Klima
Meeresschutz ist Klimaschutz.
ArcWatch 1: Augenzeugen des Arktischen Wandels
Pressemitteilung, 01.08.2023, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung
AWI-Direktorin Antje Boetius leitet Polarstern-Expedition in die Zentralarktis
[01. August 2023] Am Donnerstag, den 3. August 2023 soll das Forschungsschiff Polarstern vom norwegischen Tromsø aus in Richtung Nordpol starten. Zwei Monate lang werden gut fünfzig wissenschaftliche Expeditionsteilnehmende die Arktis im Wandel erforschen, während die Meereisausdehnung im September ihr jährliches Minimum erreichen wird. Sie erkunden die Biologie, Chemie und Physik des Meereises sowie die Auswirkungen des Meereis-Rückgangs auf das gesamte Ozeansystem von der Oberfläche bis in die Tiefsee. Vor elf Jahren war Antje Boetius beim bisher größten Meereisminumum der Arktis und seinen Folgen für das Leben in der Tiefsee dabei. Jetzt kehrt sie mit ihrem Team zurück, um den heutigen Zustand der Arktis zu vergleichen – auch mit den Daten der MOSAiC-Expedition 2019/20.
„Ich bin sehr gespannt darauf zu sehen, wie sich das Meereis und das Leben im Ozean in der letzten Dekade verändert haben“, sagt Antje Boetius. „Im Jahr 2012 waren wir während der bisher geringsten dokumentierten sommerlichen Meereisausdehnung vor Ort und konnten erhebliche Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem des zentralen Arktischen Ozeans feststellen, bis in über vier Kilometer Wassertiefe“, erläutert die Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). „Aktuell beobachte ich die Meereissituation auf www.meereisportal.de besonders intensiv. Noch wissen wir nicht, ob ein neues Minimum erreicht wird, angesichts des global heißen Jahres 2023 und während in der Antarktis das Meereis ein Rekordtief zeigt.
Der Leiter des Team Meereisphysik und MOSAiC-Experte Dr. Marcel Nicolaus berichtet: „Das Eis erstreckt sich zurzeit mit knapp 7,5 Millionen Quadratkilometern über eine ähnliche Fläche wie in den beiden vergangenen Jahren. Damit gibt es noch etwa eine Million Quadratkilometer mehr Eis als im Jahr 2012. Die sommerliche Schmelze ist aber in vollem Gange, und vor allem der Wind wird in den kommenden Wochen bestimmen, wie sich das poröse, brüchige Eis weiter verteilt.“
Wie sich die Beschaffenheit des Meereises verändert, untersucht das Expeditionsteam vor Ort detailliert: Mit Helikopter-geschleppten Sensoren wird die Dicke des Eises vermessen, Eisbohrkerne erlauben die Analyse der Meereisbeschaffenheit sowie die Untersuchung im Eis lebender Algen. Ein Unterwasserroboter misst, wie viel Licht durch das Eis in den Ozean gelangt, wenn seine Oberfläche noch von Schnee oder bereits von Schmelzwassertümpeln bedeckt ist. Das Licht steht Kleinstalgen (Phytoplankton) als Energiequelle für die Photosynthese zur Verfügung, die in den oberen Wasserschichten leben. Was mit dem von ihnen gebundenen Kohlenstoff weiter passiert, wird (mikro-)biologisch, chemisch und physikalisch von der Wasseroberfläche bis in den Tiefseeboden erforscht. Die Planktologen an Bord wollen den Weg des Lebens direkt unter dem Eis bis in die Tiefsee verfolgen, dazu bringen sie verschiedene Kamerasysteme aus sowie autonome Probennehmer.
Für diese Arbeiten sind mehrere sogenannte Eisstationen geplant: „Das Schiff legt an eine Scholle an, dann gehen die Eisforscher auf die Scholle, wir setzen verschiedene Roboter und Freifallgeräte aus und parallel schauen wir mit den Zoologinnen die Lebewesen am Grund an, über 4000 Meter tiefer. So erkennen wir Zusammenhänge in allen Stockwerken des Ozeans vom Meereis bis zum Meeresboden“, erklärt Antje Boetius. Dabei kehrt das Team für vergleichende Untersuchungen in den gleichen Arbeitsgebieten wie im Jahr 2012 zurück: in die besonders produktive Eisrandzone und Regionen mit vielleicht noch immer mehrjähriger Eisbedeckung in der zentralen Arktis. Für die Arbeiten werden eine Reihe bewährter, aber auch neuer Technologien eingesetzt, beispielsweise Landersysteme, Tiefsee-Crawler und das am AWI entwickelte Ocean Floor Observation and Bathymetry System (OFOBS). Die Rückkehr erfolgt nach der sommerlichen Eisschmelze, wenn die herbstliche Meereisbildung beginnt.
Unter den Teilnehmenden ist auch ein Kamerateam der UFA Documentary GmbH, das die Expedition filmisch begleitet. Geplant ist die Ausstrahlung der in Kooperation mit dem NDR entstehenden Fernseh-Dokumentation für den Jahreswechsel in der ARD. Bereits während der Expedition können Interessierte im Hörfunkprogramm von Radio Bremen Eindrücke von Bord gewinnen und die Expedition natürlich auch in der Polarstern-App und auf den Social-Media-Kanälen des Alfred-Wegener-Instituts verfolgen. Planmäßig soll die Polarstern am 1. Oktober in ihren Heimathafen Bremerhaven zurückkehren.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.
Am 03. August 2023 sind die Wissenschaftler:innen mit der Polarstern aufgebrochen. In dem digitalen Logbuch zur Expedition ArcWatch 1 könnt ihr die aktuelle Route mitverfolgen und bekommt jeden Tag spannende Einblicke in die wissenschaftlichen Arbeiten an und unter Deck – sowie auf und unter dem Eis.
Über die MOSAiC Expedition 2019/2020 – die größte Arktis-Mission aller Zeiten – könnt ihr hier einen Podcast anhören. Im Interview mit DEEPWAVE spricht Antje Boetius, Direktorin des AWI, über ihre Tauchfahrt in die Tiefsee und warum der Schutz der Meere uns alle etwas angeht.
Das Heroin unter den Klima-Technologien
Disturbing content warning
Dieser Artikel ist keine leichte Kost.
Aber da darin (nicht nur) die Meere vorkommen, sollten wir uns einen Tee machen, tief Luft holen und ihn lesen. Die Autoren schreiben selber: „Bei der Recherche habe ich mir mehr als einmal gedacht: Worüber reden wir hier eigentlich? Das Ganze klingt nach einer Mischung aus absurdesten Verschwörungstheorien und Matrix Teil IV. Auf der anderen Seite: gut, dass wir drüber reden.“ Denn es geht eben nicht um Science-Fiction-Fantasien, sondern um ernst gemeinte Techniken, die im letzten IPCC Bericht viel Raum einnehmen, nur nicht in den Berichten über den IPCC Bericht, Techniken, besser: Eingriffe in unser Ökosystem Erde, die nicht nur ernst gemeint sind, sondern schon ansatzweise praktiziert werden und deren Entwicklung besser finanziert ist als jede Kampagne, die es wirklich ernst meint mit dem Schutz der Natur und der Meere, also unserem Schutz, und die schon einmal über so etwas wie Klimagerechtigkeit nicht nur nachgedacht hat, sondern auch empfindet, in was für einer Verantwortung wir stehen, für eine Zukunft auf diesem Planeten für ALLE zu sorgen. Auch wenn es schwer erträglich ist, diese Fantasien zu Ende zu denken: wir sollten wissen, was andere sich aushecken, um unsere Erde seelenruhig weiter fossil aufheizen zu können. Von diesen Techniken gehört zu haben und dazu Stellung beziehen zu können, gehört zu unserem Job, nicht erst in der Zukunft, sondern jetzt.
Den Artikel „Das Heroin unter den Klima-Technologien“ von Julien Gupta vom 17.06.2023 findet ihr beim Treibhauspost.
Alle reden von CCS – DEEPWAVE auch: im Gastbeitrag von Nico Czaja „Unter die Erde kehren“.
Arktische Eisalgen stark mit Mikroplastik belastet
Pressemitteilung, 21.04.2023, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung
Melosira arctica enthält zehnmal höhere Konzentration von Kunststoffpartikeln als umgebendes Meerwasser
[21. April 2023] Die unter dem arktischen Meereis wachsende Alge Melosira arctica enthält zehnmal so viele Mikroplastikpartikel wie das umgebende Meerwasser. Diese Konzentration an der Basis des Nahrungsnetzes stellt eine Gefahr dar für Lebewesen, die sich an der Meeresoberfläche von den Algen ernähren. Klumpen abgestorbener Algen befördern das Plastik mit seinen Schadstoffen zudem besonders schnell in die Tiefsee – und können so die hohen Mikroplastikkonzentrationen im dortigen Sediment erklären. Das berichten Forschende unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts jetzt in der Fachzeitschrift Environmental Science and Technology.
Sie ist ein Futterfahrstuhl für die Bodenlebewesen in der Tiefsee: Die Alge Melosira arctica wächst in den Frühlings- und Sommermonaten mit rasantem Tempo unter dem Meereis und bildet dort meterlange Zellketten. Sterben die Zellen ab und schmilzt das Eis, an dessen Unterseite sie haften, verkleben sie zu Klumpen, die innerhalb eines einzigen Tages mehrere tausend Meter bis auf den Grund der Tiefsee sinken können. Dort bilden sie eine wichtige Nahrungsquelle für die bodenlebenden Tiere und Bakterien. Neben der Nahrung transportieren die Aggregate jedoch mittlerweile auch eine bedenkliche Fracht mit in die arktische Tiefsee: Mikroplastik. Das hat ein Forschungsteam um die Biologin Dr. Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) jetzt in der FachzeitschriftEnvironmental Science and Technology veröffentlicht.
Die detaillierte Analyse der Plastikzusammensetzung zeigte, dass eine Vielzahl verschiedener Kunststoffe in der Arktis vorkommt, darunter Polyethylen, Polyester, Polypropylen, Nylon, Akryl und viele mehr. Zuzüglich verschiedener Chemikalien und Farbstoffe entsteht so ein Stoff Mix, dessen Auswirkungen auf Umwelt und Lebewesen schwer einzuschätzen ist. „Gerade die Menschen in der Arktis sind für ihre Proteinversorgung besonders auf das marine Nahrungsnetz angewiesen, beispielsweise durch die Jagd oder Fischerei. Das heißt, dass sie auch dem darin enthaltenen Mikroplastik und Chemikalien ausgesetzt sind. Mikroplastik wurde bereits in menschlichen Darm, Blut, Venen, Lungen, Plazenta und Brustmilch nachgewiesen und kann Entzündungsreaktionen hervorrufen, doch die Folgen sind insgesamt noch kaum erforscht“, berichtet Melanie Bergmann. „Mikro- und Nanoplastik wurden im Grunde überall dort nachgewiesen, wo Forschende im menschlichen Körper und einer Vielzahl anderer Arten nachgeforscht haben. Es ist bekannt, dass sie das Verhalten, das Wachstum, die Fruchtbarkeit und die Sterblichkeitsrate von Organismen verändern, und viele enthaltene Chemikalien sind nachweislich schädlich für den Menschen“, ergänzt Steve Allen vom Ocean Frontiers Institut der Dalhousie University, ein Mitglied des Forschungsteams.
Außerdem ist das arktische Ökosystem durch die tiefgehenden Umwälzungen der Umwelt durch die Erderhitzung ohnehin schon bedroht. Sind die Organismen nun noch zusätzlich Mikroplastik und den enthaltenen Chemikalien ausgesetzt, kann es sie weiter schwächen. „Hier kommen also verschiedene planetare Krisen zusammen, gegen die wir dringend effektiv vorgehen müssen. Wissenschaftliche Berechnungen haben gezeigt, dass sich die Plastikverschmutzung am wirksamsten durch eine Minderung der Produktion von neuem Plastik verringern lässt“, sagt die AWI-Biologin und ergänzt: „Dies sollte darum auch unbedingt priorisiert werden in dem zurzeit verhandelten globalen Plastikabkommen.“ Darum begleitet Melanie Bergmann auch die nächste Verhandlungsrunde, die Ende Mai in Paris beginnt.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.
Die Originalpublikation „High levels of microplastics in the Arctic ice alga Melosira arctica, a vector to ice-associated and benthic food webs“ findet ihr bei Environmental Science and Technology.
Zu viele Eisalgen im Eis können das Schmelzen beschleunigen, da sie durch ihre Farbe den Albedo Effekt – das Rückstrahlungsvermögen des Schnees – verringern.
Weniger Eis, weniger rufende Robben
Pressemitteilung, 17.04.2023, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung
[17. April 2023] Mehrere Jahre lang hat ein Forschungsteam des Alfred-Wegener-Instituts am Rande der Antarktis mit Unterwassermikrofonen nach Robben gelauscht. Erste, jetzt in der Fachzeitschrift Frontiers in Ecology and the Environment veröffentlichte Ergebnisse zeigen, dass der Rückgang des Meereises offenbar starke Auswirkungen auf das Verhalten der Tiere hat: Fehlt das Eis, ist es leise, wo das Meer sonst voller Rufe ist.
Wenn das Meereis verschwindet, verstummen antarktische Robben. Das ist das Ergebnis eines Fachartikels, den eine Gruppe um Dr. Ilse van Opzeeland jetzt veröffentlicht hat. Die Biologin forscht am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und am Helmholtz-Institut für Funktionelle Marine Biodiversität an der Universität Oldenburg (HIFMB). Für die Studie hat sie mit ihrem Team Tonaufnahmen aus einem Unterwassermikrofon untersucht, das automatisch die Rufe von Meeressäugern wie Robben und Walen aufzeichnet. „Das besondere an unserer Studie ist, dass wir erstmals Aufnahmen aus einem Zeitraum von acht Jahren für die vier antarktischen Robbenarten auswerten konnten“, sagt Erstautorin Dr. Irene Roca, während der Arbeiten zur Studie Biologin am HIFMB und AWI und derzeit an der Université du Québec en Outaouais (Kanada). „Dadurch wurde es möglich, das Verhalten der Robben über lange Zeit zu beobachten und für einzelne Jahre miteinander zu vergleichen.“
Aus den Daten der analysierten Jahre 2007 bis 2014 sticht der Jahreswechsel 2010/2011 hervor. Damals war das Meer in dem antarktischen Untersuchungsgebiet unweit der Neumayer-Station III des AWI fast völlig eisfrei. Weniger als zehn Prozent der üblichen Meeresfläche waren zugefroren. Wie die Aufnahmen aus den Unterwassermikrofonen zeigen, waren in diesem Zeitraum deutlich weniger Robben in den Gewässern unterwegs als in den übrigen sieben Jahren. Die antarktischen Robben benötigen Meereis, um darauf die Jungtiere zu gebären und zu säugen. Die Geburt und die Aufzucht finden im Frühling und Sommer der Südhalbkugel zwischen Oktober und Januar statt. Für gewöhnlich ist das Meer zu dieser Zeit noch zu einem großen Teil mit Eis bedeckt, sodass die Tiere ideale Bedingungen für die Geburt vorfinden. In der Saison 2010/2011 fehlte das Eis fast völlig. Da die Forschenden in dem Gebiet nur ein Unterwassermikrofon installiert hatten, lässt sich nicht genau nachvollziehen, ob oder wohin die Robben in dieser Saison abgewandert sind. „Unsere Unterwasseraufnahmen zeigen aber deutlich, dass in dem beobachteten Meeresgebiet viel weniger rufende Robben anwesend waren als üblich“, sagt Irene Roca. Das gelte für alle Robbenarten, die in der Region zu Hause sind: die Krabbenfresserrobben, die Weddellrobben, die Seeleoparden und die Rossrobben.
Das Untersuchungsgebiet der AWI-Fachleute liegt etwa 2000 Kilometer südlich von Kapstadt im sogenannten Weddellmeer. Vor allem das Küstengebiet im Osten des Weddellmeeres gilt als bedeutende Meeresregion, weil hier alle vier antarktischen Robben und auch mehrere Walarten nebeneinander vorkommen. Fachleute vermuten, dass das Gebiet so attraktiv ist, weil es viel Nahrung und für die Robben normalerweise gute Eisverhältnisse bietet. Insofern sei die Beobachtung aus der Saison 2010/2011 beunruhigend, so das AWI-Team: Sollte die Meereisbedeckung mit dem Klimawandel künftig häufiger so extrem schwanken, wäre diese Region für die Robben ein weniger zuverlässiges Fortpflanzungsgebiet. Das Meereisportal hat erst kürzlich bekanntgegeben, dass die vergangenen acht Jahre alle eine unterdurchschnittliche Meereisausdehnung in der Antarktis aufwiesen und im Februar 2023 ein Allzeit-Tief erreicht wurde.
Wie sich der Mangel an Meereis konkret auf die Robbenbestände auswirken könnte, wissen die Fachleute noch nicht, weil über die vier Robbenarten noch zu wenig bekannt ist. Besser untersucht ist die arktische Ringelrobbe. Sie benötigt für die Aufzucht ihres Nachwuchses Meereis mit einer dicken Schneeschicht, in die sie Höhlen für ihre Jungtiere gräbt. Inzwischen weiß man, dass viele Jungtiere sterben, wenn es zu wenig Meereis und Schnee gibt. „Ich vermute, dass die eisarmen Jahre auch bei den antarktischen Robben die Fortpflanzung beeinflussen – nicht nur, was das Überleben der Jungtiere angeht, sondern eventuell auch das Paarungsverhalten der Robben oder ganz andere Aspekte“, sagt Projektkoordinatorin Ilse van Opzeeland.
Die akustischen Daten aus den acht Jahren sind für sie etwas Besonderes. Robben zu erfassen, ist normalerweise extrem aufwendig. Man kann sie nur vom Schiff oder Hubschrauber aus zählen. Doch ist der Beobachtungsradius relativ gering. Zudem lassen sich mit Schiffen und Helikoptern Meeresgebiete weder flächendeckend noch durchgängig überwachen. Unterwasser-Horchanlagen hingegen können ununterbrochen größere Meeresgebiete abhören. Da Geräusche im Meer weiter wandern als in der Luft, können Meerestiere je nach Lautstärke ihrer Rufe außerdem noch aus vielen Kilometern Entfernung wahrgenommen werden. Bedauerlicherweise hat sich die sogenannte PALAOA-Horchanlage (das steht für Perennial Acoustic Observatory in the Antarctic Ocean) des AWI vor Kurzem zusammen mit einem abgebrochenen Gletscher von der Küste gelöst. An der Küste soll jetzt in der kommenden Antarktissaison ab Ende des Jahres ein neues Unterwassermikrofon installiert werden.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.
Die Originalpublikation „Sea ice anomalies affect the acoustic presence of Antarctic pinnipeds in their breeding areas“ findet ihr in Frontiers in Ecology and the Environment.
Auf dem Bild seht ihr eine Weddellrobbe, die mit einem Tauchrekorder ausgestattet ist, der an einen CTD-Satelliten gekoppelt ist, und den Wissenschaftler:innen des AWI wichtige Umweltdaten liefert. CTD steht für Conductivity = Leitfähigkeit, Temperature = Temperatur und Depth = Tiefe.
Die Ausweisung eines riesigen Meeresschutzgebietes im Weddellmeer ist Ende 2022 erneut am Widerstand von China und Russland gescheitert.
Neue AWI-Studie zu industriellen Altlasten im arktischen Permafrost
Pressemitteilung Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung vom 04. April 2023
Wenn die Dauerfrost-Böden auftauen, droht der Arktis eine massive Belastung mit Industrie-Altlasten und Schadstoffen
In den gefrorenen Böden der Arktis lauert eine bisher unterschätzte Gefahr. Wenn der Untergrund durch den Klimawandel auftaut und instabil wird, kann das zum Zusammenbruch von Industrie-Anlagen und damit zu einer verstärkten Freisetzung von Schadstoffen führen. Zudem können sich dann auch bestehende Kontaminationen leichter in den Ökosystemen ausbreiten. Wie groß dieses Problem werden könnte, hat ein Team um Moritz Langer und Guido Grosse vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Potsdam untersucht. Demnach gibt es in der Arktis mindestens 13.000 bis 20.000 belastete Flächen, von denen künftig ein größeres Risiko ausgehen könnte. Man brauche dringend langfristige Strategien für den Umgang mit diesem heiklen Erbe, erklären die Forschenden im Fachjournal Nature Communications.
Die Arktis stellen sich viele Menschen als weitgehend unberührte Wildnis vor. Doch dieses Bild stimmt längst nicht überall. Seit langem gibt es dort auch Ölfelder und Pipelines, Bergwerke und verschiedene andere industrielle Aktivitäten. Die dafür nötigen Anlagen stehen auf einem Fundament, das früher als äußerst stabil und zuverlässig galt: dem sogenannten Permafrost. Dieser spezielle Boden, der riesige Gebiete der Nordhalbkugel bedeckt, taut im Sommer nur an der Oberfläche auf. Der Rest bleibt bis in mehrere hundert Meter Tiefe das ganze Jahr hindurch gefroren.
Damit galt der Permafrost nicht nur als solide Plattform für Gebäude und Infrastruktur. „Traditionell hat man ihn auch für eine natürliche Barriere gehalten, die eine Ausbreitung von Schadstoffen verhindert“, erklärt Moritz Langer vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). „Industrieabfälle aus stillgelegten oder noch arbeitenden Anlagen hat man daher in der Regel einfach vor Ort gelassen, statt sie mit viel Aufwand und entsprechenden Kosten zu beseitigen.“ So entstanden in der Arktis infolge der industriellen Expansion während des Kalten Krieges über Jahrzehnte Kleinstdeponien voller giftiger Schlämme aus der Öl- und Gasförderung, Halden aus Bergbau-Schutt, Überreste militärischer Installationen und Seen, in denen gezielt Schadstoffe verklappt wurden. „Häufig hatte man dabei die Vorstellung, der Permafrost umschließe die giftigen Substanzen dicht und für immer, so dass keine aufwändige Entsorgung nötig sein würde“, sagt Guido Grosse, der am AWI die Sektion Permafrostforschung leitet. „Dieses industrielle Erbe liegt bis heute im Permafrost vergraben oder an dessen Oberfläche. Die Palette der Substanzen reicht dabei von giftigem Dieselkraftstoff über Schwermetalle bis hin zu radioaktiven Abfällen.“
Im Zuge des Klimawandels aber droht diese lange schlummernde Bedrohung nun akut zu werden. Denn da sich die Permafrost-Regionen zwei- bis viermal so schnell erwärmen wie der Rest der Welt, taut der gefrorene Untergrund zunehmend auf. Dadurch aber verändert sich die Hydrologie der betroffenen Gebiete und der Permafrost als Barriere wirkt nicht mehr. Die über Jahrzehnte in der Arktis angereicherten Schadstoffe können in Bewegung geraten und sich über größere Regionen verteilen.
Dazu kommt, dass der tauende Permafrost immer instabiler wird, was zu weiteren Belastungen führen kann. Denn wo der Boden wegsackt, drohen Schäden an Pipelines, Chemikalien-Lagern und Deponien. Wie groß diese Risiken heute schon sind, zeigte im Mai 2020 ein großer Unfall in der Nähe der Industrie-Stadt Norilsk im Norden Sibiriens. Aus einer destabilisierten Tankanlage liefen damals 17.000 Tonnen Diesel aus, die Flüsse, Seen und Tundra verschmutzten. „So etwas könnte künftig durchaus häufiger passieren“, befürchtet Moritz Langer.
Um solche Gefahren besser einschätzen zu können, hat er zusammen mit einem internationalen Team aus Deutschland, den Niederlanden und Norwegen die industriellen Aktivitäten im hohen Norden genauer unter die Lupe genommen. Dazu haben die Forschenden zunächst frei verfügbare Daten aus dem Portal OpenStreetMap und aus dem „Atlas of Population, Society and Economy in the Arctic“ ausgewertet. Demnach gibt es in den Permafrost-Regionen der Arktis rund 4.500 Industriestandorte, in denen potentiell gefährliche Substanzen lagern oder zum Einsatz kommen.
„Damit wussten wir allerdings noch nicht, was das genau für Anlagen sind und wie stark sie die Umwelt mit welchen Substanzen belasten können“, sagt Moritz Langer. Detailliertere Informationen dazu gibt es bisher nur für Nordamerika, wo rund 40 Prozent der weltweiten Permafrostböden liegen. Die verfügbaren Daten aus Kanada und Alaska zeigen, dass man anhand der Lage und Art von Industrieanlagen sehr gut abschätzen kann, wo mit gefährlichen Substanzen zu rechnen ist.
Für Alaska liefert das „Contaminated Sites Program“ auch Hinweise auf die Art dieser Belastungen. So geht etwa die Hälfte der dort erfassten Kontaminationen auf das Konto von Treibstoffen wie Diesel, Kerosin und Benzin. Auch Quecksilber, Blei und Arsen stehen unter den Top 20 der dokumentierten Umweltschadstoffe. Und dabei handelt es sich nicht nur um das Erbe vergangener Zeiten. Zwar ist die Zahl der neu registrierten Belastungsgebiete im nördlichsten Bundesstaat der USA von rund 90 im Jahr 1992 auf 38 im Jahr 2019 zurückgegangen. Doch die Zahl der betroffenen Flächen nimmt auch heute noch zu.
Für die großen Permafrost-Regionen Sibiriens gibt es bisher keine vergleichbaren Datenbanken. „Wir konnten dort also nur Berichte über Umweltprobleme auswerten, die zwischen 2000 und 2020 in russischen Medien oder anderen frei zugänglichen Quellen veröffentlicht wurden“, sagt Moritz Langer. „Aus diesen eher spärlichen Informationen aber kann man schließen, dass es auch in Russlands Permafrost-Regionen einen engen Zusammenhang zwischen Industrieanlagen und belasteten Flächen gibt.“
Mit Computermodellen hat das Team daher das Schadstoff-Risiko für die gesamte Arktis hochgerechnet. Insgesamt dürften die 4.500 Industrieanlagen in den Permafrost-Gebieten demnach zwischen 13.000 und 20.000 belastete Flächen hinterlassen haben. 3.500 bis 5.200 davon liegen in Regionen, in denen der Permafrost heute noch stabil ist, aber schon vor dem Ende des Jahrhunderts zu tauen beginnen wird. „Mangels Daten sind diese Ergebnisse allerdings noch mit Vorsicht zu genießen“, betont Moritz Langer. „Das tatsächliche Problem könnte sogar noch größer sein.“
Noch kritischer wird die Lage durch das wachsende Interesse an wirtschaftlichen Aktivitäten in der Arktis. Denn dadurch entstehen immer mehr Industrieanlagen, aus denen toxische Substanzen in die Ökosysteme gelangen können. Und das in Zeiten, in denen die Beseitigung solcher Umweltschäden immer schwieriger wird. Schließlich braucht man dazu oft Fahrzeuge und schweres Gerät, die auf tauendem Untergrund kaum noch einsetzbar sind
„Insgesamt haben wir es hier also mit einem ernstzunehmenden Umweltproblem zu tun, das sich weiter verschärfen wird“, resümiert Guido Grosse. Man brauche dringend mehr Daten und ein Monitoring von gefährlichen Substanzen, die mit industriellen Aktivitäten in der Arktis verbunden sind. „Denn diese Schadstoffe könnten über Flüsse und das Meer letztendlich auch wieder bei den Menschen in der Arktis und auch bei uns auf dem Tisch landen.“ Wichtig seien außerdem verstärkte Bemühungen, die Freisetzung von Schadstoffen zu verhindern und die Schäden auf schon belasteten Flächen zu beseitigen. Und schließlich halten es die Fachleute auch nicht mehr für zeitgemäß, Industrieabfälle ohne abgesicherte Deponie-Möglichkeiten in der Arktis zurückzulassen. Denn gegen die damit verbundenen Risiken ist der Permafrost kein zuverlässiger Verbündeter mehr.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.
Die Originalpublikation „Thawing permafrost poses environmental threat to thousands of sites with legacy industrial contamination“ findet ihr bei Nature Communications.
Permafrostböden gehören wie das Schmelzen der Eisschilde zu ökologischen Kipppunkten, doch auch sogenannte soziale Kipppunkte sind von großer Bedeutung im Kampf gegen die Klimakrise.
Klimawandel: Folgen für Koralle, Mensch & Co
Pressemitteilung, 31.03.2023, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Modellierungen zeigen Auswirkungen der zukünftigen globalen Erwärmung auf das Ökosystem Korallenriff
Ein Forschungsteam – unter ihnen Senckenberg-Wissenschaftlerinnen Prof. Dr. Angelika Brandt, Dr. Marianna Simões und Dr. Hanieh Saeedi – hat die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf das Ökosystem Korallenriff untersucht. In ihrer im Fachjournal „Progress in Oceanography“ erschienenen Studie zeigen sie unter anderem, dass 90 Prozent der untersuchten Warmwasserarten in ihren aktuellen Verbreitungsgebieten als Folge des Klimawandels nicht überlebensfähig sind. Global wird es laut den Forschenden und unter Annahme verschiedener Klimaszenarien zu einer geographischen Verlagerung zahlreicher Arten sowie zu Massenaussterbeereignissen in den Meeren kommen.
Der geschätzte Vermögenswert für Korallenriffe beläuft sich auf eine Billion US-Dollar. Die marinen Ökosysteme bieten eine direkte Lebensgrundlage für etwa 500 Millionen Menschen, allein in Asien versorgen sie eine Milliarde Menschen mit Nahrungsmitteln. Mehr als 150.000 Kilometer Küstenlinie werden von Riffen geschützt. „Angesichts der Bedeutung von Korallenriffen auch für unser eigenes Wohlergehen ist es enorm wichtig, diese Ökosysteme gesund zu erhalten“, erläutert Prof. Dr. Angelika Brandt vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt und fährt fort: „Schon heute hat sich die globale Temperatur gegenüber der vorindustriellen Zeit um ein Grad Celsius erhöht, sie steigt aktuell um weitere 0,2 Grad Celsius pro Jahrzehnt – mit massiven Auswirkungen auch auf das Ökosystem Korallenriff. 29 Korallenriffe mit Welterbestatus sind jetzt schon durch die Erderwärmung akut bedroht.“
Meeresforscherin Brandt, Erstautorin der Studie Dr. Chhaya Chaudhary vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung und weitere Forschende von Senckenberg und der kanadischen Victoria-Universität haben in ihrer aktuellen Studie die Auswirkungen der zukünftigen globalen Erwärmung auf Korallenriffe und die darin lebenden Arten untersucht. Dabei legten sie zwei Klimaszenarien des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zu Grunde, anhand derer sie die Auswirkungen für 57 Organismengruppen aus Korallen, Mollusken, Fischen, Krebstieren und Polychaeten in warmen, kalten, flachen und tiefen Gewässern für die Gegenwart und die Jahre 2050 und 2100 modellierten.
„Laut unseren Ergebnissen werden wir im Zuge der globalen Erwärmung 90 Prozent der 30 untersuchten Warmwasserarten im Südchinesischen Meer, dem Indo-West Pazifik, dem Karibischen Meer, dem Golf von Mexiko oder vor der Nordküste Australiens, verlieren. Die Verbreitungsgebiete werden sich unter den angenommenen zukünftigen Klimabedingungen deutlich nach Süden verlagern“, erklärt Chaudhary, die während des Forschungsprojekts als Postdoktorandin bei Senckenberg beschäftigt war.
Die 27 untersuchten Kaltwasserarten reagierten unterschiedlich auf die modellierten Temperaturerhöhungen: Die meisten Arten der nördlichen gemäßigten Breiten konnten sich unter den neuen Bedingungen ausbreiten, während die arktischen Arten allesamt zurückgingen. „Unabhängig von ihrer taxonomischen Gruppe gelingt es Arten mit größeren Verbreitungsgebieten sich besser an den Klimawandel anzupassen – eine Zunahme von Generalisten und eine Abnahme von spezialisierten, endemischen Arten könnte die Folge sein“, ergänzt Dr. Hanieh Saeedi vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt.
Neben der geographischen Verschiebung der Korallenriff-Verbreitungsgebiete warnen die Wissenschaftler*innen auch vor einem Artensterben in den Meeren der Tropen, Teilen der nördlichen gemäßigten Regionen und der gesamten Arktis als Folge des Klimawandels. „Vor etwa 125.000 Jahren gab es schon einmal solch ein Aussterbeevent bei tropischen Korallen, das auf veränderte Klimabedingungen zurückzuführen ist. Solche Ereignisse können unter anderem zu einer Destabilisierung der Räuber-Beute-Dynamik in den Korallenriffen und der damit verbundenen Nahrungskette führen – mit negativen Auswirkungen für den menschlichen Lebensunterhalt, die Fischerei, den Tourismus und den Küstenschutz“, so Chaudhary.
Brandt resümiert: „Unsere globalen Projektionen zeigen die Regionen, in denen es durch den Klimawandel zu einem potenziellen Verlust oder Gewinn von Arten kommen kann. Jedes Ungleichgewicht in den Populationen der Korallenriffe wirken sich auch auf die Produktivität dieser Ökosysteme aus. Entscheider*innen sollten unsere Ergebnisse nutzen, um die biologische Vielfalt zu schützen und das menschliche Wohlergehen in den betroffenen Ländern und Regionen zu erhalten!“
Diese Pressemittelung findet ihr bei der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung.
Forscher:innen haben Genabschnitte von Korallen untersucht, die mit einer natürlichen Hitzetoleranz in Verbindung stehen könnten. Hier findet ihr weitere Infos und die dazugehörige Podcastfolge vom Deutschlandfunk.
Lemke: Mit Natürlichem Klimaschutz Ökosysteme stärken und gegen Klimakrise angehen
Pressemitteilung, 29.03.2023, BMUV
Bundesregierung verabschiedet Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz zur Stärkung und Wiederherstellung von Ökosystemen
Das Bundeskabinett hat heute das von Bundesumweltministerin Steffi Lemke vorgelegte Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK) verabschiedet. Mit dem ANK will die Bundesregierung dazu beitragen, den allgemeinen Zustand der Ökosysteme in Deutschland deutlich zu verbessern und so ihre Resilienz und ihre Klimaschutzleistung zu stärken. Natürliche Lebensräume wie Moore, Wälder, Wildnis, Auen, Meere und Küsten sollen besser geschützt und widerstandsfähiger werden, um dauerhaft zu den nationalen Klimaschutzzielen beizutragen. Hierzu verbindet das ANK Klimaschutz mit Naturschutz und hilft dabei, die Klimakrise zu bekämpfen, die biologische Vielfalt zu erhalten und gegen die Folgen der Klimakrise vorzusorgen. Das Aktionsprogramm enthält insgesamt 69 Maßnahmen in zehn Handlungsfeldern. Für die Finanzierung stehen bis 2026 insgesamt vier Milliarden Euro zur Verfügung.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke: „Wälder und Auen, Böden und Moore, Meere und Gewässer, naturnahe Grünflächen in der Stadt und auf dem Land: Sie alle können Kohlenstoff aus der Atmosphäre binden und langfristig speichern. Sie sind Lebensraum für zahlreiche Pflanzen- und Tierarten und wirken als Puffer gegen Folgen der Klimakrise, indem sie zum Beispiel Wasser in der Landschaft halten und bei Hitze für Abkühlung sorgen. Tagtäglich erbringt die Natur so für uns viele lebenswichtige Dienstleistungen, allerdings nur solange Ökosysteme intakt sind. Mit dem Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz schaffen wir jetzt gezielt Anreize und Angebote, um Ökosysteme wiederherzustellen und widerstandsfähiger zu machen. Das ist ein echter Paradigmenwechsel hin zur Wiederherstellung von Natur und eine gute Nachricht für den Klimaschutz, für die Natur, für Tiere, Pflanzen und natürliche Lebensräume. Und es ist eine gute Nachricht für uns alle. Denn überall dort, wo wir die Natur schützen und stärken, arbeitet sie auch für uns.“
Das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz soll mit insgesamt 69 Maßnahmen in dreifacher Hinsicht für die Verbesserung von Ökosystemen wirken: Erstens sind intakte Ökosysteme natürliche Klimaschützer. Wälder und Moore, Meere und Gewässer, Grünflächen in der Stadt und auf dem Land binden CO2 aus der Luft und speichern es langfristig. Das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz leistet daher einen wichtigen Beitrag, um die im Bundes-Klimaschutzgesetz verankerten Ziele für den Sektor Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Wald (LULUCF) und das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen. Zweitens ist eine intakte Natur Lebensraum für viele verschiedene Tier- und Pflanzenarten. Natürlicher Klimaschutz hilft deshalb dabei, die ehrgeizigen Verpflichtungen der Weltnaturkonferenz in Montreal umzusetzen. Und drittens hilft natürlicher Klimaschutz entscheidend dabei, Vorsorge gegen die Folgen der Klimakrise zu treffen. Denn gesunde Ökosysteme wie Flussauen, Moore und Wälder halten das Wasser in der Landschaft, können es für Dürrezeiten speichern und stehen bei Hochwasser als Überschwemmungsflächen zur Verfügung. Das ANK ist hier eng mit der Nationalen Wasserstrategie verknüpft, die das Kabinett vor zwei Wochen verabschiedet hat.
Hintergrundinformationen:
Das Programm enthält 69 Maßnahmen in insgesamt zehn Handlungsfeldern: zum Beispiel zu Mooren, Waldökosystemen, Meeren und Küsten, Siedlungs- und Verkehrsflächen sowie zu Forschung und Kompetenzaufbau. Für die Umsetzung stehen bis 2026 vier Milliarden Euro bereit.
Für eine zügige Umsetzung sollen erste Maßnahmen rasch anlaufen. Bis zum Sommer soll das Kompetenzzentrum für Natürlichen Klimaschutz eingerichtet werden, damit sich Interessierte wie beispielsweise Landbesitzende über passende Fördermöglichkeiten informieren können. Eine erste Förderrichtlinie für Natürlichen Klimaschutz in kommunalen Gebieten im ländlichen Raum soll in den nächsten Wochen veröffentlicht werden. In kommunalen Projekten sollen Flächen gezielt so genutzt werden, dass sie Klimaschutz und biologische Vielfalt fördern, ländliche Gebiete attraktiver machen und zur Vorsorge gegen die Folgen der Klimakrise beitragen. Und ein Maßnahmenpaket Stadtnatur soll noch in diesem Jahr starten, zum Beispiel um städtische Flächen zu entsiegeln, bestehende Grünflächen naturnah umzugestalten und Stadtbäume zu pflanzen.
Das ANK ist Ergebnis eines umfassenden Beteiligungsprozesses aus dem letzten Herbst. Rund 120 Stellungnahmen und über 1.000 Online-Kommentare wurden inhaltlich eingehend geprüft. Zur Umsetzung wurden die Grundlagen für eine breite Allianz mit Landbesitzenden, Naturschützerinnen und -schützern und Verantwortlichen vor Ort gelegt. Die Maßnahmen des ANK setzen insbesondere auf finanzielle Anreize, um eine freiwillige Umsetzung von Maßnahmen des Natürlichen Klimaschutzes zu unterstützen. Flankiert werden diese Maßnahmen unter anderem durch eine Überprüfung des Rechtsrahmens, insbesondere um die Umsetzung der geförderten Projekte zu erleichtern, Beratungs- und Bildungsangebote, moderne Vorhaben aus Forschung und Innovation sowie ein umfassendes Monitoring.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim BMUV.
Das ANK verbindet Klimaschutz mit Naturschutz – beides ist unumgänglich für einen erfolgreichen Schutz unserer Meere.
Weniger Meereis, mehr Hering
Pressemitteilung, 27.03.2023, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung
Alte DNA aus dem Meeresgrund verrät, wie tiefgreifend der Klimawandel die marinen Ökosysteme der Arktis verändern könnte
[27. März 2023] Noch überziehen sich die Meere der Polargebiete jedes Jahr für Wochen oder Monate mit einem gefrorenen Panzer. Doch der Klimawandel lässt dieses Meereis zunehmend schwinden. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt nun, welche drastischen Folgen das für die dortigen Ökosysteme haben kann: Beim Übergang von saisonal vereisten zu eisfreien Bedingungen kann sich demnach die komplette Lebensgemeinschaft verändern. Das schließt ein Team vom Alfred-Wegener-Institut in Potsdam aus der Analyse von alter DNA aus dem Meeresgrund. Solche Umbrüche können auch Konsequenzen für die Fischerei und das globale Klima haben, warnen die Fachleute im Wissenschaftsjournal Nature Communications.
Der Eisschwund in den Polarmeeren könnte der Beginn tiefgreifender Veränderungen im Ökosystem sein. „Welche langfristigen Folgen die geringe sommerliche Meereisbedeckung für die Meeresbewohner hat, ließ sich bisher nur schwer einschätzen, weil entsprechende Langzeituntersuchungen fehlten“, erklärt Prof. Dr. Ulrike Herzschuh, Leiterin der Forschungsgruppe Polare Terrestrische Umweltsysteme am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Potsdam. Im Team mit ihren AWI-Kolleginnen Heike Zimmermann und Kathleen Stoof-Leichsenring sowie Forschenden der Jacobs University Bremen und dem GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel hat sie jetzt einen Blick rund 20.000 Jahre zurück bis in die letzte Eiszeit geworfen.
Informationen über die jeweiligen Umweltverhältnisse lassen sich aus den Ablagerungen herauslesen, die sich im Laufe der Jahrtausende am Grund des Meeres angesammelt haben. „Diese Sedimente sind ein natürliches Archiv der Klimageschichte“, sagt Ulrike Herzschuh. Wer das Material mit einem Bohrer an die Oberfläche holt, kann in den unterschiedlich alten Schichten die Spuren längst verstorbener Meeresbewohner finden. Mithilfe der sogenannten Shotgun-Sequenzierung hat das Team DNA von Vertretern aus 167 Familien von Meeresbewohnern gefunden, deren Lebensraum das Eis oder das freie Wasser ist. „Wir waren selbst überrascht, dass in diesen alten Sedimenten Informationen über das komplette Ökosystem stecken“, sagt Ulrike Herzschuh.
Typisch für die kälteren Phasen der letzten Eiszeit waren demnach Diatomeen und andere Algen, die in oder unter dem Meereis leben. Diese winzigen Sauerstoffproduzenten waren eine beliebte Nahrungsquelle für Ruderfußkrebse, die ihrerseits von Fischen aus der Familie der Dorsche wie dem Pazifischen Kabeljau, dem Alaska-Seelachs und dem Polardorsch gefressen wurden. In den wärmeren Epochen ohne Eis gab es dagegen deutlich weniger Diatomeen und Ruderfußkrebse, dafür aber umso mehr Cyanobakterien. Am Meeresgrund breiteten sich in geschützten Buchten Seegraswiesen aus und statt der Dorsche schwammen in der Beringsee mehr Lachse und Pazifische Heringe.
„Wir können damit nun zum ersten Mal zeigen, wie sich mit dem Rückgang des Meereises das komplette Ökosystem umbaut“, resümiert Ulrike Herzschuh. „Das fängt bei den Algen an und geht bis zu den Fischen und Walen.“ Ähnlich tiefgreifende Veränderungen erwartet das Team auch für eine wärmere und weitgehend eisfreie Zukunft. Das aber könnte massive ökologische und wirtschaftliche Auswirkungen haben. So wird sich der Fang einiger beliebter Speisefische wie Seelachs und Kabeljau in der Beringsee womöglich nicht mehr lohnen. Dafür könnten der Buckellachs und der Pazifische Hering weiter nach Norden vordringen.
Dazu kommt, dass die Planktongesellschaften unter eisfreien Bedingungen wohl auch weniger Kohlenstoff in die Tiefe transportieren und in den Sedimenten deponieren. Möglicherweise können die Meere dann nicht mehr so viel Kohlendioxid speichern, was den Klimawandel weiter anheizen würde. Das Verschwinden des Meereises könnte also auch dazu führen, dass diese Ökosysteme wichtige Dienstleistungen nicht mehr in gewohntem Umfang bereitstellen können.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.
Die Originalpublikation „Marine ecosystem shifts with deglacial sea-ice loss inferred from ancient DNA shotgun sequencing“ findet ihr bei Nature Communications.
Diese neuen Forschungserkenntnisse bestätigen wieder einmal, dass Klimaschutz mit Meeresschutz einhergeht – und umgekehrt.
Flüssig-Gasinfrastruktur in der Ostsee zerstört Ökosysteme
Pressemitteilung, 17.03.2023, WWF
Ostseeschutzallianz warnt vor verheerenden Auswirkungen für die Meeresnatur
Die in der Ostseeschutzallianz MV kooperierenden Umweltverbände BUND, NABU und WWF warnen vor der Umsetzung der geplanten Errichtung von festen Gas-Terminals mit großen Regasifizierungseinheiten sowie einer weiteren Gas-Pipeline durch den Greifswalder Bodden und Seetrassen durch die Ostsee.
„Sowohl der Bau als auch der langdauernde Betrieb werden zur Zerstörung empfindlicher und geschützter Lebensräume, zur Dauerbelastung bedrohter Meeressäugetiere, Rast- und Zugvögel sowie nicht zuletzt der Fischwanderrouten und des bedeutendsten Heringslaichgebietes der westlichen Ostsee führen. Für diesen Naturraum und seine Funktionsfähigkeit trägt Mecklenburg-Vorpommern die Verantwortung und steht in der Pflicht, die dort ausgewiesenen Meeresschutzgebiete auch tatsächlich landes- und EU-rechtskonform zu schützen“, sagt NABU-Landesgeschäftsführerin Dr. Rica Münchberger.
Studien zeigen sehr klar auf, dass durch die bestehenden und geplanten Vorhaben zur Anlandung von LNG deutlich mehr Gas-Kapazitäten geschaffen würden, als benötigt werden. Deutschland hat bereits 2022 LNG über Frankreich, die Niederlande und Belgien importiert und kann das auch zukünftig fortsetzen. Ein Bedarf an weiteren Anlagen im Küstenraum Mecklenburg-Vorpommerns besteht nicht. Weitere Studien belegen zudem, dass es in absehbarer Zeit zu einer LNG-Knappheit auf dem Weltmarkt kommen könnte. Nicht die Anlandungsinfrastruktur, sondern die LNG-Verfügbarkeit wird damit zum Flaschenhals bei der Versorgung Deutschlands und Europas mit Gas.
Ein weiterer Ausbau der auf LNG ausgerichteten Infrastruktur trägt zudem dazu bei, die globale Erderhitzung zu verstärken, indem die notwendige Abkehr von klimaschädlichen Energieträgern auf Kosten von Natur, Umwelt und Menschen erheblich in die Zukunft verschoben wird. „Rechtlich sind die Zerstörungen und Beeinträchtigungen durch die geplanten LNG-Vorhaben unhaltbar. Der geplanten Belastung der insgesamt vier Europäischen Natura 2000 -Schutzgebiete steht nachweislich kein begründeter nationaler Bedarf gegenüber. Die prognostizierten Anlande- und Durchflussmengen von Flüssiggas sind nicht mit den Klimaschutzzielen Deutschlands vereinbar. Sie behindern stattdessen die notwendigen Schritte der Energiewende und zementieren die Nutzung fossiler Energieträger. Durch das geplante Projekt sind Lock-in-Effekte zu erwarten, welche die fossile Abhängigkeit Deutschlands und auch Osteuropas verlängern. Auch sicherheitspolitische Redundanzen überzeugen hier nicht“, sagt BUND-Geschäftsführerin Corinna Cwielag.
Eine Auseinandersetzung mit diesen Fakten fehlt in der Planung des Vorhabens vollständig, sind sich die Vertreter der Ostseeschutzallianz einig. Stattdessen soll dieser so schwerwiegende zerstörerische Eingriff in das Ökosystem wider besseres Wissen in Kauf genommen werden.
„Wir haben die schwindende Biodiversität und den fortschreitenden Klimawandel als planetare Krisen, die wir gemeinsam und schnell lösen müssen. Der Wille, der in der fehlgeleiteten Beschleunigung zur LNG-Infrastruktur erkennbar ist, muss nun als Booster für erneuerbare und grüne Infrastruktur eingesetzt werden. Die Behördenleitungen müssen das Ermöglichungs-Mind-Set auf das überragende öffentliche Interesse für den Klima- wie auch den Naturschutz konzentrieren“, sagt der Leiter des WWF-Büros Ostsee, Dr. Finn Viehberg.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim WWF.
Das Bild zeigt ein LNG-Terminal im Wilhelmina-Hafen in den Niederlanden.
LNG-Flüssiggas trägt nicht zur Luftverschmutzung bei, erhöht aber sogar den Methanausstoß bei Schiffen, die es verwenden. Nicht nur deshalb fordern Umweltverbände, LNG-Terminals auf den Prüfstand zu stellen.
Abkühlung von Teilen der Arktis kehrt sich offenbar um
Bereits im Jahr 2010 wurde festgestellt, dass in der Arktis seit 1990 ein anhaltender Erwärmungstrend zu beobachten ist:
Pressemitteilung, 29.07.2010, Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung
– neue Daten deuten auf rapiden Temperaturanstieg in kältester Region
des europäischen Festlands hin
Moskau/ Stuttgart/ Halle(Saale). Teile der Arktis haben sich im letzten Jahrhundert deutlich abgekühlt. Seit 1990 steigen die Temperaturen jedoch auch dort stark an. Das geht aus einer Rekonstruktion der Sommertemperaturen der letzten 400 Jahre mit Hilfe von Baumringen aus Regionen nördlich des Polarkreises hervor. Dazu analysierten deutsche und russische Forscher das Baumwachstum mit Hilfe von Jahresringen von der russischen Kola-Halbinsel und verglichen es mit drei ähnlichen Untersuchungen von anderen Orten in der Arktis. Seit dem Jahre 1600 hat die rekonstruierte Sommertemperatur auf Kola in den Monaten Juli und August zwischen 10,4°C (1709) und 14,7 °C (1957) gelegen – bei einem Mittelwert von 12,2 °C über die letzten 400 Jahre. Nach einer Phase der Abkühlung ist seit 1990 ein anhaltender Erwärmungstrend beobachtbar. „Die Daten deuten auf einen starken Einfluss der Sonnenaktivität auf die Sommertemperaturentwicklung hin, der allerdings seit 1990 von anderen Faktoren überlagert wird“, schreiben Wissenschaftler der Moskauer Instituts für Geographie, der Universität Hohenheim und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) im Fachblatt Arctic, Antarctic and Alpine Research.
Für die Untersuchungen verwendeten die Forscher Holzproben von insgesamt 69 Waldkiefern (Pinus sylvestris) aus dem Khibiny-Gebirge auf der Kola-Halbinsel unweit der Grenze zu Finnland zwischen dem Polarkreis und dem Nordmeerhafen Murmansk. Die Untersuchungsregion befindet sich in der Übergangszone zwischen dem von Golf- bzw. Nordatlanikstrom geprägten Skandinavien und den kontinentalen Gebieten Eurasien. Diese Grenzlage macht diese Region besonders interessant für klimatologische Studien.
Auf Kola herrscht ein kalt-gemäßigtes Klima mit langen, mittelkalten Wintern und kalten feuchten Sommern. Die Temperatur schwankt in diesem Teil der Arktis im Mittel zwischen -12°C im Januar und +13°C im Juli, bei einer Wachstumsphase für die Bäume von nur 60 bis 80 Tagen. Die Vegetation an den nördlichen Ausläufern der Taiga wird von Fichten, Kiefern und Birken geprägt. Die Proben stammten von drei Standorten in Khibiny Gebirge in der Nähe der heutigen Höhenbaumgrenze zwischen 250 und 450m über dem Meeresspiegel. Die geografische (nördliche) Baumgrenze verläuft etwa 100 Kilometer weiter nördlich. In früheren Studien konnten die Forscher um Tatjana Böttger vom UFZ zeigen, dass die Kiefernwälder auf der Kola-Halbinsel vor 7000 bis 3500 Jahren bereits ca. 50 Kilometer weiter im Vergleich zu Ihrer heutigen nördlichen Position nach Norden reichten. Für diese Studie haben die Forscher jedoch Bäume von der Höhen-Baumgrenze verwendet, da diese sehr sensibel auf Temperaturschwankungen reagieren und besonders aussagekräftig sind wie auch US-Amerikanische Forscher im November 2009 im Fachblatt PNAS demonstrierten als sie mit Hilfe einer langlebigen Kiefernart in Kalifornien und Nevada nachwiesen, dass diese Bäume in den letzten 50 der vergangenen 3500 Jahre aufgrund von gestiegenen Temperaturen besonders stark gewachsen waren.
Im Institut für Botanik der Universität Hohenheim in Stuttgart maßen die deutschen Forscher die Breite der einzelnen Jahresringe. Die Kalibrierung der Jahresringchronologien mit Hilfe der meteorologischen Wetteraufzeichnungen der letzten 127 Jahre und die Auswertung der Ergebnisse erfolgte zusammen mit dem Institut für Geographie der Russischen Akademie der Wissenschaften (RAW) in Moskau und dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle. „Neben Temperatur, hängt das Wachstum stark auch von nichtklimatischen Faktoren wie Licht, Nährstoffen, Wasserversorgung und Konkurrenz zu anderen Bäumen ab. Es ist daher entscheidend, diese Trends zu isolieren, um das möglichst reine Klimasignal zu erhalten“, erklärt Yury M. Kononov von der RAW in Moskau.
Nach der Rekonstruktion der Sommertemperaturen auf der Kola-Halbinsel verglichen die Forscher ihre Ergebnisse mit ähnlichen Untersuchungen an Baumringen aus dem schwedischen Lappland sowie von der Yamal- und Taimyr-Halbinsel im sibirischen Teil Russlands, die bereits 2002 im Fachblatt Holocene veröffentlicht worden waren. Die rekonstruierten Sommertemperaturen der letzten vier Jahrhunderte ähneln sich zwischen Lappland, der Kola- und Taimyr-Halbinsel insofern, dass alle drei Datenreihen ein Temperaturmaximum in der Mitte des 20. Jahrhunderts zeigen, auf das eine Abkühlung um ein bis zwei Grad folgte. Lediglich die Datenreihe der Yamal-Halbinsel erreichte ihr Maximum erst um etwa 1990. Auffällig an den Daten der Kola-Halbinsel ist, dass die höchsten Werte im Zeitraum um die Jahre 1935 und 1955 ermittelt wurden und die Kurve bis 1990 auf das Niveau von 1870 sank, was dem Beginn des industriellen Zeitalters entspricht. Seit 1990 erhöhten sich die Temperaturen dagegen wieder deutlich. Auffällig an den neuen Daten ist, dass die rekonstruierten Temperaturminima gerade mit Zeiten niedriger Sonnenaktivität zusammenfallen. Daher vermuten die Forscher, dass in der Vergangenheit die Sonnenaktivität einen wesentlichen Beitrag zu den Schwankungen der Sommertemperaturen der Arktis beigetragen hat. Allerdings ist dieser Zusammenhang nur bis 1970 deutlich, dann gewinnen andere, möglicherweise regionale Besonderheiten, die Oberhand. „Sicher ist nur: Dieser Teil der Arktis hat sich nach der Ende der Kleinen Eiszeit vor ca. 250 Jahren erwärmt, ab der Mitte des vorigen Jahrhunderts abgekühlt und erwärmt sich seit 1990 wieder“ so die Paleoklimatologin Dr. Tatjana Böttger vom UFZ.
Im September 2009 hatte eine internationale Forschergruppe Modellrechnungen präsentiert, wonach sich die Arktis in den letzten zwei Jahrtausenden bis zum Beginn des Industriezeitalters um etwa 0,2 °C pro Tausend Jahre langsam abgekühlt hat und dafür ein langsames Nachlassen der Sonneneinstrahlung im Sommer verantwortlich gemacht. Allerdings sei das letzte Jahrzehnt das wärmste seit Beginn der Zeitrechnung gewesen und habe 1,4°C über der Prognose gelegen, so Darrell S. Kaufman und Kollegen im Fachblatt Science. Die neuen Daten von Kononov, Friedrich und Böttger stützen diese These, wonach die Sonnenaktivität in der Vergangenheit einen wesentlichen Einfluss auf die Sommertemperaturen in der Arktis hatte, dieser aber in den letzten Jahrzehnten stark abgeschwächt ist.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung.
Neben der voranschreitenden Erwärmung und das Schmelzen des Eises wird das Ökosystem Arktis auch durch zunehmende Versauerung und Plastikverschmutzung immer stärker bedroht.