisrückgang für den wichtigsten Fisch im Nordpolarmeer
[09. August 2023] Der Polardorsch ist der am häufigsten vorkommende Fisch im Arktischen Ozean. Er ist wichtige Nahrungsgrundlage für arktische Meeressäuger und spielt auch bei der Selbstversorgung der Inuit eine wichtige Rolle. Ein internationales Studienteam, darunter auch Forschende des Alfred-Wegener-Instituts, hat nun die wichtigsten wissenschaftlichen Arbeiten zum Polardorsch der vergangenen Jahrzehnte ausgewertet. Das Fazit: Vor allem der bereits weit fortgeschrittene Rückgang der arktischen Meereisbedeckung in Folge des menschengemachten Klimawandels könnte sich erheblich auf die künftige Verbreitung der Art auswirken. Die Studie wurde im Fachmagazin Elementa: Science of the Anthropocene veröffentlicht.
Der Polardorsch (Boreogadus saida) ist eng mit dem atlantischen Kabeljau verwandt und lebt im arktischen Ozean rund um den Nordpol. Als wichtige Nahrungsquelle für Meeressäuger (Ringelrobben, Narwale, Belugas) und Seevögel spielt er eine zentrale Rolle im arktischen Ökosystem. Zudem wird er von den Inuit in Kanada und auf Grönland genutzt.
Ein Forschungsteam hat nun 395 wissenschaftliche Artikel zum Polardorsch und zum Einfluss von Klimawandel und menschlichen Aktivitäten auf dessen Populationen ausgewertet, die zwischen 1954 und heute erschienen sind. Geleitet wurde das internationale Konsortium – 43 Forschende aus 26 Instituten – von Studienerstautor Dr. Maxime Geoffroy, Meeresbiologe am Fisheries and Marine Institute der Memorial University of Newfoundland in Kanada.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass dringend gehandelt werden muss, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die arktischen Polardorschbestände abzuschwächen“, sagt Maxime Geoffroy. „Die Veränderungen betreffen nicht nur den am häufigsten vorkommenden Fisch der Arktis, sondern stören auch das empfindliche Gleichgewicht des gesamten arktischen Ökosystems.“
Ein wichtiger Bestandteil der Studie war die von Dr. Hauke Flores, Meeresbiologe am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- Meeresforschung, koordinierte Bewertung der Zukunftsaussichten für den Polardorsch bis zur Mitte dieses Jahrhunderts. „Es war eine ziemliche Herausforderung, so viele Perspektiven auf die Auswirkungen der Klimakrise und anderer Stressfaktoren auf den Polardorsch zusammenzubringen“, sagt Hauke Flores. „Aber es gab einige klare Ergebnisse. Der Rückgang des Meereises und die Erwärmung der Ozeane sind die größten Bedrohungen für die Zukunft des Polardorschs. Die jüngsten Lebensstadien sind dabei am anfälligsten. Das Meereis ist für diesen Fisch sehr wichtig. Den Eiern und bis zu zwei Jahre alten Jungfischen bietet es Schutz vor Räubern. Umgekehrt finden die Jungfische unter dem Eis selbst im Winter Nahrung. Der Meereisrückgang hat daher nicht nur künftig, sondern auch heute schon erhebliche Auswirkungen auf den Polardorsch.“
Die wichtigsten Studienergebnisse zusammengefasst:
Lebensraumverlust: Steigende Temperaturen und schrumpfendes Meereis stellen eine erhebliche Bedrohung für den Lebensraum des Polardorschs dar, insbesondere für seine Eier und Larven. Diese Veränderungen beeinträchtigen die Fortpflanzungszyklen, die Überlebenschancen, das Wachstum, die Verbreitung und die Ernährungsfähigkeit der ganzen Art.
Veränderte Nahrungsverfügbarkeit: Der Klimawandel führt dazu, dass sich die Zusammensetzung des Zooplanktons als Nahrung für die Larven und Jungtiere des Polardorschs ändert. Dies kann zu geringeren Wachstumsraten und einer höheren Sterblichkeit der Larven und letztlich zu einem Rückgang der Bestände führen.
Zunehmende Prädation und Konkurrenz: Mit dem Rückgang des Meereises ist der Polardorsch verstärkt Raubtieren und Konkurrenten aus dem Nordatlantik und dem nördlichen Pazifik ausgesetzt. Seevogelarten und größere Fischarten aus südlich gelegenen Regionen dehnen ihr Verbreitungsgebiet auch auf bisher unzugängliche Gebiete aus. Dieser erhöhte Raubtier- und Konkurrenzdruck könnte kaskadenartige Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem haben.
Erhöhte Risiken durch Förderung/Transport von Öl und Gas: Insbesondere mögliche Ölverschmutzungen an der Meeresoberfläche können zu höherer Sterblichkeit, verringertem Wachstum und mehr Missbildungen bei Polardorschen führen.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.
Mithilfe von alter DNA aus dem Meeresgrund hat ein Team vom Alfred-Wegener-Institut in Potsdam herausgefunden, dass sich in der Vergangenheit beim Übergang von saisonal vereisten zu eisfreien Bedingungen das gesamte Ökosystem verändern kann – und was wir daraus für die Zukunft unserer von der Klimakrise bedrohten Meere lernen können.