Die Tiefsee
Ewige Nacht, hoher Druck und gleichbleibende Kälte sind die wenig einladenden Bedingungen der Tiefsee. Die Tiefsee galt daher früher als lebensfeindlich. Doch diese Bedingungen haben einen Vorteil: Sie bleiben stets gleich. Die Dunkelheit ist so vollständig, der Druck so gewaltig, dass die Geschöpfe, die sich dem Leben in der Tiefe angepasst haben, in einer Weise spezialisiert sind, die sich im Flachwasser kaum findet. Und die Tiefsee hat eine ungeheure Flächenausdehnung: Mehr als die Hälfte der Erdoberfläche (53,6 Prozent) besitzt Tiefen zwischen 3.000 und 6.000 Meter, und 1 % enthällt auf Tiefen über 6.000 Meter. Der Rest von 0 bis 3000 Metern nimmt 16,2 % ein, daran ist der Schelf allein mit 5,5 % beteiligt. Die mittlere Tiefe des Weltmeeres beträgt 3.790 Meter. Die Tiefsee ist der größte Lebensraum unseres Planeten – ein riesiges Reich faszinierender Spezialisten.
Zur Geschichte der Ozeanforschung
Mit der Erfindung von Samuel Morse im Gepäck machte sich eine wagemutige Firma auf ein Kabel zwischen England und dem aufstrebenden Amerika zu legen. Doch wo? Wie sah der Meeresgrund zwischen den Kontinenten aus und war er fest genug für das wasserdichte Alpaca-umwickelte Kabel, wie es der Erfinder Siemens versprach? Wie tief ging es eigentlich hinab in den Meeren? Der Plan des Unternehmens sah vor von den britischen Inseln über die Färöer und Grönland bis nach Amerika das Kabel zu verlegen und so begannen die ersten Expeditionen zur Vermessung der Tiefe. Man fand dabei den Island-Färöer-Rücken und damit eine geeignete flachere Stelle für die Verlegung des Telegraphenkabels. Und mit den weiteren Fahrten der frühen englischen Schiffe „Porcupine“ und „Lightning“ zur Erkundung der Topographie des Meeresboden sollte sich das Bild von der Tiefsee schlagartig verändern.
Die Geschichten und Kenntnisse über den größten Lebensraum der Erde waren in der Tat bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts mehr als lückenhaft und wirklich gering. Anekdotenhaft hatten die frühen Seefahrer von gefährlichen Untiefen oder schrecklichen Seeungeheuern berichtet. Riesenkraken, die Schiffe versenken und Wale, so groß, dass darauf Mönche predigen konnten, waren die gängigen Vorstellungen zum Reich der Ozeane.
„Okeanos“, nach einem der griechischen Meeresgötter, hatten einst die alten Dichter Homer und Hesirod den die Erdscheibe umfließenden Weltstrom um 900-700 v. Chr. genannt. Dieser Ozean galt in der Antike als Reich der Götter und beflügelte schon damals die dichterischen Fantasien. Um 440 v. Chr. beschrieb Herodot dann den „Atlantikon pelagos“, das Meer des Atlas also den Atlantik, und lieferte Stoff für die Lage von dem versunkenem Kontinent Atlantis. In der „Historia Animalum“ von Aristoteles (384 -322 v. Chr.) finden sich die ersten Beschreibungen von allerlei Meerestieren, Krebsen, Weichtieren, Stachelhäutern, Fischen und Delfinen (die er den Säugetieren zuordnete).
Kolumbus, Ferdinand Magellan, James Cook, Charles Darwin oder Alexander von Humboldt sind die Namen der berühmten Weltumsegler. Doch wie tief es im Meer hinab geht, ob dort Leben existiert und welche Wesen in der Tiefsee hausen, war nach wie vor unbekannt. Immer kalt ist es dort, meist mit Temperaturen unter 4 Grad, das hatte der amerikanische Kapitän Matthew Maury herausgefunden. Der Fund des englischen Polarforschers Sir John Ross von Würmern und einem Medusenhaupt (Schlangenstern) in 1800 Meter Wassertiefe im Nordatlantik, blieb weitgehend unbeachtet. Die Tiefsee galt als leere Wüste.
Da sich mit den primitiven Methoden auf den frühen Segelschiffen der Meeresboden kaum beproben ließ (meist wurden Lotbleie mit Wachs bestückt versenkt und das was hängenblieb, ob Sand, Kies oder Steine gab Auskunft über die Beschaffenheit des Grundes), provozierte der junge Engländer Edward Forbes 1848 anhand von Proben aus der Ägäis die Wissenschaft und behauptete, dass die Zahl der Arten mit der Tiefe immer mehr abnehme und unterhalb von 0,6 Kilometer Tiefe kein Leben mehr möglich sei. Denn ohne Strömungen und Sauerstoff, so die Vorstellung, musste dort unten eben eine leblose –azoische – Wüste sein, meinten die Forscher.
Doch nun lagen die ozeanografischen und biologischen Befunde der Expeditionen für das erste transatlantische Kabel vor. Und sie bewiesen eindeutig, dass es reiches und unbekanntes Leben in diesen Tiefen des Atlantiks gab. Krebse, Schwämme und Seelilien, Haifischzähne und viele abgestorbene Einzeller fanden die Forscher am Meeresgrund. Im Jahr 1858 war das erste Kabel fertig gelegt und auch wenn es nach wenigen Monaten gleich versagte, so eröffnete es der jungen Meeresforschung die nötige Aufmerksamkeit – und Fördergelder. Eine große Expedition der königlichen Akademie in England sollte doch mal die Meere richtig erforschen und mehr über die tiefen Meere in Erfahrung bringen.
Es war die Geburtstunde der Tiefsee-Expeditionen. Zudem wollten sich die Forscher, angestachelt von Charles Darwin und seinem epochalen Werk „Die Entstehung der Arten“, auf die Suche nach lebenden Fossilien machen, teils um ihn zu widerlegen, teils weil dann Ruhm und Ehre winkten. Auch der grandiose Roman „20.000 Meilen unter dem Meer“ von Jules Verne tat ein Weiteres in der Öffentlichkeit und der Entdeckerrausch erfasste die naturwissenschaftlichen Akademien. Als erstes folgte eine der größten Meeresexpeditionen: Die weltumspannende Umsegelung der Ozeane mit dem britischen Schiff „Challenger“ von 1872-1876.
Und in der Tat sollte es auf seiner langen Reise unterseeische Gebirgsketten, 4717 bis dato unbekannte Tierarten aus bis zu 5,5 Kilometer Tiefe, und lebende Fosssielien wie gestielte Seelilien entdecken. „Die Verteilung der Lebensformen hat kein Tiefenlimit“, stellte der Expeditionsleiter Wyville Thomson vor der Royal Zoological Academy daraufhin fest. Die 50-bändigen Challenger Reports Berichtsbände legten den Grundstein der modernen Tiefseebiologie.
Doch selbst mit der Challenger-Expedition blieben noch riesige Gebiete der Weltmeere unerforscht. Nur langsam begannen sich Biologen der Meereswelt anzunhemen. In Concareau in Frankreich wurde 1859 die erste biologische Messstation errichtet, weitere Stationen, wie in Neapel (1872) oder Helgoland (1892), kommen bis zur Jahrhundertwende hinzu. Die Vielfalt und komplexen Baupläne der gefangenen Meerestiere wurden zur Argumentation für Darwins Evolutionstheorie oder der „Spielfreude Gottes“. Im Jahr 1862 veröffentlichte der deutsche Befürworter der Evolutionstheorie Ernst Haeckel, Professor für Zoologie in Jena, seine Monographie der Radiolarien (Strahlentierchen). Weitere Bildbände über Kalkschwämme (1872) oder die Medusen (1881) folgten und bildeten mit dem grafisch fantastisch illustrierten Bestseller „Die Kunstformen der Natur“ später die Vorlagen für die Künstler des Jugendstils.
Auch andere deutsche Wissenschaftler im 19. Jahrhundert wurden zu Pionieren der Meeresforschung. So beschrieb Karl August Möbius anhand der Austernbänke der Nordsee zum ersten Mal 1877 die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen den Lebewesen und prägte dafür den Begriff der Lebensgemeinschaft oder „Biozonöse“. Und der Kieler Physiologe Victor Hensen erweiterte die einst von Ernst Haeckel geprägten Habitate Nekton (Organismen im offenen Meer) und Benthos (Organismen am Meeresboden), um eine weitere Gruppe, das Plankton (griechisch „das Dahintreibende“). Er formulierte auch erstmals den Zusammenhang zwischen Nährstoffen, den Primärproduzenten (Algen) und dem Ertrag an Fischen im Meer.
Deutschland sollte nicht ohne abenteuerliche Schiffsexpedition bleiben und mit kaiserlichem Segen leitete vom 31. Juli 1898 bis zum 1. Mai 1889 der Zoologe Carl Chun die erste große deutsche Tiefseeexpedition. Auf dem umgebauten Liniendampfer „Valdivia“ gelang auf der über 32.000 Seemeilen langen Fahrt ein Abstecher bis in die tiefen antarktischen Gewässer und eine erste Tiefenvermessung des noch unbekannten Indischen Ozeans. Neben Temperatur- und Salzgehaltsmessungen fischten die Forscher auch erstmals gezielt nach den Tieren in den verschiedenen Wasserschichten der Tiefsee, da sie über ein Netz verfügten, das sich vor dem Hieven an Deck in festgelegten Tiefen vorher verschließen ließ. Die entdeckten Anglerfische und viele anderen biolumineszierenden Fische zeigten, dass auch die Wassersäule in der Tiefsee durchgehend bis in 5.500 Meter mit Leben besiedelt ist.
Die aufkommende Seeschifffahrt und das Einsetzen von Dampfmotoren sollten in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts das Spektrum der Ozeanerforschung stetig erweitern. Man fuhr erstmals ins Eis und suchte dort nach eisfreien Schiffspassagen. Nach dem Untergang der Titanic entwickelte der deutsche Physiker Alexander Behm im Jahr 1912 das Echolot, mit dem nun durch Schallwellen die Meerestiefe einfacher gemessen werden könnte. Auf der deutschen Meteor-Expedition 1925-1927 wurde mit dieser Technik der Atlantik weitflächig kartiert.
Erst spät sollte jedoch der erste Abstieg von Menschen in die Tiefsee gelingen, so wie ihn sich Jules Verne erträumt hatte. Verschiedentlich waren zwar U-Boote vorher eingesetzt worden, aber es waren 1930 die Amerikaner William Beebe und Otis Barton die zum ersten Mal die Tiefsee mit eigenen Augen bestaunen konnten. Eingepfercht und in einer kalten Stahlkugel (der Bathysphere) sitzend, wurden sie an einem Seil bis in 427,8 Meter Wassertiefe hinabgelassen – so tief wie niemand zuvor. „Garnelen und Quallen trieben an uns vorbei wie Flocken nie geahnter Schneestürme“, so beschreibt Beebe den ersten Blick aus der Tiefseewelt. 1934 gelang ein weiterer Versuch bis in 923 Meter Tiefe.
Doch es geht noch zehnmal tiefer hinab in der Tiefsee. Das hatte 1952 die dänische Galathea-Expedition gezeigt, die im Philippinengraben die Rekordmarke von 10.540 Meter Wassertiefe entdeckte. Das russische Forschungsschiff „Witjas“ fand 1957 dann die mit 11.034 Meter tiefste bekannte Challenger-Meerestiefe im Marianengraben. Wie sollte man in einen Bereich hinuntergelangen, bei dem dann auf jedem Quadratzentimeter der Druck von 1.100 Bar, also etwa 1.100 Kilo lastet? Welches Material hält so etwas aus?
Bis also hierhin Menschen hinabtauchen konnten, musste eine Technik erst einmal erfunden werden. Und diese Eroberung der Tiefsee wurde – ähnlich wie die Eroberung des Weltalls und der Flug zum Mond – angeheizt durch den Kalten Krieg und diente primär den Strategien des Militärs. 1958 gelang dem atomgetriebenen U-Boot „U.S. Nautilus“ die Unterquerung des arktischen Eisschildes, inklusive einem spektakulären Auftauchen am Nordpol. Weitere Tauchfahrten in den Ozeanen erfolgten meist geheim durch die Supermächte. Am Ende war es jedoch ein schweizer Ingenieur, der den Weltrekord der Tauchfahrt aufstellen sollte.
Dieser hieß Jacques Piccard, war Sohn des Erfinders August Piccard, der den Ballon-Höhenrekord aufgestellt hatte und der in Italien am Bau für solch ein Tauchboot mitarbeitete. Diese „Trieste“ war ein gewagtes Unterfangen: Sie bestand aus einer Stahlkugel (Bathyscaph) mit winzigen Scheiben, einem Gewicht aus Stahlschrott zum Hinabtauchen, das am Meeresboden abgelassen werden konnte und einem Auftriebskörper gefüllt mit Benzin, der das Gefährt wieder an die Oberfläche zurückbringen sollte. Erste erfolgreiche Tests von Vater und Sohn im Mittelmeer bis in 3.150 Meter Tiefe hatten bewiesen, dass es prinzipiell funktionierte. Nun kaufte sich die US-Navy in das Projekt ein und transportierte das Schiff zum Marianengraben in der Nähe der Insel Guam im Pazifik.
Am 23. Januar 1960 gelang dann Piccard und dem amerikanischen Marineleutnant Don Walsh der Abstieg mit der „Trieste“ in das Challengertief. Bis heute ist kein Mensch so weit vorgestoßen: 10.916 Meter unter Normalnull. Knapp 20 Minuten blieben die Forscher am Grund und entdeckten durch ihre Plexiglas-Luken ein Lebewesen, vielleicht ein Fisch oder vielleicht doch eher eine Seegurke. Piccard wurde weltberühmt und blieb ein Pionier der Tiefseeforschung. So ließ er sich 1969 in einem U-Boot drei Wochen lang mit dem Golfstrom im tieferen Atlantik treiben. Die Ergebnisse gingen in die Space-Shuttle-Weltraumforschung ein. Auch sein Touristen-U-Boot im Genfer See war ein langer Erfolg.
Mit der zivilen Nutzung der U-Boote hat sich unser Bild von der Tiefsee seither immer wieder radikal verändert. Die gerade einmal 1 Prozent Meeresbodenfläche, die Wissenschaftler mit U-Booten und ROV’s (Remotely Operated Vehicle) bzw. dynamisch tauchenden Kleinsttauchbooten bisher erforscht haben, ist zwar gering, aber die Funde bleiben immer wieder spektakulär. 1974 entdeckte eine amerikanisch-französische Forschungsfahrt vor den Azoren in einem Graben des mittelatlantischen Rückens zum ersten Mal völlig unerwartet frische Lava. Die zwischen den auseinanderstrebenden Kontinentalplatten aufstrebende Masse bildete hier neuen Meeresboden und unterstützte die These der Kontinentalverschiebung und zur Entstehung der Ozeanböden.
Dem Forschungs-U-Boot „Alvin“ gelang 1977 eine weitere Sensation. Nahe der Galapagos-Inseln stieß es auf heiße Quellen in knapp 2.500 Metern Tiefe, einem Ort an dem 350 Grad heißes Wasser aus dem Meeresboden strömt und vielfältiges Leben von Bakterien bis Röhrenwürmern ermöglicht. Die charakteristischen Lebensgemeinschaften dieser vom Sonnenlicht unabhängigen Ökosysteme schufen ein ganz neues Forschungsfeld. Andere Expeditionen entdeckten in der Tiefsee Ölschlammregionen, Seen mit flüssigem Kohlendioxid, Methanhydrate oder ausgedehnte Kaltwasserkorallenriffe. Und 1995 erreichte der japanische Tauchroboter „Kaiko“ erneut, zuvor nur von der „Trieste“ betauchten, Meeresboden des Marianengrabens und entdeckte neue Tierarten.
Der Beginn der Tiefseeforschung war eng verbunden mit den wirtschaftlichen Interessen in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Und auch heute zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist dieses Interesse ein wesentlicher Motor für die Erkundung der Meere. Erste Projekte für den Abbau der Manganknollen, die reich an Kobalt und Kupfer sind, werden von den Schwellenländern Indien und China intensiv vorangetrieben. Die Suche nach seltenen Erden für die Hightech-Industrie ist ein wichtiger Forschungsschwerpunkt des rohstoffarmen Landes Japan. Und die Lizenzen für den Abbau von Schwarzen Rauchern in den Gewässern vor Papua-Neuguinea sind bereits an Minenkonsortien verkauft. Noch ist offen, ob die Erforschung und Vermessung der Tiefsee auch für den Schutz dieser faszinierenden Welt sorgen wird.
Die Tiefsee ist ein weltweit umspannendes System. Der größte Lebensraum unserer Erde (62,3 Prozent der Erdoberfläche liegt unterhalb 1.000 Meter) beginnt am Kontinentalschelf in etwa 500 Meter Wassertiefe. Die Tiefsee umfasst den Bereich des Kontinentalhanges (Archibenthal, Bathyal: In 500 bis 2.000 Metern Tiefe), der Tiefseetafel (Abyssal: In 2.000 bis 6.000 Metern Tiefe) und der Tiefseegräben (Hadal: In 6.000 bis 11.000 Metern Tiefe).
Aufbau der Tiefsee
Die Obergrenze der Tiefsee unterliegt auch heute noch unterschiedlichen Definitionen. Noch im 19. Jahrhundert postulierte Edward Forbes etwa eine leblose, „azooische“ Zone unterhalb von 500 Metern Wassertiefe. Erst mit der weiteren Erkundung der Meerestiefen und dem Fang von Seelilien an einem Telegrafenkabel aus mehr als 1.000 Meter Tiefe, reifte die Einsicht, dass die dunkle und kalte Tiefsee voller Leben ist.
Die Übergangszone zwischen den küstennahen Kontinentalrändern zu den weiten Tiefseeflächen bezeichnet man als Archibenthal. Es reicht von dem Restlicht-Sublitoral der Schelfmeere bis etwa zur Mitte des Kontinentalhangs. Das Archibenthal wird noch stark von sich ändernden Umweltfaktoren beeinflusst, insbesondere Lichtabnahme, Erscheinungen der Wasserbewegungen, mechanische Beanspruchung durch Hangabrutschungen, Nahrungstransport und Sedimentverteilung. Im Bathyal gehen die reduzierten, organisch reichen Schlämme in die oxidierten, pelagischen Sedimente (Oozes) des unteren Kontinentalhangs über. Für die Verteilung der Tierwelt ist allerdings die Grenze zur Tiefsee hin fließend. Während die Schelffauna teilweise bis in mehr als 1.000 Meter Tiefe vorkommt, können manche charakteristischen Tiefseearten in den polaren Meeren bis auf 100 Meter Wassertiefe vordringen (polare Emergenz).
Abyssal
Am unteren Ende des Kontinentalhangs, dem Kontinentalfuß, beginnt das Abyssal. Es beinhaltet die Tiefsee-Ebenen und Mittelozeanischen Rücken und reicht von 2.000 bis 6.000 Meter Wassertiefe. Das Abyssal entspricht 58,3 % der Erdoberfläche, davon entfallen auf die Tiefenstufen 2-3 km 4,8 %, 3-4 km 13,9 %, 4-5 km 23,2 % und 5-6 km 16,4 %. Während der Druck und die niedrige Temperatur meist gleichbleibend sind, können sich lokal die Bedingungen stark ändern. Am unteren Kontinentalabhang herrschen zeitweise starke Strömungen und Sedimentumlagerungen. An und vor den Canons bilden sich mächtige Trübströme und bilden reiche Schwemmkegel mit terrigenen (von Land angeschwemmtem) Sedimenten und viel organischem Material. Die tieferen Ebenen sind meist mit pelagischen Sedimenten bedeckt, die unterhalb der Kalkauflösungsschicht, der Lysokline, in endlose reliefarme Wüsten mit rotem Tiefseeton übergehen. In manchen Arealen lagern die Manganknollenfelder. An den Kämmen der Spreizungsachsen der Ozeane und an untermeerischen Bergkämmen, den Seamounts, befinden sich auch Hartböden aus Basalt.
Hadal
Die Grabengebiete unterhalb von 6.000 Meter Wassertiefe bezeichnet man als Hadal (1 % der Erdoberfläche). Bisher ist wenig über diesen Lebensraum bekannt und die Tierwelt der Tiefseegräben ist noch wenig erforscht. Einige Charakteristika der Hadal-Fauna, wie das Fehlen der Dekapoden und Turbellarien, die Seltenheit von Fischen, Schwämmen, Tunikaten, die vermehrte Häufigkeit auch anderer Tiergruppen (Pogonophoren, Holothurien, Echiuriden), die hohe Zahl von endemischen Formen, Gigantismus und die Dominanz einzelner Arten, sind vermutlich ein Resultat der geringen Kenntnis dieser Lebensregion.
Eigenschaften
Temperatur
Ab einer Tiefe von 2.000 m ist es zwischen 3,6° und 0,6°C kalt. Einzige Ausnahme sind die Thermalquellen, deren Umfeldtemperatur 20-25°C beträgt. Den Bewohnern der Tiefsee fehlen Licht- und Temperaturschwankungen als Zeitgeber für Lebensrhythmen (z. B. Fortpflanzungsperioden). Der Ablauf der Stoffwechselprozesse ist bei konstant niedriger Temperatur erheblich verlangsamt. Temperatur und Nahrungsbedingungen zwischen den polaren Küstengewässern und der Tiefsee sind sich so ähnlich, dass sich auch die biologischen Funktionen einiger ihrer Bewohner gleichen, z. B. das geringe Nahrungsbedürfnis und die Anpassung an sehr niedrige Temperaturen. Das erklärt, warum manche Organismen sowohl in Küstengewässern der Arktis und Antarktis als auch in der Tiefsee vorkommen.
Wasserdruck
Der hydrostatische Druck nimmt alle 10 Meter um etwa 1 atm zu und weist somit in der Tiefsee Werte von 100 bis 1.100 atm auf. Das Meerwasser wird jedoch wenig komprimiert: In 4.000 m Tiefe um 1,8 %, in 6.000 m um 2,6 % und in 10.000 m etwas über 4 %. Die Auswirkungen im subzellularen Bereich des Protoplasmas sind da schon beträchtlicher. Die Viskosität des Plasmas nimmt mit steigendem Druck ab, das festere Gel geht in einen dünneren Sollzustand über. Die Tiere der Tiefsee sind durch Erhöhung ihres Innendrucks an die Situation angepasst. Am druckresistentesten sind Seerosen und Seesterne, gefolgt von Seeigeln, Medusen, Schnecken, Würmern, Krebsen und Fischen. Fische mit Schwimmblase, die plötzlich aus der Tiefe nach oben kommen, sterben, weil sich das Gas bei geringem Druck ausdehnt und die Blase zum Platzen bringt.
Licht
In Tiefen unter 600 Meter herrscht fast vollständige Dunkelheit. Daher fehlen in der Tiefsee jegliche Pflanzen. Die pflanzenähnlichen Formen mit Zweigen, die man auf Fotos der Tiefseeböden sieht, sind ausschließlich Tiere, wie Korallen oder Anemonen, und keine Pflanzen. Da jedes Ökosystem auf das Vorhandensein von Primärproduzenten, d. h. auf autotrophe, Nahrung schaffende Lebewesen angewiesen ist, lebt der Großteil der Tiefseelebewesen von sedimentierenden abgestorbenen Algen. Nur an den Thermalquellen der Tiefsee wird neue Biomasse generiert: Statt Photosynthese findet hier Chemosynthese statt.
Leben in der Tiefsee
Mehr als zehn Millionen unentdeckte Arten vermuten Meeresforscher in den dunklen Tiefen der Ozeane. Jede Expedition in diesen aquatischen Weltraum endet mit neuen Artenfunden. Erst 1977 entdeckten Forscher heiße Quellen, so genannte „Black Smoker“, an den untermeerischen Bergrücken. Aus diesen hydrothermalen Erdspalten strömen Mineralien, vor allem schwarze Schwefelverbindungen heraus und lagern sich zu Schornsteinen ab. Gespeist durch die Verwertung von chemischer Energie haben sich unabhängig vom Sonnenlicht um die hydrothermalen Quellen Oasen der Biodiversität gebildet. Seit 3,2 Milliarden Jahren präsent, stellen die Quellen die ältesten Lebensräume auf der Erde dar. Und theoretisch sind sie auch anderswo im Weltraum vorstellbar.
Scheinbar lebensfeindliche Biotope werden hier von Tieren besiedelt, vom „Eiswurm“ an den Methanhydraten bis zum „Pompeiji-Wurm“ an 300 Grad Celsius heißen unterseeischen Thermalquellen. Solch reiche Tiergemeinschaften fanden Tiefseebiologen nicht nur an den Thermalquellen der tektonisch aktiven Plattengrenzen, sondern auch in den sauerstofffreien Zonen von Methanlagerstätten, kalten Quellen oder an alten Walskeletten.
Die Artenvielfalt der Tiefsee ist auch andernorts beeindruckend. Etwa 350 bis 500 verschiedene Seesterne, Seegurken, Schwämme, Seeanemonen und Krebse fanden Forscher allein in einem Gebiet vor der Küste von Peru in 4.100 Metern Tiefe. Mit der „Ventana“, einem Tauchroboter des Monterey Bay Instituts in Kalifornien, gelingt es erst seit wenigen Jahren auch die delikaten Planktonorganismen des Meso- und Bathypelagials zu fotografieren und zu identifizieren.
Biolumineszens
Biolumineszens ist die Produktion von Licht von Organismen. Die katalytische Wirkung des Enzyms Luziferase oxidiert das instabile Protein Luziferin mit Hilfe von Sauerstoff, durch diese Reaktion entsteht Licht ohne Energieverluste durch Wärmeabstrahlung. Außer Bakterien können auch andere Bewohner der Tiefsee diesen Prozess ablaufen lassen, wie z. B. Algen und Fische. In einem Leben in ewiger Dunkelheit kann die Fähigkeit, Licht zu erzeugen, einen großen Bonus bedeuten. Das künstlich erzeugte Licht wird auf verschiedene Arten genutzt. Es dient dazu einen Geschlechtspartner zu finden, Beute anzulocken oder Feinde abzuschrecken.
Oft leben Bakterien, die die Fähigkeit zur Biolumineszens besitzen, in Symbiosen mit anderen Tieren, z. B. mit Fischen. So sitzen Millionen von Bakterien in besonderen Drüsenzellen der Wirtstiere, den Photophoren. Hier werden die Bakterien über das Blut mit Stärke und Sauerstoff versorgt. Zum Ausgleich dafür stellen sie ihre Biolumineszens zur Verfügung, um z.B. dem Anglerfisch seine Raubzüge zu ermöglichen. Mittlerweile haben Forscher herausgefunden, dass nicht verwandte Bakterienarten in ein und der selben Zelle des Wirtes nebeneinander leben und beide Arten Symbiosen mit dem Wirt eingegangen sind. Dieser Aspekt bringt dem Wirt wohl noch weitere Überlebensvorteile.
Chemosysnthese
Lange Zeit dachte man, dass sich die Lebewesen der Tiefsee ausschließlich von den herabsinkenden Algen und Bakterienflocken ernähren würden. Mit der Entdeckung der hydrothermalen Schlote wissen wir heute, dass in der Tiefsee Bakterien auch als Produzenten auftreten und somit am Anfang einer langen Nahrungskette stehen. Die an den Quellen lebenden Bakterien nutzen dabei die Oxidation von Schwefelwasserstoff für die Kohlenstoffassimilation.
An den Quellen leben die Bakterien oft in Symbiose mit anderen Tieren. Das beste Beispiel hierfür ist der Röhrenwurm Riftia. Seine Nahrung bezieht er ausschließlich durch die in seinem Körper lebenden Schwefelbakterien – der Bartenwurm hat noch nicht einmal einen Mund oder Verdauungsorgane. Er versorgt seine Symbionten mit Rohstoffen, die sie für ihre Chemosynthese benötigen.
Auch die Muschelart Calyptogena beherbergt diese speziellen Bakterien in ihren Kiemen. Sauerstoff und Kohlendioxid erhalten die Bakterien über das Wasser. Mit Sulfid versorgt die Muschel die Bakterien über eine Art Fuß, der direkt in die hydrothermalen Schlote oder schwefelreichen Sedimente ragt. Dort nimmt er Sulfid auf, das dann über den Kreislauf zu den Kiemen gelangt. Die Symbiosen sind für beide Seiten lebenswichtig: Die Bakterien erhalten Schutz und der Wirt Nahrung.
Bedrohungen für die Tiefsee
Tiefseefischerei
Der Druck auf die Bestände im Meer ist in den letzten Jahren so gewaltig gewachsen, dass die sechs Milliarden zählende Erdbevölkerung die um ein mehrfaches höhere Anzahl an Fischen vermutlich bis zur letzten Flosse ausrotten wird. Übersubventionierte Fischerflotten ziehen mit moderner Sonartechnik und Satellitennavigation zum großen letzten Raubzug ins Meer. Nach Angaben der Welternährungsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen sind heute mindestens 60 Prozent der weltweit 200 häufigsten genutzten Fischarten entweder überfischt oder werden bis zum Limit genutzt. Und 13 der 17 Hauptfanggebiete der Welt sind mittlerweile praktisch leer.
Fische sind heutzutage selbst für Fischer Mangelware geworden. Überfischung, unangepasstes Management und Zerstörung der küstennahen Habitate haben die Populationen von Seezunge, Scholle, Lachs, Thunfisch und Schwertfisch auf einen so niedrigen Stand gebracht, dass sich die Befischung kaum mehr lohnt. Die letzten Fanggründe liegen fernab der bekannten Hoheitsgewässer an untermeerischen Hügeln, den so genannten Seamounts. Dort an den Oasen der Ozeane findet zur Zeit der letzte unreglementierte „Goldrausch“ statt.
Die Fischerei an den Seamounts
So kommt der Rote Thun, einer der teuersten Fische der Welt, vor allem in der Nähe der Seamounts, untermeerischer Bergkuppen, vor. Die Ursache für den Fischreichtum an diesen Untiefen liegt an Auftriebsphänomenen im Ozean: An den untermeerischen Kuppen werden langsam strömende Wassermassen durch die Bodentopographie bedingt abgelenkt und bis auf 40 Zentimeter in der Sekunde beschleunigt. In der Folge bilden sich Wirbel (Eddies) und Ringströmungen (Taylor-Säulen) an den Seamounts, die kaltes und nährstoffreiches Wasser zur Oberfläche treiben. Das pflanzliche und tierische Plankton kann so gedeihen, kleine Fische ernähren sich von diesen mikroskopischen Lebewesen und diese wiederum sind die attraktive Beute für die größeren Räuber, wie den Thunfischen. Aber auch in Wassertiefen bis 2.000 Meter finden sich noch größere Ansammlungen von Fischen.
Seit den sechziger Jahren suchen die Fischflotten gezielt nach den untermeerischen Hügeln in den weiten Ozeanen bis hin zur Antarktis. Etwa 30.000 Seamounts im Pazifischen Ozean und noch einmal circa 1.000 im Atlantik und Indischen Ozean verzeichnen derzeit die Seekarten. Russische Fischtrawler waren die ersten, die entlang der unterseeischen Vulkanhügel vor Hawaii mit Grundschleppnetzen die Fischgründe leerten. Auch vor Neuseeland wurden die gewaltigen Fischschwärme erbeutet, im Jahre 1990 allein 41.000 Tonnen und vor Tasmanien 34.000 Tonnen. Manchmal waren 50 Tonnen Fisch in der Stunde keine Seltenheit.
Während anfangs volle Netze Erfolg versprachen, wurde schnell klar, dass einmal aufgesuchte Gebiete nicht wieder erfolgreich befischt werden können: Die Fischgründe blieben leer. Untersuchungen der Fischereibiologen fanden dafür eine einfache Erklärung. Zwei der hauptsächlich an den Steilhängen der Kuppen vorkommenden Fischarten, der Granatbarsch oder Orange Roughy (Hoplostethus atlanticus) und der Oreo, sind ausgesprochene Schwarmfische: Sie versammeln sich im Strömungsschatten der Seamounts zu großen Laichschwärmen. Durch die intensive Fischerei war der Bestand der größeren laichbereiten Fische bald nahezu verschwunden. Die engen Maschen der verwendeten Netze waren zudem auch für die wenigen entwischenden Jungfische schädigend. Die meisten Tiefseefische haben eine sehr empfindliche Haut, die durch die Netze zerstört wird.
Dass Fische bis in die größten Wassertiefen der Ozeane vorkommen, vermutete schon der Schweizer Meeresbiologe Jacques Picard. Zusammen mit dem Marineoffizier Don Walsh stellten beide im Jahr 1960 in dem Tauchboot „Trieste“ den Tiefenrekord auf. Auf ihrer Tauchfahrt bis auf fast elf Kilometer Wassertiefe entdeckten sie, am Boden angekommen, durch das Panzerglas ihrer Tauchkugel einen unbekannten Fisch mit Augen (manche Wissenschaftler behaupten allerdings, es handelte sich vermutlich um eine Seegurke). Doch auf einer anderen Expedition zum Puerto-Rico-Graben des Südatlantiks ging tatsächlich in solch großen Meerestiefen einmal ein Fisch ins Netz. Der in 9.006 Metern gefangene Fisch trägt den abenteuerlichen Namen Abyssobrotula galathea.
Drei wichtige Fischarten der untermeerischen Bergkuppen a) Orange Roughy, b) Armourhead und c) Alfonsin.
Die Tiefsee ist der größte Lebensraum unseres Planeten, 53,6 Prozent des Weltozeans sind tiefer als 3.000 Meter. Daher ist die Anzahl der Fischarten in der Tiefsee hoch: Schätzungsweise 1280 verschiede Arten leben am Kontinentalhang und in Bodennähe. Und noch einmal mehr als 1000 Arten kommen in den pelagischen Tiefen unterhalb von 200 Metern vor. Diese Zahlen erhöhen sich aber mit jeder Forschungsreise. Auch was die Anzahl der Individuen anbelangt, übertrifft die Tiefsee die Lebensräume an Land. Hans-Jürgen Wagner, Spezialist für Tiefseefische an der Universität Tübingen, hat errechnet, dass Fische der Gattung Cyclotone die häufigsten Wirbeltiere der Erde sind.
Trotz dieses Arten- und Bestandsreichtums sind Tiefseefische keine unbegrenzte Ressource. So erreicht der Granatbarsch Lebenspannen von 77 bis 149 Jahren. Geschlechtsreif wird diese Art erst mit einem Alter zwischen 20 und 40 Jahren. Für viele andere genutzte Tiefseefische ist das Alter noch nicht einmal bekannt. Das oberste Prinzip der Fischerei, nur soviel zu fangen, bis die entnommenen Bestände wieder nachgewachsen sind, wird damit zu einem Generationsproblem. Und das widerspricht den ökonomischen Grundsätzen vom schnellen Profit.
Während die Bestände schrumpfen, rüstet die Fischerei auf. Rund 3,5 Millionen Fangschiffe sind heute auf den Ozeanen unterwegs. Und mit immer größer werdenden Motoren, größeren Netzen und immer kleineren Maschenweiten sind Fabrikschiffe, auch Hochseefroster genannt, tausende Kilometer von ihrem Heimathafen entfernt unterwegs. Zumal die technischen Entwicklungen wie GPS (Global Positioning System) oder verbesserte Seekarten die entlegensten Tiefseegebiete in die Reichweite der weltweit operierenden Fischnationen gebracht haben. Ausgesetzte Bojen mit kilometerlangen Fangleinen mit tausend beköderten Haken auf der Suche nach Tiefseehaien werden satellitengesteuert wiedergefunden.
Das Fischauge oder Echolot liefert scharfe 3D-Bilder der potentiellen Beute in der dunklen Finsternis. Die elektronische Steuerung bewegt metergenau die zwei Kilometer langen Fischnetze. Am Boden entfalten sich diese mit fast 110 Meter hohen und 170 Meter weiten Öffnungen – genug Platz für ein Dutzend Jumbo-Jets. Da die Fischgründe dicht in Bodennähe der untermeerischen Kuppen liegen, werden sogenannte „Rock-Hooping“-Geräte eingesetzt, um die Netze vor dem möglichen Verlust zu retten. Schwere Vorlaufketten und Eisenrollen pflügen dabei die oberen Bodenschichten um und zermalmen alles tierische Leben.
Vor der amerikanischen Küste haben Wissenschaftler belegen können, dass durch diese Praxis nicht nur die Nahrungsgrundlage der Fische zerstört wird. Auch die spezielle Fauna aus Tiefseekorallen, Schwämmen und anderen Weichtieren, die entlang der Seamounts vorkommt, verschwindet durch diese Form des Fangs. Können nämlich die Fischschwärme nicht geortet werden, wird mit Hilfe der Bodennetze nach den roten und schwarzen Tiefseekorallen für die Schmuckindustrie getrawlt. So kamen 1983 fast 70 Prozent (140.000 kg) des Weltmarktes der roten Korallen von den Seamounts.
Aber die einst als unerschöpflich angesehenen Fischgründe sind leer und sogenannte “neue” Arten kommen auf den Verbraucher zu. Der Rundnasen-Grenadierfisch (Coryphaenoides rupestris) zum Beispiel kann nach Bestandsschätzungen des schottischen Fischereiinstituts von 1996 mit jährlichen Erträgen von 13.000 bis 17.000 Tonnen befischt werden.
Die Franzosen fischten früher bevorzugt nach dem Blauen Leng (Molva dypterygia), aber jetzt stärker nach „Grenadier“ und Granatbarsch. Espada, der Tiefseefisch, den Touristen traditionell von den Fischern auf Madeira serviert bekommen, heißt eigentlich Aphanopus carbo und wird mittlerweile in viel größerer Menge vor den britischen Inseln gefangen. Tiefseehaie sind einerseits kostbar wegen ihres Öls, das aus der Leber gewonnen wird, und ersetzen andererseits den fast verschwundenen Dornhai bei der Herstellung von „Schillerlocken“.
Die meisten Tiefseefische werden als „Nicht-Quoten“-Fische gar nicht erfasst, außerhalb der kontrollierbaren EEZ (Exclusive Economic Zone, 200 Seemeilen-Territorium der Nationen) befischt und zudem von den Fischern nicht richtig artlich bestimmt. Für Fischereibiologen und Naturschützer ein Dilemma. Ohne diese Daten nämlich ergeben sich enorme Schwierigkeiten bei einer möglichen Bestandsregulierung und bei der Festsetzung der zulässigen Gesamtfangmenge (TAC, Total Allowable Catch). Schottische Biologen verteilen daher schon Bestimmungstafeln an die Fischer, um wenigstens auf diesem Wege Abschätzungen über die Fangmengen und Anlandungen der verschiedenen Tiefseefischarten zu gewinnen.
Der Fang an den fernen, tiefen Fischgründen ist für die aus ihren Hoheitsgewässern vertriebenen Fischer meist die einzige Möglichkeit, die hohen Investitionskosten ihrer Boote wieder einzufahren. Und zum Teil wird die Tiefseefischerei staatlich gefördert. Doch Umweltschützer sind zunehmend über die ökologischen Folgen der Fischerei besorgt. Die Fauna an den tieferen Kontinentalrändern und den Seamounts – insbesondere die seltenen Tiefseekorallen – und die fischereilich übergenutzten Tiefseefische werden als besonders schützenswert angesehen.
Seamounts zeichnen sich durch hohen Endemismus, dass heißt, einmalige lokale Artenvielfalt, aus. Vorsichtige Schätzungen gehen von 20-30 Prozent an neuen Tierarten je Bergkuppe aus. Tony Koslow von der australischen Forschungsgesellschaft CSIRO fand innerhalb weniger Expeditionen an erloschenen Vulkanen vor Tasmanien 850 verschiedene Tierarten. Über ein Drittel dieser Spezies sind der Wissenschaft noch unbekannt.
Die geographische Isolierung in den fernen Tiefseebecken, die Spezialisierung der Arten und Isolierung der Larven durch die besonderen Strömungen macht die Fisch- und Bodenfauna an den Oasen der Ozeane einzigartig. Die internationale Naturschutzvereinigung (IUCN) und der WWF erstellen derzeit die Rahmenbedingungen zur Unterschutzstellung dieser einmaligen bedrohten Lebensräume in der Hochsee. Neben vielen Seamounts sollen dabei auch andere von Zerstörung bedrohte Tiefseegebiete, wie die unterseeischen Hydrothermalquellen, als Biosphärenreservate für die Zukunft gesichert werden. Die tasmanische Regierung machte 1997 den Anfang und sperrte erstmals zwölf unterseeische Bergkuppen für den Fischfang.
Hydrothermale Quellen
An Schwarzen Rauchern lagern sich Gold und Platin ab.
Die heißen Quellen am Meeresboden in 1.000-2.500 Meter Tiefe sind völlig vom Sonnenlicht unabhängige Ökosysteme. Es war eine Sensation, als Biologen 1976 diese Strukturen im Nordpazifik entdeckten. Was sind das für Lebewesen, die im heißen Mineralwasser vermutlich seit Äonen in der Tiefsee der Ozeane überdauern? Sollten sich hier Beispiele für Lebensformen auf fremden Planeten finden lassen?
Die so genannten Schwarzen Raucher entstehen, wenn Meerwasser durch Risse in der Erdkruste ins Erdinnere sickert. Dort wird es aufgeheizt, vermischt sich mit Mineralien, sowie Schwefelwasserstoff und schießt wieder nach oben. An diesen Hot Spots sammelt sich nicht nur die Urfauna des Weltozeans. Im Kontakt mit dem nur 2 bis 4 Grad Celsius kalten Tiefseewasser entlädt sich an den schwarzen oder weißen Rauchern auch der mineralische Schatz der Erde: Schwefel, Kupfer, Eisen, Silber und Gold fallen dabei in größeren Mengen an. Geschäftshungrige Firmen schielen schon nach den ersten Schürflizenzen zum Abbau dieses wertvollen ozeanischen Cocktails. Die ersten Lizenzen zum Goldabbau vor Papua Neuguinea sind an australische Firmen vergeben. Der Goldrausch im Ozean wir vermutlich bald beginnen.
Erst im Jahre 1993 wurden diese Hot Vents entdeckt. Superkochendes Wasser schießt hier mit 333 Grad Celsius aus dem Boden. Wo das heiße mineralhaltige Quellwasser austritt, bilden sich die schornsteinartigen Röhren, die als so genannte „Schwarze Raucher“ im Scheinwerferlicht von U-Booten erstrahlen.
Europas größtes Hydrothermalfeld liegt bei den Azoren.
In diesem knapp 150 Quadratkilometer großen Gebiet lebt eine einzigartige Fauna aus Muscheln und mindestens 65 weiteren hochspezialisierten Tierarten. Auch „Menez Gwen“, ein Quellenfeld entlang eines untermeerischen Vulkans in der Nähe der Azoren und seine 278 Grad heißen Ozeangeysire in 850 Meter Tiefe sind eine Rarität. Hier leben gewaltige Schwärme seltener Krebse und weitere 33 lokale Arten.
Am 20. Juni 2002 hat nun die Regierung der Azorenrepublik die beiden Thermalquellenfelder „Lucky Strike“ und „Menez Gwen“ zu einem nationalen Meeresschutzgebiet (MPA, Marine protected Area) ausgerufen. Es ist das erste europäische Tiefsee-Schutzgebiet und soll diese einmalige Unterwasserlandschaft vor der Zerstörung retten. Denn die Fauna an den Tiefsee-Schloten ist biogeographisch einmalig und unterscheidet sich von anderen Hydrothermalquellen am Mittelatlantischen Ozean.
Aber dieses Naturwunder im Dunkel ist auch vielfältig bedroht. Rohstoffjäger könnten die mineralienreichen Schwarzen Raucher in Zukunft ausbeuten wollen. Andere Gründe für das Schutzgebiet sind der zunehmende Tauchtourismus, die Tiefseefischerei und das immer stärkere Interesse der Wissenschaftler an den heißen Quellen, die diese biologischen Oasen bedrängen. Der WWF hat die Unterschutzstellung der Azoren-Hydrothermalfelder als „Gift to the Earth“ bezeichnet, als eine wünschenswerte globale Aktion für den zukünftigen Naturschutz. Die kleine Inselrepublik ist diesem Antrag gefolgt und hat die Schwarzen Raucher unter Schutz gestellt.
Mit diesem ersten tieferen Meerespark wird ein wichtiges Zeichen gesetzt. Es ist somit möglich, Schutzgebiete auch in der Hoch- und Tiefsee einzurichten. Andere fragile Ökosystem, wie die besonderen Seamounts oder die artenreichen Tiefwasserkorallenriffe sollten, dem Beispiel folgend, so bald wie möglich geschützt werden.
Wichtige Science Hot Spots der Tiefsee
Der Europäische Deepsea Transect (EDT), eine Region wichtiger Forschungsorte im Nordostatlantik, sollte vor anthropogenen Einflüssen geschützt werde. Karte: H. Thiel
Unser Wissen um die Tiefsee ist marginal: Weniger als ein paar Quadratkilometer sind von Biologen und Geologen bisher erforscht worden. Die Tauchfahrten sind zählbar, die erkundete Fläche ist weniger als ein Prozent des Ozeans. Um so dringlicher sind daher wissenschaftliche Referenzgebiete, die Auskunft über die Veränderung und Prozesse der Tiefsee über längere Zeiträume geben. Der Tiefseeökologe Hjalmar Thiel und weitere Forscher haben daher den Vorschlag gemacht, die bisher vorhandenen europäischen Tiefseeforschungsstätten als „Unique Science Priority Areas“, als Schutzgebiete, auszuweisen.
Ein solches USPA wird für den Europäischen Deepsea Transect (EDT) im Nordostatlantik vorgeschlagen. Der EDT entwickelte sich während der achtziger und neunziger Jahre und schließt drei Kernregionen ein, in denen das Benthos und die benthischen Prozesse intensiv studiert worden sind:
Die Porcubine Seabight, eine breite und tiefe Einbuchtung im südwestlichen irischen Schelfbereich (51 ° N, 13° W, Kontinentalhangtiefen bis > 3 000 m). Hier wurde zum ersten Mal der Eintrag von größeren Mengen Phytodetritus aus der Frühlingsblüte in der Tiefsee entdeckt.
Die Porcupine Abyssal Plain Tiefsee-Ebene im Nordostatlantik (- 48° 50 ‚ N 16° 30‘ W, Wassertiefe um 4 850 m), in denen britische und EU-Studien konzentriert wurden.
Die Biotrans-Region , zentriert um 47°N, 21°W, zwischen 3.800 m und 4.600 m Tiefe, wo die deutschen BIOTRANS- und Bio-C-Flux-Programme ihre Tätigkeiten zwischen 1984 und 1993 konzentrierten und das JGOFS-Programm stattfand. BIOTRANS und Bio-C-Flux erforschten zum ersten Mal einen zentralen Tiefseebereich im Mittelozean und untersuchten den biologischen Transport- und Carbonfluss in der bodennahen Wasserschicht, die saisonalen Veränderungen der ökologischen Parameter und die Prozesse und Bestandszahlen des Benthos in den unterschiedlichen Größenklassen.
Die wissenschaftlichen Daten dieser drei „Science Hot Spots“ führten zu grundlegenden Kenntnissen der Tiergemeinschaften und der ökologischen Prozesse in der Tiefsee. Sie liegen nah an Europa und werden auch in Zukunft wichtige Gebiete der Grundlagenforschung sein. Insbesondere für die Untersuchung möglicher Auswirkungen der Klimaerwärmung auf das Tiefseeökosystem sind diese Gebiete gut geeignet. Denn längere Datenreihen für den tiefen Ozean sind selten und es ist daher wesentlich, dass diese Gebiete von anthropogenen Auswirkungen unbeeinträchtigt bleiben.
Der Schutz ozeanischer Gebiete findet bisher meist innerhalb der staatlichen Hoheitsgewalt der Nationen, der EEZ, statt. So gibt es bisher Schutzgebiete bei den Hawaii-Inseln zum Management der kostbaren roten Korallen, geschützte Seamounts gegen die Piratenfischerei vor Australien, geschützte Tiefwasserkorallenriffe von Lophelia pertusa vor Norwegen und demnächst auch bei den Darwin Mounds vor Großbritannien und einen Schutz der Hhydrothermalquellen bei den Azoren. Für den Naturschutz in der Hochsee und auf dem Meeresgrund hat das UNO-Seerecht (UNCLOS) die allgemeine Verantwortung, wenn auch die Internationale Meeresbodenbehörde eher für die Regulierung des Meeresbergbaus zuständig ist. Im Moment ist keine nationale oder internationale Gesetzgebung für die Errichtung geschützter Bereiche in internationalen Gewässern vorhanden. Doch die Diskussionen sind derzeit in Gang und sollten vorangetrieben werden. Die wissenschaftlich wertvollen „Unique Science Priority Areas“ wären ideale Objekte, um den internationalen Naturschutz endlich auch auf die Hohe See auszuweiten.
Meeresbergbau
Geologen kartieren die globale Schatzkarte der Ozeane. Auf dem Grund der Weltmeere lagern gewaltige Mengen an verlockenden Kostbarkeiten: Mangan, Gold, Silber und andere seltene Buntmetalle vermuten die Forscher in der Tiefsee. Manche Staaten erhoffen sich aus dieser Rohstoffquelle der Zukunft ein lohnendes Geschäft. Zwar steckt die Exploration der Meeresschätze weitestgehend noch in den Anfängen, aber viele Forscher fürchten bereits jetzt eine Vernachlässigung der Umweltaspekte. Jede mögliche Ausbeutung der marinen Lagerstätten bedarf daher im Vorfeld einer sorgfältigen Umweltverträglichkeitsprüfung.
Manganknollen und -krusten
Zu den größten und wichtigsten Erzvorkommen in der Tiefsee gehören die polymetallischen Manganknollen, die auf dem Meeresboden vieler Regionen der Erde in Wassertiefen von 4.000 bis 5.000 Meter auftreten. Die reichsten Manganknollenfelder finden sich im Bereich des nordöstlichen äquatorialen Pazifiks, im Perubecken (südöstlicher Pazifik) und im Indischen Ozean. Sie sind Ausfällungsprodukte (ca. 1 bis 20 Centimeter Durchmesser), die sich auf konzentrische Weise um einen Ausgangskern herum angelagert haben und verschiedene Metalle enthalten.
Bildung und Wachstum der Manganknollen sind eng verbunden mit den biogeochemischen Kreisläufen im bodennahen Wasserkörper und an der Grenzfläche zwischen Meeresboden und Wasser. Nach einer Theorie lagern sich die im Wasser gelösten Mineralien mit der Zeit um einen wie auch immer gearteten Kern ab. Dieser Kern kann zum Beispiel ein winziger Felsbrocken, ein Knochenstück, aber auch eine achtlos ins Meer geworfene Bierdose sein. Ging man früher davon aus, dass Manganknollen viele Millionen Jahre zur Entstehung benötigen, lassen die entdeckten Bierdosenkerne auf einen viel kürzeren Bildungszeitraum schließen. Entscheidend für das Wachstumstempo scheint insbesondere der Mineraliengehalt des Wassers zu sein.
Das weltweite Vorkommen von Manganknollen wird auf etwa 10 Milliarden Tonnen geschätzt. Es wird angenommen, dass die Menge und Qualität dieser Ressourcen den Weltbedarf an Nickel, Kobalt, Kupfer und Mangan decken könnte. In manchen Meeresgebieten kommt es zur Bildung von polymetallischen Mangankrusten, aufgrund ihres Kobaltgehalts auch als Kobaltkrusten bezeichnet, die meist 1 bis 15 cm stark werden und eine andere Metallzusammensetzung als die Manganknollen aufweisen.
Viel haben sich die Forscher einfallen lassen, um diese Vorkommen auszubeuten. Aber weder Schleppkörbe, die von Schiffen aus über den Meeresboden gezogen und dann nach oben gehievt werden, noch staubsaugerähnliche Roboter, die die Manganknollen einsammeln und dann über ein Rohrleitungssystem an Bord der Spezialschiffe pumpen, konnten kostendeckend arbeiten. Die großen Wassertiefen und die große Entfernung der Manganknollen- und Mangankrustenfelder von der Küste erfordern die Entwicklung spezieller und relativ teurer Technologien, sodass die Förderung dieser Rohstoffe zur Zeit wirtschaftlich noch nicht interessant ist. Hinzu kommt, dass aufgrund neuer Funde von Nickel in Australien und im Norden Kanadas derzeit ausreichend Landreserven zur Verfügung stehen, deren Abbau wesentlich billiger ist.
Umweltauswirkungen des Tiefseebergbaus
Wann auch immer der Tiefseebergbau beginnt, bei technischen Eingriffen zur Rohstoffgewinnung ist sicher mit störenden Beeinträchtigungen für die Tiefseeumwelt zu rechnen. Im Folgenden sei dazu eine Analyse der Umweltauswirkungen des Manganknollen-Bergbaus von Prof. H. Thiel und dem Forschungsverbund TUSCH wiedergegeben (Quelle Umweltbundesamt):
Um wirtschaftlich zu arbeiten, muss der Tiefseebergbau größere Erzmengen fördern. Die Wirtschaftlichkeit sollte nach heutigen Schätzungen etwa bei einem Abbau von 1.5106 Tonnen Manganknollen (trocken) pro Jahr bzw. bei 5.000 Tonnen Manganknollen (nass) pro Tag und pro Unternehmer gegeben sein. Diese Menge kann bereits sogar von einer größeren, effizienten Abbaueinheit (eine Förderplattform und ein am Meeresboden arbeitendes Kollektorsystem) erreicht werden. Von einer solchen Einheit ist täglich, bei einem Abbau von 5.000 Tonnen Manganknollen und einer Belegungsdichte von mindestens 5 Kilogramm Manganknollen/qm, ca. 1 Quadratkilometer des Meeresbodens direkt betroffen. Dabei werden nach Jankowski & Zielke (1997) 2×104 m3 (ca.5,4×104 t) Tiefseesedimente aufgewirbelt.
Zu Umweltauswirkungen kann es dabei insbesondere kommen durch:
Umweltschäden auf und im Meeresboden als Folge der direkten Arbeiten der Abbaugeräte (lokale Zerstörung der Lebensgemeinschaft und des Lebensraums im direkten Arbeitsbereich der Kollektoren);
Ausbildung einer Trübungswolke, die sich durch die beim Einsatz der Kollektorsysteme direkt aufgewirbelten Sedimente bildet, im bodennahen Bereich verdriftet und weiter in Strömungsrichtung sedimentiert, wobei bodenlebende Organismen (z. B. Schwämme) durch plötzliche Sedimentation zugedeckt werden; weiterhin sind vermehrte geo- und biochemische Stoffumsetzungen und eine erhöhte Sauerstoffzehrung zu erwarten;
Entstehung einer zusätzlichen Trübungswolke an der Oberfläche oder in einer mittleren Wassertiefe, die durch Einleitungen der zusammen mit den Manganknollen geförderten Sedimente und kaltem Bodenwasser (sogenannte Bergbautailings) entsteht.
Die Schäden auf und im Meeresboden als Folge der direkten Arbeiten der Kollektorsysteme sind während der Gewinnung praktisch unvermeidbar. Die Beeinträchtigung des benthischen Ökosystems hängt wesentlich von der Konstruktion des Kollektors, seines Trägerfahrzeuges und der Eindringtiefe des Gesamtsystems in den Meeresboden ab. Die Bodensedimente werden zerwühlt, zerquetscht und umgelagert, wobei gleichzeitig ein gewisser Anteil in der Wassersäule resuspendiert. Auf der Spurbreite des Kollektors werden die Organismen am schwersten beeinträchtigt.
Da bekanntlich die größte Organismendichte in den ersten Zentimetern des Tiefseebodens erreicht wird, ist auch bei geringen Eindringtiefen der Kollektoren die Störung der Lebensgemeinschaft im direkten Einflussbereich der Abbausysteme gravierend. Die Veränderungen am Boden beeinflussen auch das chemische Milieu, ein neues Redox-System stellt sich ein und eine zusätzliche Adsorption und Mobilisierung von Spurenelementen oder Schwermetallen ist möglich. Die generell sehr geringen Sedimentationsraten und die relativ kleinen Strömungsgeschwindigkeiten haben zur Folge, dass die Spuren der Kollektoren lange Jahre nach der Gewinnung sichtbar bleiben.
Der für eine Wiederbesiedlung erforderliche Zeitraum hängt stark von der Größe des gestörten Gebiets ab. Die möglichen Auswirkungen der Trübungswolke, die durch Rückleitung der zusammen mit den Knollen geförderten Sedimente, kaltem Tiefenwasser und Organismen von der Förderplattform zurück ins Meer entsteht, auf das Zoo- und Phytoplankton, sowie auf andere Meeresorganismen in der oberflächennahen Wasserzone, sind bislang kaum untersucht. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es im Pelagial zu Beeinträchtigungen von Planktonorganismen, Fischen, Walen und Delphinen kommt, insbesondere bei Einleitung in Oberflächennähe. Eine anhaltende Trübung des Wassers aufgrund der nur sehr langsam absinkenden, feinen Partikel könnte die Primärproduktion des Phytoplanktons hemmen und die Partikel selbst beeinträchtigen vermutlich die Funktion der Fischkiemen oder der Filtrationsapparate anderer Organismen.
Als Fazit des Forschungsverbunds Tiefsee-Umweltschutz (TUSCH) lässt sich demnach eine berechtigte Sorge um die marine Umwelt im Falle eines Manganknollenbergbaus postulieren.
Lösung für die Energiekrise? Gashydrate:
Seit etwa 30 Jahren beschäftigen sich Wissenschaftler weltweit mit der Erforschung von Gashydraten. Mittlerweile hat man zahlreiche Vorkommen erforscht und die physikalisch-chemische Struktur der Gashydrate (fast) vollständig aufgeklärt: Gashydrate sind feste, kristalline Substanzen, die sich bei niedrigen Temperaturen und hohem Druck aus einer Mischung von Gas und Wasser bilden. Ändert sich einer der beiden Parameter „Druck“ oder „Temperatur“ entscheidend, zerfällt das Gashydrat schnell in seine Bestandteile. 90 Prozent der natürlich vorkommenden Hydrate enthalten das Erdgas Methan als zentrales Molekül, um das sich die Wassermoleküle käfigartig herumgruppieren. Die Begriffe Gashydrate und Methanhydrate werden deshalb häufig – nicht ganz korrekt – synonym verwendet. Denn es gibt durchaus noch andere hydratbildenden Gase wie Kohlenstoffdioxid, Schwefelwasserstoff und verschiedene andere Kohlenwasserstoffe.
Außer in den tieferen Bodenschichten der Permafrostgebiete – 200 bis 1000 Meter unter der Erdoberfläche – werden Gashydrate an den Kontinentalhängen der Ozeane im Meeresboden in 500 bis 3 000 Metern Wassertiefe gefunden. Sie wurden in den Porenräumen des Meeresbodens entdeckt. Wissenschaftler haben mittlerweile aber auch ganze Schichten und „Klumpen“ aus reinem Methanhydrat gefunden. Eine Dicke der Gashydratvorkommen von mehreren hundert Metern ist dabei keine Seltenheit. Die Änderung von Druck und Temperatur bei einem eventuellen zukünftigen Abbau oder bei den Untersuchungen an Bord der Forschungsschiffe und im Labor erschweren die Gewinnung und Untersuchung stark und machen spezielle Geräte erforderlich.
Die Bedeutung der Gashydrate als Energiequelle der Zukunft wird diskutiert. Aufgrund der methodischen Schwierigkeiten und erforderlichen technologischen Entwicklungen wird es vermutlich noch einige Jahre oder Jahrzehnte dauern, bevor die industrielle Gewinnung von Gashydraten aus dem Meer Realität werden kann.
Das verlockende Feuer in der Tiefe
In den eisigen Erdgasvorkommen auf dem Grund der Ozeane ruhen die Träume der Wirtschaft. Doch Vorsicht ist geboten: Der Abbau der Gashydratvorkommen könnte das Weltklima beeinflussen.
Unweigerlich wird man an die Geschichte der fantastischen, bisher aber unnutzbaren Manganknollen erinnert, jenen kartoffelgroßen Erzknollen auf dem Meeresgrund der Ozeane: Nach vorsichtigen Schätzungen soll in den untermeerischen Gashydratvorräten doppelt so viel Kohlenstoff gebunden sein, wie in allen anderen derzeit bekannten fossilen Lagerstätten (Erdöl, Erdgas, Kohle) zusammen. Da mag nun jemand noch behaupten können, die Energieversorgung der Zukunft sei gefährdet.
Fossile Brennstoffe sind nach wie vor im Trend. Es sind derzeit die wichtigsten Energieträger für die Strom- und Wärmeerzeugung. Vor allem der Anteil von Erdgas wächst dabei stetig. Falls der Weltverbrauch konstant bleibt, reichen die nachgewiesenen Vorräte noch bis zum Jahr 2040, errechnete der Träger des Alternativen Nobelpreises, der Solarexperte und Politiker Hermann Scheer. Bei den Verteilungskämpfen um die verbleibenden Ressourcen wird das „größte Gemetzel der Menschheit“ anfangen, so Scheer.
Oder aber es helfen ab Mitte unseres neuen Jahrhunderts die gigantischen Mengen auf dem Meeresgrund weiter. Tausend Billionen Kubikmeter Gashydrat können es schon sein, die für ein paar Jahrhunderte reichten. Wenn es eine Fördertechnik gäbe. Aber wie im Falle der Manganknollen befinden sich die Gashydratvorkommen auf dem Grund des Ozeans: Technisch können sie derzeit noch nicht gewonnen werden.
Das „Tiefseegas“ ist das Produkt bakterieller Zersetzung von abgestorbenem und auf den Meeresboden gesunkenem Plankton. Unter den besonderen Bedingungen von Kälte und hohem Druck werden die Gasmoleküle in einem Eis-Wasser-Gitter festgehalten – so genannte „Clathrate“. Die Mikroblasen aus der Zersetzung lagern dabei im Schlamm Wasser an und bilden so die mächtigen Hydratlagen. Die meisten Sedimente der Kontinentalränder werden durch solche Eiskristalle zementiert.
Als 1997 das Forschungsschiff „Sonne“ erstmals größere Mengen Gashydrate aufsammeln konnte, die wie Brausepulver schäumten und an Deck geholt dabei zusehends schmolzen, war die Sensation groß. Heute suchen die Wissenschaftler weltweit nach den Lagervorkommen, wobei die meisten an den Kontinentalrändern liegen, denn nur dort treffen Druck, geringe Temperaturen und ein hoher organischer Gehalt im Sediment zusammen.
Aber auch an den aktiven Subduktionszonen der Kontinentalplatten, dort wo die Platten zusammendrücken, kommen Gashydratfelder vor. Seit Jahren forschen Wissenschaftler vor der Küste Oregons in Amerika an dem entdeckten „Hydratrücken“, einem Unterwassergebirge von der Größe des Harzes. Für Gerhard Bohrmann und die Arbeitsgruppe Umweltgeologie vom Geomar Institut in Kiel verlief dabei die Erforschung der entdeckten Hydratvorkommen äußerst erfolgreich. Insbesondere durch den Einsatz automatischer und videounterstützter Probenahmegeräte wurden Daten zur Verteilung von Methan und Schwefelwasserstoff im Meerwasser und erste Messungen zum Gasfluss gewonnen.
Trotz des hohen Aufwandes sind automatische Messungen vor Ort, das heißt in 600 – 800 Metern Tiefe, unentbehrlich. Denn sobald man versucht, die Proben einzusammeln oder an Deck zu holen, entweichen die Gase aus dem Eisgitter und machen exakte Messungen unmöglich. Das besonders stabile Glasfaserkabel an Bord des modernsten Forschungsschiffes der Welt ermöglicht auch den Einsatz von Videokameras auf dem Tiefseeboden. Was sich den Wissenschaftlern da auf ihren Monitoren bot, war erstaunlich: Direkt an die Gasblasenfelder grenzten die Rasen von orangefarbenen und fädigen Bakterien und weiße Muschelnester füllten die Senken.
Die hohe Anzahl von Muscheln, bis zu 1750 Individuen pro Quadratmeter, hat dabei am meisten überrascht. Diese Muscheln dringen mit ihrem Fuß in Spalten ein und nehmen Schwefel auf, den sie symbiontischen Bakterien zur Verfügung stellen. Die erwachsenen Muscheln haben die Benutzung des Verdauungstraktes aufgegeben und beziehen ihre Nahrung nur noch von den Bakterien, die durch Ausnutzung der in den Schwefelverbindungen gespeicherten Energie die Nährstoffe für die Muscheln produzieren. Auch die Bartwürmer brauchen die Bakterien für den Stoffwechsel und leben daher dicht um die Methanquellen.
Dort, wo die Gase kalt austreten, bilden sich die Eishydrate. Während im Laborversuch diese chemischen Komplexe schwer zu bilden sind, gerinnen unter den besonderen Bedingungen der Tiefsee die Gase sofort zu Hydraten, wie Experimente der amerikanischen Arbeitsgruppe aus Montery um Peter Brewer zeigten. Aber unterschreitet der Außendruck einen bestimmten Wert, verdunstet Methanhydrat sofort. Es muss also so abgebaut werden, dass das darin enthaltene Erdgas aufgefangen wird, eine Technik, die noch zu entwickeln ist.
Einige Prozesse in der Natur sorgen ebenfalls für eine Zersetzung der Gashydrate, mit zum Teil dramatischen Folgen. So führen unterseeische Erdbeben zu einer Lockerung der stabilen Eissande an den Kontinentalhängen, und es kann zu gewaltigen Hangrutschungen kommen. Ein solches Ereignis war vermutlich vor 8000 Jahren die Storegga-Rutschung bei Norwegen, bei dem eine enorme Flutwelle bis nach Schottland reichte. Bis zu 30 Meter hohe Flutwellen wären auch bei technisch falsch durchgeführten Bohrungen theoretisch denkbar, meint Hydratforscher Bohrmann. Einige Wissenschaftler vermuten sogar, dass die riesige Tsunami-Flutwelle von Papua-Neuguinea im Jahr 2000 auf solchen Ursachen beruhen könnte.
Sicher ist für die Wissenschaftler jedoch, dass bei einem globalen Temperaturanstieg des Meerwassers die Gase ins Meer und nach einer gewissen Verweilzeit in den Ozeanen in die Atmosphäre entweichen können. Dort vermag das Methan als starkes Treibhausgas – es ist 25-mal stärker als Kohlendioxid – einen massiven Beitrag zur globalen Klimaerwärmung zu leisten.
Welche Rolle der Gashydrat-Zyklus als wesentlicher Steuermechanismus im globalen Klima einnimmt, ist derzeit nicht einzuschätzen, da exakte Mengenberechnungen noch fehlen. Eine Klimaerwärmung hätte besonders in den Polarregionen, wo große Mengen in den flachen Permafrostgebieten von Alaska, Grönland, Kanada, Russland und der Antarktis festgehalten werden, enorme Konsequenzen.
In den russischen Permafrostgebieten wird bereits versucht, Gashydrat mit konventionellen Methoden abzubauen. Auch die USA und Japan planen mit Hochdruck die Technik für erste Probebohrungen. Die bisher bekannten Vorkommen liegen meist in unmittelbarer Nähe der Kontinentalränder und lassen bei einigen Nationen den Traum von einer billigen, ewig sprudelnden Energiequelle aufkommen.
Für die Manganknollen, die aus einem hohen Anteil an Eisen und Mangan bestehen, aber auch Wertmetalle wie Nickel, Kupfer, Zinn, Kadmium, Zink, Silber und Kobalt enthalten, wurde eigens ein internationales Regelwerk geschaffen. Da die Manganknollenfelder hauptsächlich in internationalen Gewässern liegen, erklärten die Vereinten Nationen sie 1970 zum gemeinsamen Erbe der Menschheit, das zum Nutzen der gesamten Erdbevölkerung einzusetzen sei, insbesondere jedoch der armen Länder. Die Bemühungen der eigens geschaffenen Meeresbodenbehörde sollen in einem Mining Code enden, einer Vereinbarung zum verträglichen Abbau dieser Meeresressourcen.
Aber nur für die Manganknollen sind solche Vorschriften vorhanden. Elisabeth Mann-Borgese, Professorin für Seerecht in Halifax und jüngste Tochter von Thomas Mann, beanstandet daher das Fehlen verbindlicher Regeln für die weiteren im Ozean vorhandenen Ressourcen, zum Beispiel zur Erforschung von Genrohstoffen und zur Erhaltung der Artenvielfalt. Diese ernst zu nehmende Lücke im internationalen Recht sollte ihrer Meinung nach schnellstmöglich geschlossen werden.
Im Falle eines wirtschaftlich nutzbaren Rohstoffs sind die Bemühungen für ein Regelwerk jedoch schneller. Die 1998 im US-Department of Energy eingereichten Gesetzesvorlagen diskutieren die weitere Strategie zur Erforschung der Methanhydratvorkommen und setzen heute schon eine Frist: Ab dem Jahre 2015 soll mit dem Abbau begonnen werden.
Erdöl und Erdgas
Die Offshore-Erdöl- und Erdgasvorkommen werden schon seit Jahren kommerziell genutzt. Mit Hilfe von sicher verankerten Ölplattformen können heutzutage schon Depots bis 2.000 Meter Tiefe erschlossen und ausgebeutet werden. Umgebaute Tankschiffe des Unternehmens Petrobas fördern schon heute im Atlantik vor der Westküste Brasiliens Öl aus einer Wassertiefe von 1853 Metern. Doch Experten halten schon gegenwärtig eine Förderung von Erdöl aus 3.000 Metern Tiefe technisch für machbar.
Immer tiefer – die Erdölsuche im Ozean erreicht die Tiefsee
Die Beeinträchtigung der Meeresumwelt durch die Ölförderung reichen von lokaler Verschmutzung (Lärm, Öl u.a.) bis weit über die Plattformen hinaus (z. B. Kohlenwasserstoffe und andere Giftstoffe). Nach dem erfolgreichen Verhindern der Versenkung der ausgedienten „Brent Spar“-Plattform durch Umweltschützer ist zumindest in europäischen Gewässern eine Entsorgung der Stahlkolosse im Meer verboten. Doch die Erdölindustrie trägt weiterhin wesentlich zur Meeresverschmutzung bei.
Text: Onno Groß, 2016
Unsere Factsheets zum Thema
Das Thema „Tiefsee“ ist außerdem auf unseren folgenden Factsheets einsehbar:
- „Die Tiefsee – eine unbekannte Welt“
- „Tiefseebergbau – die Ausbeutung der Ozeane“
- „Die Verschmutzung der Tiefsee“
- „Grundschleppnetzfischerei: Die Zerstörung der Tiefsee“
- „Erdöl aus der Tiefsee“
Blogbeiträge zum Thema Tiefsee
- Tiefseebergbau für Einsteiger:innen
- Tiefseebergbau: Folgen noch nicht abzusehen
- Methan-Oasen der Tiefsee ergründet
- Tag des Artenschutzes: Tiefseefisch – Orange Roughy
- Endstation Tiefsee: Mikroplastik belastet Meeresgrund noch stärker als angenommen
- Plastikverschmutzung im Marianengraben
- Schätze am Meeresboden schützen
- Schutz der Meere: Deutschland unterstützt bis auf Weiteres keinen Tiefseebergbau