Überfischung

Die größte von allen aktuellen Bedrohungen für das Ökosystem Meer ist die Plünderung der Ozeane durch die industrielle Fischerei.

Ohne Fische kein lebendiges Meer und keine Zukunft.

Deutsche Umwelthilfe zu Grundschleppnetzfischerei in der Ostsee: „Neue Verbote gehen immer noch nicht weit genug“

Ein Dorsch schwimmt im dunklen Wasser frontal auf einen zu. Dorsch wird unter anderem durch Grundschleppnetzfischerei gefischt.

© Viviane M. / pixabay

Pressemitteilung, 29.11.2024, Deutsche Umwelthilfe

Berlin, 29.11.2024: Die besonders umweltschädliche Grundschleppnetzfischerei wird in drei deutschen Ostsee-Meeresschutzgebieten zumindest teilweise verboten: in Fehmarnbelt, Kadetrinne und Pommersche Bucht-Rönnebank. Das hat die EU-Kommission gestern im Einklang mit einem Vorschlag der Ostseestaaten von 2022 angekündigt, um die sensiblen Sandbänke und Riffe vor Ort zu schützen. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert die Pläne als unzureichend.

Das kommentiert Sascha Müller-Kraenner, DUH-Bundesgeschäftsführer:

Die neuen Verbote sind nur ein kleiner Trost, denn Grundschleppnetzfischerei bleibt in der Mehrzahl der Schutzgebiete in der Ostsee zugelassen. Das gilt insbesondere in Küstenregionen, wo der Fischereidruck höher ist als in den Gebieten, für die jetzt Einschränkungen beschlossen wurden. Grundschleppnetzfischerei beschädigt den Meeresboden, verursacht hohe Mengen an Beifang und setzt Kohlenstoff aus dem Sediment frei. Dies bedroht die ohnehin schon stark geschädigten Meeresökosysteme und ihre tierischen Bewohner, darunter die Dorschpopulation. Vom einstigen ‚Brotfisch‘ der deutschen Ostseefischerei landen die letzten großen Tiere in den Grundschleppnetzen der Schollenfischerei. Wir fordern eine strenge Verträglichkeitsprüfung für Grundschleppnetzfischerei in sämtlichen Schutzgebieten und weitreichendere Beschränkungen.

 

Diese Pressemitteilung findet ihr bei der Deutschen Umwelthilfe.

Es ist schwer nachzuvollziehen, warum in „Schutzgebieten“ überhaupt gefischt werden darf – der Begriff wird hier zur Farce. Angesichts beim alarmierenden Zustands der Ostsee und der Dorschpopulation, wären ambitioniertere Maßnahmen dringend nötig. Es herrscht nun in der Ostsee zwar schon länger ein Dorschfangverbot, doch trotzdem landet er noch als Beifang in den Netzen.

Schleppnetzfischerei reduziert Kohlenstoffspeicherung

Ein Krabbenkutter fischt in der Nordsee, doch der Meeresboden dient als Kohlenstoffsenke

© Pixabay / Wolf Blur

Pressemitteilung, 28.10.2024, Hereon

 

Durch intensive Fischerei am Meeresgrund wird vermehrt Kohlenstoff freigesetzt

Plattfische und Garnelen werden in der Nordsee mit Schleppnetzen gefischt, die über den Meeresboden gezogen werden. Dadurch wird Kohlenstoff ins Wasser und schließlich Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre freigesetzt, wie die jüngsten Forschungsarbeiten des Helmholtz-Zentrums Hereon zeigen. Die Studie ist Teil des Verbundprojekts APOC. Partner sind das Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Die Bemühungen der Forschenden um eine Verringerung der Unsicherheit bei der quantitativen Bewertung der Auswirkungen der Grundschleppnetzfischerei auf die Kohlenstoffspeicherung in der Nordsee und den globalen Schelfmeeren wurden kürzlich in der Fachzeitschrift Nature Geoscience veröffentlicht.

 

Normalerweise ist der Meeresboden eine Kohlenstoffsenke. Das heißt, er speichert mehr Kohlenstoff, als er abgibt. Forschende vom Hereon-Institut für Küstensysteme – Analyse und Modellierung haben zusammen mit den APOC-Partnern herausgefunden, dass diese Funktion durch den Einsatz von Grundschleppnetzen beeinträchtigt wird. Dazu haben sie über 2.300 Sedimentproben aus der Nordsee analysiert.

Der Geophysiker und Erstautor Dr. Wenyan Zhang fasst die Ergebnisse so zusammen: „Wir haben herausgefunden, dass Sedimentproben in Gebieten mit intensiver Schleppnetzfischerei geringere Mengen an organischem Kohlenstoff enthielten als Proben, die in schwach befischten Gebieten genommen wurden. Diesen Effekt konnten wir mit hoher statistischer Sicherheit auf die Grundschleppnetzaktivität zurückführen. Darüber hinaus verringern unsere Methoden die Unsicherheit bei quantitativen Bewertungen der Auswirkungen auf regionaler bis globaler Ebene im Vergleich zu früheren Schätzungen erheblich.“ Computersimulationen hätten zudem gezeigt, dass der Kohlenstoffgehalt im Meeresboden durch intensive Schleppnetzfischerei über Jahrzehnte hinweg kontinuierlich sinkt. Besonders anfällig seien weiche, schlammige Böden.

 

Millionen Tonnen CO2 freigesetzt

Die Sedimente am Meeresgrund binden Kohlenstoff. Tiere, die am Meeresboden leben, verzehren diesen Kohlenstoff nicht nur, sondern verlagern ihn auch durch Wühlen und Graben in tiefere Bodenschichten, wo er über tausende Jahre gespeichert werden kann. Die Schleppnetze der Fischereien bewirken das Gegenteil: Sie wirbeln die Sedimente auf. Außerdem beschädigen sie Lebensräume, wodurch Pflanzen und Tiere absterben. Dadurch gelangt der Kohlenstoff aus dem sauerstoffarmen Sediment ins Wasser, wo mehr Sauerstoff vorhanden ist. Dort wird er durch Mikroorganismen wie Bakterien zu CO2 umgewandelt. Ein Teil des CO2 gelangt in die Atmosphäre, wo es als Treibhausgas den Klimawandel verstärkt.

Den Berechnungen der Autorinnen und Autoren zufolge werden durch die Schleppnetzfischerei in der Nordsee jährlich rund eine Million Tonnen CO2 aus Sedimenten freigesetzt. Weltweit wird der Effekt auf etwa 30 Millionen Tonnen geschätzt. Diese Schätzung liegt zehn Prozent unter früheren globalen Schätzungen, bei denen die kritischen Rückkopplungsschleifen zwischen Schleppnetzfischerei, Partikeldynamik und benthischer Fauna nicht berücksichtigt wurden. Diese dynamischen Rückkopplungsschleifen werden nun in dem bei Hereon entwickelten numerischen Modell berücksichtigt.

 

Schlammige Böden besser schützen

„Unsere Ergebnisse weisen auf die Notwendigkeit hin, schlammige Lebensräume in Küstenmeeren wie der Nordsee besonders zu schützen“, sagt Zhang. Bislang würden Meeresschutzmaßnahmen vor allem in Gebieten mit harten, sandigen Böden und Riffen vorgenommen. Diese Gebiete seien zwar ökologisch vielfältig, speicherten aber weniger Kohlenstoff. „Unsere Methoden und Ergebnisse können bei der Optimierung der marinen Raumordnungspolitik eingesetzt werden, um den potenziellen Nutzen einer Begrenzung oder Beendigung der Grundschleppnetzfischerei in Schutzgebieten zu ermitteln“, sagt Zhang.

Das APOC-Projekt wurde koordiniert vom AWI in Zusammenarbeit mit Hereon und gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Projekts MARE:N Ozeane unter Stress. APOC steht im Deutschen für Anthropogene Einflüsse auf den Kreislauf partikulären organischen Kohlenstoffs in der Nordsee. Die Forschenden untersuchten die Bedeutung feinkörniger Sedimente in der Nordsee als Kohlenstoffspeicher und wie diese Ökosystemleistung durch den globalen Klimawandel und anthropogenen Nutzungsdruck beeinträchtigt wird.

 

Diese Pressemitteilung und die Originalpublikation findet ihr beim Hereon.

Die schädlichen Auswirkungen der Grundschleppnetzfischerei auf den Meeresboden und auf seine Funktion als Kohlenstoffsenke sind seit Jahren bekannt. Dennoch zeigen die aktuellen Forschungsergebnisse, wie dringend gehandelt werden muss, um diese Eingriffe zu stoppen. Statt auf riskante Technologien wie CCS zu setzen, sollte der Fokus auf der Prävention durch einen effektiven Schutz der Meeresböden und der natürlichen Kohlenstoffsenke liegen. Nachhaltige Maßnahmen sind der Schlüssel, um den Kohlenstoffspeicher im Meer langfristig zu bewahren.

EU-Entscheidung zu Ostsee-Fangquoten: Deutsche Umwelthilfe kritisiert Beschlüsse als kurzsichtig

Ostsee-Fangquoten: Zwei Hände knüpfen ein Fischereinetz

© Conor O’Nolan / Unsplash

Pressemitteilung, Deutsche Umwelthilfe, 22.10.2024

• Neue Fangquoten der EU-Fischereiministerinnen und -minister riskieren die Zukunft der Ostseefischerei

• Beifangquoten für westlichen Hering und Dorsch erschweren Erholung der Populationen, Quoten für Sprotte und zentralen Hering sind riskant

• DUH fordert ökosystembasiertes Fischereimanagement und ein Verbot von Grundschleppnetzen in Meeresschutzgebieten

Berlin, 22.10.2024: Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert die heute beschlossenen Fangquoten für die Ostseefischerei. Die Beschlüsse zementieren für ein weiteres Jahr ein kurzsichtiges Fischereimanagement, das die Fischkrise in der Ostsee weiter verschärfen wird. Die DUH fordert Fangquoten im Einklang mit wissenschaftlichen Empfehlungen und dem Vorsorgeprinzip. Außerdem braucht es ein Verbot der Grundschleppnetzfischerei in Schutzgebieten, bessere Fischereikontrolle und die Wiederherstellung der geschädigten Ökosysteme.

Dazu Sascha Müller-Kraenner, DUH-Bundesgeschäftsführer: „Die EU-Fischereiministerinnen und -minister setzen genau die Art von Fischerei fort, die für den Kollaps der deutschen Ostsee-Populationen verantwortlich ist. Der Fokus auf kurzfristige Profite und riskant hohe Fangquoten haben Fischerei und Natur einen Bärendienst erwiesen. Der gezielte Fang von Dorsch und Hering in der westlichen Ostsee musste infolge des Populationszusammenbruchs bereits vor Jahren eingestellt werden. Trotzdem wurden nun für beide Arten, entgegen wissenschaftlichen Empfehlungen, zu hohe Beifangquoten beschlossen, die eine Erholung der Populationen erschweren. Damit die Ostseefischerei eine Zukunft hat, muss die Fischereipolitik am Ökosystem ausgerichtet werden, anstatt auf maximale Fänge einzelner Arten.“

Auch die weiteren Beschlüsse geben Anlass zur Sorge: Die Fangquote für die zentrale Heringspopulation wurde stark erhöht, obwohl sich Anzeichen für einen schlechten Zustand der Population mehren. Die Sprottenquote ist zwar gesunken, aber immer noch deutlich zu hoch, denn die Nachwuchszahlen waren noch nie so schlecht wie in den letzten drei Jahren. Die exzessiven Quoten für Hering und Sprotte riskieren die Stabilität des gesamten Nahrungsnetzes der Ostsee. Wichtige Arten des Ökosystems wie Dorsche, Schweinswale und Seevögel sind auf sie als Beutetiere angewiesen. Als ersten Schritt in die richtige Richtung bewertet die DUH, dass die Schollenquote nicht weiter erhöht wurde, um den Dorsch-Beifang zu minimieren.

Svane Bender, DUH-Leitung für Naturschutz und biologische Vielfalt ergänzt: „Der Zustand von westlichem Hering und Dorsch, den einstigen ‚Brotfischen‘ der deutschen Ostseefischerei, ist anhaltend katastrophal. An diesem Punkt gibt es keine einfachen Lösungen mehr. Neben einem ökosystembasierten Fischereimanagement muss der Umweltzustand der Ostsee grundsätzlich verbessert werden. Denn zusammen mit dem zu hohen Fischereidruck, machen den Fischen auch Verschmutzung, Sauerstoffmangel und Zerstörung von Lebensräumen zu schaffen.“ 

 

Diese Pressemitteilung findet ihr bei der Deutschen Umwelthilfe.

Schon im letzten Jahr kritisierte die DUH die Ostsee-Fangquoten und die der Nordsee, denn diese wurden ebenfalls zu hoch angesetzt. Nun hat jedoch auch eine neue Studie gezeigt, dass bereits die Empfehlungen der Fischereiwissenschaftler:innen bereits häufig zu hoch ausfallen. Um die Ostsee steht es bereits seit mehreren Jahren schlecht, denn es fehlt an weitreichenden Schutzmaßnahmen.

Fischereiforschung hat Fischbestände zu optimistisch eingeschätzt

Viele kleine Fische, darunter Heringe und Sardinen liegen wild durcheinander auf einem Haufen

© Kogia / Nessim Stevenson

Pressemitteilung, GEOMAR, 22.08.2024

GEOMAR-Experte fordert realistischere Bestandsbewertungen

22.08.2024/Kiel. Es steht schlecht um die Fischbestände im Meer. Bislang galt als Hauptursache der Überfischung, dass die Fischereipolitik Fangmengen stets höher festlegte, als von der Wissenschaft empfohlen. Eine neue Studie von vier australischen Forschungsinstituten zeigt nun, dass auch die Empfehlungen der Wissenschaft oft bereits zu hoch waren und weitaus mehr der weltweiten Fischbestände als überfischt oder kollabiert einzustufen sind. Dr. Rainer Froese vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und Dr. Daniel Pauly von der University of British Columbia ordnen die Ergebnisse ein. In ihrem Perspective Paper, das heute in der Fachzeitschrift Science zusammen mit der neuen Studie erscheint, fordern die beiden Fischerei-Experten einfachere aber genauere Modelle und im Zweifelsfall eine konservativere Bestandsbewertung.

Weltweit sind viele Fischbestände durch Überfischung bedroht oder bereits zusammengebrochen. Ein Grund für diese fatale Entwicklung ist, dass sich die Politik oftmals über die von Wissenschaftler:innen errechneten Höchstfangmengen hinweggesetzt hat. Diese Mengen waren als Grenzwerte gedacht, die es unbedingt einzuhalten galt, um die Bestände nicht zu gefährden. Doch nun zeigt sich, dass auch die Empfehlungen der Wissenschaft bereits deutlich zu hoch waren.

In der Europäischen Union (EU) zum Beispiel wird die Fischerei hauptsächlich durch zulässige Höchstfangmengen, die so genannten Fangquoten, gemanagt. Diese werden vom Europäischen Ministerrat, also den Landwirtschaftsminister:innen der Mitgliedsstaaten, basierend auf wissenschaftlicher Beratung und den Empfehlungen der EU-Kommission beschlossen. Eine neue Studie australischer Wissenschaftler:innen (Edgar et al.) zeigt nun, dass bereits diese wissenschaftliche Beratung oft zu hohe Fangmengen empfiehlt.

Das Fachmagazin Science, in dem die Studie heute veröffentlicht wird, hat zwei der weltweit meistzitierten Fischerei-Experten, Dr. Rainer Froese vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und Dr. Daniel Pauly von der University of British Columbia, gebeten, die Ergebnisse einzuordnen. In ihrem Perspective Paper plädieren sie für einfachere, aber realistischere Modelle, die auf ökologischen Grundlagen basieren und für eine im Zweifelsfall konservativere Bestandsbewertung und -bewirtschaftung.

Für die Studie analysierten Edgar et al. Daten von 230 Fischbeständen weltweit und stellten fest, dass Bestandsabschätzungen oft viel zu optimistisch waren. Sie überschätzten, wie viele Fische einer Art es noch gibt und wie schnell sich Fischbestände erholen können. Besonders betroffen sind durch Überfischung geschrumpfte Bestände. Die Überbewertungen führten bei ihnen zu so genannten Phantom-Erholungen: Sie wurden als erholt eingestuft, obwohl sie in Wirklichkeit weiter schrumpften. „Das führte dazu, dass Fangmengen nicht ausreichend reduziert wurden, obwohl es dringend notwendig gewesen wäre“, erklärt Dr. Rainer Froese, „leider ist dies kein Problem der Vergangenheit. Die bekannten Überschätzungen der Bestandsgrößen aus den letzten Jahren werden auch jetzt nicht zur Korrektur der aktuellen Bestandsgrößen herangezogen.“

Die Untersuchungen von Edgar et al. zeigen außerdem, dass fast ein Drittel der Bestände, die von der Welternährungsorganisation (Food and Agriculture Organization, FAO) als „maximal nachhaltig befischt“ eingestuft werden, die Schwelle zur Überfischung bereits überschritten haben. Zudem sind weit mehr Bestände zusammengebrochen als bisher angenommen: Innerhalb der Kategorie „überfischt“ schätzen die Autoren der Studie, dass die Zahl der kollabierten Bestände (das sind Bestände, die weniger als zehn Prozent ihrer früheren maximalen Biomasse aufweisen) wahrscheinlich um 85 Prozent höher liegt ist als bisher angenommen.

Aber woher kommt die beobachtete Verzerrung in den Bestandsbewertungen? Die Standard-Bestandsabschätzungen verwenden Modelle, die mehr als 40 verschiedene Parameter enthalten können, zum Beispiel zur Lebensgeschichte der Fische, zu Fangdetails, und zum Fischereiaufwand. Diese Vielzahl von Variablen mache die Abschätzungen unnötig komplex, schreiben Froese und Pauly. Die Ergebnisse könnten nur von wenigen Experten reproduziert werden, die Zugang zu den Originalmodellen und -daten haben. Darüber hinaus seien mehrere der erforderlichen Eingabeparameter unbekannt oder schwer zu schätzen, so dass die Modellierer stattdessen auf weniger belastbare Werte zurückgreifen, die in der Vergangenheit funktioniert haben. Froese: „Solche Praktiken können die Ergebnisse stark auf die Erwartungen der Modellierer beschränken.“

Die Autoren fordern daher eine Überarbeitung der aktuellen Bestandsbewertungsmodelle. Sie plädieren für einfachere, realistischere Modelle, die auf ökologischen Grundlagen basieren. Zudem sollte das Vorsorgeprinzip stärker angewandt werden: Bei Unsicherheiten sollten eher konservative Schätzungen verwendet werden, um die Bestände zu schützen. „Eigentlich ist nachhaltige Fischerei ganz einfach“, sagt Dr. Rainer Froese: „Es darf immer nur weniger Fisch entnommen werden als nachwächst.“ Die Fische müssen sich vermehren können, bevor sie gefangen werden, außerdem braucht es umweltschonende Fanggeräte und die Einrichtung von Schutzzonen. Funktionelle Nahrungsketten müssen erhalten werden, indem weniger Futterfische wie Sardellen, Sardinen Heringe oder auch Krill gefangen werden – das sind die Prinzipien der ökosystembasierten nachhaltigen Fischerei. Froese: „Vier dieser fünf Prinzipien lassen sich auch ohne Kenntnis der Bestandsgröße umsetzen.“

 

Diese Pressemitteilung findet ihr beim GEOMAR.

 

Die Studie von Edgar et al. und die Einschätzungen von Froese und Pauly machen deutlich, dass ein Umdenken in der Fischereipolitik  und -forschung dringend erforderlich ist. Fangquoten werden häufig zu hoch und gegen die Empfehlung der Wissenschaft festgelegt, so zum Beispiel auch bei uns in der Nord- und in der Ostsee.

Energiekrise bei Dorsch und Co.: Wie Überdüngung und Klimawandel die Nahrungsnetze der Ostsee verändern

Ostdorsch: Zwei Dorsche schwimmen im dunklen Wasser

© Viviane M. / pixabay

Pressemitteilung, 27.03.2024, Thünen

Der Ostdorschbestand ist seit Jahren in der Krise. Trotz historisch niedrigem Fischereidruck erholt sich der Bestand nicht. Bislang gab es hierfür keine schlüssige Erklärung. Forschende des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) und des Thünen-Instituts für Ostseefischerei konnten nun erstmals nachweisen, dass sich in Ostseeregionen mit großflächigen Blüten fädiger Blaualgen, die durch Überdüngung und Klimawandel verstärkt auftreten, das Nahrungsnetz für den Dorsch verlängert hat. Dadurch steht der Population deutlich weniger Energie zur Verfügung als in Gebieten ohne Blaualgenblüten. Verbessert sich das Nährstoffregime nicht, kann sich der Ostdorsch nicht erholen.

Das marine Phytoplankton ist der Energielieferant für alle Meeresökosysteme: Diese winzig kleinen, im Meerwasser schwebenden Pflanzen binden mittels Photosynthese Energie in Form von Biomasse, die dann Schritt für Schritt in den marinen Nahrungsnetzen weitergereicht wird, bis hin zu unterschiedlichen Arten von Fischen und Fischfressern. Wieviel Energie bei den unterschiedlichen Lebewesen ankommt, hängt von der Position ab, die sie im Nahrungsnetz einnehmen. Man weiß, dass von einer Ebene zur nächsten rund 90 Prozent der Energie als Wärme verloren gehen. Je mehr Ebenen ein Nahrungsnetz hat, umso weniger Energie kommt bei den Lebewesen mit den höchsten Positionen wie etwa Raubfischen an.

„Das Phytoplankton der zentralen Ostsee hat sich in den letzten drei Jahrzehnten stark verändert. Zunehmend wird es im Sommer von massenhaft auftretenden fadenförmigen Cyanobakterien dominiert. Das Phänomen ist als Blaualgenblüten bekannt“, sagt Markus Steinkopf, Meeresbiologe am IOW. Auslöser seien die klimawandelbedingt höheren Wassertemperaturen und die nach wie vor zu hohe Nährstoffbelastung der Ostsee; das begünstige Blaualgen gegenüber anderem Phytoplankton. „Aufgrund ihrer Form und Größe können fädige Blaualgen nicht von den kleinen Krebsen des Zooplanktons gefressen werden, die in marinen Nahrungsnetzen sonst die nächste Position nach dem Phytoplankton einnehmen. Welche Folgen das für die Energieversorgung höherer Lebewesen hat, war bislang weitgehend ungeklärt“, sagt der Erstautor der jetzt im Fachjournal Ecology and Evolution publizierten Studie zu Nahrungsnetz-Veränderungen in der Ostsee.

Hier setzte Steinkopf an und verglich, welche Position im Nahrungsnetz Dorsche und Flundern haben, die in der zentralen Ostsee leben, mit denen in der westlichen Ostsee, wo Blaualgenblüten keine Rolle spielen. Um die Nahrung der untersuchten Fische und somit ihre Nahrungsnetzposition zu identifizieren, nutzte er die Stickstoff-Isotopenanalyse in Aminosäuren. Denn je nachdem, was die Fische fressen, lassen sich in ihrem Muskelfleisch charakteristische Muster der unterschiedlichen stabilen Amino-Stickstoffisotope feststellen und sehr präzise interpretieren.

Bezüglich der Dorsche kam das Forschungsteam um den Warnemünder Wissenschaftler zu einem erstaunlich klaren Ergebnis: In der Blaualgen-belasteten zentralen Ostsee ist das Nahrungsnetz der dort lebenden Ostdorsche deutlich länger als das der Dorsche in der westlichen Ostsee. Steinkopf: „Die Nahrungsnetzposition des Westdorsches liegt bei 4,1, die des Ostdorsches dagegen zwischen 4,8 und 5,2. Das bedeutet einen Energieverlust von gut 60 bis 99 Prozent für den Ostdorsch im Vergleich zum Westdorsch.“ Bei den Flundern gab es hingegen zwischen den beiden Meeresgebieten nur geringe Unterschiede in der Nahrungsnetzposition: 3,4 in der westlichen vs. 3,1 in der zentralen Ostsee.

„Flundern fressen in beiden Seegebieten hauptsächlich Muscheln, deren Nahrungsnetz auf Phytoplankton basiert, auch wenn es Blaualgenblüten gibt. Große Unterschiede waren hier also nicht zu erwarten“, erläutert Uwe Krumme, Co-Autor der Studie vom Thünen-Institut für Ostseefischerei. Am Thünen-Institut, das über die entsprechende Expertise zu den Fischbeständen der Ostsee verfügt, wurden unter anderem die Fischproben für die Studie bearbeitet. „Bei den Dorschen sieht es anders aus. Westdorsche ernähren sich vor allem von der Gemeinen Strandkrabbe, die am Boden lebt. Ihr Nahrungsnetz ist daher ohnehin kürzer als das der Ostdorsche, die vor allem Heringe und Sprotten fressen, die wiederum von Zooplankton leben. Diese Ernährungsunterschiede allein können die deutlich höhere Nahrungsnetzposition der Ostdorsche aber nicht erklären“, so Krumme weiter.

Wie kommt es also zu der deutlichen Nahrungsnetzverlängerung für den Ostdorsch? „In den Blaualgengebieten stellt sich das Zooplankton um. Statt sich vegetarisch zu ernähren, frisst es Mikroben, die sich von Ausscheidungen oder Abbauprodukten der Blaualgen ernähren, wenn die Blüten absterben. Das haben frühere Analysen des IOW gezeigt. Damit entsteht eine komplette zusätzliche Nahrungsnetzebene, die zwangsläufig zu hohem Energieverlust bei den Tieren auf nachgeschalteten Nahrungsnetzpositionen führt“, erklärt Natalie Loick-Wilde, ebenfalls Co-Autorin der Studie und Spezialistin für Isotopen-basierte Nahrungsnetz-Analyse. „Diese Art der Nahrungsnetzverlängerung bei Fischen wird schon länger theoretisch diskutiert. Wir können sie nun erstmals direkt messen und eindeutig dem Blaualgen-geprägten Nahrungsnetz zuordnen“, sagt die Meeresbiologin. Sie hat am IOW eines der wenigen marinen Forschungslabore weltweit etabliert, in dem stabile Isotope von Stickstoff und Kohlenstoff in 13 verschiedenen Aminosäuren gemessen werden können.

„Die Isotopen-basierte Nahrungsnetz-Analyse ist ein wertvolles Instrument, um grundlegende Veränderungen in Ökosystemen zu sichtbar machen und Zusammenhänge besser zu verstehen. Die Energiekrise beim Ostdorsch zeigt, dass Einschränkungen bei der Fischerei für eine Bestandserholung allein nicht mehr ausreichen. Vielmehr muss das Nahrungsnetz an sich rehabilitiert werden. Das gelingt aber nur, wenn man länderübergreifend alle Möglichkeiten ausschöpft, um die Überdüngung der Ostsee in den Griff zu bekommen“, resümiert Markus Steinkopf. Die Ergebnisse zur Flunder zeigen zwar, dass nicht alle Teile des Nahrungsnetzes gleichermaßen betroffen sind. Aber: „Die Studie lässt auch vermuten, dass Nahrungsnetzverlängerungen nicht nur für die Ostsee relevant sind, sondern sich zu einem Problem globaler Natur entwickeln werden, da der Klimawandel schädliche Algenblüten und viele weitere Stressoren für Nahrungsnetze verstärkt“, so der Meeresbiologe abschließend.

 

Diese Pressemitteilung und die Originalpublikation findet ihr beim Thünen Institut.

Die Studie verdeutlicht, dass die Ostdorsch Krise weit über regionale Fischereifragen hinausgeht und globale Herausforderungen wie Überdüngung und Klimawandel widerspiegelt. Vor allem die Ostsee ist stark von Eutrophierung belastet und in einem alarmierend schlechtem Zustand. Eine Erholung der Ostseedorschpopulation erfordert daher eine grundlegende ökologische Sanierung der Ostsee durch internationale Kooperation.

EU-Parlament schwenkt beim Meeresschutz um

Senkrechte EU Flagge vor bewölktem Himmel. Die EU führt eine Gemeinsamen Fischereipolitik

© Sara Kurfeß / Unsplash

Pressemitteilung, WWF, 18.01.2024

WWF: “Politik muss Gräben zwischen Fischerei, Klima- und Meeresschutz überbrücken“

Straßburg/Hamburg, 18.01.2024: Ginge es nach dem EU-Parlament, würde der Meeresschutz auf EU-Ebene ins Abseits geraten, warnt der WWF Deutschland. „Anstatt sich für eine nachhaltige Fischerei und die Erholung der Meere einzusetzen, versucht das Europäische Parlament, die Transformation zu einer schonenden und fairen Fischerei sowie die Umsetzung des europäischen Green Deal zu verwässern und zu verlangsamen“, kritisiert Stella Nemecky, Expertin für Fischereipolitik beim WWF Deutschland. „Doch intakte Ökosysteme in den Meeren sind unsere wichtigsten Verbündeten zur Bewältigung der Klimakrise – dem müssen die politischen Regelwerke Rechnung tragen“. Anlass für die Kritik ist die heute angenommene Position des EU-Parlaments, mit der die Abgeordneten Stellung zu progressiven Vorschlägen der EU-Kommission für besseren Schutz der Meere und umweltverträglichere Fischerei beziehen.

Bezogen auf den Aktionsplan Meeresschutz der Kommission („Marine Action Plan“) greift das Parlament zwar viele Bedenken der Kommission hinsichtlich des schlechten Zustands der Meere auf, weist aber die meisten Lösungsvorschläge zurück. Im Widerspruch zu seinem früheren Standpunkt, appelliert das Parlament an die EU-Mitgliedsstaaten schädliche Grundschleppnetze, die den Meeresboden zerstören, auch in diesen Schutzzonen nicht zu verbieten. Auch der Schutz empfindlicher Arten kommt viel zu kurz.

Das Parlament hat auch eine umfassende Vision über die Zukunft der Gemeinsamen Fischereipolitik der EU angenommen. Das selbst gestecktes Ziel, die Überfischung bis 2020 zu beenden, hat die EU weit verfehlt. Angesichts dieses Versagens schlägt der Parlamentsbericht vor, die nötigen Instrumente dafür schlicht ganz abzuschaffen, etwa die Anlandepflicht, die verschwenderische Rückwürfe von Fisch und Meerestieren verhindern soll und ebenso das Fischereiprinzip des „maximalen Dauerertrags“, das notwendige Bestandgröße sichern soll. Dies sei eine beschämende Kehrtwende des Parlaments so der WWF.

In einem Punkt trifft das Europäische Parlament jedoch den Nagel auf den Kopf: Es ist an der Zeit, dass die EU einen übergreifenden Rechtsrahmen für alle „blauen“ Meerespolitiken schafft, um die Inkohärenz zwischen Naturschutz-, Fischerei- und Klimagesetzen endlich zu beseitigen. „Die europäischen Meeresökosysteme sind stark geschädigt. Um Jahrzehnte umweltschädlicher Fischereipraxis parallel zur Klima- und Naturkrise zu bewältigen, ist eine Politik erforderlich, die diese Lücke schließt. Mit Blick auf Nord- und Ostsee hat auch die Bundesregierung hier noch viel Arbeit vor sich,“, sagt Stella Nemecky. „Die Transformation zu einer nachhaltigen Fischerei steht nicht im Widerspruch zu sozialen oder Umweltzielen. Es sind zwei Seiten derselben Medaille.“

Diese Pressemitteilung findet ihr beim WWF.

Unseren lokalen Fischbeständen geht es alles andere als gut. Trotzdem sind auch die für dieses Jahr beschlossene Fangquoten für die Nord– und Ostsee weitestgehend unzureichend und tragen weiterhin zur Überfischung wichtiger Bestände bei. Es bedarf einer Überarbeitung der Gemeinsamen Fischereipolitik der EU.

Zukunft der Ostseefischerei: Leitbildkommission beendet Arbeit

Fischerboot in der Ostsee bei Heiligenhafen

© Michael Held / Unsplash

Pressemitteilung, 18.12.2023, gemeinsame Pressemitteilung von BUND, DUH, NABU und WWF

Leitbildkommission zur Zukunft der Ostseefischerei schließt Arbeit ab

Beteiligte Umweltverbände: „Vereinbarte Maßnahmen schnell umsetzen“ / Fischerei kommt künftig aktivere Rolle im Meeresschutz zu

Berlin – Heute endet in Berlin die Arbeit der „Leitbildkommission zur Zukunft der Ostseefischerei“. Sie war beauftragt, im Spannungsfeld zwischen einem bedrohten Ökosystem und den Existenzsorgen der Fischerei Maßnahmenempfehlungen für die Transformation der Ostseefischerei zu erarbeiten. Die Verbände BUND, DUH, NABU und WWF vertraten in der Kommission den Umwelt- und Naturschutzsektor. Aus Verbändesicht bleibt als positives Ergebnis, dass die Fischerei künftig eine aktivere Rolle im Meeresnaturschutz übernehmen und das Fischereimanagement stärker an ökologischen Kriterien ausgerichtet werden soll. Auch nach Einigung auf einen Abschlussbericht betonen die Verbände, dass die Erholung der Fischpopulationen und damit der Fischerei grundsätzlich auf der Erholung der Meeresumwelt basiert. Aufgrund des dramatisch schlechten ökologischen Zustands der Ostsee und den zusammengebrochenen Populationen von Dorsch und Hering besteht dringender Handlungsbedarf.

Jetzt komme es darauf an, wie effektiv und wie schnell die vereinbarten Maßnahmen umgesetzt werden. Für den Meeresnaturschutz ist es gelungen, das Bekenntnis zum Ökosystemansatz im Fischereimanagement im Bericht zu verankern. Auch die nationale Verteilung von Fangquoten soll überprüft/reformiert werden, um in Zukunft ökologische und soziale Kriterien einzubeziehen, anstatt bisher ausschließlich die historische Teilhabe. Der Fischerei wird bei der Umsetzung von Maßnahmen zum Schutz von Arten und Lebensräumen der Ostsee eine aktivere Rolle als bisher zugeschrieben.

„Seit Jahren ist es offensichtlich, dass sich die Ostseefischerei wandeln muss. Um dem Fischereisektor dabei zu helfen, muss er sich aktiver beteiligen und auch die eigene Verantwortung für den schlechten Zustand der Fischpopulationen und des Ökosystems anerkennen“, so BUND, DUH, NABU und WWF.

Darüber hinaus verweist der Bericht klar auf die EU-Biodiversitätsstrategie, nach der zehn Prozent der deutschen Meeresfläche in Ost- und Nordsee anhand ökologischer Kriterien identifiziert und bis zum Jahr 2030 unter strengen Schutz gestellt werden müssen. “Das sind Errungenschaften, hinter die wir nicht zurückfallen dürfen. Im nächsten Jahr wird aus der Leitbildkommission Ostseefischerei die Zukunftskommission Fischerei für Nord- und Ostsee. Wir erwarten, dass unsere Ergebnisse dort als Ausgangspunkt genommen und nicht in Frage gestellt werden”, betonen die Verbände.

Für die Zukunftskommission sehen die vier Umweltverbände vor allem das zuständige Bundeslandwirtschaftsministerium in der Pflicht. Das BMEL müsse die Ansätze der Fischerei zur kritischen Selbstreflexion unterstützen, die Diskussionen zur Fischereipolitik im Lichte europäischer Verpflichtungen zum Meeresnaturschutz fortsetzen und die Erkenntnisse aus dem Prozess der Leitbildkommission konstruktiv nutzen.

„Die Bedürfnisse für Umwelt, Mensch und Fischerei sind klar, die Gesprächsbereitschaft ist gegeben und die Instrumente sind bekannt, jetzt muss die Politik die Voraussetzung dafür schaffen, dass die Transformation stattfinden kann.“ Mit diesem Appell der Umweltverbände wird heute der Endbericht an die zuständige Staatssekretärin des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung, Silvia Bender, übergeben.

Hintergrund:

Die Leitbildkommission war vom Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung eingesetzt und hatte den Auftrag, in einem partizipativen Prozess ein Leitbild zu erarbeiten, wie die Zukunft der deutschen Ostseefischerei aussehen sollte. Entsprechend des partizipativen Ansatzes waren Vertreter*innen der Umwelt- und Fischereiverbände, der Wissenschaft, Verwaltung und der Gesellschaft Teil der Kommission. Das insgesamt 30-köpfige Gremium arbeitete seit November 2022 und traf zu insgesamt zehn Präsenzsitzungen zusammen.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim NABU.

Die Ostsee wird durch Übernutzung, Eutrophierung und Überfischung stark belastet, selbst in Meeresschutzgebieten. So kritisiert auch die Deutsche Umwelthilfe die deutschen Ostsee-Fangquoten als unzureichend. Laut NABU müssten die mindestens die Hälfte der Schutzgebiete in Nord- und Ostsee nutzungsfrei werden, um das Artensterben und den Lebensraumverlust in unseren Meeren aufzuhalten.

 

DUH kritisiert beschlossene Nordsee-Fangquoten der EU

Schwarm Heringe in der Nordsee

© Fengyou Wan / Unsplash

Pressemitteilung, 12.12.2023, Pressemitteilung DUH

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  • Fangquoten-Beschlüsse der EU reichen nicht aus, um wichtige Populationen wie Nordseehering und Nordseekabeljau zu schützen
  • EU-Kommission will gesetzliche Anordnung von Fangstopps abschaffen: DUH fordert EU-Parlament auf, Änderung der Bewirtschaftungspläne zu verhindern
  • DUH fordert ökosystembasiertes Fischereimanagement mit deutlich niedrigeren Fangmengen, wirksame Maßnahmen gegen illegale Rückwürfe und selektivere Fanggeräte

Berlin, 12.12.2023: Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert die heute veröffentlichten Nordsee-Fangquoten der EU für 2024 als völlig unzureichend für den Schutz wichtiger Fischpopulationen. Die EU-Ministerinnen und -minister verpassen damit erneut die Chance, die kurzsichtige Fischereipolitik auf einen nachhaltigen Pfad zu bringen. Besonders alarmierend ist außerdem der überraschende Vorschlag der EU-Kommission zur Streichung einer wichtigen Schutzklausel in den mehrjährigen Bewirtschaftungsplänen. Demnach soll die gesetzliche Anordnung von Fangstopps für bedrohte Populationen in der gemeinsamen Fischereipolitik ersatzlos gestrichen werden.

Dazu Sascha Müller-Kraenner, DUH-Bundesgeschäftsführer: „Weil die EU seit Jahren miserable Fischereipolitik betreibt, will sich die Kommission nun mit der Streichung des gesetzlich vorgesehenen Fangstopps für bedrohte Populationen aus der Verantwortung ziehen. Die Regel wurde bereits bei den Ostseefangquoten im Oktober gebrochen, jetzt soll sie kurzerhand ganz abgeschafft werden. Die Folgen wären katastrophal für Fischpopulationen, die ohnehin bereits kurz vor dem Kollaps stehen. Hätte die EU-Kommission Erfolg mit ihrem Vorschlag, wäre dies ein Offenbarungseid für die EU, die eigentlich bis zum Jahr 2020 die Überfischung beenden wollte. Die EU muss aufhören, kurzfristige Profite über die langfristige Stabilität des Ökosystems zu stellen. Wir rufen das EU-Parlament dazu auf, die Streichung der Schutzklausel nicht zuzulassen.

Bei den diesjährigen Verhandlungen haben die EU-Fischereiministerinnen und -minister einmal mehr unzureichende Fangquoten beschlossen. Nordseehering- und Kabeljau sind für die deutsche Fischerei besonders wichtig. Die Quote für Nordseekabeljau liegt deutlich über der wissenschaftlichen Empfehlung. Dies ist kritisch, da diese Quote verschiedene Sub-Populationen zusammenfasst, von denen die südliche Population vor der deutschen Küste besonders gefährdet ist. Die Quote für den Nordseehering liegt zwar unter der wissenschaftlichen Empfehlung, aber auch hier wurde die Vermischung mit einer stark dezimierten Heringspopulation aus der Ostsee nicht ausreichend berücksichtigt.

Katja Hockun, DUH-Meeresschutzexpertin: „Die heutigen Beschlüsse sind enttäuschend, denn sie zeigen, dass die Prinzipien des ökosystembasierten Fischereimanagements immer noch nicht konsequent angewandt werden. Die Fangmengen für viele Populationen liegen über wissenschaftlichen Empfehlungen, außerdem wurden Nahrungsnetzbeziehungen und der Druck der Klimakrise nur unzureichend berücksichtigt. Wirksame Maßnahmen gegen illegale Rückwürfe und zur Vermeidung von Beifang bleiben aus. Das sind schlechte Nachrichten sowohl für die Nordsee als auch für die Fischerei, denn beide brauchen gesunde Fischpopulationen.

Hintergrund:

Die EU Kommission hat am 7. Dezember 2023 vorgeschlagen, Artikel 4.6 aus den mehrjährigen Bewirtschaftungsplänen für Nord- und Ostsee zu streichen: Dieser Klausel nach sollen Fangquoten in jedem Fall so festgesetzt werden, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Populationsgröße unter einen kritischen Grenzwert („Blim“) fällt, weniger als 5 Prozent beträgt.

Diese Pressemitteilung findet ihr bei der DUH.

Nicht nur die Nordsee-, sondern auch die Ostsee-Fangquoten sind laut Deutscher Umwelthilfe unzureichend. Die europäische und deutsche Fischereipolitik braucht einen Neuanfang, welcher auf einem ökosystembasierten Ansatz aufgebaut ist und veraltete, rein wirtschaftlich orientierte Denkweisen ersetzt.

HELCOM-Bericht zeigt, wie schlecht es der Ostsee geht

Fünf Möwen stehen im seichten Wasser an einem Strand der Ostsee.

© MandrillArt / Pixabay

Pressemitteilung, NABU, 31.10.2023

HELCOM-Bericht zeigt, wie schlecht es der Ostsee geht
Krüger: Nationalpark ist essenziell für Ostseeschutz

Berlin – Der heute veröffentlichte dritte Bericht der Helsinki-Konvention (HELCOM) zeigt erneut den schlechten Zustand der Ostsee. Vor allem Infrastrukturprojekte, Rohstoffgewinnung, Fischerei, Schadstoffeinträge und Schifffahrt tragen zur Zerstörung von Lebensräumen bei.

NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger: „Während international Versprechungen gemacht werden, die heimische Natur stärker zu schützen, sehen wir gerade am Beispiel des Nationalparks Ostsee, den Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Günther und seine CDU verhindern wollen, dass die deutsche Politik unwillig, ja unfähig ist, den vor unserer Haustür dringend notwendigen Meeresschutz konsequent umzusetzen. Deutschland hat sich erst in der letzten Zustandsbewertung der Meeresgewässer im Zuge der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie selbst bescheinigt, dass es der Natur an unseren Küsten schlecht geht. Zum selben Ergebnis kommt auch das Regionalabkommen HELCOM. Wie viele solcher Bewertungen braucht es noch, bis Bundesregierung und Küstenländer endlich auf den zunehmenden Artenverlust reagieren?“

Zwar hat Deutschland die Hälfte seiner Ostseefläche unter Schutz gestellt, allerdings fehlt noch immer die Umsetzung von Maßnahmen, um bedrohte Arten und ihre Lebensräume wirksam zu schützen. Der Ostseeschweinswal ist vom Aussterben bedroht, Fischbestände kollabieren und Seegraswiesen gehen zurück. Dabei sind wirksame Schutzgebiete ein wichtiger Grundstein für Meeresnaturschutz und Klimaschutz. Sie werden international, auch bei der HELCOM, immer stärker fokussiert und eingefordert.

„Deutschland hat sich über die Umsetzung des HELCOM-Ostseeaktionsplans und die EU-Biodiversitätsstrategie verpflichtet, mindestens zehn Prozent der Meeresumwelt unter strengen Schutz zu stellen und somit Bereiche auszuweisen, die frei von jeglicher schädlichen Nutzung sind. Ein Nationalpark Ostsee würde, wenn er konsequent umgesetzt wird, auf dieses Ziel einzahlen und dabei helfen, das Überleben bedrohter Arten und Lebensräume zu sichern. Stattdessen erleben wir derzeit eine weitere Industrialisierung der Meere und den Abbau etablierter ökologischer Standards“, so NABU-Meeresschutzexpertin Daniela Herrmann.
Der NABU appelliert an Bund und Länder der Meeresoffensive zum Schutz der Meeresnatur aus dem Koalitionsvertrag endlich Taten folgen zu lassen und erarbeitet aktuell eigene Vorschläge zur Umsetzung des Zehn-Prozent-Ziels in der deutschen Nord- und Ostsee.

Hintergrund:

Das Regionalabkommen HELCOM (Helsinki-Konvention) veröffentlicht zum dritten Mal einen Bericht über den ökologischen Zustand der Ostsee (HOLAS III). Dabei haben die Mitgliedsstaaten der Konvention im Vorfeld Analysen zur Biodiversität, Eutrophierung, Schadstoffeinträgen, Nutzungsdruck sowie wirtschaftlichen und sozialen Aspekten vorgenommen. Die Zustandsbewertung liefert wichtige Erkenntnisse über Arten- und Lebensraumzustand sowie regionale Unterschiede in der Ostsee und dient international seit Jahren als Indikator für die Gesundheit des Meeres.

Bericht auf der HELCOM-Website: http://stateofthebalticsea.helcom.fi/

Der Nationalpark Ostsee wurde von der CDU Schleswig-Holstein in ihrem aktuellen Koalitionsvertrag als ein zu prüfendes Instrument genannt, um einen besseren Schutz der Ostsee umzusetzen. Im Rahmen eines Konsultationsprozesses sollte mit verschiedenen Interessengruppen die Umsetzung eines Nationalparks diskutiert werden. Die CDU hat diesen Prozess vorzeitig beendet und sich gegen einen Nationalpark in den schleswig-holsteinischen Küstengewässern der Ostsee ausgesprochen.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim NABU.

Der Ostseeschweinswal steht als trauriges Symbol für einen verfehlten Meeresschutz in der Ostsee. Die vom Aussterben bedrohten Population in der zentralen Ostsee umfasst nur noch etwa 450 Individuen. Auch die neuen Fangquoten befeuern die Überfischung weiter und basieren nicht konsequent auf einem ökosystembasierten Fischereimanagement. Außerdem verstärkt eine weitere Übernutzung der Meere die Klima- und Biodiversitätskrise.

EU-Entscheidung zu Ostsee-Fangquoten: Deutsche Umwelthilfe kritisiert Beschlüsse als unzureichend

Ein blaues Geisternetz liegt verlassen am Strand

© Wolf Wichmann

Pressemitteilung, 24.10.2023, DUH

  • Neue Fangquoten der EU-Fischereiministerinnen und -minister sind eine vertane Chance, die Ostseefischerei auf einen nachhaltigen Pfad zu bringen
  • DUH fordert ökosystembasiertes Fischereimanagement und ein sofortiges Verbot von Grundschleppnetzen in Meeresschutzgebieten
  • Nach jahrelanger Überfischung braucht es weitreichende Maßnahmen, damit sich die zusammengebrochenen Dorsch- und Heringspopulationen erholen können

Berlin, 24.10.2023: Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert die neuen Fangquoten für die Ostsee als unzureichend. Mit den heutigen Beschlüssen haben es die EU-Fischereiministerinnen und -minister verpasst, der Ostseefischerei einen Weg in die Zukunft zu ebnen. Zwar ist sinnvoll, dass die direkten Fangverbote für die dezimierten Dorsch- und westlichen Heringspopulationen beibehalten wurden. Auch darf die Freizeitfischerei in der westlichen Ostsee, das heißt auch an der deutschen Ostseeküste, keinen Dorsch mehr fangen. Allerdings basieren die Entscheidungen des EU-Rats nicht konsequent auf einem ökosystembasierten Fischereimanagement. Insbesondere die Fangquote für Sprotten ist viel zu hoch und birgt die Gefahr, dass große Heringe als Beifang in den Netzen dieser Fischerei landen. Auch die Schollenquote müsste noch niedriger sein, um Beifang von Dorsch zu reduzieren.

Zudem hätte der EU-Rat die direkte Heringsfischerei im Bottnischen Meerbusen in Finnland und in der zentralen Ostsee schließen müssen. Die DUH ist entsetzt, dass die EU-Fischereiminister ihren eigenen Mehrjahresplan für die Ostseefischerei missachten und diese stark überfischten Populationen entgegen jeder Vernunft weiter befischt werden. Die DUH fordert neben ökosystembasierten Fangquoten ein sofortiges Verbot von Grundschleppnetzfischerei in Schutzgebieten, zusätzliche Schongebiete und eine Ausweitung der Schonzeiten.

Dazu DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner„Das bisherige Fischereimanagement der EU ist gescheitert. Die Ostsee zeigt auf besonders erschreckende Art und Weise, wohin chronische Überfischung und Missmanagement führen. Viele Fischpopulationen sind nur noch ein Bruchteil dessen, was sie einmal waren. Der Zustand von Hering und Dorsch, den einstigen „Brotfischen“ der deutschen Ostseefischerei, ist anhaltend katastrophal. Die EU hat Jahr für Jahr zu viele Fangquoten oberhalb der wissenschaftlichen Empfehlungen festgesetzt, jetzt gibt es die Quittung – und ein Umdenken ist trotzdem nicht in Sicht.“

DUH-Meeresteamleiterin Katja Hockun führt weiter aus: „Es bedarf jetzt einer konsequenten Anwendung eines ökosystembasierten Fischereimanagements für die Ostsee, das auf die langfristige Erholung der Populationen abzielt, anstatt auf kurzfristige Profite. Die EU muss das Ökosystem Ostsee mit seinen Wechselwirkungen als Ganzes im Blick behalten, anstatt nur auf die einzelnen Populationen zu schauen und diese weiter zu überfischen. Denn neben dem zu hohen Fischereidruck, machen den Fischen auch die steigenden Wassertemperaturen und der Sauerstoffmangel zu schaffen. Wenn wir die Ostseefischerei wirklich erhalten wollen, brauchen wir einen besseren Schutz für unsere Ostseefische. Denn ohne Fische keine Fischerei.“

Ökosystembasiertes Fischereimanagement bedeutet, anstelle von Einzel-Arten-Management, die Wechselbeziehungen zwischen den unterschiedlichen Arten im Nahrungsnetz zu berücksichtigen. Fangquoten müssen auch vorsorglich niedriger als die wissenschaftlich berechneten Höchstwerte festgelegt werden, um Unsicherheiten bezüglich der Populationsgrößen und Veränderungen im Ökosystem zu berücksichtigen.

In einem im Mai 2023 veröffentlichten Rechtsgutachten hat die DUH bereits gezeigt, dass Grundschleppnetzfischerei in Meeresschutzgebieten im Küstenmeer der Ostsee rechtswidrig sind und juristisch dagegen vorgegangen werden kann.

Hintergrund:

Schon letztes Jahr wurden der gezielte Fang vom Dorsch in der östlichen und westlichen Ostsee sowie vom Hering in der westlichen Ostsee nicht zugelassen. Außerdem wurde erstmals die Quote für die Schollen-Fischerei niedriger angesetzt als die wissenschaftlich berechneten Höchstwerte, da diese Fischerei mit erheblichem Dorschbeifang einhergeht. Dies wurde von der DUH als kleiner Erfolg bewertet, da erstmals Prinzipen des ökosystembasierten Fischereimanagements ansatzweise angewandt wurden. Allerdings waren die Beifangquoten für Dorsch und westlichen Hering noch immer zu hoch, und auch die Quoten für Sprotte und Hering in der zentralen Ostsee wurden deutlich höher angesetzt als die wissenschaftlichen Empfehlungen.

Diese Pressemitteilung findet ihr bei der DUH.

Die diesjährige Agrarministerkonferenz in Kiel zeigt erneut, dass eine Reform der Fischerei nicht ausreicht, sondern ein Neuanfang dringend notwendig ist.

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