Viele kleine Eisschollen werden von der untergehenden Sonne am Horizont angestrahlt

© NASA / Wikimedia Commons (CC BY 2.0)

Pressemitteilung, 23.06.2021, Alfred-Wegener-Institut

Ergebnisse der MOSAiC-Expedition zeigen: Die erwartete Erholung der Ozonschicht könnte ausbleiben, wenn die globale Erwärmung nicht gebremst wird

Im Frühjahr 2020 registrierte die MOSAiC-Expedition einen Rekordverlust von Ozon in der arktischen Stratosphäre. Wie die Auswertung von meteorologischen Daten und Modellrechnungen durch das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) nun zeigen, könnte sich der Ozonabbau im arktischen Polarwirbel bis zum Ende des Jahrhunderts noch intensivieren, wenn eine schnelle und konsequente Reduktion der globalen Treibhausgasemissionen ausbleibt. Dies könnte künftig auch in Europa, Nordamerika und Asien die UV-Strahlungsbelastung jeweils weiter erhöhen, wenn Teile des Polarwirbels nach Süden verdriften. Mit ihren Ergebnissen stellen die Forschenden die bislang verbreitete Erwartung in Frage, dass der Ozonverlust wegen des Verbots der Produktion von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKWs) in wenigen Jahrzehnten überall zum Erliegen kommt. Die AWI-Studie wurde in Kooperation mit der University of Maryland und dem Finnish Meteorological Institute durchgeführt und ist jetzt im Wissenschaftsmagazin Nature Communications online erschienen.

Als die Polarstern am 12. Oktober 2020 von MOSAiC – der größten Arktis-Expedition der Geschichte – nach Bremerhaven zurückkehrte, hatte sie besorgniserregende Nachrichten im Gepäck: Weite Flächen offenen Wassers nördlich von Grönland und Meereis voller Schmelztümpel am Nordpol zeugten von den schon jetzt dramatischen Auswirkungen der globalen Erwärmung in der Arktis. Doch nicht nur die rasante Eisschmelze macht dem Expeditionsleiter Markus Rex Sorgen: „Messungen während der Expedition haben gezeigt, dass der chemische Ozonverlust über der Arktis im Frühjahr 2020 größer war als jemals zuvor. Eine umfassende Analyse hat nun ergeben, dass dies auch das Resultat von Klimaveränderungen war. Unsere Arbeiten zeigen leider, dass trotz des weltweiten Verbots der ozonzerstörenden Substanzen bis zum Ende des 21. Jahrhunderts mit weiter zunehmenden Ozonverlusten über der Arktis zu rechnen ist, wenn der Klimawandel ungebremst weiter voranschreitet.“ Während MOSAiC waren im Höhenbereich des Ozonmaximums ca. 95% des Ozons zerstört. Die Ozonschichtdicke wurde dadurch um mehr als die Hälfte reduziert, obwohl die Konzentration der ozonzerstörenden Substanzen seit der Jahrtausendwende sinkt – ein Erfolg internationaler Maßnahmen zum Schutz der Ozonschicht.

Ist die Ozonschicht – eine schützende Barriere gegen schädliche UV-Strahlung – über der Arktis also zunehmend bedroht?

Um eine Antwort zu finden, hat das Team um die AWI-Wissenschaftler Peter von der Gathen und Markus Rex sowie Ross Salawitch von der University of Maryland Daten von 53 Computermodellen ausgewertet, die im Rahmen der „Coupled Model Intercomparison Project Phasen 5 und 6“ (CMIP5, CMIP6) international zusammengestellt wurden. Darauf basierend haben die Forschenden den Ozonabbau im arktischen Polarwirbel bis zum Jahr 2100 abgeschätzt. Beim Polarwirbel handelt es sich um ein relativ abgeschlossenes Tiefdruckgebiet in der Stratosphäre in 15 bis 50 Kilometern Höhe, das sich in jedem Herbst über der Arktis bildet und unterschiedlich lange über den Winter bis in das Frühjahr hinein bestehen bleibt. „Damit es zu einem Abbau von Ozon in der Arktis kommt, muss sich die Stratosphäre im Bereich der Ozonschicht stark abkühlen“, sagt Peter von der Gathen, Erstautor der Studie. „Bei tiefen Temperaturen wird Chlor, das normalerweise in unschädlichen Substanzen gebunden ist, freigesetzt. In der Folge zerstört es zusammen mit Brom bei Sonneneinstrahlung Ozon. Das geschieht nur, wenn die Temperaturen im Winter tief genug fallen. Bei unserer Studie haben wir deshalb auf Basis der langfristigen Temperaturentwicklung im Polarwirbel und dem erwarteten Rückgang der Chlor- und Bromverbindungen auf die Ozonverluste der kommenden Jahrzehnte geschlossen.“

Substanzen wie etwa Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKWs) und Halone, welche die ozonzerstörenden Chlor- und Bromatome beinhalten, sind trotz des Produktionsbanns durch das Montrealer Protokoll von 1987 noch immer reichlich in der Atmosphäre vorhanden, weil sie nur langsam abgebaut werden. „Bis zum Jahr 2000 stiegen die Konzentrationen dieser Substanzen im Polarwirbel noch“, sagt Peter von der Gathen. „Seitdem fallen sie und liegen heute bei 90 Prozent des Maximums. Erst zum Ende des Jahrhunderts werden sie nach Einschätzung der World Meteorological Organization unter 50 Prozent gesunken sein. Da es unregelmäßig mal warme und mal kalte stratosphärische Winter im Polarwirbel gibt, ist der Ozonabbau entsprechend unterschiedlich stark ausgeprägt. Dem überlagert zeigt unsere Analyse meteorologischer Daten der letzten 56 Jahre jedoch einen signifikanten Trend hin zu tieferen Temperaturen in den kalten stratosphärischen Wintern und damit verbunden hin zu steigenden Ozonverlusten. Die Auswertung der Klimamodelle zeigt zudem klar, dass dieser Trend Teil des Klimawandels und damit das Ergebnis der globalen Treibhausgasemissionen ist.“

Der komplexe Mechanismus dahinter ist zumindest teilweise bekannt: Dieselben Gase, die an der Erdoberfläche zur globalen Erwärmung führen (wie CO2), befördern eine Abkühlung der höheren Luftschichten in der Stratosphäre, wo die Ozonschicht liegt. „Darüber hinaus sehen wir aufgrund des Klimawandels Änderungen in den vorherrschenden Windsystemen. Wir nehmen an, dass diese Änderungen ebenfalls zu tieferen Temperaturen im Polarwirbel führen. Der Trend hin zu kälteren Wintern in der arktischen Stratosphäre war unter Wissenschaftlern bislang umstritten. Selbst mit einem Trend ging man jedoch immer davon aus, dass der Klimawandel den wiederkehrenden Ozonabbau über der Arktis im ungünstigsten Fall noch einige Jahre verlängert“, erklärt Peter von der Gathen. „Spätestens danach – so dachten auch wir – sollten dann die sinkenden Konzentrationen der FCKWs so stark ins Gewicht fallen, dass der Ozonverlust kontinuierlich geringer wird. Doch unseren Berechnungen nach kann es in der Arktis auch anders kommen.“

So zeigt die Auswertung des Forschungsteams, dass die künftigen chemischen Ozonverluste in der Arktis massiv von der Menge der bis zum Ende des Jahrhunderts ausgestoßenen Treibhausgase abhängt. Werden die Emissionen in den kommenden Jahrzehnten drastisch reduziert, sagt die Studie tatsächlich einen bald einsetzenden und danach beständigen Rückgang der Ozonverluste voraus. Für die ungünstigen Szenarien mit steigenden Treibhausgasemissionen ist dagegen das Gegenteil der Fall. „Wenn wir unsere Treibhausgasemissionen nicht schnell und umfassend reduzieren, könnte der arktische Ozonverlust trotz des großen Erfolgs des Montrealer Protokolls bis zum Ende des laufenden Jahrhunderts immer schlimmer werden, statt der allgemein erwarteten Erholung zu folgen“, erklärt Markus Rex. „Dies stellt einen fundamentalen Paradigmenwechsel in unserer Beurteilung der Zukunft der arktischen Ozonschicht dar. Und das betrifft auch unser Leben in Europa, Nordamerika und Asien. Denn der arktische Polarwirbel driftet immer mal wieder auch über Mitteleuropa, so dass es auch in Deutschland jeweils im Frühjahr zu einigen Tagen reduzierter Ozonschicht kommen kann, was dann in diesen Perioden zu erhöhter UV-Strahlung und letztlich zu Sonnenbränden und größerer Hautkrebsgefahr führen kann.“

Für Markus Rex ist die Botschaft aus der Arktis klar: „Es gibt viele gute Gründe, die Treibhausgasemissionen schnell und umfassend zu reduzieren. Eine drohende Verschärfung des Ozonabbaus über der Arktis kommt jetzt noch dazu.“

Diese Pressemitteilung findet ihr beim Alfred-Wegener-Institut.

Weitere Informationen über die MOSAiC-Expedition und die Auswertung der gesammelten Daten findet ihr in unserem Klima- und Forschungsblog.

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