Tiefsee
Das unerforschteste und unereichbarste Ökosystem der Erde birgt Wunder und Überraschungen.
Doch sind wir dabei, es irreversibel zu zerstören.
Wie ist das Wetter in der Tiefsee?
Pressemitteilung vom 31. Juli 2024, MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften
Neue Nature Geoscience-Studie zeigt wechselhaftes Verhalten der Strömungen in der Tiefsee
Eine neue Studie zeigt, wie selbst die tiefsten Meeresböden durch das tägliche Hin und Her der Gezeiten und den Wechsel der Jahreszeiten beeinflusst werden und dass die Strömungen am Meeresboden viel komplizierter sind als bisher angenommen. Diese Erkenntnisse tragen dazu bei, die Wege der Nährstoffe in der Tiefsee zu verstehen, die wichtige Tiefseeökosysteme versorgen, zu beurteilen, wo sich Mikroplastik und andere Schadstoffe im Ozean anreichern, und den vergangenen Klimawandel zu rekonstruieren. Die Studie des internationalen Forschungsteams, an dem auch Prof. Dr. Elda Miramontes vom MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften und Fachbereich Geowissenschaften der Universität Bremen beteiligt ist, wurde jetzt in der Fachzeitschrift Nature Geoscience veröffentlicht.
Der Meeresboden ist die Endstation für alle Arten von Partikeln wie Sand, Schlamm, organischer Kohlenstoff, der den Organismen am Meeresboden als Nahrung dient, und sogar Schadstoffe. Die Anhäufung dieser Partikel in der Tiefsee wird zur Rekonstruktion des Klimas, der Naturgefahren und der Meeresbedingungen in der Vergangenheit herangezogen und liefert wertvolle Archive vergangener Veränderungen, die weit über historische Aufzeichnungen hinausgehen. Der leitende Wissenschaftler des Projekts, Dr. Mike Clare vom National Oceanography Centre (NOC), erklärt: „Es ist wichtig, das Verhalten und die Verläufe von Strömungen in der Tiefsee zu verstehen, um die Wege natürlicher und vom Menschen verursachter Partikel zu bestimmen und die in den Ablagerungen erhaltenen Aufzeichnungen auszuwerten.“
Er ergänzt: „Es gibt jedoch nur sehr wenige direkte Messungen von Strömungen, die in tiefen Gewässern über den Meeresboden fließen. Die meisten werden hoch über dem Meeresboden, über kurze Zeiträume und nur an einzelnen Stellen durchgeführt. Bislang haben war nicht vollständig verstanden, wie dynamisch die Strömungen am Meeresboden in der Tiefsee sein können.“
In einer neuen Studie, an der Forschende aus dem Vereinigten Königreich, Kanada, Deutschland und Italien beteiligt waren, wurden die Daten der bisher umfangreichsten Anordnung von Sensoren in der Tiefsee analysiert, um die Variabilität der Meeresbodenströmungen über vier Jahre hinweg zu bestimmen. Vierunddreißig Verankerungen in der Tiefsee wurden in bis zu 2,5 Kilometern Wassertiefe ausgebracht und mit Hochfrequenz-Akustik-Doppler-Strömungsmessern ausgestattet, die wie eine Unterwasser-Kamera die Strömungen am Meeresboden messen. Frühere Modellrechnungen gingen davon aus, dass diese Strömungen kontinuierlich und gleichmäßig verlaufen würden, doch die neuen Ergebnisse boten große Überraschungen. Die Strömungen beschleunigten und verlangsamten sich, kehrten manchmal ihre Richtung komplett um und wurden durch das unregelmäßige Relief des Meeresbodens lokal in verschiedene Richtungen gelenkt.
„Dies sind die ersten Messungen von Tiefseeströmungen in einem so großen Gebiet, über einen so langen Zeitraum und so nahe am Meeresboden. Das macht sie äußerst wertvoll, da sie dazu beitragen werden, unsere Modelle zur Rekonstruktion vergangener Veränderungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel im Ozean zu verbessern“, sagte Prof. Dr. Elda Miramontes vom MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften und Fachbereich Geowissenschaften der Universität Bremen, Mitautorin der Studie.
Der Hauptautor der Studie, Dr. Lewis Bailey (früher beim NOC und jetzt an der Universität von Calgary), erklärte: „Die Meeresbodenströmungen vor der Küste Mosambiks sind viel variabler als wir erwartet hatten. Genau wie die Strömungen im oberen Ozean ändert sich ihre Intensität zwischen den Jahreszeiten und kann sich sogar im Laufe einiger Stunden vor- und zurückbewegen. Es ist wirklich kompliziert!“.
Dr. Ian Kane von der Universität Manchester, einer der Mitautoren der Studie, erläuterte: „Zu sehen, wie sich diese Strömungen verhalten, ist ein bisschen wie die Beobachtung des Wetters in Manchester – es ändert sich ständig und ist oft überraschend. Aber die Beobachtung von Veränderungen in der Tiefsee ist eine echte Herausforderung, und bis jetzt hatten wir nur ein geringes Verständnis für die Hintergrundbedingungen in der Tiefsee“.
Der leitende Wissenschaftler des Projekts, Dr. Mike Clare vom NOC, fügte hinzu: „Die Tiefsee kann extrem dynamisch sein, und diese Studie unterstreicht die Bedeutung von Langzeitbeobachtungen, die entscheidende Informationen zum Verständnis des Ozeans liefern. Detailliertere Beobachtungen sind entscheidend für das Verständnis der wichtigen Rolle, die Bodenströmungen beim Transport von Sedimenten, Kohlenstoff und Schadstoffen auf unserem Planeten spielen“.
Beteiligte Institutionen:
• MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften und Fakultät für Geowissenschaften, Universität Bremen, Bremen, Deutschland
• National Oceanography Centre, Southampton, UK
• Schule für Meeres- und Geowissenschaften, Universität Southampton, Southampton, UK
• Fachbereich für Erde, Energie und Umwelt, Universität Calgary, Calgary, Alberta, Kanada
• Schule für Erd- und Umweltwissenschaften, Universität Manchester, Manchester, UK
• Eni Upstream und technische Dienste, Mailand, Italien
• RINA Consulting, Mailand, Italien
• TotalEnergies, Paris, Frankreich
Das MARUM gewinnt grundlegende wissenschaftliche Erkenntnisse über die Rolle des Ozeans und des Meeresbodens im gesamten Erdsystem. Die Dynamik des Ozeans und des Meeresbodens prägen durch Wechselwirkungen von geologischen, physikalischen, biologischen und chemischen Prozessen maßgeblich das gesamte Erdsystem. Dadurch werden das Klima sowie der globale Kohlenstoffkreislauf beeinflusst und es entstehen einzigartige biologische Systeme. Das MARUM steht für grundlagenorientierte und ergebnisoffene Forschung in Verantwortung vor der Gesellschaft, zum Wohl der Meeresumwelt und im Sinne der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Es veröffentlicht seine qualitätsgeprüften, wissenschaftlichen Daten und macht diese frei zugänglich. Das MARUM informiert die Öffentlichkeit über neue Erkenntnisse der Meeresumwelt, und stellt im Dialog mit der Gesellschaft Handlungswissen bereit. Kooperationen des MARUM mit Unternehmen und Industriepartnern erfolgen unter Wahrung seines Ziels zum Schutz der Meeresumwelt.
Diese Pressemitteilung vom 31. Juli 2024 findet ihr beim MARUM.
Nicht nur Meeresströmungen, sondern auch die Plastikflut erreicht tagtäglich unsere Tiefsee. Unsere Aufgabe ist es, diese bisher weitgehend unberührten, faszinierenden Lebensräume zu schützen, vor allem vor Gefahren wie dem Tiefseebergbau.
Wissenschaftler:innen entdecken ein neues Ökosystem unter hydrothermalen Schloten
Die Tiefsee ist eine weithin unbekannte Welt für uns. Unbekannter als der Mond. Nur 5% der Tiefsee gelten als erforscht. Viele systemische Zusammenhänge sind noch nicht verstanden und etliche Arten noch nicht entdeckt. Auf ein weiteres Puzzleteil ist nun ein internationales Forschungsteam um die Meeresbiologin Monika Bright von der Universität Wien gestoßen. Sie haben ein gänzlich neues unterirdisches Ökosystem gefunden– in Hohlräumen unter Hydrothermalquellen. Damit bilden Hydrothermalquellen nicht nur ein Ökosystem an ihrer jeweiligen Oberfläche, auch in der Erdkruste unter den Schloten wurden Schnecken, Würmer und chemosynthetische Bakterien entdeckt, die ein eigenes Ökosystem bilden. Dabei scheinen die oberirdischen und unterirdischen Lebensräume an den Quellen aufeinander abgestimmt zu sein, wobei weitere Forschungsergebnisse noch etwas mehr Zeit benötigen.
Was diese Entdeckung aber bereits jetzt für uns bedeutet, zeigt sich, wenn wir über unseren Umgang mit den Meeren nachdenken. Nicht nur die Erderwärmung, sich anreicherndes Plastik oder anderer abgekippter Müll und Abwässer stören das größte Ökosystem der Erde – die Tiefsee. Obwohl wir noch so wenig wissen und auch noch nicht im mindesten verstanden haben, wie die vielen kleinen Ökosysteme zum größten Ökosystem zusammenwirken, planen Staaten und Unternehmen seit Jahren massive Eingriffe. Der Tiefseebergbau ist hier wohl das prägnanteste Beispiel. Ohne zu wissen, was wir zerstören, und im Bewusstsein, dass der Raubbau am Meeresboden irreversible Schäden für das gesamte Ökosystem bedeutet und damit auch ganz direkt uns betrifft, wird die Entwicklung des Tiefseebergbaus weiterhin vorangetrieben. Die Funde des internationalen Forschungsteams zeigen uns eines ganz deutlich: die Tiefsee kann uns noch vieles an Schätzen offenbaren – diese liegen jedoch nicht in Knollenform am Meeresgrund. Damit solche Puzzlesteine wie von diesem Forscherteam auch auf weiteren Expeditionen gefunden und in das Bild vom Ökosystem Tiefsee eingefügt werden können, muss das Vorsorgeprinzip und der Schutz der Meere oberstes Gebot sein.
Die zugehörige Pressemitteilung „Wissenschafter*innen entdecken ein neues Ökosystem unter hydrothermalen Schloten“ vom 08.08.2023 findet ihr bei der Universität Wien.
In den unbekannten Welten der Tiefsee werden immer wieder neue Ökosysteme und Arten entdeckt. Erst kürzlich wurde in der Clarion-Clipperton-Zone eine gigantische Artenvielfalt von über 5000 Arten gefunden, von denen bisher über 90% noch nicht wissenschaftlich beschrieben sind und nur in dieser Region vorkommen.
Interaktive Ausstellung: Leben am Ozeanboden
Pressemitteilung, 12.07.2023, MARUM
Neue interaktive Ausstellung „3.688 Meter unter dem Meeresspiegel“ im Haus der Wissenschaft
Die vielfältigen Auswirkungen der Klimakrise stellen globale Herausforderungen dar, die auch die Meeresforschung vor neue Aufgaben von großer gesellschaftlicher Bedeutung stellt. Dabei spielt der Ozeanboden eine sehr wichtige Rolle. Er umfasst 71 Prozent der festen Oberfläche der Erde und befindet sich im Schnitt 3.688 Meter unter dem Meeresspiegel. Eine neue Ausstellung, konzipiert vom Exzellenzcluster „Ozeanboden“ am MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen, widmet sich ganz dem Meeresboden. Sie ist ab dem 20. Juli im Bremer Haus der Wissenschaft zu sehen.
In der Tiefsee ist es dunkel und kalt. Noch bis vor einigen Jahrzehnten schien sie den Menschen ein weitgehend unwirtlicher Lebensraum zu sein. Mittlerweile hat sich dieses Bild grundlegend gewandelt. Unser heutiges Wissen um die Tiefsee mit ihren einzigartigen und oftmals fragilen Ökosystemen verdanken wir der fortschreitenden Entwicklung neuer Technologien. Sie ermöglichen es Wissenschaftler:innen ferngesteuerte Untersuchungen selbst in sehr großen Wassertiefen und unter extremen Bedingungen. Dennoch sind uns die weitaus größten Teile der Tiefsee und des Ozeanboden nach wie vor nahezu unbekannt.
Welche Rolle die Tiefsee und insbesondere der Ozeanboden im System Erde spielt, steht im Mittelpunkt der Forschungsarbeiten am MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen. Hier ist der Exzellenzcluster „Ozeanboden – unerforschte Schnittstelle der Erde“ angesiedelt.
Interaktiv abtauchen in die Tiefsee
In der interaktiven Ausstellung „3.688 Meter unter dem Meeresspiegel“ lassen sich Forschende über die Schulter schauen. Schritt für Schritt erfahren Besucher:innen im Haus der Wissenschaft mehr – über den Ozeanboden als großes zusammenhängendes Ökosystem, wie sich Forschende auf Expeditionen in die Tiefsee vorbereiten und welche Technologien sie dabei nutzen.
„Die Ablagerungen am Ozeanboden sind als Archive für Umwelt- und Klimaveränderungen vergangener Zeit nicht nur für die Klimaforschung von extrem großer Bedeutung. Der Ozeanboden ist auch eine der zentralen Schnittstellen für globale Stoffkreisläufe wie den Kohlenstoffkreislauf“, sagt Prof. Michael Schulz, Direktor des MARUM und Sprecher des Exzellenzclusters.
Originalexponate aus der Tiefe
Ein interaktiver Comic vermittelt, wie Wissenschaft auf einem Forschungsschiff funktioniert und begleitet einen Tauchroboter zu Heißen Quellen in der Tiefsee. An einer großen digitalen Weltkarte können die Besucher:innen schrittweise das Wasser aus dem Weltozean ablassen und so den Ozeanboden selbst erkunden. Die Ausstellung zeigt auch Originale aus den Tiefen der Meere, wie Skelette von Kaltwasserkorallen oder das Bruchstück eines Schwarzen Rauchers. Daneben gibt es 3D-Modelle von Großgeräten, die in der modernen Meeresforschung eingesetzt werden und von winzigen Mikroorganismen, die der Wissenschaft bei der Klimaforschung helfen.
„Wenn die Tauchroboter abtauchen, herrscht eine gewisse Spannung an Bord. Welche Unterwasserwelten bekommt das Team zu Gesicht? Diese Faszination für die Forschung möchten wir den Besucher:innen vermitteln“, sagt Dr. Frank Schmieder, der die Ausstellung zusammen mit Nils Strackbein aus dem Team für Transfer und Wissenschaftskommunikation konzipiert hat.
Vortragsprogramm und Fotoausstellung
Die Forschungsarbeiten der Wissenschaftler:innen am MARUM stehen während der Ausstellung auch im Mittelpunkt der Vortragsreihe „Wissen um 11“. Am 22. Juli berichtet Prof. Wolfgang Bach über Heiße Quellen am Meeresboden. Um Heiße Quellen im Arktischen Ozean geht es am 26. August im Vortrag von Dr. Maren Walter. Prof. Achim Kopf referiert am 23. September zum Thema CO2-Speicherung in der Ozeankruste. Dr. Ursula Röhl beschließt die Reihe am 21. Oktober mit ihrem Vortrag zum Klimaarchiv Ozeanboden.
Welche Technologien der Exzellenzcluster in der Tiefsee einsetzt, zeigt außerdem die Fotoausstellung „Expedition Tiefsee“ im Haus der Wissenschaft, die noch bis zum 23. August zu sehen ist. Besuchende können hier abtauchen zu faszinierenden Ökosystemen der Tiefsee. Der Eintritt zu beiden Ausstellungen ist frei.
Die Ausstellung ist modular aufgebaut und soll künftig weiter ausgebaut werden. So kann sie in unterschiedlichen Größen und Räumen gezeigt werden.
Diese Pressemitteilung findet ihr beim MARUM.
In unserer Fotogalerie „Tiefsee“ könnt ihr abtauchen und das einzigartige Ökosystem und seine Bewohner entdecken.
Tiefseegraben: Müllhalde am Meeresgrund
Pressemitteilung, 13.07.2023, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Plastikmüll in einer Tiefe von 9600 Metern gefunden
Ein Team von Forscher*innen des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums Frankfurt, der Universität Basel und des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrums für Polar- und Meeresforschung, haben die aktuell umfangreichste Untersuchung von (Makro-)Plastikmüll in einer Tiefe von bis zu 9600 Metern vollendet. In ihrer im Fachjournal „Environmental Pollution“ erschienenen Studie analysierten die Forschenden die Anzahl, das Material und die Art der Plastikabfälle im pazifischen Kurilen-Kamtschatka-Tiefseegraben. Sie zeigen, dass die meisten Plastiküberreste aus dem regionalen Seeverkehr und der Fischerei stammen. Das Team warnt, dass Tiefseegräben zu „Müllhalden der Meere“ werden könnten.
Spätestens seitdem im Scheinwerferlicht eines Tauchbootes 2018 eine Einkaufstüte in 11.000 Metern Tiefe des Mariengrabens auftauchte, ist das Vorhandensein von Plastikmüll in der Tiefsee unbestreitbar. „Auch wenn es mittlerweile ein zunehmendes Bewusstsein für das Plastik-Problem gibt, ist die weltweit produzierte Kunststoffmenge in den letzten 70 Jahren sehr stark gestiegen – allein im Jahr 2021 wurden 391 Millionen Tonnen hergestellt“, erzählt Dr. Serena Abel, aktuell Postdoktorandin an der Universität Basel und spricht weiter: „Die Vernetzung der Ozeane durch Meeresströmungen in Verbindung mit der Transportfähigkeit von schwimmfähigem Kunststoff macht die Plastikverschmutzung zu einem globalen Problem. Vor allem in abyssalen und hadalen Tiefen, wo die Hauptabbaufaktoren wie Photodegradation, das heißt die Veränderung unter dem Einfluss von Sonnenlicht, und Welleneinwirkung fehlen, sammelt sich Plastik an und bleibt lange – bis zu mehreren Hundert Jahren – bestehen. Jüngste Aufzeichnungen von Tiefseegräben zeigen die Allgegenwärtigkeit des menschlichen Fußabdrucks auch an Orten, die für uns Menschen unzugänglich sind.“
Die wissenschaftliche Mitarbeiterin hat in ihrer neuen Studie gemeinsam mit der Senckenberg-Meeresforscherin Prof. Dr. Angelika Brandt und Kolleg*innen des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrums für Polar- und Meeresforschung, das Vorhandensein von Plastikmüll im Kurilen-Kamtschatka-Graben, einer 2250 Kilometer langen Tiefseerinne im nordwestlichen Teil des Pazifischen Ozeans, untersucht. Mithilfe von Schleppnetzen und einem Epibenthosschlitten beprobten die Wissenschaftler*innen 13 Stationen in Tiefen zwischen
Metern. „Dies ist nach unserem Wissen der tiefste Einsatz von Schleppnetzen zur Erforschung der Plastikverschmutzung, der jemals stattgefunden hat“, erläutert Brandt und fährt fort: „Unsere Ergebnisse sind alarmierend: In allen Proben haben wir (Makro-)Plastikmüll gefunden – mit einer Gesamtzahl von 111 Gegenständen.“
Industrieverpackungen und Material, das der Fischerei zugeordnet werden kann, waren die häufigsten Müllkomponenten im Kurilen-Kamtschatka-Graben, die höchstwahrscheinlich aus dem Ferntransport durch den Kuroshio-Ausdehnungsstrom oder aus dem regionalen Seeverkehr und der Fischerei stammen. Mit 33 Prozent waren Schnüre und Kordeln die häufigsten Hinterlassenschaften, gefolgt von Kunststofffragmenten (23 %) und Industrieverpackungen (11 %). Auf sechs Kunststoffabfällen waren eindeutige Etiketten in japanischer, koreanischer und spanischer Sprache zu erkennen.
„Durch die Kategorisierung der anthropogenen Abfälle nach ihrem Verwendungszweck war es möglich, die beiden Hauptquellen von Kunststoffen, die sich am Grabenboden absetzen – Verpackungen und Fischerei – zu unterscheiden. Durch unsere spektroskopischen Analysen konnten wir zudem die wichtigsten Polymertypen, nämlich Polyethylen, Polypropylen und Nylon, identifizieren. Diese Polymere sind in der Meeresumwelt recht stabil, da sie nicht hydrolytisch abgebaut werden und höchstwahrscheinlich auf dem Grund des Grabens landen, ohne in kleinere Teile zu zerfallen“, ergänzt Abel.
Die abgelegene Position des Kurilen-Kamtschatka-Grabens und die hohen Sedimentationsraten machen ihn zu einem potenziellen Standort für eine umfangreiche Kunststoffverschmutzung, was ihn zu einem der am stärksten kontaminierten Meeresgebiete der Welt und zu einer ozeanischen Kunststoffablagerungszone machen könnte, heißt es in der Studie. „Unsere Ergebnisse unterstreichen die Dringlichkeit neuer politischer Maßnahmen für die Abfallbehandlung und die Kunststoffproduktion! Der Meeresboden darf keine Halde für Plastikmüll werden!“, fordert Brandt.
Diese Pressemitteilung findet ihr bei der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung.
Die Originalpublikation „Journey to the deep: plastic pollution in the hadal of deep-sea trenches“ findet ihr bei Environmental Pollution.
Neben (Makro-)Plastikmüll wurde auch schon eine hohe Belastung von Mikroplastik im Meeresboden in der Tiefsee festgestellt.
Stop Deep Sea Mining! Stoppt den Tiefseebergbau, bevor es zu spät ist
Wir brauchen in diesen entscheidenden Wochen so viele Staaten wie möglich, die sich bei der ISA (International Seabed Authority) für eine Vorsorgliche Pause (Precautionary Pause) einsetzen, wie Deutschland es tut, oder für ein Moratorium oder einen Ban. In diesem gemeinsamen Statement beziehen Sebastian Unger, Meeresbeauftragter der Bundesregierung, und Olivier Poivre d’Arvor, Frankreichs Botschafter für Pole und maritime Angelegenheiten, deutlich Position:
Video-Link: https://www.youtube.com/watch?v=-huCUYuurvg
Das Statement findet ihr bei der Environmental Justice Foundation.
Eine Assel namens Brandt
Pressemitteilung, 6.7.2023, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
Senckenberg-Meeresforscherin wird Namenspatin für Tiefsee-Art
Senckenberg-Forschende haben mit Kolleg*innen aus den USA und Deutschland eine neue Tiefsee-Assel im Fachjournal „Zootaxa“ beschrieben. Das Tier wurde 2015 im Rahmen der Jungfernfahrt des Forschungsschiffes SONNE gesammelt und stammt aus dem Puerto-Rico-Tiefseegraben im nordwestlichen Atlantik. Anders als erwartet besiedelt die neu entdeckte Asselart einen enormen Tiefenbereich zwischen 4.552 und 8.338 Metern – die größte je nachgewiesene Tiefenverbreitung einer Assel. Benannt wurde die neue Art – Austroniscus brandtae – nach der Senckenberg-Meeresforscherin Prof. Dr. Angelika Brandt in Anerkennung ihrer außergewöhnlichen Forschungsleistungen und ihres Engagements zum Schutz der Tiefsee.
Entlang der Plattengrenzen, wo sich ozeanische unter Kontinentalplatten schieben, bildet sich die tiefste Umgebung der Erde: die Hadalzone mit Tiefen von über sechs bis fast elf Kilometern. „Die Gemeinschaften in diesen Zonen der Meere sind – aufgrund der großen logistischen und technischen Beschränkungen bei der Probenahme – die wohl am wenigsten bekannte Fauna der Erde“, erklärt Dr. Stefanie Kaiser vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt und fährt fort: „Wir konnten nun eine neue Meeresassel-Art aus den hadalen und abyssalen Tiefen des Puerto-Rico-Grabens im Atlantik beschreiben: Austroniscus brandtae.“
Das 2,7 Zentimeter große Krebstier wurde von dem Forschungsteam zu Ehren von Senckenbergerin Prof. Dr. Angelika Brandt benannt. Brandt leitet seit 2017 die Abteilung Marine Zoologie am Senckenberg-Standort Frankfurt und lehrt an der Goethe-Universität Frankfurt. Ihr Forschungsinteresse gilt den Verbreitungsmustern und treibenden Faktoren für die Evolution von mariner Makrofauna. Dabei forscht sie mit ihrer Arbeitsgruppe hauptsächlich an Krebsen – insbesondere an Meeresasseln (Isopoden). Brandt und ihr Team analysieren die stammesgeschichtliche Herkunft und Besiedlungsgeschichte von Isopoden in der Tiefsee und versuchen zu verstehen welche treibenden Faktoren es in der Tiefsee für hohe Diversität gibt. „Unsere Artbenennung soll Angelika Brandts Engagement und ihre Leistungen in der Tiefsee-Isopodenforschung ehren. Es gibt zudem auch einen ganz persönlichen Grund für die Namenswahl: Angelika Brandt war Doktormutter dreier Autor*innen der Studie und damit entscheidend für unseren Weg in die Tiefseeforschung“, fügt Kaiser hinzu.
Aufgrund der großen Tiefenunterschiede zwischen den Probenahmeorten im Puerto-Rico-Graben – zwischen 4.552 und 8.338 Metern – erwartete das Forschungsteam, dass sie unterschiedliche Arten innerhalb der Gattung finden würden, welche die abyssalen und hadalen Standorte bewohnen. „Mittels morphologischer Untersuchung mit traditioneller Mikroskopie und einer anschließenden molekularen Analyse konnten wir aber zeigen, dass tatsächlich nur die von uns neu beschriebenen Art, Austroniscus brandtae, den Meeresboden des Puerto-Rico-Grabens besiedelt“, erläutert Kaiser. Die neu entdeckte Meeresassel ist die erste Art der Gattung Austroniscus aus dem Atlantik und der weltweit tiefste Nachweis der Gattung.
„Austroniscus brandtae scheint sich in den Tiefen des Puerto-Rico-Grabens sehr gut zu behaupten – dies deutet darauf hin, dass die Vielfalt in den Tiefseegräben abnimmt und nur wenige Arten den dortigen extremen Bedingungen gewachsen sind“, schließt Kaiser.
Diese Pressemitteilung findet ihr bei der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung.
Die Originalpublikation „Combining morphological and mitochondrial DNA data to describe a new species of Austroniscus Vanhöffen, 1914 (Isopoda, Janiroidea, Nannoniscidae) linking abyssal and hadal depths of the Puerto Rico Trench“ findet ihr bei Zootaxa.
Wenn ein Go für den Tiefseebergbau beschlossen wird, werden viele Lebensgemeinschaften in der Tiefsee zerstört und bisher unbekannte Arten, wie diese Tiefsee-Assel, vielleicht nie entdeckt.
Gefährdete Artenvielfalt in zukünftigem Bergbau-Hotspot
Die Clarion-Clipperton-Zone (CCZ) erstreckt sich über sechs Millionen Quadratkilometer im Pazifischen Ozean und gilt als eine der letzten unberührten Regionen der Weltmeere. Eine neue Studie zeigt, dass über 5.000 Arten in den Tiefen der CCZ vorkommen, von denen bisher über 90 Prozent nicht wissenschaftlich beschrieben und bisher nur in dieser Region entdeckt wurden. Doch genau diese Artenvielfalt in der CCZ ist gefährdet, denn der Meeresgrund ist reich an Manganknollen und bereits 2021 fanden erste Abbau-Pilotversuche statt. Wenn bis zum Sommer keine Regelungen der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) beschlossen werden, könnte der kommerzielle Tiefseebergbau bereits dieses Jahr ohne Regelungen starten. Um die künftigen Auswirkungen des Abbaus besser einschätzen zu können, hat das Forschungsteam des Natural History Museums in London eine CCZ-Checkliste erstellt, welche die Artenvielfalt am Tiefseeboden detailliert aufschlüsselt. Sobald neue Daten zur Verfügung stehen, können damit Umweltauswirkungen wie das Artenaussterberisiko erfasst werden und das Ausmaß der menschlichen Einflüsse verdeutlichen.
Den Artikel „Gefährdete Artenvielfalt in zukünftigem Bergbau-Hotspot“ von Elena Bernard vom 25.05.2023 findet ihr bei wissenschaft.de.
Das Foto wurde während einer Expedition innerhalb des Projekts JPIO MiningImpact in der CCZ erstellt, und zeigt eine Seegurke auf Manganknollen.
Diesen Sommer soll eine Entscheidung über die größte Tiefseebergbauaktion in der Geschichte fallen. Anlässlich der Dringlichkeit des Themas hat das DEEPWAVE Filmfestival zum Schutz der Hoch- und Tiefsee dieses Jahr den Film „Deep Rising“ von Matthieu Rytz gezeigt, der die Akteure hinter der Bergbauindustrie zeigt und ihre Verstrickungen und Intentionen thematisiert.
AWI-Forschende weisen hohe natürliche Radioaktivität in Manganknollen nach
Pressemitteilung, 17.05.2023, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung
Neue Studie zeigt: Der Umgang mit Manganknollen birgt Gesundheitsrisiken
[17. Mai 2023] Manganknollen am Grund der Tiefsee enthalten wertvolle Metalle, die etwa für die Elektro- und Stahlindustrie von zentraler Bedeutung sind. Um die steigende Nachfrage nach Rohstoffen wie Kobalt und Seltenen Erden zu decken, setzen Industrie und einige Staaten deshalb große Hoffnungen in den Tiefseebergbau. Dass der nicht nur ökologische Folgen hat, sondern auch zu einer Gesundheitsgefährdung bei der industriellen Gewinnung und Verarbeitung der Knollen führen kann, zeigen Forschende des Alfred-Wegener-Instituts in einer nun im Fachmagazin Scientific Reports erschienenen Studie. Demnach überschreitet etwa die Aktivität von Radium-226 in den Knollen einen in der deutschen Strahlenschutzverordnung festgelegten Grenzwert teilweise um das Hundert- bis Tausendfache.
Weite Teile des Tiefseebodens sind mit metallhaltigen Knollen und Krusten bedeckt. Die kartoffelgroßen Manganknollen finden sich in allen Ozeanen, vor allem aber im Pazifik in 4.000 bis 6.000 Meter Wassertiefe. Sie bilden sich sehr langsam über mehrere Millionen Jahre hinweg und enthalten wertvolle Metalle wie Kupfer, Nickel, Kobalt oder Seltene Erden – Elemente also, die auch bei der Herstellung elektronischer Produkte wie Computer, Mobiltelefone, Batterien, Magnete, Motoren und andere High-Tech-Komponenten benötigt werden. In den letzten Jahren rückten daher verstärkt Manganknollen und Tiefseebergbau in den Fokus von Wirtschaft und Politik.
Besonders große Mengen von Manganknollen finden sich in den Tiefen der Clarion-Clipperton-Zone im Nordpazifik zwischen Mexiko und Hawaii. Eine Reihe von Staaten – darunter auch die Bundesrepublik Deutschland – hat dort Explorationslizenzen erworben, um zunächst Referenzdaten in den Lizenzgebieten zu erheben und darauf aufbauend die möglichen ökologischen Auswirkungen eines kommerziellen Abbaus von Manganknollen auf die Tiefsee zu ermitteln. Im Juli 2023 will die zuständige Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) konkrete Regeln für die industrielle Förderung festlegen.
„Seit 2015 untersuchen wir im Rahmen der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekte der Joint Programming Initiative Ozeane ,MiningImpact‘ und ,MiningImpact2‘ in einem internationalen Konsortium von über 30 Partnerinstitutionen, welche Auswirkungen der Tiefseebergbau auf die Lebensräume und Ökosysteme der Sedimente und der Wassersäule im Pazifik haben würde“, erklärt Prof. Dr. Sabine Kasten, Projektleiterin der MiningImpact-Vorhaben am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). „Unsere neue Studie zur Radioaktivität von Manganknollen zeigt nun, dass sich neben den Folgen für die Meeresökosysteme auch potenzielle Gesundheitsgefahren für Menschen im Zusammenhang mit der Förderung und Verarbeitung von Manganknollen sowie der Nutzung der daraus gewonnenen Produkte ergeben können. Diese müssen bei den weiteren Planungen dringend berücksichtigt werden.“
Für die nun im Fachmagazin „Scientific Reports“ erschienene Studie haben die AWI-Forschenden Manganknollen untersucht, die im Zuge von zwei Expeditionen (2015 und 2019) des Forschungsschiffs SONNE in der Clarion-Clipperton-Zone gewonnen wurden. „Aus früheren Studien war bereits bekannt, dass die äußere Schicht der Manganknollen auch natürliche radioaktive Stoffe wie Thorium-230 und Radium-226 enthält, die sie über lange Zeiträume aus dem Meerwasser anreichern. Allerdings wurden diese Werte bisher noch nicht im Kontext der Strahlenschutzgesetzgebung betrachtet“, sagt Studienerstautorin und Biogeochemikerin Dr. Jessica Volz. „Unsere Studie zeigt nun, dass die äußere Schicht der extrem langsam wachsenden Knollen für bestimmte Alphastrahler Werte des Hundert- bis Tausendfachen einiger Grenzwerte erreichen kann, die im Rahmen von Strahlenschutzregelungen gesetzt sind“. Für Radium-226 etwa konnte das AWI-Team Aktivitäten von oftmals über 5 Becquerel pro Gramm auf der Außenseite der Manganknollen nachweisen. Zum Vergleich: Die deutsche Strahlenschutzverordnung sieht für eine uneingeschränkte Freigabe Höchstwerte von lediglich 0,01 Becquerel pro Gramm vor. Und selbst beim Umgang mit Altlasten aus dem Uranerzbergbau muss je nach Situation bereits oberhalb von gemessenen Höchstwerten von 0,2 beziehungsweise 1 Becquerel pro Gramm eine genaue Gefährdungsprüfung erfolgen.
„Obwohl wir aus früheren Studien wussten, dass wir in den Knollen mit einer beträchtlichen Radioaktivität rechnen müssen, hat uns die tatsächlich gemessene Höhe doch überrascht“, erklärt AWI-Forscher und Studien-Coautor Dr. Walter Geibert. „Besonders die hohe Bildungsrate des radioaktiven Edelgases Radon war ein neuer Befund. Damit kann der ungeschützte Umgang mit Manganknollen ein Gesundheitsrisiko darstellen. Und das nicht nur beim Einatmen der bei ihrer Verarbeitung entstehenden Stäube, sondern auch durch die hohen Radon-Konzentrationen, die sich beim Lagern in schlecht belüfteten Räumen bilden. Auch in den angestrebten Produkten aus Manganknollen dürften sich einige radioaktive Stoffe anreichern, so zum Beispiel Actinium-227 in den Seltenen Erden.“
Ob alle Manganknollen verschiedener Tiefseeregionen solche Werte erreichen und wie auf Basis dieser neuen Erkenntnisse die ökologischen, ökonomischen und sozialen Risiken von Tiefseebergbau und der Verwertung von Manganknollen einzuschätzen sind, wollen die Forschenden in Folgestudien herausfinden.
Die Studie wurde gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF Grant 535 03F0812F) im Rahmen des JPI-Oceans-Projekts „MiningImpact2 – Environmental impacts and risks of deep-sea mining”.
Die Vorhaben MiningImpact und MiningImact2 wurden vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel koordiniert. Die oben beschriebene Studie ist im Rahmen des Projektteils am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven entstanden.
Weitere Informationen zum Projekt MiningImpact2 finden Sie hier: https://jpi-oceans.eu/en/miningimpact-2
Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.
Die Originalpublikation „Alpha radiation from polymetallic nodules and potential health risks from deep-sea mining“ findet ihr bei scientific reports.
Obwohl für einen Wandel hin zu E-Mobilität und grünen Technologien keine Metalle aus der Tiefsee notwenig, und auch die Folgen von Tiefseebergbau noch nicht abzusehen sind, treibt die Lobby kommerzielle Abbauprojekte weiter voran. Deutschland hat Ende 2022 erstmals eine „precautionary pause“ beim Tiefseebergbau gefordert.
Leben im Rauch der Unterwasservulkane
Pressemitteilung, 09.03.2023, MARUM
Die arktische Tiefsee liegt fernab der lebensspendenden Energie der Sonne, und nur winzige Mengen an organischem Material, welches Leben speist, kommen dort an. Einige Bakterien nutzen stattdessen die Energie, die von unterseeischen Vulkanen freigesetzt wird. Auf Expeditionen mit dem Forschungsschiff Polarstern haben Forschende aus Deutschland nun Bakterien entdeckt, die auf einzigartige Weise an diese Geoenergie angepasst sind. Sie beschreiben die Rolle dieser Bakterien für die biogeochemischen Kreisläufe im Meer.
Tief im Ozean, an den Grenzen tektonischer Platten, bilden Unterwasservulkane sogenannte hydrothermale Quellen. An diesen Quellen tritt heiße, sauerstofffreie Flüssigkeit aus, die große Mengen an Metallen wie Eisen, Mangan oder Kupfer enthält. Wenn sich das heiße Wasser mit dem umgebenden kalten und sauerstoffhaltigen Seewasser mischt, entstehen hydrothermale Schwaden mit rauchähnlichen Partikeln aus Metallsulfid. Diese Schwaden steigen Hunderte von Metern über dem Meeresboden auf und verteilen sich Tausende von Kilometern. Hydrothermale Schwaden scheinen ein riskanter Ort zu sein, um dort heimisch zu werden. Das hindert bestimmte Bakterien aber nicht daran, genau dort zu wachsen und zu gedeihen, wie eine jetzt in Nature Microbiology veröffentlichte Studie zeigt.
Mehr als nur vorübergehende Besucher?
„Wir haben die Bakterien der Gattung Sulfurimonas genau unter die Lupe genommen,” sagt Erstautor Massimiliano Molari vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen. Von diesen Bakterien war bisher nur bekannt, dass sie in sauerstoffarmen Lebensräumen wachsen. Gensequenzen von ihnen wurden vereinzelt aber auch in hydrothermalen Schwaden nachgewiesen. „Man ging davon aus, dass sie aus den Lebensräumen rund um die heißen Quellen am Meeresboden dorthin gespült wurden. Wir fragten uns aber, ob nicht die Schwaden selbst ein geeigneter Wohnort für manche Mitglieder der Sulfurimonas-Gruppe sein könnten.“
Harte Bedingungen für die Probenahme
Gemeinsam mit Kollegen des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven und des MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen machte sich Molari daher auf eine schwierige Forschungsreise zu hydrothermalen Quellen in der zentralen Arktis und im Südatlantik, um ihre Hypothese zu überprüfen. „Wir sammelten unsere Proben in extrem abgelegenen Regionen von besonders langsamen Spreizungsrücken, die noch nie untersucht worden waren. Es ist sehr kompliziert, Proben aus hydrothermalen Ablagerungen zu gewinnen, da sie schwer zu lokalisieren sind. Noch schwieriger wird es, wenn sich die Schwaden in Tiefen von mehr als 2500 Metern und unter dem arktischen Meereis oder in den stürmischen Zonen des Südpolarmeeres befinden,“ erklärt Antje Boetius, Gruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie und Direktorin des AWI, die die Arktis-Missionen leitete. An Bord des Forschungsschiffs Polarstern gelang es den Forschenden dennoch, Proben zu sammeln und anhand dieser die Zusammensetzung und den Stoffwechsel der Bakterien zu untersuchen.
Gut ausgerüstet und weit verbreitet
Molari and seine Kolleginnen und Kollegen identifizierten eine neue Sulfurimonas-Art namens USulfurimonas pluma (das hochgestellte „U“ steht für unkultiviert, also nicht im Labor kultiviert), die in den kalten, sauerstoffgesättigten Hydrothermalfahnen lebt. Dieses Bakterium nutzt Wasserstoff aus der Schwade als Energiequelle. Die Forschenden untersuchten auch das Genom der Mikroorganismen und stellten fest, dass es stark reduziert ist. Es fehlen Gene, die für andere Arten typisch sind. Mit anderen Genen sind sie aber gut ausgestattet, um in dieser dynamischen Umgebung wachsen zu können.
„Wir vermuten, dass die Hydrothermalschwade nicht nur Mikroorganismen aus hydrothermalen Schloten verbreitet, sondern auch eine ökologische Verbindung zwischen dem offenen Ozean und den Lebensräumen auf dem Meeresboden herstellen kann. Unsere phylogenetische Analyse deutet darauf hin, dass USulfurimonas pluma von einem Vorfahren abstammen könnte, der mit hydrothermalen Schloten assoziiert war, aber eine höhere Sauerstofftoleranz entwickelte und sich dann über die Ozeane verbreitete. Dies muss jedoch noch weiter untersucht werden,“ so Molari.
Ein Blick auf die Genomdaten aus anderen Schwaden zeigte, dass USulfurimonas pluma in solchen Lebensräumen überall auf der Welt wächst. „Offensichtlich haben sie eine ökologische Nische in kalten, sauerstoffgesättigten und wasserstoffreichen Hydrothermalschwaden gefunden“, sagt Molari. „Wir müssen wohl unsere Vorstellungen über die ökologische Rolle von Sulfurimonas in der Tiefsee überdenken. Sie könnte viel wichtiger sein, als wir bisher dachten.“
Diese Pressemitteilung findet ihr beim MARUM.
Die Originalpublikation „A hydrogenotrophic Sulfurimonas is globally abundant in deep-sea oxygen-saturated hydrothermal plumes“ findet ihr bei Nature Microbiology.
Bei einer Expedition im Jahr 2022 zwischen Grönland und Spitzbergen wurde in 3.000 Meter Wassertiefe ein neues Hydrothermalfeld entdeckt.
E-Mobilität benötigt keine Metalle aus der Tiefsee
Pressemitteilung, 20.02.2023, Greenpeace
Neue Greenpeace Studie zum Beginn der UN-Konferenz zum Hochseeschutz
Hamburg, 20. 02. 2023 – Metalle aus der Tiefsee werden nicht für einen Wandel hin zu E-Mobilität und grünen Technologien benötigt. Das zeigt eine neue Studie, die Greenpeace heute zum Beginn der UN-Konferenz in New York zum internationalen Meeresschutzabkommen (BBNJ) veröffentlicht. Damit entkräftet die Studie das Hauptargument der Tiefseebergbau-Industrie, die auf eine Lizenz für den Beginn des Tiefseebergbaus noch in diesem Jahr drängt. Die Studie zeigt: Zentrale Batterie-Rohstoffe wie Lithium und Graphit können aus den Manganknollen in der Tiefsee nicht gewonnen werden. Relevante Mengen wären nur für Mangan, Kobalt und Nickel möglich – aber erst nach 2030. Der Trend für Batterien entwickelt sich jedoch weg von Kobalt und Nickel. Für die Batterieherstellung ist im Bezug auf Mangan keine Knappheit zu erwarten.
„Die Tiefseebergbau-Lobby missbraucht die Energiewende, um ihre klima- und umweltschädlichen Pläne zu rechtfertigen. Das ist eine Täuschung, der Bedarf für Elektroautos und eine grüne Verkehrs- und Energiewende lässt sich auch ohne Ausbeutung der Tiefsee decken.“
– Till Seidensticker, Greenpeace-Meeresexperte