Tiefsee
Das unerforschteste und unereichbarste Ökosystem der Erde birgt Wunder und Überraschungen.
Doch sind wir dabei, es irreversibel zu zerstören.
Weder öde noch leer: Tiefseeboden wimmelt von Leben
Pressemitteilung, 20.11.2024, Senckenberg
Neue Übersichtsstudie zeigt Vielfalt von Lebensräumen und Organismen in der arktischen Tiefsee
Die Tiefsee der Arktis birgt bedeutende Öl- und Erdgasreserven sowie wertvolle Ressourcen wie seltene Erden und Metalle. Der Klimawandel und das schmelzende Eis erleichtern den Zugang, was wirtschaftliche Chancen, aber auch große ökologische Gefahren mit sich bringt. Ein Forschungsteam zeigt in einer im Fachjournal „Elementa“ erschienenen Übersichtsstudie, dass der Arktische Ozean eine große Vielfalt an Lebensräumen und Organismen aufweist, die teilweise wenig erforscht sind. Hierfür wertete das Team 75.000 Datensätze zu 2.637 Tiefseearten aus. Die Forschenden betonen die Notwendigkeit intensiverer Forschung und internationaler Zusammenarbeit, um angesichts wachsender wirtschaftlicher Interessen den Schutz des empfindlichen Ökosystems sicherzustellen.
Schätzungen zufolge könnten in der Tiefsee bis zu 13 Prozent der noch unentdeckten globalen Öl- und 30 Prozent der Erdgasreserven liegen. Auch deswegen steht der Arktische Ozean zunehmend im Fokus von Politik und Wirtschaft. Neben den Vorkommen von fossilen Brennstoffen bietet die Tiefsee rund um den Nordpol eine Vielzahl wertvoller Ressourcen wie seltene Erden und Metalle. Auch eine Beschleunigung des globalen Handels durch den Transport entlang neuer Nordost- und Nordwestpassagen, sowie ein steigendes Interesse am Arktis-Tourismus sind von wirtschaftlichem Interesse. „Der Klimawandel und das Abschmelzen des Eises ermöglichen zunehmend die Erschließung des Arktischen Ozeans, was jedoch hohe ökologische Risiken birgt“, erklärt Prof. Dr. Angelika Brandt vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt und weiter: „Obwohl wir mit Hilfe neuartiger Technologien und Infrastrukturen beachtliche Fortschritte gemacht haben, das arktische Ökosystem sehr viel besser zu verstehen, gibt es immer noch große Wissenslücken zu den am Meeresboden lebenden Tiefseegemeinschaften – das zeigt unsere neue Studie deutlich.“
Unter der Federführung von Dr. Eva Ramirez-Llodra und Heidi K. Meyer vom Institute of Marine Research im norwegischen Bergen haben die Senckenbergerinnen Dr. Hanieh Saeedi, Prof. Dr. Angelika Brandt, Prof. Dr. Saskia Brix und sieben weitere Forscher*innen, namentlich Dr. Stefanie Kaiser, Severin A. Korfhage, Karlotta Kürzel, Dr. Anne Helene S. Tandberg, Dr. James Taylor, Franziska I. Theising und Carolin Uhlir, mit Forschenden des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) und einem internationalen Team eine Übersicht zu den benthisch lebenden Organismen im Arktischen Ozean erstellt. Hierfür werteten die Wissenschaftler*innen 75.404 Datensätze zu 2.637 verschiedenen Tiefsee-Arten von frei zugänglichen Datenbanken, Informationseinrichtungen sowie nicht digitalisierter wissenschaftlicher Literatur aus. „Wir haben uns dabei auf das Gebiet nördlich des 66. Breitengrades Nord und unterhalb von 500 Metern Tiefe beschränkt“, erläutert Brix. „Die häufigsten Einzelnachweise stellte mit 21.405 Treffern der Stamm der Gliederfüßer, zu denen beispielsweise Asseln oder Ruderfußkrebse gehören, dahinter folgen die Ringelwürmer und Schwämme. Letztere werden beim Artenreichtum von den Mollusken übertroffen“, fährt Saeedi fort.
Eine Zusammenstellung von Lebensraumkarten zeigt zudem, dass die Arktis eine große Vielfalt an geomorphologischen Strukturen aufweist – von unterseeischen Canyons und Kontinentalhängen bis hin zu Seebergen und biologisch erzeugten Erhebungen wie ausgedehnten Kaltwasserkorallenriffen. „Wir haben nicht nur wichtige Tiefseedaten umfassend digitalisiert und in frei zugänglichen Datenbanken veröffentlicht, sondern auch neue Tiefseedaten erhoben, kontrolliert und umfassend analysiert. So konnten wir zeigen, dass der Arktische Ozean entgegen der landläufigen Meinung tatsächlich eine sehr reiche Organismen-Vielfalt aufweist“, so Saeedi. Durch die Verknüpfung von Faunengruppen mit Gebieten unterschiedlicher Geomorphologie konnte das Forschungsteam Regionen identifizieren, für die es besonders wenig Daten – regelrechte Datenlücken – gibt. Brix fügt hinzu: „Die generationenübergreifende Zusammenarbeit im Rahmen der UN-Ozeandekade und die internationale Kooperation mit Tiefseeexpert*innen sowie dem AWI waren entscheidend für diese Studie.“
„Es ist unbestritten, dass die Tiefsee im Arktischen Ozean weit davon entfernt ist, der leblose, eintönige Lebensraum zu sein, als welcher sie von ihren frühen Entdeckern beschrieben wurde. Wir benötigen aber eine intensivierte, internationale Netzwerk- und Zusammenarbeit sowie ein aktives Monitoring der Umweltparameter und der faunistischen Zusammensetzung. Nur so können wir die Struktur und Funktion des Arktischen Ökosystems besser verstehen und Maßnahmen zur Erhaltung dieses einzigartigen und für die Nordhemisphäre so wichtigen Ökosystems sicherstellen. Gerade im Hinblick auf die steigenden wirtschaftlichen und politischen Interessen, stellt der Mangel an Daten zur benthischen Biodiversität – insbesondere in den tiefen Becken des zentralen Arktischen Ozeans – ein erhebliches Problem für belastbare Management- und Schutzmaßnahmen dar“, warnt Saeedi.
Diese Pressemitteilung und die Originalpublikation findet ihr bei Senckenberg.
Die Tiefsee der Arktis ist ein beeindruckender Lebensraum voller unentdeckter Wunder der Natur. Angesichts der wachsenden Bedrohung durch den Tiefseebergbau wird es entscheidend sein, dieses einzigartige Ökosystem durch internationale Zusammenarbeit und strenge Schutzmaßnahmen zu bewahren. Nur so kann die faszinierende Vielfalt in der Tiefsee der Arktis für zukünftige Generationen erhalten bleiben.
Tief durchatmen: Der geheime Stoffwechsel ethanfressender Archaeen
Pressemitteilung, 23.10.2024, MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften
Quellen am Meeresboden setzen von Natur aus Alkane frei – Schadstoffe, die potenziell gefährlich für Lebewesen sind und zur globalen Erwärmung beitragen. Zum Glück leben in den Sedimenten rund um die Quellen Mikroben, die als biologische Filter fungieren: Sie verbrauchen den Großteil der Alkane, bevor sie in die Ozeane und unsere Atmosphäre gelangen. Diese so genannte anaerobe Oxidation von Alkanen ist ein wichtiger Prozess, den wir bisher aber kaum verstehen. Forschende des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie und des MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen veröffentlichen nun eine Studie über den Abbau von Ethan, dem zweithäufigsten Alkan in Meeresquellen. Sie beschreiben die Enzyme, die an dem Prozess beteiligt sind und zeigen, dass deren Reaktion mit einem gängigen Dogma auf dem Gebiet der anaeroben Biochemie bricht. Ihre Ergebnisse sind in Nature Communications erschienen.
Die anaerobe Oxidation von Ethan wurde vor einigen Jahren beschrieben, doch viele ihrer Geheimnisse müssen noch enträtselt werden. „Wir zeichneten die chemischen Reaktionen des Prozesses auf ein Blatt Papier und entdeckten große Lücken in der Biochemie, die noch nicht erforscht waren. Alles deutete darauf hin, dass die beteiligten Organismen ihre Zellenergie auf einem bislang unbekannten Weg gewinnen“, erklärt Erstautor Olivier Lemaire. Die beiden letzten Enzyme des Prozesses erzeugen Kohlendioxid (CO2) aus dem Ethan. Andere Mikroben verwenden ein Protein namens Ferredoxin, um die auf diesem Weg entstehenden Elektronen aufzunehmen. „Das hatte man auch bei Ethanoxidierern vermutet. Als wir uns jedoch das Genom der Mikroben ansahen, stellten wir fest, dass sie nicht über die nötigen enzymatischen Werkzeuge verfügen, um Zellenergie mithilfe von Ferredoxin zu gewinnen. Irgendwas anderes musste also im Spiel sein.“
Erfolgreiche wissenschaftliche Zusammenarbeit bei einer anspruchsvollen Studie
Gelöst werden konnte dieses Rätsel nur dank einer engen Zusammenarbeit innerhalb der Partnerinstitutionen. Gunter Wegener vom MARUM und seinem Team gelang es, Sedimentproben von erdgasreichen hydrothermalen Quellen zu sammeln, und aus diesen die Ethanabbauer im Labor zu kultivieren – eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe. Mit Hilfe dieser Kulturen konnte dann die Gruppe von Tristan Wagner die an der Ethanoxidation beteiligten Enzyme isolieren und charakterisieren. „Die Isolierung von Enzymen aus einer so kostbaren und komplexen mikrobiellen Kultur ist eine große Herausforderung, aber mit viel Mühe und Sorgfalt haben wir es geschafft“, so Wagner.
Eine andere enzymatische Zusammensetzung bewirkt eine Neuverdrahtung des Stoffwechsels
Die jetzt veröffentlichten Analysen zeigen, dass beide Enzyme ein zusätzliches Protein enthalten, das mit dem Rest des Enzyms über eine Redoxkette von Eisen- und Schwefelatomen elektronisch verbunden ist. Durch diese Untereinheit wird es möglich, einen alternativen Elektronenakzeptor zu verwenden: Das F420, ein Molekül auf der Basis von Flavin, einer Klasse von Chemikalien, die auch für den Menschen wichtig ist (z.B. als Vitamin B2).
„Enzymkomplexe aus CO2-bildenden Proteinen und F420-Reduktasen waren bisher unbekannt“, sagt Co-Autor Tristan Wagner. Durch weitere Experimente bestätigten die Forschenden, dass beide Enzyme F420 als Elektronenakzeptor nutzen. „Diese Entdeckung bricht ein Dogma auf dem Forschungsfeld des anaeroben Stoffwechsels, weil sie die Fähigkeiten dieser Enzyme erweitert.“
„Wir vermuten, dass die Kopplung der CO2-Bildung mit F420 als Elektronenakzeptor den gesamten Prozess anregt. Die Elektronen werden dann über die Zellmembran auf eine andere Mikrobe übertragen, die Sulfat reduziert – ein gängiges Verfahren von alkanoxidierenden Konsortien“, erklärt Gunter Wegener.
Ein Meilenstein im Verständnis des Ethanabbaus
Mit der Lösung dieses Stoffwechselrätsels lüften Lemaire und seine Kollegen einen zentralen Aspekt der ethanabbauenden Mikroben, die eine wichtige Rolle im Kohlenstoffkreislauf spielen. Sie zeigen zudem, dass sich Erkenntnisse, die an einigen wenigen Modellorganismen gewonnen werden, nicht einfach auf verwandte Arten übertragen lassen. Die beteiligten Enzyme können vielseitiger sein als angenommen. „Unsere Studie verdeutlicht, wie wenig wir über den Stoffwechsel dieser Mikroben wissen, die seit Milliarden von Jahren auf unserem Planeten leben und sich an so viele Lebensräume anpassen können, und wie wichtig es ist, diese mit Hilfe experimenteller Methoden zu erforschen“, so Tristan Wagner abschließend.
Die weitreichende Bedeutung dieser Studie liegt zudem darin, dass die von diesen Mikroorganismen durchgeführte Oxidation von Alkanen entscheidend dazu beiträgt, dass die biologischen Filter in den Unterwasserquellen funktionieren und eine massive Freisetzung von natürlich produzierten Alkanen in die Atmosphäre und das Meerwasser verhindern.
Diese Studie ist Teil der Forschung des Exzellenzclusters „Ozeanboden – unerforschte Schnittstelle der Erde“, der am MARUM angesiedelt ist. Der Kohlenstoffkreislauf und Energiegewinnung von Mikroorganismen gehören zu den Kernthemen des Clusters.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften.
Dass es in der Tiefsee anaerobe Oxidation von Ethan gibt, ist schon lange bekannt. Doch diese neuen Erkenntnisse zeigen erneut, wie wenig wir doch über dieses einzigartige Ökosystem wissen. Währenddessen rückt der Tiefseebergbau bedrohlich näher und droht, die sensiblen Quellen und die darin lebenden Mikroben unwiederbringlich zu zerstören. Wenn diese natürlichen biologischen Filter beschädigt werden, könnten große Mengen schädlicher Alkane in die Meere und die Atmosphäre gelangen – mit unberechenbaren Folgen für das Klima und die Gesundheit der Ozeane. Es ist entscheidend, diese faszinierenden, aber fragilen Ökosysteme vor solchen Eingriffen zu schützen, bevor wir sie unwiederbringlich verlieren.
Wie ist das Wetter in der Tiefsee?

© NOAA Office of Ocean Exploration and Research / Image courtesy of Submarine Ring of Fire 2006 Exploration, NOAA Vents Program
Pressemitteilung vom 31. Juli 2024, MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften
Neue Nature Geoscience-Studie zeigt wechselhaftes Verhalten der Strömungen in der Tiefsee
Eine neue Studie zeigt, wie selbst die tiefsten Meeresböden durch das tägliche Hin und Her der Gezeiten und den Wechsel der Jahreszeiten beeinflusst werden und dass die Strömungen am Meeresboden viel komplizierter sind als bisher angenommen. Diese Erkenntnisse tragen dazu bei, die Wege der Nährstoffe in der Tiefsee zu verstehen, die wichtige Tiefseeökosysteme versorgen, zu beurteilen, wo sich Mikroplastik und andere Schadstoffe im Ozean anreichern, und den vergangenen Klimawandel zu rekonstruieren. Die Studie des internationalen Forschungsteams, an dem auch Prof. Dr. Elda Miramontes vom MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften und Fachbereich Geowissenschaften der Universität Bremen beteiligt ist, wurde jetzt in der Fachzeitschrift Nature Geoscience veröffentlicht.
Der Meeresboden ist die Endstation für alle Arten von Partikeln wie Sand, Schlamm, organischer Kohlenstoff, der den Organismen am Meeresboden als Nahrung dient, und sogar Schadstoffe. Die Anhäufung dieser Partikel in der Tiefsee wird zur Rekonstruktion des Klimas, der Naturgefahren und der Meeresbedingungen in der Vergangenheit herangezogen und liefert wertvolle Archive vergangener Veränderungen, die weit über historische Aufzeichnungen hinausgehen. Der leitende Wissenschaftler des Projekts, Dr. Mike Clare vom National Oceanography Centre (NOC), erklärt: „Es ist wichtig, das Verhalten und die Verläufe von Strömungen in der Tiefsee zu verstehen, um die Wege natürlicher und vom Menschen verursachter Partikel zu bestimmen und die in den Ablagerungen erhaltenen Aufzeichnungen auszuwerten.“
Er ergänzt: „Es gibt jedoch nur sehr wenige direkte Messungen von Strömungen, die in tiefen Gewässern über den Meeresboden fließen. Die meisten werden hoch über dem Meeresboden, über kurze Zeiträume und nur an einzelnen Stellen durchgeführt. Bislang haben war nicht vollständig verstanden, wie dynamisch die Strömungen am Meeresboden in der Tiefsee sein können.“
In einer neuen Studie, an der Forschende aus dem Vereinigten Königreich, Kanada, Deutschland und Italien beteiligt waren, wurden die Daten der bisher umfangreichsten Anordnung von Sensoren in der Tiefsee analysiert, um die Variabilität der Meeresbodenströmungen über vier Jahre hinweg zu bestimmen. Vierunddreißig Verankerungen in der Tiefsee wurden in bis zu 2,5 Kilometern Wassertiefe ausgebracht und mit Hochfrequenz-Akustik-Doppler-Strömungsmessern ausgestattet, die wie eine Unterwasser-Kamera die Strömungen am Meeresboden messen. Frühere Modellrechnungen gingen davon aus, dass diese Strömungen kontinuierlich und gleichmäßig verlaufen würden, doch die neuen Ergebnisse boten große Überraschungen. Die Strömungen beschleunigten und verlangsamten sich, kehrten manchmal ihre Richtung komplett um und wurden durch das unregelmäßige Relief des Meeresbodens lokal in verschiedene Richtungen gelenkt.
„Dies sind die ersten Messungen von Tiefseeströmungen in einem so großen Gebiet, über einen so langen Zeitraum und so nahe am Meeresboden. Das macht sie äußerst wertvoll, da sie dazu beitragen werden, unsere Modelle zur Rekonstruktion vergangener Veränderungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel im Ozean zu verbessern“, sagte Prof. Dr. Elda Miramontes vom MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften und Fachbereich Geowissenschaften der Universität Bremen, Mitautorin der Studie.
Der Hauptautor der Studie, Dr. Lewis Bailey (früher beim NOC und jetzt an der Universität von Calgary), erklärte: „Die Meeresbodenströmungen vor der Küste Mosambiks sind viel variabler als wir erwartet hatten. Genau wie die Strömungen im oberen Ozean ändert sich ihre Intensität zwischen den Jahreszeiten und kann sich sogar im Laufe einiger Stunden vor- und zurückbewegen. Es ist wirklich kompliziert!“.
Dr. Ian Kane von der Universität Manchester, einer der Mitautoren der Studie, erläuterte: „Zu sehen, wie sich diese Strömungen verhalten, ist ein bisschen wie die Beobachtung des Wetters in Manchester – es ändert sich ständig und ist oft überraschend. Aber die Beobachtung von Veränderungen in der Tiefsee ist eine echte Herausforderung, und bis jetzt hatten wir nur ein geringes Verständnis für die Hintergrundbedingungen in der Tiefsee“.
Der leitende Wissenschaftler des Projekts, Dr. Mike Clare vom NOC, fügte hinzu: „Die Tiefsee kann extrem dynamisch sein, und diese Studie unterstreicht die Bedeutung von Langzeitbeobachtungen, die entscheidende Informationen zum Verständnis des Ozeans liefern. Detailliertere Beobachtungen sind entscheidend für das Verständnis der wichtigen Rolle, die Bodenströmungen beim Transport von Sedimenten, Kohlenstoff und Schadstoffen auf unserem Planeten spielen“.
Beteiligte Institutionen:
• MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften und Fakultät für Geowissenschaften, Universität Bremen, Bremen, Deutschland
• National Oceanography Centre, Southampton, UK
• Schule für Meeres- und Geowissenschaften, Universität Southampton, Southampton, UK
• Fachbereich für Erde, Energie und Umwelt, Universität Calgary, Calgary, Alberta, Kanada
• Schule für Erd- und Umweltwissenschaften, Universität Manchester, Manchester, UK
• Eni Upstream und technische Dienste, Mailand, Italien
• RINA Consulting, Mailand, Italien
• TotalEnergies, Paris, Frankreich
Das MARUM gewinnt grundlegende wissenschaftliche Erkenntnisse über die Rolle des Ozeans und des Meeresbodens im gesamten Erdsystem. Die Dynamik des Ozeans und des Meeresbodens prägen durch Wechselwirkungen von geologischen, physikalischen, biologischen und chemischen Prozessen maßgeblich das gesamte Erdsystem. Dadurch werden das Klima sowie der globale Kohlenstoffkreislauf beeinflusst und es entstehen einzigartige biologische Systeme. Das MARUM steht für grundlagenorientierte und ergebnisoffene Forschung in Verantwortung vor der Gesellschaft, zum Wohl der Meeresumwelt und im Sinne der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Es veröffentlicht seine qualitätsgeprüften, wissenschaftlichen Daten und macht diese frei zugänglich. Das MARUM informiert die Öffentlichkeit über neue Erkenntnisse der Meeresumwelt, und stellt im Dialog mit der Gesellschaft Handlungswissen bereit. Kooperationen des MARUM mit Unternehmen und Industriepartnern erfolgen unter Wahrung seines Ziels zum Schutz der Meeresumwelt.
Diese Pressemitteilung vom 31. Juli 2024 findet ihr beim MARUM.
Nicht nur Meeresströmungen, sondern auch die Plastikflut erreicht tagtäglich unsere Tiefsee. Unsere Aufgabe ist es, diese bisher weitgehend unberührten, faszinierenden Lebensräume zu schützen, vor allem vor Gefahren wie dem Tiefseebergbau.
WWF: Neuausrichtung der Internationalen Meeresbodenbehörde dringend notwendig
Pressemitteilung, WWF, 02.08.2024
Auf der Jahrestagung der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA, International Seabed Authority) in Jamaika wurde heute die Brasilianerin Leticia Carvahlo zur neuen Generalsekretärin gewählt. Kristín von Kistowski, Leiterin Meeresschutz beim WWF Deutschland, kommentiert:
„Der WWF begrüßt die Wahl von Leticia Carvahlo als neue Generalsekretärin der Internationalen Meeresbodenbehörde. Sie kann die Arbeit der Institution wieder auf einen wesentlichen Zweck der Behörde ausrichten – den Schutz des Meeresbodens. Wichtig dafür sind Transparenz und der Vorsorgeansatz bei allen Entscheidungen. Nur so lässt sich eine gesunde Tiefsee für zukünftige Generationen erhalten. In der noch laufenden Generalversammlung der ISA setzte sich vor allem Deutschland stark dafür ein, die Arbeitsprozesse in Zukunft transparenter zu gestalten und angemessen zu überprüfen.
Der internationale Widerstand gegen einen möglichen Tiefseebergbau wächst derweil ungebremst. In den vergangenen Wochen haben sich mit Österreich, Honduras, Guatemala, Tuvalu and Malta fünf weitere Länder der Forderung nach einem Moratorium, einer vorsorglichen Pause oder einem Verbot von Tiefseebergbau angeschlossen. Außerdem nehmen drei große Versicherer die Aktivität aus ihrer Versicherungsdeckung heraus. Der Software-Riese SAP trat einer Allianz aus inzwischen 52 Unternehmen bei, die sich für ein Moratorium für Tiefseebergbau aussprechen.
Wir dürfen nicht zulassen, dass der Meeresboden durch einzelne Unternehmen zerstört wird. Den hohen Preis dafür werden die Meeresumwelt und die Menschheit zahlen, während sich einige wenige mit dem Profit davonmachen. Wir brauchen keinen Tiefseebergbau, sondern müssen Ressourcen verantwortungsvoller nutzen und Kreislaufwirtschaft fördern. Eine intakte Tiefsee ist für alles Leben auf unserem Planeten von entscheidender Bedeutung.“
Hintergrund:
Der WWF fordert ein weltweites Moratorium für Tiefseebergbau, bis alle Auswirkungen solcher Vorhaben durch wissenschaftliche Forschung bekannt sind und sichergestellt ist, dass der Rohstoffabbau in der Tiefsee keine Schäden an der Meeresumwelt verursacht. Forschende verfügen heute erst über 1,1 Prozent des Wissens, das erforderlich ist, um wissenschaftlich fundiert zu entscheiden, ob Tiefseebergbau vorangetrieben werden kann. Gerade kürzlich sorgte eine neue wissenschaftliche Veröffentlichung für Aufsehen, die Sauerstoffproduktion fernab vom Sonnenlicht auf dem mit Metallknollen bedeckten Meeresboden in tausenden Metern Tiefe nachweist.
Laut einem Bericht des WWF werden für den notwendigen Übergang zu einer Wirtschaft ohne fossile Brennstoffe keine Mineralien aus der Tiefsee benötigt.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim WWF.
Die Tiefsee ist ein einzigartiges und empfindliches Ökosystem, das für das Leben auf unserem Planeten von entscheidender Bedeutung ist. Die Zerstörung des Meeresbodens würde nicht nur einzigartige Lebensräume vernichten, sondern auch zahlreiche, noch unbekannte Arten unwiederbringlich auslöschen. Der wachsende Widerstand gegen den Tiefseebergbau zeigt, dass immer mehr Menschen die Dringlichkeit erkennen, dieses kostbare Habitat zu schützen.
Quallen könnten künftig den Arktischen Ozean dominieren
Pressemitteilung, 15.05.2024, Alfred-Wegner-Institut
AWI-Studie zeigt: Quallen im Arktischen Ozean profitieren vom Klimawandel und breiten sich weiter nach Norden aus
Der Klimawandel setzt viele Meeresorganismen immer stärker unter Druck. Quallen jedoch könnten in allen Weltmeeren von steigenden Wassertemperaturen profitieren – auch und besonders im Arktischen Ozean, wie Forschende des Alfred-Wegner-Instituts nun zeigen konnten. Im Computermodell setzten sie acht weit verbreitete arktische Quallenarten steigenden Temperaturen aus. Das Ergebnis: Bis auf eine Ausnahme konnten alle untersuchten Spezies ihren Lebensraum bis in die zweite Hälfte des laufenden Jahrhunderts massiv polwärts ausdehnen. Die „Feuerqualle“ kann ihr Habitat sogar fast verdreifachen – mit potentiell dramatischen Folgen für das marine Nahrungsnetz und die arktischen Fischbestände. Die Studie wurde nun im Fachmagazin Limnology and Oceanography veröffentlicht.
Quallen könnten künftig zu den wenigen Gewinnern des Klimawandels zählen. Denn wie zahlreiche Studien belegen, profitieren die transparenten Nesseltiere ganz erheblich von steigenden Wassertemperaturen, aber auch von Nährstoffeinträgen und Überfischung. In Kombination könnten diese Faktoren zu einer gewaltigen Verschiebung im Ozean führen – weg von einem produktiven und von Fischen dominierten Nahrungsnetz hin zu einem weniger produktiven Meer voller Quallen. Forschende sprechen deshalb bereits von einer drohenden „Ocean jellification“, also einer globalen „Verquallung“ der Ozeane.
„Quallen spielen im marinen Nahrungsnetz eine wichtige Rolle“, erklärt Dmitrii Pantiukhin, Doktorand in der auf arktische Quallen spezialisierten Nachwuchsgruppe ARJEL („Arctic Jellies“) am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). „Übt nun etwa der Klimawandel Stress auf die Meeresbewohner aus, können sich die Nesseltiere oft gegen Nahrungskonkurrenten wie Fische durchsetzen. Das hat dann wiederum Folgen für das ganze Nahrungsnetz und letztlich auch die Fische selbst. Denn viele Quallen ernähren sich von Fischlarven und Eiern und verzögern oder verhindern so eine Erholung von unter Druck geratenen Fischpopulationen, die zudem meist auch noch durch den Menschen stark bewirtschaftet werden. Wer also wissen will, wie sich die auch für uns wichtige Nahrungsquelle Fisch in Zukunft entwickeln wird, muss die Quallen in den Blick nehmen.“
Trotz ihrer großen Bedeutung für alle Meeresorganismen werden die durchsichtigen Nesseltiere in ökologischen Studien und Modellsimulationen oft übersehen oder vernachlässigt. Mit seiner Studie füllt das AWI-Team um Dmitrii Pantiukhin nun eine bedeutsame Wissenslücke und konzentriert sich dabei auf einen Hot-Spot des Klimawandels. „Von allen Ozeanen erwärmt sich der Arktische Ozean am schnellsten“, sagt der Studienerstautor. „Außerdem steht die Arktis für rund 10 Prozent der globalen Fischereierträge. Deshalb ist der hohe Norden ein idealer Ort für unsere Untersuchungen.“
Über die Physiologie der Quallen einschließlich des optimalen Temperaturbereichs für ihre Vermehrung ist schon einiges bekannt. Im Rahmen seiner Studie hat das AWI-Team nun dreidimensionale Artverbreitungsmodelle mit den ozeanographischen Komponenten des „Max Planck Institute Earth System Model“ (MPI-ESM1.2) gekoppelt. „Oft werden Simulationen zur Artverbreitung im Ozean nur zweidimensional berechnet, also wie eine Fläche behandelt“, erklärt Dr. Charlotte Havermans, Leiterin der Nachwuchsgruppe ARJEL am AWI. „Gerade die Verbreitung von Quallengemeinschaften ist aber extrem abhängig von der spezifischen Wassertiefe. Deshalb haben wir unsere Artmodelle dreidimensional ausgelegt. Durch die Kopplung mit dem MPI-Erdsystemmodell konnten wir dann für acht bedeutende Quallenarten berechnen, wie sich deren Verbreitung ausgehend vom Referenzzeitraum 1950 bis 2014 bis in die zweite Hälfte des laufenden Jahrhunderts 2050 bis 2099 verändern wird. Für die Zukunft haben wir dabei das Klimaszenario ‚ssp370‘, also einen Entwicklungspfad mit weiterhin mittleren bis hohen Treibhausgasemission zugrunde gelegt.“
Das Ergebnis spricht eine deutliche Sprache: Sieben der acht Spezies – darunter Melonenquallen (Beroe sp. / + 110 %) und Pelagische Seescheiden (Oikopleura vanhoeffeni / + 102 %) – können bis zum Zeitraum 2050 bis 2099 ihren Lebensraum teilweise erheblich polwärts ausdehnen und profitieren dabei auch vom weiteren Rückgang der Meereisbedeckung. Besonders stark in Richtung Norden breitet sich die als „Feuerqualle“ bekannte Gelbe Haarqualle Cyanea capillata aus: Sie kann ihren Lebensraum mit einem Zuwachs von 180 Prozent fast verdreifachen. Lediglich eine untersuchte Art (Sminthea arctica) hat einen leichten Rückgang um 15 Prozent zu verzeichnen, da sie sich ihrem Temperaturoptimum folgend in größere Tiefen zurückziehen muss.
„Diese Ergebnisse machen deutlich, wie dramatisch der Klimawandel die Ökosysteme des Arktischen Ozeans in Zukunft verändern kann“, sagt AWI-Forscher Dmitrii Pantiukhin. „Die prognostizierte Ausdehnung der Quallenhabitate könnte massive und kaskadenhafte Auswirkungen auf das ganze Nahrungsnetz haben.“
Noch offen ist die Frage, wie sich der Vormarsch der Nesseltiere auf die arktischen Fischbestände auswirken würde. „Vieles spricht dafür, dass wichtige arktische Fischspezies wie der Polardorsch, dessen Larven und Eier häufig von Quallen gefressen werden, noch stärker unter Druck geraten“, erklärt ARJEL-Leiterin Charlotte Havermans. „Unsere Studie liefert daher eine wichtige Grundlage für weitere Forschungen auf diesem Gebiet. Und auch Management-Pläne im Fischereibereich müssen diese dynamische Entwicklung dringend berücksichtigen, wenn sie den Zusammenbruch stark befischter Bestände künftig vermeiden und diese nachhaltig bewirtschaften wollen.“
Diese Pressemitteilung und die Originalpublikation findet ihr beim AWI.
Bereits 2023 berichtete das AWI über einen Wandel der Arktischen Lebensgemeinschaften. Der Klimawandel zwingt immer mehr Arten, neue Lebensräume zu suchen – eine Art Flucht vor den veränderten Bedingungen. Während Quallen von diesen Verschiebungen profitieren, geraten andere Organismen – zum Beispiel der Polardorsch – immer stärker unter Druck.
Wissenschaftler:innen entdecken ein neues Ökosystem unter hydrothermalen Schloten
Die Tiefsee ist eine weithin unbekannte Welt für uns. Unbekannter als der Mond. Nur 5% der Tiefsee gelten als erforscht. Viele systemische Zusammenhänge sind noch nicht verstanden und etliche Arten noch nicht entdeckt. Auf ein weiteres Puzzleteil ist nun ein internationales Forschungsteam um die Meeresbiologin Monika Bright von der Universität Wien gestoßen. Sie haben ein gänzlich neues unterirdisches Ökosystem gefunden– in Hohlräumen unter Hydrothermalquellen. Damit bilden Hydrothermalquellen nicht nur ein Ökosystem an ihrer jeweiligen Oberfläche, auch in der Erdkruste unter den Schloten wurden Schnecken, Würmer und chemosynthetische Bakterien entdeckt, die ein eigenes Ökosystem bilden. Dabei scheinen die oberirdischen und unterirdischen Lebensräume an den Quellen aufeinander abgestimmt zu sein, wobei weitere Forschungsergebnisse noch etwas mehr Zeit benötigen.
Was diese Entdeckung aber bereits jetzt für uns bedeutet, zeigt sich, wenn wir über unseren Umgang mit den Meeren nachdenken. Nicht nur die Erderwärmung, sich anreicherndes Plastik oder anderer abgekippter Müll und Abwässer stören das größte Ökosystem der Erde – die Tiefsee. Obwohl wir noch so wenig wissen und auch noch nicht im mindesten verstanden haben, wie die vielen kleinen Ökosysteme zum größten Ökosystem zusammenwirken, planen Staaten und Unternehmen seit Jahren massive Eingriffe. Der Tiefseebergbau ist hier wohl das prägnanteste Beispiel. Ohne zu wissen, was wir zerstören, und im Bewusstsein, dass der Raubbau am Meeresboden irreversible Schäden für das gesamte Ökosystem bedeutet und damit auch ganz direkt uns betrifft, wird die Entwicklung des Tiefseebergbaus weiterhin vorangetrieben. Die Funde des internationalen Forschungsteams zeigen uns eines ganz deutlich: die Tiefsee kann uns noch vieles an Schätzen offenbaren – diese liegen jedoch nicht in Knollenform am Meeresgrund. Damit solche Puzzlesteine wie von diesem Forscherteam auch auf weiteren Expeditionen gefunden und in das Bild vom Ökosystem Tiefsee eingefügt werden können, muss das Vorsorgeprinzip und der Schutz der Meere oberstes Gebot sein.
Die zugehörige Pressemitteilung „Wissenschafter*innen entdecken ein neues Ökosystem unter hydrothermalen Schloten“ vom 08.08.2023 findet ihr bei der Universität Wien.
In den unbekannten Welten der Tiefsee werden immer wieder neue Ökosysteme und Arten entdeckt. Erst kürzlich wurde in der Clarion-Clipperton-Zone eine gigantische Artenvielfalt von über 5000 Arten gefunden, von denen bisher über 90% noch nicht wissenschaftlich beschrieben sind und nur in dieser Region vorkommen.
Interaktive Ausstellung: Leben am Ozeanboden
Pressemitteilung, 12.07.2023, MARUM
Neue interaktive Ausstellung „3.688 Meter unter dem Meeresspiegel“ im Haus der Wissenschaft
Die vielfältigen Auswirkungen der Klimakrise stellen globale Herausforderungen dar, die auch die Meeresforschung vor neue Aufgaben von großer gesellschaftlicher Bedeutung stellt. Dabei spielt der Ozeanboden eine sehr wichtige Rolle. Er umfasst 71 Prozent der festen Oberfläche der Erde und befindet sich im Schnitt 3.688 Meter unter dem Meeresspiegel. Eine neue Ausstellung, konzipiert vom Exzellenzcluster „Ozeanboden“ am MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen, widmet sich ganz dem Meeresboden. Sie ist ab dem 20. Juli im Bremer Haus der Wissenschaft zu sehen.
In der Tiefsee ist es dunkel und kalt. Noch bis vor einigen Jahrzehnten schien sie den Menschen ein weitgehend unwirtlicher Lebensraum zu sein. Mittlerweile hat sich dieses Bild grundlegend gewandelt. Unser heutiges Wissen um die Tiefsee mit ihren einzigartigen und oftmals fragilen Ökosystemen verdanken wir der fortschreitenden Entwicklung neuer Technologien. Sie ermöglichen es Wissenschaftler:innen ferngesteuerte Untersuchungen selbst in sehr großen Wassertiefen und unter extremen Bedingungen. Dennoch sind uns die weitaus größten Teile der Tiefsee und des Ozeanboden nach wie vor nahezu unbekannt.
Welche Rolle die Tiefsee und insbesondere der Ozeanboden im System Erde spielt, steht im Mittelpunkt der Forschungsarbeiten am MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen. Hier ist der Exzellenzcluster „Ozeanboden – unerforschte Schnittstelle der Erde“ angesiedelt.
Interaktiv abtauchen in die Tiefsee
In der interaktiven Ausstellung „3.688 Meter unter dem Meeresspiegel“ lassen sich Forschende über die Schulter schauen. Schritt für Schritt erfahren Besucher:innen im Haus der Wissenschaft mehr – über den Ozeanboden als großes zusammenhängendes Ökosystem, wie sich Forschende auf Expeditionen in die Tiefsee vorbereiten und welche Technologien sie dabei nutzen.
„Die Ablagerungen am Ozeanboden sind als Archive für Umwelt- und Klimaveränderungen vergangener Zeit nicht nur für die Klimaforschung von extrem großer Bedeutung. Der Ozeanboden ist auch eine der zentralen Schnittstellen für globale Stoffkreisläufe wie den Kohlenstoffkreislauf“, sagt Prof. Michael Schulz, Direktor des MARUM und Sprecher des Exzellenzclusters.
Originalexponate aus der Tiefe
Ein interaktiver Comic vermittelt, wie Wissenschaft auf einem Forschungsschiff funktioniert und begleitet einen Tauchroboter zu Heißen Quellen in der Tiefsee. An einer großen digitalen Weltkarte können die Besucher:innen schrittweise das Wasser aus dem Weltozean ablassen und so den Ozeanboden selbst erkunden. Die Ausstellung zeigt auch Originale aus den Tiefen der Meere, wie Skelette von Kaltwasserkorallen oder das Bruchstück eines Schwarzen Rauchers. Daneben gibt es 3D-Modelle von Großgeräten, die in der modernen Meeresforschung eingesetzt werden und von winzigen Mikroorganismen, die der Wissenschaft bei der Klimaforschung helfen.
„Wenn die Tauchroboter abtauchen, herrscht eine gewisse Spannung an Bord. Welche Unterwasserwelten bekommt das Team zu Gesicht? Diese Faszination für die Forschung möchten wir den Besucher:innen vermitteln“, sagt Dr. Frank Schmieder, der die Ausstellung zusammen mit Nils Strackbein aus dem Team für Transfer und Wissenschaftskommunikation konzipiert hat.
Vortragsprogramm und Fotoausstellung
Die Forschungsarbeiten der Wissenschaftler:innen am MARUM stehen während der Ausstellung auch im Mittelpunkt der Vortragsreihe „Wissen um 11“. Am 22. Juli berichtet Prof. Wolfgang Bach über Heiße Quellen am Meeresboden. Um Heiße Quellen im Arktischen Ozean geht es am 26. August im Vortrag von Dr. Maren Walter. Prof. Achim Kopf referiert am 23. September zum Thema CO2-Speicherung in der Ozeankruste. Dr. Ursula Röhl beschließt die Reihe am 21. Oktober mit ihrem Vortrag zum Klimaarchiv Ozeanboden.
Welche Technologien der Exzellenzcluster in der Tiefsee einsetzt, zeigt außerdem die Fotoausstellung „Expedition Tiefsee“ im Haus der Wissenschaft, die noch bis zum 23. August zu sehen ist. Besuchende können hier abtauchen zu faszinierenden Ökosystemen der Tiefsee. Der Eintritt zu beiden Ausstellungen ist frei.
Die Ausstellung ist modular aufgebaut und soll künftig weiter ausgebaut werden. So kann sie in unterschiedlichen Größen und Räumen gezeigt werden.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim MARUM.
In unserer Fotogalerie „Tiefsee“ könnt ihr abtauchen und das einzigartige Ökosystem und seine Bewohner entdecken.
Tiefseegraben: Müllhalde am Meeresgrund
Pressemitteilung, 13.07.2023, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Plastikmüll in einer Tiefe von 9600 Metern gefunden
Ein Team von Forscher*innen des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums Frankfurt, der Universität Basel und des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrums für Polar- und Meeresforschung, haben die aktuell umfangreichste Untersuchung von (Makro-)Plastikmüll in einer Tiefe von bis zu 9600 Metern vollendet. In ihrer im Fachjournal „Environmental Pollution“ erschienenen Studie analysierten die Forschenden die Anzahl, das Material und die Art der Plastikabfälle im pazifischen Kurilen-Kamtschatka-Tiefseegraben. Sie zeigen, dass die meisten Plastiküberreste aus dem regionalen Seeverkehr und der Fischerei stammen. Das Team warnt, dass Tiefseegräben zu „Müllhalden der Meere“ werden könnten.
Spätestens seitdem im Scheinwerferlicht eines Tauchbootes 2018 eine Einkaufstüte in 11.000 Metern Tiefe des Mariengrabens auftauchte, ist das Vorhandensein von Plastikmüll in der Tiefsee unbestreitbar. „Auch wenn es mittlerweile ein zunehmendes Bewusstsein für das Plastik-Problem gibt, ist die weltweit produzierte Kunststoffmenge in den letzten 70 Jahren sehr stark gestiegen – allein im Jahr 2021 wurden 391 Millionen Tonnen hergestellt“, erzählt Dr. Serena Abel, aktuell Postdoktorandin an der Universität Basel und spricht weiter: „Die Vernetzung der Ozeane durch Meeresströmungen in Verbindung mit der Transportfähigkeit von schwimmfähigem Kunststoff macht die Plastikverschmutzung zu einem globalen Problem. Vor allem in abyssalen und hadalen Tiefen, wo die Hauptabbaufaktoren wie Photodegradation, das heißt die Veränderung unter dem Einfluss von Sonnenlicht, und Welleneinwirkung fehlen, sammelt sich Plastik an und bleibt lange – bis zu mehreren Hundert Jahren – bestehen. Jüngste Aufzeichnungen von Tiefseegräben zeigen die Allgegenwärtigkeit des menschlichen Fußabdrucks auch an Orten, die für uns Menschen unzugänglich sind.“
Die wissenschaftliche Mitarbeiterin hat in ihrer neuen Studie gemeinsam mit der Senckenberg-Meeresforscherin Prof. Dr. Angelika Brandt und Kolleg*innen des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrums für Polar- und Meeresforschung, das Vorhandensein von Plastikmüll im Kurilen-Kamtschatka-Graben, einer 2250 Kilometer langen Tiefseerinne im nordwestlichen Teil des Pazifischen Ozeans, untersucht. Mithilfe von Schleppnetzen und einem Epibenthosschlitten beprobten die Wissenschaftler*innen 13 Stationen in Tiefen zwischen
Metern. „Dies ist nach unserem Wissen der tiefste Einsatz von Schleppnetzen zur Erforschung der Plastikverschmutzung, der jemals stattgefunden hat“, erläutert Brandt und fährt fort: „Unsere Ergebnisse sind alarmierend: In allen Proben haben wir (Makro-)Plastikmüll gefunden – mit einer Gesamtzahl von 111 Gegenständen.“
Industrieverpackungen und Material, das der Fischerei zugeordnet werden kann, waren die häufigsten Müllkomponenten im Kurilen-Kamtschatka-Graben, die höchstwahrscheinlich aus dem Ferntransport durch den Kuroshio-Ausdehnungsstrom oder aus dem regionalen Seeverkehr und der Fischerei stammen. Mit 33 Prozent waren Schnüre und Kordeln die häufigsten Hinterlassenschaften, gefolgt von Kunststofffragmenten (23 %) und Industrieverpackungen (11 %). Auf sechs Kunststoffabfällen waren eindeutige Etiketten in japanischer, koreanischer und spanischer Sprache zu erkennen.
„Durch die Kategorisierung der anthropogenen Abfälle nach ihrem Verwendungszweck war es möglich, die beiden Hauptquellen von Kunststoffen, die sich am Grabenboden absetzen – Verpackungen und Fischerei – zu unterscheiden. Durch unsere spektroskopischen Analysen konnten wir zudem die wichtigsten Polymertypen, nämlich Polyethylen, Polypropylen und Nylon, identifizieren. Diese Polymere sind in der Meeresumwelt recht stabil, da sie nicht hydrolytisch abgebaut werden und höchstwahrscheinlich auf dem Grund des Grabens landen, ohne in kleinere Teile zu zerfallen“, ergänzt Abel.
Die abgelegene Position des Kurilen-Kamtschatka-Grabens und die hohen Sedimentationsraten machen ihn zu einem potenziellen Standort für eine umfangreiche Kunststoffverschmutzung, was ihn zu einem der am stärksten kontaminierten Meeresgebiete der Welt und zu einer ozeanischen Kunststoffablagerungszone machen könnte, heißt es in der Studie. „Unsere Ergebnisse unterstreichen die Dringlichkeit neuer politischer Maßnahmen für die Abfallbehandlung und die Kunststoffproduktion! Der Meeresboden darf keine Halde für Plastikmüll werden!“, fordert Brandt.
Diese Pressemitteilung findet ihr bei der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung.
Die Originalpublikation „Journey to the deep: plastic pollution in the hadal of deep-sea trenches“ findet ihr bei Environmental Pollution.
Neben (Makro-)Plastikmüll wurde auch schon eine hohe Belastung von Mikroplastik im Meeresboden in der Tiefsee festgestellt.
Stop Deep Sea Mining! Stoppt den Tiefseebergbau, bevor es zu spät ist
Wir brauchen in diesen entscheidenden Wochen so viele Staaten wie möglich, die sich bei der ISA (International Seabed Authority) für eine Vorsorgliche Pause (Precautionary Pause) einsetzen, wie Deutschland es tut, oder für ein Moratorium oder einen Ban. In diesem gemeinsamen Statement beziehen Sebastian Unger, Meeresbeauftragter der Bundesregierung, und Olivier Poivre d’Arvor, Frankreichs Botschafter für Pole und maritime Angelegenheiten, deutlich Position:
Video-Link: https://www.youtube.com/watch?v=-huCUYuurvg
Das Statement findet ihr bei der Environmental Justice Foundation.
Eine Assel namens Brandt
Pressemitteilung, 6.7.2023, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Senckenberg-Meeresforscherin wird Namenspatin für Tiefsee-Art
Senckenberg-Forschende haben mit Kolleg*innen aus den USA und Deutschland eine neue Tiefsee-Assel im Fachjournal „Zootaxa“ beschrieben. Das Tier wurde 2015 im Rahmen der Jungfernfahrt des Forschungsschiffes SONNE gesammelt und stammt aus dem Puerto-Rico-Tiefseegraben im nordwestlichen Atlantik. Anders als erwartet besiedelt die neu entdeckte Asselart einen enormen Tiefenbereich zwischen 4.552 und 8.338 Metern – die größte je nachgewiesene Tiefenverbreitung einer Assel. Benannt wurde die neue Art – Austroniscus brandtae – nach der Senckenberg-Meeresforscherin Prof. Dr. Angelika Brandt in Anerkennung ihrer außergewöhnlichen Forschungsleistungen und ihres Engagements zum Schutz der Tiefsee.
Entlang der Plattengrenzen, wo sich ozeanische unter Kontinentalplatten schieben, bildet sich die tiefste Umgebung der Erde: die Hadalzone mit Tiefen von über sechs bis fast elf Kilometern. „Die Gemeinschaften in diesen Zonen der Meere sind – aufgrund der großen logistischen und technischen Beschränkungen bei der Probenahme – die wohl am wenigsten bekannte Fauna der Erde“, erklärt Dr. Stefanie Kaiser vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt und fährt fort: „Wir konnten nun eine neue Meeresassel-Art aus den hadalen und abyssalen Tiefen des Puerto-Rico-Grabens im Atlantik beschreiben: Austroniscus brandtae.“
Das 2,7 Zentimeter große Krebstier wurde von dem Forschungsteam zu Ehren von Senckenbergerin Prof. Dr. Angelika Brandt benannt. Brandt leitet seit 2017 die Abteilung Marine Zoologie am Senckenberg-Standort Frankfurt und lehrt an der Goethe-Universität Frankfurt. Ihr Forschungsinteresse gilt den Verbreitungsmustern und treibenden Faktoren für die Evolution von mariner Makrofauna. Dabei forscht sie mit ihrer Arbeitsgruppe hauptsächlich an Krebsen – insbesondere an Meeresasseln (Isopoden). Brandt und ihr Team analysieren die stammesgeschichtliche Herkunft und Besiedlungsgeschichte von Isopoden in der Tiefsee und versuchen zu verstehen welche treibenden Faktoren es in der Tiefsee für hohe Diversität gibt. „Unsere Artbenennung soll Angelika Brandts Engagement und ihre Leistungen in der Tiefsee-Isopodenforschung ehren. Es gibt zudem auch einen ganz persönlichen Grund für die Namenswahl: Angelika Brandt war Doktormutter dreier Autor*innen der Studie und damit entscheidend für unseren Weg in die Tiefseeforschung“, fügt Kaiser hinzu.
Aufgrund der großen Tiefenunterschiede zwischen den Probenahmeorten im Puerto-Rico-Graben – zwischen 4.552 und 8.338 Metern – erwartete das Forschungsteam, dass sie unterschiedliche Arten innerhalb der Gattung finden würden, welche die abyssalen und hadalen Standorte bewohnen. „Mittels morphologischer Untersuchung mit traditioneller Mikroskopie und einer anschließenden molekularen Analyse konnten wir aber zeigen, dass tatsächlich nur die von uns neu beschriebenen Art, Austroniscus brandtae, den Meeresboden des Puerto-Rico-Grabens besiedelt“, erläutert Kaiser. Die neu entdeckte Meeresassel ist die erste Art der Gattung Austroniscus aus dem Atlantik und der weltweit tiefste Nachweis der Gattung.
„Austroniscus brandtae scheint sich in den Tiefen des Puerto-Rico-Grabens sehr gut zu behaupten – dies deutet darauf hin, dass die Vielfalt in den Tiefseegräben abnimmt und nur wenige Arten den dortigen extremen Bedingungen gewachsen sind“, schließt Kaiser.
Diese Pressemitteilung findet ihr bei der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung.
Die Originalpublikation „Combining morphological and mitochondrial DNA data to describe a new species of Austroniscus Vanhöffen, 1914 (Isopoda, Janiroidea, Nannoniscidae) linking abyssal and hadal depths of the Puerto Rico Trench“ findet ihr bei Zootaxa.
Wenn ein Go für den Tiefseebergbau beschlossen wird, werden viele Lebensgemeinschaften in der Tiefsee zerstört und bisher unbekannte Arten, wie diese Tiefsee-Assel, vielleicht nie entdeckt.