Trottellumme in der Nordsee bei Helgoland

© A.Savin / Wikimedia Commons

Pressemitteilung, 16.11.2023, NABU

Die Hälfte der Meeresschutzgebiete muss nutzungsfrei werden

Strenger Schutz in Nord- und Ostsee: NABU macht Vorschlag, wie Artensterben und Lebensraumverlust aufgehalten werden kann

Berlin – Der NABU hat am 16. November den Umweltpolitikern der Ampel-Koalition und dem Meeresbeauftragten der Bundesregierung eigene Vorschläge für streng geschützte Flächen in den Meeresschutzgebieten der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) in der deutschen Nord- und Ostsee vorgestellt. Dazu hat sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag verpflichtet. Der Verband fordert, mehr als 50 Prozent der Schutzgebiete noch in dieser Legislatur frei von Fischerei, Schifffahrt und Rohstoffabbau zu stellen.

NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger: „Zwei Jahre nach ihrem Antritt muss die Bundesregierung die versprochene Meeresoffensive liefern. Die Naturkrise in Nord- und Ostsee lässt uns keine Zeit. Die jüngsten Zustandsberichte unserer Meere sind dramatisch. Ein Drittel der Arten steht auf der roten Liste. Mit unseren Karten für nutzungsfreie Flächen liegt ein Entwurf auf dem Tisch, mit dem Deutschland den Verpflichtungen der EU-Biodiversitätsstrategie gerecht werden und eine europäische Vorreiterrolle einnehmen kann.

Die europäische Biodiversitätsstrategie fordert, dass 30 Prozent der Land- und Meeresfläche geschützt werden, ein Drittel davon streng. Im Koalitionsvertrag steht, dass zehn Prozent der deutschen AWZ frei von schädlichen Nutzungen sein müssen. Doch heute findet auch in Meeresschutzgebieten noch Grundschleppnetzfischerei statt, werden Sand und Kies abgebaut, führen Schifffahrtslinien hindurch. „Dort wo wir wertvolle Riffe haben, Schweinswale ihre Jungen zur Welt bringen, Seevögel Nahrung finden und die Biodiversität am größten ist, muss die industrielle Nutzung aufhören. Wir brauchen streng geschützte Flächen, um Artensterben und Lebensraumverluste vor unserer Küste zu stoppen“, fordert NABU-Meeresexperte Kim Detloff.

Die Vorschläge des NABU decken etwas mehr als die Hälfte der Meeresschutzgebiete in der der deutschen AWZ ab, das entspricht knapp 15 Prozent der AWZ der Nordsee und etwas mehr als acht Prozent der AWZ der Ostsee. Erstmals wird damit der Begriff „strenger Schutz“ greifbar, es werden konkrete Flächen beschrieben und notwendige Maßnahmen definiert. Unterstützt wird Deutschlands größter Naturschutzverband in seiner Forderung von mehr als 40.000 Menschen, die einen offenen Brief an Bundeskanzler Scholz unterzeichnet haben. „Wir appellieren an die Mitglieder des deutschen Bundestags und den Bundeskanzler persönlich, dem Bundesumweltministerium zu helfen, ambitionierte Flächenvorschläge zu entwickeln und umzusetzen. Die Natur kann nicht warten, und nirgendwo liegen Natur- und Klimaschutz so nah wie im Meer“, so Krüger.

Hintergrund:

Für seine Gebietsvorschläge hat der NABU aktuelle Monitoring-Daten von mehr als 20 geschützten Arten und Lebensräumen – darunter Riffe, Sandbänke und Schlickgründe, Schweinswale, Seetaucher, Trottellummen, Eisenten und weitere Meeresvögel – analysiert und die Flächen mit der größten Artendichte und ökologischen Funktion definiert. Dazu gehören 54 Prozent der Schutzgebiete in der AWZ der Nordsee (das entspricht 14,6 Prozent der AWZ und 10,1 Prozent der gesamten deutschen Nordsee). In der Ostsee sollen 52,3 Prozent der AWZ-Schutzgebiete streng geschützt werden (das entspricht 29,2 Prozent der AWZ und 8,4 Prozent der gesamten deutschen Ostsee). Diese Flächen gilt es besonders zu schützen. Nach Überzeugung des NABU braucht es hier neben völlig ungestörten Bereichen, sogenannten Nullnutzungsgebieten, auch zeitliche Schutz- und Zonierungskonzepte für die deutschen Meeresschutzgebiete in der AWZ und auch im Küstenmeer unter Verantwortung der Bundesländer. Einen wichtigen Beitrag könnte hier ein Nationalpark Ostsee leisten.

Erst Ende Oktober hat das Regionalabkommen HELCOM (Helsinki-Konvention) zum dritten Mal einen Bericht über den ökologischen Zustand der Ostsee (HOLAS III) veröffentlicht, nur sechs Wochen nach dem Quality Status Report des OSPAR-Übereinkommens zum Schutz der Nordsee und des Nordostatlantiks. Dabei haben die Mitgliedsstaaten der Konventionen im Vorfeld Analysen zur Biodiversität, Eutrophierung, Schadstoffeinträgen, Nutzungsdruck sowie wirtschaftlichen und sozialen Aspekten vorgenommen. Das Ergebnis ist alarmierend. Nahezu sämtliche Fisch- und Vogelarten sowie Meeressäugetiere sind weiterhin bedroht oder werden stark beeinträchtigt; ihre Lebensräume werden gestört oder gehen ganz verloren.

Diese Pressemitteilung findet ihr beim NABU.

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